GESCHICHTE
DER
U-S-P-D.
Entstehung und Entwicklung
der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands
Von
Bugen Prager
192
VERLAGSGENOSSENSCHAFT „FREIHEIT" e. G. m. b. H.
ABTEILUNG BUCHHANDLUNG / BERLIN C. 2 / BREITE STRASSE 8-9
CSfc»<30a«rtO2S^^
INHALT
Vorwori / seite 7
Deutsdiland bis zum Welikrieg / Sette 9-13
Die zwei Epochen in der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. —
Der Ausdehnungsdrang des deutschen Kapitals. — Die Veranderungen
in der deutschen Auizenpolitik. — Die Gef ahren des Imperialismus. —
Der Aufcenhandel der kapitalistischen Weltmarkte. — Die letzten IL>
sachen des Weltkrieges.
Die Sozialdemokraiie vor dem Weltkricg / sate 14-20
Die Formen der Agitation. — Die praktiscihe Arbeit und der Reformist
mus. — Umwandlung aus einer revolutipnaren zur reformistischen
Partei. — Die Vermehrung der Waivistimmen. — Wachsende Bedeu*
tung der Gewerksdhalten. — Die Parteibureaukratie. — Der letzte
Parteitag vor dem Kriege. — Die Stellung zur aulzeren Politik.
Der 4. August 1914 / sette 21-27
Der Kriegsvorwand der dsterreichischen und deutschen Kriegstreiber. —
Aufruf des Parteivorstandes gegen den Krieg. — Zusammentritt des
internationalen sozialistischen Bureaus. — Schwenkung in der Partei. —
Bewilligung der Kriegskredite. — Die Erklarung der sozialdemokrati*
schen Reichstagsfraktion. — Die ersten Gegensafeze.
Die heginnende Opposition • seite 23-35
Die BescMixsse der Internationalen Sozialistenkongresse und der
deutschen Parteitage. — Urteile des sozialistisohen Auslandes ixber die
Kreditbewillog^ung. — Der erste WMerstand gegen die Kriegspolitik. —
Erklarungen der 7 ,Vowart$"«Redakteure. — Gegen den parteigenossa*
schen Kadfavergehorsam. — Der Umfall der PseuJdo~Marxisten.
— Leichensdhandung an den Altmeistem des Sozialismus,
Das wahre Gesidit des Krieges / seue 30-47
Nicht mehr gegen die Kosakenknute T sondern gegen die englische
Weltherrschaft. — 1st es noch derselbe Krieg? — Die Annexionisten
enthullen ihre Plane. — Kriegsgewinne und Preissteigerungen. —
Sudekum und Richard Fischer auf Reisen. — Karl Liebknecht in
Belgien. — Die ersten Zusammenkunfte der Opposition. — Angriffe
auf den ^Vorwarts". — Die Bewilligung der zweiten Kiiegskredite.
Die erste Budgetbewilligung • sette 43-00
llnteidruckungsmalzndhmen gegen die Opposition. — Sozialdemokra"
tische Neujahrsgrulze nach England. — Scheidemanns Neujahrcwunsch.
— Die Versammlung der Berliner Gewerkscaaltsfunktaonare. — Der
Fall Liebknecht. — Rucktritt Ledebours aus dem Fraktionsvorstand. —
Protest gegen b&rbarisohe Kriegfukrung. — Die Zustimmung zum Etat
Das Gebof der Sfunde / settc 61-75
Die Annexionswimische der llnternehinerorganisationen. — Die Wirkung
der Zustimmung zum Budget. — Die Internationale Frauenkonferenz
in Bern. — Die Zeitschrift ^Internationale". — Das Schreiben an den
Parteivorstand. — Das Gebot der Stunde.
Das Bekenninis der Annexionisien / $eiie i6-ss
Die Wirkung des Gebot der Stunde. — Friedensaufruf des Parted
vorstandes und Eingabe an den Reichskanzler. — Die Leitsatze zu den
Kriegszielen. — Die Internationale Konferenz von Zimmerwald. — Das
Annexionsbekenntnis der burigerlictien Parteien.
Die Sozialdemokratische Arbeiisgemeinschaft / Seite 86-96
Gewitterstimmung in der Reichstagsfraktion. — Erklarung der Minder^
heit zu den neuen Kriegskrediten. — Die Parteiinstanzen gegen die
Minderheit. — Ausschlufz Karl Liebknechts aus der Fraktion. — Die
Minderheit g*egen den Notetat. — Ausschlufz der Minderheit und
Bildung der Sozialdemiokratischen Arbeitsgemeinschatft.
Die Reichskonferenz / Seite 97-114
Fortgang der Auseinandersetzungen. — Die Kurzsichtigkeit der
Instanzenmehrheiten. — Gerwaltakte des Parteivorstandes. — Die
Konferenz von Kienthal. — Differenzen zwiscihen Opposition und
Spartakusbund. — Verhafrung Liebknechts — Die Reichskonferenz. —
Keine Abscbwachung der Gegensatze.
Die Zerreifiung der Partei / seite -1-15-13-1
Das Programm des rechten Fliigels. — Der Gewaltstreich gegen den
, r Vorwarts". — Das Urteil des Auslands. — Die Nachwahl in
Oschatz^rimrna. — Das Hilfsdienstgesetz. — Das Friedensangebot
der Kriegisregierung-. — Die Januarkonferenz der Opposition. — Ab«
lehnung der Spaltung. — Die Zerreifzung der Partei durch die
Instanzenmehriheiten.
Die Grundung der Unabhangigen Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands / Seite 132-151
Die Spaltungsarbeit wird fortgesetzt. — Zwei Nachwahlen in Berlin. —
Ablehnung* des deutschen Frdedensvorschlages. — Verscharfter U~Boot~
Krieg. — Die Vereinigten Sfaaten von Amerika weriden in den Kriegs«
strudel gerissen. — Neue Steuern und vermehrtes Blend. — Die
Marzr evolution in Rufzland. — Das Aktionsprogramm der Sozialdemo~
kriatischen Arbeitsgemeinschaft. — Der Grundungsparteitag der
U.S.P.D.
Der Kampfum den Frieden / seite 152-164
Die Zeit der Sammlung und des Zusammenschlusses. — Der Raub der
?r Gleichheit" und der „Neuen Zeit". — Die Osterbotschaft Wilhelro. II.
— Vergebliche Friedensbestrebunigen der Russen. — Das Manifest der
II. S. P. D. f ur die Stockholmer Konferenz. — Die Fruhjahrsstreik**
bewegung. — Die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917. — Stare
Bethmann Hollwegs. — Gliick und Ende von Dr. Michaelis.
Der Zusammenhruch / Seite les-ns
Sozialdemokratischer Parteitag in Wurzburg. — Die foolschewistisohe
Herrschaft in Rufzland. — Die Gewaltfriedensschrusse von Brest"
Litowsik und Bukarest. — Streikbewegungen in Oesterreich und
Deutschland. — Dittmann ward auf die Festung geschickt. — Der Zu«
sammenbruch der Mittelmachte. — Die revolutionaren Forderungen
der Unabhangigen Sozialdemokratie.
Die Tage des November / Seite 179-195
Der Zusammenbruch. — Unterschiede zwischen Deutsahland und Rufz«
land. — Scbwierigkeiten rechts und links. — Die Antwort der Gegen-
revolution. — Die 1. Konferenz der A.« und S.^Rate. — Austritt der Un*
abhangigen aus der Regierung. — Die Wahlen zur Nationalversa,mm«
lung. — Ermordung Kurt Eisners. — Der Marzparteitag der U. S. P. D.
Das Leipzig er Aktionsprogramm / Seite 196-212
Der Hohepunkt der Entwicklung — Ungarn und Bayern. — Der zweite
Ratekongrefz. — Erfolgreioher Kampf fur Absablufz des Friedens. —
Moskauer Spaltungsrezepte. — Die Frage der Internationale. — Die
Reicbskonferenz der II. S. P. D. — Ermordung von Hugo Haase. —
Der Parteitag von Leipzig.
Das Werk von Moskau / Seiie 213 -22s
Die Demonstration vor dem Reichstag. — Der Streit um die Betriebs*
rate. — Der Kapp-Putsch. — Tod von Emanuel Wurm. — Grofzer
Erfolg bei den Reichstagswahlen. — Das Antwortscbreiben aus
Moskau. — Polnisch-russischer Krieg. — Die 21 Bedingungen. — Die
Reicbskonferenz. — Der aufzerordentlidie Parteitag von Halle. —
Rededuell Sinowjew~Hilferding. — Die Spaltung.
AusbUck / Seite 229-232
Register / Seite 233 u.ff.
5
©2»<0«S<0fc«^
Das Entstehen und die Entwicklung der Unabhangigen Sozialdemo-
kratie Deutschlands ist so eng mit Krieg und Revolution verkniipft,
dafe eine erschopfende Geschichte der Partei schreiben zugleich eine
Darstellung der Ereignisse wahrend des Weitkriegs und des Zu-
sammenbruchs erfordern wiirde. Das ware merit moglich gewesen,
ohne den zur Verfugung stehenden Raum ganz ungebiihrlich zu
iiberschreiten. Ich mufzte mir daher aufzerordentliche Beschrankungen
auferlegen, manche Ereignisse konnte ich nur streifen, andere nur kurz
darstellen. Die Auswirkungen des Krieges auf die Gewerkschafts-
bewegung zu schildern, mufzte ich gans unteriassen. Die Zusammen-
hange der Entwicklung in Deutschland mit der internationalen Be-
wegung konnte ich nur gelegentlich erwahnen. Die Schiiderung
lokaler Begebenheiten, die den daran beteiligt gewesenen Partei-
genossen von erheblicher Bedeutung erscheinen mogen, mufzte
unterbleiben, soweit sie nicht fiir das Ganze von besonderem Interesse
waren.
Mancher Leser, der die Zeit des Krieges und der Jahre danach
kampfend mit durchlebt hat, wird noch andere Mangel entdecken.
Es kam mir aber vor allem darauf an, eine im Leben der Partei und
der gesamten Arbeiterbewegung schmerzlich empfundene Lucke aus-
zufuiien und besonders den Parteigenossen eine geschichtliche Dar-
stellung von dem Werden der USP. in die Hand zu geben, die erst
in den letztvergangenen Jahren zu uns gestofzen sind. Und daneben,
so hoffe ich, wird sie spateren berufeneren Geschichtsschreibern
manches Material bieten, das sonst wenig bekannt oder inzwischen
verioren gegangen ist
Schlieizlich moge noch die Bemerkung gestattet sein, dafz dieses
Buch mitten im Kampfe geschrieben wurde, neben der sonstigen
Tagesarbeit, die dem Verfasser als Redakteur einer Parteizeitung
obliegt Wenn es dazu beitragt, das Ringen der Arbeiterklasse um
ihre Befreiung zu fordern, so wird es seinen Zweck erfuilt haben.
Berlin, Oktober 1921. EugenPrager.
<S&gne<S20^)<52gi<%<S2ffii%<5K^
Deutschland bis zum Weltkrieg.
Die zwei Epochen in der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. —
Der Ausdehnungsdrang des deutschen Kapitals. — Die Verande-
rimgen in der deutschen Aufzenpolitik. — Die Gefahren des Imperialism
mus. — Der Aufzenhandel der kapitalistischen Weltmachte. — Die
letzten Ursachen des Weltkriegs.
Viel spater als den anderen westeuropaischen Staaten haben sich
Deutschland die Tore des kapitalistischen Zeitalters geoffnet. Eng-
land und Frankreich hatten schon langst ihre burgerlichen Revolu-
tionen hinter sich, sie waren zu Nationalstaaten geworden und konn-
ten miteinander urn die Beherrschung des Weltmarktes, urn die Aus-
beutung der noch nicht erschlossenen Erdteile ring en, als Deutsch-
land noch mit der Beseitigung der innerwirtschaftlichen und inner-
politischen Schranken und mit der Schaffung eines einheitlichen
wirtschaftlichen und politischen Gebiets zu tun hatte. Auch Deutsch-
land erlebte schliesslich seine burgerliche Revolution; aber sie kam
nicht von unten, aus der Bourgeoisie selbst, sondern sie wurde von
oben geboren. Blut und Eisen waren ihre Zeichen, Militarismus und
Junkertum ihre Gevatter. So musste denn die burgerliche Revolu-
tion in Deutschland ,ein zwiespaltiges Ergebnis haben: die Ueberreste
der vergangenen Epochen ragten in die neue Zeit hinein, neben den
Ritterburgen auf den Hohen standen die Faforiken in den Talern.
Und so teilten sich denn auch Vergangenheit und Gegenwart in die
Macht; Monarchie und Junkertum iibten die politische Gewalt aus,
die Bourgeoisie aber ubernahm die Ausbeutung des Proletariats.
In der wirtschaftlichen Ent wick lung Deutschlands
seit dem deutsch-franzosischen Kriege lassen sich deutlich zwei
Epochen unterscheiden. In den ersten zwei Jahrzehnten die Ver-
drangung des Handwerks durch die Industrie, d^er Kampf des wer-
denden Grofzkapitals gegen die ruckstandigen Produktionsmethoden,
die Eroberung des inneren Marktes clurch das Kapital. Von etwa
1890 nimmt diese Entwicklung schanfere Formen und ein eiligeres
Tempo an. Das Grofzkapital zieht gegen das mittlere und kleinere
Kapital zu Felde, die Konzentration der Betriebe vollzieht sich mit
wachsender Schnelligkeit, die Aktiengesellschaft tritt an die Stelle
des Einzelunternehmers, die Fuhrung in der Wirtschafft geht von
den Produktionszv/eigen, die flir den unmittelbaren Lebensbedarf
arbeiten, an die Schwerinclustrie, an die Erzeuger der Rohstoffe
und der Produktionsmittel liber. Der innerdeutsche Markt wird zu
klein, das Grofzkapital will an der Eroberung und Aufteilung der
Welt teilhaben.
Am deutlichsten erkennen wir den Ausdehnungsdrang des Kapi-
tais, wenn wir die Entwicklung in der Uiproduktion Deutschlands
vertfolgen und sie mit der Entwicklung der Urproduktion in England
und Amerika vergleichen. Die Kohlen production betrug in
1000 Tonnen:
Im Jahre 1890 1900 1910
Deutschland .... 89281 149788 222302
England 184 529 228 795 ^ 268 007(1909)
Vereinigte Staaten . 143127 244 653 397 000(1909)
Die R o h e i s e n p r o d u k t i o n betrug in 1000 Tonnen:
Im Jahre 1890 1900 1910
Deutschland ... 4658 8521 14794
England 8 031 9103 10 547
Vereinigte Staaten . 9 350 14 011 27 737
Wir sehen hier, wie es dem deutschen Kapital gelingt, in der
Kohlenproduktion England fast einzuholen, in der Roheisenproduk-
tion England sogar zu lubertreffen. Nur die Scbwerindustrie der Ver-
einigten Staaten hat eine noch schnellere Entwicklung durchgemacht
Aus diesen Zahlen darf aber nicht geschlossen werden, dafz England
sich durch die Entwicklung der deutschen Wirtschaft besonders be-
droht gefuhlt und deshalb zum Weltkrieg gedrangt hat, urn die
deutsche Wirtschaft niedertzuweiifen. Vielmehr hat sich der englische
Kapitalismus immer mehr der Fertig- und Vertfeinerungsindustrie
zugeiwendet; er fand seine Absatzgebiete vornehmlich in ganz an-
deren Gebieten als Deutschland und hatte deshalb die deutsche Kon~
kurrenz nicht zu furchten. Zudem hat England bis zum Kriege in
standig steigendem Mafze Kapital an Stelle von Waren ausgefirhrt
Ein viel starkerer wirtschaftlicher Gegner als Deutschland waren fur
England die Vereinigten Staaten und doch haben England und Ame-
rika den Weltkrieg gemeinsam durchgefuhrt.
Hat die Entwidklung zum Grofzkapitalismus in England viele Jahr-
zehnte gebraucht, so drangte sie sich in Deutschland in eine vie!
kiirzere Zeit zusammen. Und so mufzte sie hier eine besondere Er~
scheinungsform annehmen. In keinem anderen Lande der Welt hat
die Kartellierung der Industrie so schnelle Fortschritte
gemacht wie in Deutschland, nirgends konnte sich das Bankwesen
so konzentrieren, wie bei uns. Die Schwerindustrie und das Finanz-
kapital wurden zum wahren Beberrscher der deutschen Wirtschaft
Von diesen beiden Machten war alles abhangig: der Staat und die
Industrie, das affentliche, das privatwirtschaftliche und das gesell-
schaftliche Leben. Unnotig zu sagen, dafz sie die Politik des Landes
nicht nur beeinflufzt, sondern entscheidend bestimmt haben.
Gleichlauf end mit der wirtschaftlichen Entwicklung verlief d i e
Linie der deutschen Politik. Bismarcks Regierung be-
schrankte sich auf die Sicherung der Kriegserrungenschaften von
1871, die vor allem die Konsolidierung des norddeutschen Wirt-
schaftsgebiets gebracht, die Vorherrschaft Preufzens im neuen Deut-
schen Reich sichergestellt und Oesterreich nach Sudost^Europa ab«
gedrangt hatte. Deutschland war zur starksten Militarmacht ge~
worden und sein Interesse richtete sich vorlaufig darauf, auf dem
europaischen Kontinent die Fuhrung zu behalten. Nur mit innerem
Widerstreben erwarb Bismarcks Regierung die ersten Kolonien fur
10
Deutschland und gegeniiber dem Expansionsstrebert Oesterreichs
nach dem Balkan pragte er das Wort, dafz ihm Bosnlen nicht die
Knochen eines pommerschen Grenadiers wert seL Noch im Jahre
1891 versuchte Bismarcks Nachfolger, General Caprivi, durch den
englisch-deutschen Vertrag, der durch die Abtretirng von Sansibar
das damals noch geringen militarischen und maritimen Wert vor-
steilende Helgoland zu Deutschland brachte, gute Beziehungen zu
England zu sichern. Auch die ostelbischen Junker wollten lange
Zeit von der Weltpolitik nichts wissen; als die uferlosen Marine-
plane Wilhelms II. auftauchten, fiel aus ihrem Munde das Wort von
der „grafzlichen Flotte".
Trotzderri war es klar, dafz der Krieg von 1870/71 noch auf Jahr-
zehnte hinaus auf die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutsch-
land in ungunstigern Sinne nachwirken mufzte. Frankreich war wirt-
schaftlich und politisch aufzerordentlich geschwacht worden r Deutsch-
land dagegen -erlebte eine Periode sturmischer Auffwartsbewegung.
Bismarck schlofz als Gegengewicht gegen die Revanchaplane der
franzosischen Nationalisten mit Oesterreich und Italien den Drei-
bundsvertrag, der die starkste Sicherung fur den europaischen Frie-
den darstellen sollte, in Wirklichkeit aber Rufzland, das seine slid-
westliche Flanke von Oesterreich bedroht fiihlte, in die Arme von
Frankreich trieb. Als Folge der agressiven Flottenpolitik Deutsch-
iands mufzte schliefzlich auch England zum Teilhaber dieser franko-
russischen Allianz werden.
Es ist freilich nicht so, dafz es erst des Auftretens Wilhelms II. be-
durfte, um Deutschland in den weltpolitischen Strudel hineinzujagen,
Dieser Herrscher von Gottesgnaden hatte nur gerade das Zeug dazu,
um zum Diener des sich gewaltig regenden Groizkapitals zu werden.
Nicht Wiihelm II. hat Deutschland auf den Weg des Imperialismus
gedrangt, sondern die die innerwirtschaftlichen Schranken spren-
gende deutsche Grolzindustrie hat den Kaiser zum Werkzeug ihrer
Plane gemacht. x
Die deutsche Bevolkerung war von 1870 bis 1890 um
8,6 Millionen, von 1890 bis 1910 um 15,3 Millionen, gestiegen.
Mufzten friiher jahraus, jahrein Hunderttausende von Deutschen in
fremden Landern ihr Gliick versuchen, so sank die Ziffer der Aus-
wanderer aus Deutschland mit dem Erstarken der kapitalistischen
Wirtschaft auf ein ganz bescheidenes Mafz herab. Von 1882 bis
1892 blieb der deutsche Aufzenhandel fast stabil; er erhohte sich
nur von 6,4 auf 6,9 Milliarden. Im Jahre 1910 war er auf 16,4
und im Jahre 1913 auf iiber 20 Milliarden Mark gestiegen. Alle
diese Z if fern zeigen, dafc Deutschland in die grofzikapitalistische
Aera eingetreten war. Auch das deutsche Grofzkapital suchte nun
seinen Betatigungsdrang auf dem Weltmarkt zu befriedigen. An
die Stelle des kleinbiirgerlichen Staatswesens, das seine Landes-
kinder nicht ernahren konnte, war das grofzindustrielle Imperkim ge~
treten, das nur den einen Wunsch hatte, die Ausbeutungsmoglich«
keiten standig zu erweitern.
Den deutschen Weltmachtpoiitikern war es nunmehr nicht genug r
dafz Deutschland die starkste Landmacht besafz, es sollte auch zur
See die starksten Triimpfe ausspielen konnen. Die deutschen
K o 1 o n i e n waren bisher nicht viel mehr als eine kostspielige Lieb-
It
haberei gewesen; nunmehr sollte Deutschland uberali dabei sein, wo
es (iberhaupt noch Land aufzuteilen gab. Am 14. November 1897
pachtete Deutschland den Hafen von Kiautschou, durch den man
wertvolle Teile von China zu beherrschen und auszubeuten hoffte.
Die Flottenvorlage von 1899 erklarte kurz und blindig: Deutschlands
Schlachtflotte miisse so stark sein, dafz ein Krieg auch fiir den see-
machtigsten Gegner mit derartigen Gefahren verbunden sei, dafz
dessen eigene Machtstellung in Frage gestellt werde.
Nach alien Gesetzen der imperialistischen Entwicklung mufzte
diese Politik des , r Harisdampf in alien Gassen" England zum Feinde
Deutschlands machen. In der Tat verscharfte sich der politische
Gegensatz zwischen England und Deutschland immer mehr, je
schneller die deutsche Regierung ihre Seeriistungsplane zu verwirk-
lichen trachtete. Freilich bestand langere Zeit selbst in den imperiali-
stischen Kreisen Englands die Neigung, mit Deutschland zu einer
Verstandigung zu gelangen. Sowohl die Konservativen ium Chamber-
lain, wie die Liberal en urn Grey ha'ben mancherlei in dieser Richtung
unternommen.
Dreimal wurde Europa durch die agressive Weltpolitik der deut-
schen Regierung an den Rand des Weltkrieges gedrangt: in den
Marokkokrisen von 1905 und 1911 und nach der Annexion Bos-
niens durch Oesterreich 1909. Es kam in diesen drei Fallen noch
nicht zum Ausbruch des Volkergemetzels, weil die eine oder die
andere Macht zum Losschlagen noch nicht ffertig war; aber gerade
durch die Verhinderung des Kriegsausbruchs glaubte der deutsche
Imperialismus an der Durchfiihrung seiner mafzlosen Weltherrschafts-
plane weiter arbeiten zu konnen.
Der deutsch-englische Gegensatz begann, aber er hatte seine Wur-
zeln nicht etwa in gegeneinander gerichteten w i r t s c h a f 1 1 i c h e n
Interessen der beiden Lander, sondern in der unausgesetzt wachsen-
den militarischen Bedrohung Englands und der ganzen Welt durch
den deutschen Imperialismus. Vor dem Kriege hatte der A u fz e n -
handel der vier wichtigsten kapitalistischen Lan-
der der Welt folgende Entwicklung genommen. Der Anteil am
Gesamtaufzenhandel der Erde betrug in Prozenten in
1900 1902 1904 1906 1908 1910
Deutschland . . .
. 12 7 1
11,4
11,7
12,5
12,3
12,0
Frankreich . . .
. 10,0
9,4
8,7
8,9
8,9
9,4
Grofzbritannien . .
. 19,5
18,6
17,9
17,5
17,2
16,9
Vereinigte Staaten .
. 10,3
10,0
9,8
10,4
10,3
9,5
Es ergibt sich aus dieser Aufstellung, dafz Englands Monopol-
stellung auf dem Weltmarkt nicht allein von Deutschland bedroht
worden war; man erkennt daraus aber auch die noch viel wichtigere
Tatsache, dafz alle kapitalistischen Lander von demselben Schicksal
ereilt werden: es kommt einmal der Tag, wo sie nicht mehr Waren,
sondern Kapital exportieren und wo die Industriealisierung der jung-
fraulichen Lander der Erde die Ausdehnung des eigenen Handels
einschrankt. England hat seine Ausfuhr von Fertigiwaren in den
letzten Jahren vor dem Kriege wesentlich mehr zu steigern ver-
mocht als Deutschland, es hat also seine Industrie- und Handels-
12
interessen gegenuher Deutschland und den anderen hochkapitalisti-
schen Staaten in anderer Beziehung zu wahren verstanden. Wesent-
lich aber ist, dafz Deutschland und England ganzverschiedene
A b s a t z g e b i e t e fur ihren Handel hatten. Im Jahre 1911 gingen
von der deutschen Ausfuhr im Betrage von 8106,1 Millionen Mark
6069,6 Millionen Mark oder 75 Prozent in europaische Lander, aliein
nach Rufzland, Oesterreich, Ungarn und in die Schweiz 2025,5 Mil-
lionen Mark oder 25 Prozent, die sich selbstverwaltenden englischen
Kolonien Kanada, Australien, Neuseeland und Sudafrika erhielten
damals von der deutschen Ausfuhr nur 178,8 Millionen Mark oder
2,2 Prozent. Von der englischen Ausfuhr im Betrage von
454 Millionen Pfund Sterling gingen im Jahre 1911 nach europai-
schen Landern 163,6 Millionen Pfund oder 36 Prozent, nach Rufz-
land, Oesterreich und der Schweiz 22,2 Millionen Pfund oder
5 Prozent. Die Kolonien Kanada, Australien, Neuseeland und Siid-
afrika erhielten von der englischen Ausfuhr 82,5 Millionen Pfund
oder 18 Prozent. Wir sehen also, dafz England und Deutschland ihre
Absatzmarkte schon so unter sich aufgeteilt hatten, dafz von einer
Konkurrenz auf Leben und Tod keine Rede mehr sein konnte.
Aber der Weltkrieg m u fz t e kommen, well die deutschen Impe-
rialisten ihn haben wollten. Die Ermordung des Erzherzogs Franz
Ferdinand in Serajewo bot nur den aufzeren Anlafz dazu; in Wirk-
lichkeit war der deutsche Militarismus zum Losschlagen langst be-
reit und im Juli und August 1914 sorgte er sich nur noch darum,
dafz die Anstrengungen, den Ausbruch des Weltenbrandes auch
diesmal noch zu verhindern, durchkreuzt wurden.
13
<SMS&<B2SS©Qg2i!iS»^^
Die Sozialdemokraiie vor dem Welikrieg.
Die Formen der Agitation. — Die praktische Arbeit und der Reformist
mus. — Umwandlung" axis einer revolutionaren zur reformistiscKesi
Partei. — Die Vermehrung" der Wahlstimmen. — Wachsende Bedeu~
rung der Gewerkschaften. — Die Parteibureaukratie. — Der letzte
Parteitag vor dem Kriege. — Die Stellung zur aulzeren Politik.
Die deutsche Sozialdemokratie, wie sie sich uns foeim Ausbruch
des Weltkrieges darstellte, war ein Kind i h r e s Zeitalters.
Wir mogen ruckschauend noch so viele Fehler und Fleoken an ihr
entdeoken, so hat sie doch ein unendliches Stuck Arbeit fur den Be~
freiungskampf des Proletariats geleistet Die revolutionaren Lirft-
menschen von heute haben gut liber die Parteibureaukraten, uber
die Funktionare und Bonzen von damals spotten; aber es war doch
eine grofze Leistung des einzelnen wie der Gesamtorganisation, in
nie ermudender Wdnksamkeit urn die Seele jedes Proletariers zu
ringen, ihn in die Kaders der Arbeiterbewegung einzuordnen, aus
dem klassenfixhlenden iden klassenbewufzten Arbeiter, aus dem Mit-
laufer den Klassenkampfer zu formen. Wie leicht ist es heute, sich
als Sozialist und als Revolutionar zu bekennen, wo selbst der an~
archistelnde Kommunasmus sozusagen zur Salonmode geworden ist;
aber unendlich schwerer war es noch bis zum Kriegsausbruch,
sozialdemokratische Flugfolatter in weltabgelegenen Dorfern zu ver»
breiten, stets in Gefahr, mit Kniippeln und Hunden wieder hinaus~
gehetzt zu werden, oder in den Hinterhausern der Grolzstadte vier f
funf Stockwerke hinauf und herab einen Sonmtag um den anderen
Abonnenten fiir die Parteizeitungen zu werben. Achtung vor den
Hunderttausenden von Sozialdemokraten, die Jahre- und jahrzehnte~
lang ihre Arbeit unverdrossen taten, namenlos und ohne auizere An-
erkennung, trotzdem die Friichte ihrer Tatigkeit erst kommenden
Generationen reifen zu sollen schienen!
Gehen wir nicht leichthin uber diese Periode mit der Behauptung
hinweg, sie sei eine Periode der Versumpfung, der Verbiirgerlichung
der Partei gewesen. Wer erinnert sich nicht, was ihm die Partei in
den langeren oder kiirzeren Zeiten seiner Mitgliedschaft bedeutet
hat? Nicht nur die Hoffnung auf eine gKioklichere Zukunft, sondern
schon die Erfuliung der Gegenwart: die Rettung aus der politischen
Triibsal jener Tage, der Glaube an die Schopferkraft des Proletariats,
die Brkenntnis von dem Werden einer neuen Welt An allem hatten
wir gemeinschaftlichen Anteil: an der Arbeit im Kleinen, wie an dem
Kampf im Grofzen; die Parteizeitung war ein Stuck unseres Ichs ? die
Organisation bis zum kleinsten Bezirk und Zahlabend hinab eine'
14
lebendig gewordene Gemeinschaft Bebel, Singer, die grofeen und
kleinen Manner, die fur die Partei sprachen: das war en keine Fiihrer,
das waren die Massen, das waren wir selbst Ob es sich urn ein
Zuchthausurteil gegen streikende Arbeiter, ob urn eine Aussperrung,
ob urn eine parlamentarische Aktion, ob urn eine Wahl handelte:
immer waren wir mit Herz und Seele dabei, denn es war doch un-
sere Sache, die Sache der Partei, um die es hier ging. Eine Spal~
tung ware damals unausdenkbar gewesen. Wohl hat die Partei oft
genug die heftigsten inneren Kampfe fiihren mussen, um Krankheits~
stofie wieder auszuscheiden; aber es waren nur Splitter und Fremd-
korper, die entfernt werden mufzten, es schien, als ob das stoke
Gebaude der Partei niemals zerfallen konnte. Der K r i e g erst mulzte
kommen, um die Organisation der deutschen Arbeiter zu spalten
und damit die Aktionskraft der deutschen Arfoeiterklasse zu lahmen.
In seiner „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie" wirft
Franz M e h r i n g die Frage auf, wieso der Ref ormismus in der
deutschen Sozialdemokratie habe entstehen konnen. Und er sagt
dazu: „Diese Frage beantwortet sich durch die IXeberlastung der
Partei mit praktischer Arbeit, die ihre Kraft im hohen Maize ver~
zehrte, durch ihr schnelles Wachstum, das die verschiedenartigsten
Elemente aus den verschiedensten Schichten der iBevdlkerung zu~
fuhrte, durch die Bekehrung der burgerlichen Intelligenz, die immer
lange zu ringen hat, ehe ihr die sozialistische Denkweise in alle
Hirnfasern (ibergegangen ist, genug, aus einer Reihe von Umstanden,
die zeitweise den groizen theoretischen Sinn verdunkelt haben, den
einst Marx an dem deutschen Arbeiter ruhmte." In der Tat tragt
die „praktische Arbeit" die Hauptschuld daran, dalz aus der Partei
der proletarischen Revolution immer mehr eine Partei des sich radikal
gebardenden Reformismus wurde. In der Theorie war die deutsche
Sozialdemokratie revolutionar, sie verlangte den Sturz der bisherigen
Gesellschaftsordnung und die Verwirklichung des Sozialismus; in der
Praxis der taglichen Kleinanbeit aber nahm sie immer regeren Anteil
an der Verfoesserung der augenblicklichen Zustande, an der Erleichte-
rung der Lage der Arbeiter schon im Rahmen des kapitalistischen
Staatswesens. Da die Zeit der gewaltsamen Revolutionen voiiiber
zu sein schien, so war es erklarlich, dalz diese Kleinarbeit, diese re«
formierende Tatigkeit immer mehr den alleinigen Inhalt des sozial-
demokratischen Kampfes ausmachte, und dalz die Brwartung, der
Sozialismus konnte auf revolutionarem Wege verwirklicht werden,
nur noch bei feierlichen Gelegenheiten geaulzert wurde. Der badische
Reformistenfiuhrer Kolb konnte denn auch in einer wahrend des
Krieges erschienenen Schrift 77 Die Sozialdemokratie am Scheidewege"
sagen:
JDie Situation ist fur die Sozialdemokratie und fur die von ihr kiinftig
zu betreibende Politik also vollig klar. Sie darf vor dem letzten Schritt
ihrer Entwicklung von der sozialrevolutionaren Sekte zur politischen
Partei nicht zuriickschreoken, sie imulz wagen, das zu scheinen, was sie ist:
Eine sosialistisch-deinokratische Relormpartei^
deren politisbhe Mission es ist, die Geburtswehen der werdenden sozia«
listischen Gesellschaft nach Moglichkeit zu mildern und -aibzukurzen."
Dafz ^es dahin kommen konnte, dafz sich die alte Sozialdemokratie
aus einer revolutionaren, den Klassenkampf gegen die Bourgeoisie
15
fiihrenden Parte! zu einer r e f o r m i s t i s c h e n P a r t e i, in eine die
Arbeitsgemeinsahaft mit dem Kapitalismus anstrebende Bew<egung
wandeln konnte, das lag nicht an ihren Fuhrern, sondern an der Ge~
staltung der wirtschaftlichen und politischen Verhaltnisse vor dem
Kriege. Auch in der Geschichte der deutschen Sozialdemoikratie
konnen wir z w e i P e r i o d e n unterscheiden. Die erste Periode,
die bis zum Jahre 1890, dem Falle des Sozialistengesetzes reicht,
fallt zusammen mit dem Karnpif der erstarkenden Industrie gegen die
mckstandigen Produktionsmethoden. Bismarck glaubte durch die
Anwendung brutaler Gewalt die zugleich mit dem Kapitalismus em-
porkommende Sozialdemokratie so niederschlagen zu konnen, dafz
sie unfahig wiirde, an der bisherigen Staatsverfassung zu riitteln.
Das war fur die Sozialdemokratie die Zeit der blofzen Propa-
ganda. Die Partei war schwach sowohl an Mitgliedern, wie an
Vertretungen in den parlamentarischen Konperschaften. Die Orga-
nisationen bildeten vorerst nur Stofztrupps, die Massen des Proleta-
riats waren entweder politisch indifferent, oder sie segelten im Ge-
folge des Liberalismus. Die Parteizeitungen waren damals nicht vie!
mehr als periodisch erscheinende erweiterte Flugblatter. Im Reichs-
tag wurden Reden zum Fenster hinaus gehalten, an die „praktische
Arbeit" traute man sich noch nicht so recht her an. Aber die wirt-
schaftliche Entwicklung, die em immer starker und selbstbewufzter
auftretendes Proletariat schuf, sprengte die Fesseln des Sozialisten-
gesetzes und stellte die Sozialdemoikratie vor neue, sofort zu losende
Aufgaben. Je grofzer die Macht des llnternehmertums wurde, desto
schneller mufzte die G e w e r k s c h a f t s b e w e g u n g sich aus~
breiten. Das Z i e 1 , die Verwirklichung des Sozialismus, trat in den
Hintergrund, die Bewegung, der Kampf um solche Forderungen,
die schon der Gegenwartsstaat erfiillen konnte, beanspruchte die
grofzte Aufmerksamkeit. Die Stunde des Revisionismus, des Refor-
mismus hatte geschlagen.
Die Sozialdemokratie vermehrte sich unausgesetzt an Wahler-
stimmen und an Mitgliedern; von Legislaturperiode zu Legislatur-
periode wuchs die Zahl ihrer Reichtagsalbgeordneten und schliefz-
lich, bei Beginn des Weltkrieges, zahlte die Partei im Reichstag 110
Mandate, fast ein Drittel der ganzen Volksvertretung. Auch in den
einzelstaatlichen Landtagen iwuchs der Einflufz der Partei trotz Drei-
klassenwahl und Phiralstimmensystem; in die Stadtverordnetenver~
sammlungen und Gemeindevertretungen, selbst in die versteinerten
Provinziallandtage drang immer stiirmischer der Wellenschlag unserer
Bewegung. Noch viel schneller ging das Wachstum der Gewerk-
schaften vor an; die Zeit war voruber, wo die Aiibeiter im Guerilla-
krieg, bald hier, bald da vorstofzend, Teilerfolge zur Verbesserung
ihrer wirtschaftlichen Lage erringen konnten. Auch die llnternehmer
hatten sich gesammelt; die Arbeitgeber organisation en schossen
wie Pilze aus dem Boden und an ihre Seite stellten sich noch be-
sondere Antistreikversicherungen. So mufzte von selbst den Ar-
beit ern die Erkenntnis von der Notwendigkeit grofzer, zentralisierter r
vermogensstarker, jederzeit kampffahiger, aber auch verhandlungs-
bereiter Organisationen eingehammert werden. Schliefzlich kam
noch die K o n s u m v e r e i n s b e w e g u n g hinzu, die dem Ar-
beiter als Verbraucher beistehen und ihn durch die Errichtung eige-
16
ner Produktionsstatten fur wichtige Lebensbediirfnisse vom Kapita-
lismus vollstandig unabhSngig machen wollte. Dies£n drei Haupt-
stromungen der deutschen Arbeiterbewegung reihten sich noch jene
mannigfachen Organisationen an, die den Arbeiter auch auf den
Gebieten der K u 1 1 u r , der Korperbildung, der Erholung selbstandig
machen wollten.
So rnufzte sich denn das Wesen der Soziaidemokratie im letzten
Vierteljahrhundert vor dem Weltkriege vollstandig verandern. Die
Form bestimmte immer mehr den I n h a 1 1 des Parteigefafzes, die
praktische Arbeit fiir den Alltag verdrangte den Kampf fur die Zu-
Icunft. In den Organisationen der Parte], der Gewerkschaften, der
Konsumvereine, der Volksfursorge, der Krankenkassen, all der ande-
ren Vereinigungen der Arbeiterbewegung safeen Tausend«e von An-
gestellten, „Beamten", deren Sinn darauf gerichtet sein mufzte, das
fhnen anvertraute Gut an Kassen und Sachen zu wahren und zu
mehren. Es mag 'ttnter ihnen rnanchen gegeben haben, der aus
Angst urn die eigene Existenz jede sprunghafte Veranderung, jedes
Abweichen von dem Boden des einmal Gegebenen zu verhindem
suchte. Aber das waren doch nur Ausnahmen; in der Regel waren
und sind diese Angestellten, die die Parte!- und Gewerkschafts-
bureaukratie vorstellen, lautere Charaktere, die sich im Laufe der Zeit
trotz karglicher Bntlohnung ein ganz respektables Wissen auf ihren
Spezialgebieten angeeigrtet haben. Urn so sohadlicher mufzte es aber
auf die ganze Bewegung wirken, dafz diese Angestellten zurn grolzen
Teil infolge ihrer Arbeitsbeschrankung in ihren besonderen Wissens-
gebieten verknocherten oder von ihrer beruOiohen Tatigkeit so in
Anspruch genommen wurden, dafe sie den Blick fiir die grolzen Zu-
sammenhSnge verlieren muizten. Sie sorgten sich um die Bewaltigung
ihres Tagespensums, vergafeen daruber aber den re volutionaren Kampf
um die Verwirkiichung des Sozialismus. Die ihrer Leitung unter-
stellten Organisationen muizten naturgemafe aus einem Mittel zum
Zweck zum Selbstzweck werden. Aus den Verwaltern der Organi-
sationen wurden Leiter und schwer kontrollierbare Fiihrer.
Erkennt man die ZwangslHufigkeit dieser Entwicklung an, so wird
man die Schuld damn, dafe der Ausbruch des Weltkrieges keine re«
volutionare, sondern erne reformistische Sozialdemokratie vorfand,
nicht bei den Fiihrern und bei der Parteibureaukratie suchen, son-
dern sie aus der Gestaltung der allgemeinen wirtschaftlichen und
politischen Verhaltnisse erklaren. Revisionisms, Reformismus,
Opportunismus sind eben keine Kunstprodukte, sondern die Brgeb-
nisse der jeweiligen Zustande der kapitalistischen Gesellschaft. Wenn
seit 1918 der Glaube, nur durch brutale Mittel konne der Sozialis*
mus verwirklicht werden, wieder starkeren Widerhall bei den Ar-
beit ern fand, so 1st das nicht das Ergebnis der Gedankenarbeit von
Einzelmenschen, sondern eine Folge des Weltkrieges. Es handelt
sich also auch heute nur um den geistigen Ausdruck gegebener
wirtschaftlicher und politischer Verha'ltnisse. Dem durch die Schule
des wissenschaftlichen Sozialismus geschrittenen Arbeiter aber ziemt
es, nicht vom Wind und den Wellen der Zeit sich umherschleudern
zu lassen, heute nur an die mildere, morgen nur an die brutale Form
der Revolution zu glaubeh r sondern von dem immer gegeibenen Boden
2 17
des Klassenkampfes ausgehend a 1 1 e Mitiel zu beniitzen, urn das
Ziel, die Beseitigung der Lohnknechtschaft und die Umwalzung der
kapitalistischen Produktionsweise in die sozi&listische Bedarfswirt-
schaft, zu erreichen.
Die weltwirtschaftliche Prosperdtat, an der seit 1890 auch Deutsche
land erheblichen Anteil nahm, hatte die deutsche Arbeiterklasse
zahlenmafzig gewaltig vermehrt, und trote aller Verfolgungen wuch-
sen unausgesetzt ihre Qrganisationen. Karl Radek hat im Fe~
bruar 1919 in einem Artikel zum Gedachtnis von Karl Liebknecht
in der Moskauer „Iswestija" zutreffend folgendes uber diese Zeit
geschrieben:
7r Es begann der 7/ neue Kurs", der Versuch, die Arbeiterklasse durch
soziale Zugestandnisse zu gewinnen, und obwohl -er aufzerlich bald einem
neuen scharfen Kvlvs. wich r so war doch der Sinn dieser Epoche der r dafz,
wahrend der erstarkende Kapitalismus den Massen der qualifizierten Ar-
beiter ertraglichere Lebensbedingungen gewahrte, er sie dadurch vom
scharfen revolutionaren Kampfe zuriickhielt. Nach aufzen hin bekam der
Sozialismus „rote Backen". Die Parteiorganisationen wuchsen, die Ge~
werkschaften bluhten auf. In den Zahlabenden und auf den Parteitagen
wurden revolutionare Resolutionen angenommen. In der Praxis aber
wurde der Kampf nur f u r kleine Verbesserungen der m a t e ~
riellen Lage der Arbeit er 7 nicht fiir die revolutio
naren Umwalzungen gef iihrt. Und da Taten fiir den Charakter
einer Parte! ebenso malzgebend sind, wie sie den Charakter eines Men*
schen bestimmen r so wurde die Sozialdemokratie eine Partei der
Reform und nicht der Revolution, mochte sie noch so revolutionaru
Worte gebrauchen." /
Den 1 e t z t -e n Partei tag vor dem Kriege hielt die Sozial-
demokratie 1913 in Jena ab. Aeufzerlich gewahrte die Partei ein
eindrucksvolles Bild. Die letete Reichtagswahl hatte ihr A% Mil-
lionen Stimmen eingebracht, sie musterte eine Million Parteimit-
glieder, sie verfugte liber 90 Tageszeitungen, 110 Abgeordnete
safzen im Reichstag. Aber dieser Parteitag zeigte auch deutlich, dafz
der Reformismus in der Sozialdemokratie gesiegt hatte. In der inne-
ren Politiik hatte die Sozialdemokratie sich vollstandig den gegebenen
Verhaltnissen angepafzt. Sie war zu einem auch von den Gegnern
schon vielfach anerkannten Tell des Staatsgianzen geworden. Sie
beteiligte sich lebhaft an dem Ausbau der Sozialgesetzgebung, sie
forderte die Reform im Schulwesen, sie bewilligte in einigen Einzel-
staaten die Budgets, auch wenn diese arheiterfeindiichen Charakter
trugen, ja, es wurden schon Steuern auch fiir vofefeindliche Zwecke
bewilligt r wenn dadurch scheinbar eine Belastung des Besitzes erzielt
werden konnte. Die Fragen des Staatsrechts spielten in der Agita-
tion fast ikeine Rolle meihn In dem zuletzt im Jahre 1911 erschiene-
nen T9 H a n d b u c h I ii r s o z i a 1 d e m o k r a t i s c h e W a h 1 e r "
heifit es tiber ^Revolution und Umstura":
r J)ie Sozialdemokratie steht auf dem Bod en der Entwicklung;
sie geht von der Ansicht aus r dalz kedn neuer politischer oder sozialer
Zustand dauernd geschaffen werden kann / wenn nicht alle Bedingungen
fiir seine Existenz vorhanden sind und zugleich der neue Zustand einem
allgemeinen Bediirfnis groizer Ge , s^llschaftsschichten entspricht."
IS
Das Handbuch beruft sich claim auf Ausspriiche von Lassalie,
Marx, Engels und Bhmtschli, urn zu folgendem Schlufz zu kommen:
,J)ie Sozialdemokratie weifz, dafz sie ahren Feinden den grofzten Ge»
fallen erwiese, wollte sie zur Gewalt a u f r e i z e n £ sie wird aber
ihren Feinden diesen Gefallen nicht tun. Ihr Ziel 1st mcht, die Fauste
auf ihre Seite zu bekommen, sondern die Kopfe, und gegen eine Mehr*
heit einsichtiger Kopfe, die ein klares Ziel vor Augen haben, kann auf
die Dauer keine Macht der Welt aufkommen/*
60 mufzten die Arbeiter immer mehr der Auffass.ung zuneigen, dafz
nur noch fried 1 i c h e V >e r a n d e r u n g e n rnoglich seien,
dalz gewaltsame Umiwalzungeh nicht mehr kommen wiirdem Mit
dem Stimmzettel wurde man die politische Macht erobern; daher sei
es nur notwendig, sich an den Warden zu beteiligen und die Za'hl
der sozialdemokratischen Wahler unausgesetzt zu steigern, urn von
selbst in den sozialistischen Staat hineinzuwachsen.
Nur in der aufzeren P o 1 i t i k trat die Partei radikaler auf. Auf
den Parteitagen und in den grofzen Versammlungen wurden regel-
mafzig Resolutionen gegen den Militarismus, gegen den Imperialism
mus und die Kriegsg'efahr angenommen. Die Partei zeigte der herr-
schenden Klasse, was ihrer harre, wenn sie die die ganze Welt be-
drohenden Heeresrustungen unaufhorlich fortsetze. Wie prophe-
tisch klingen doch die Worte, die August Bebel im Reichstag
in der Marokko-Debatte des Jahres 1911 in die Welt geschleudert
hat! Er zeigte erst, wie das Wettriisten dem unausbleiblichen Ende,
dem Zusammenprall der kapitalistischen Machte zutreibe, und dann
rief er aus:
„Dann kommt die K a t a s t r o p h e. Alsdann ward in Europa der
grofze Generalmarsch geschlagen, auf den hin 16 bis 18 Million
nen Manner, die Brute der verschiedenen Nationen, ausgerustet mit den
best en Mordwerkzeugen, gegen einander als Feir.d ins Feld rucken. Aber
nach meiner Ueberzeugung steht hinter dem grolzen Generalmarsch der
g r o iz e K 1 a d d e r a d a t s c h. Er kommt nicht durch uns, er kommt
durch Sie selber. Sie treiben die Dinge auf die Spitze, Sie fiihren es zu
einer Katastrophe, Sie werden erleben, was wir heute nur im allerkieinsten
Malzstabe erlebt haben. Die Gotterdammerung der b u r g e r ~
lichen Welt ist im Anzuge. Sei en Sie sicher: sie ist im Anzugl
Sie stehen heute auf dem Punkte, Ihre eigene Staats~ und Gesel!schafts«
ordnung zu untergraben, Ihrer eigenen Staats« und Gesellschafisordnung
das Totengl5cklein zu lauten. Was wird die Folge sein? H i n t e r
diesem Kriege steht der Mas'senbankerott, steht das
Massenelend, steht die Massenarheitslosigkeit, die
^rofee Hungers n o t Das wollen Sie hestreiten? Jeder, der die
Dinge objektiv ubersiehi, kann sich der Richtigkeit dessen nicht entziehem
was ich hier ausfuhre. Was bat denn schon das bifzchen Marokkofrage
in diesem Sommer erzeugt? Den bekan.nten Run auf die Sparkassen, den.
Sturz aller Papiere ? die Aufregung in den Banken! Das war erst ein
■kleiner Anfang ? es war gegen die Wirklichkeit nichtsl Wie wird das erst
werden,, wenn der Ernstfall eintritt? Dann werden Zustande hervorge«
rufen werden r die Sie allerdings nicht haben wollen, die aber mit Not«
wendigkeit kommen — ich wiederhole: nicht durch unsere Schuld, durch
Ihre Schuld, Lernt, Ihr seid gewarntl"
Was Bebel hier vorausgesagt hat, ist wortlich eingetroffen, Aber
nicht eriiillt hat sich seine Ueberzeugung, dalz die Sozialdemokratie
2* 19
sich deirt Sturm gewachsen geigen werde, Freilich, die vom Partem
vorstand noch im Jahre 1912 nerausgegebene Broschiire r ,Impe«
rialismus oder So^ialismus?" schlofe mit folgenden
Worten:
r JSo wachst sich der Kampf gegen den Imperialisms immer mehr zum
Entscheidungskampf zwischen Kapital und Arbeit aus. Kriegsgefahr,
Teurung und Kapitalismus — Friede, Wohlstand fiir alle, Soziafismus!
So ist die Frage gestellt. Grolzen Entscheidungen geht die Geschichte
entg-egen. Unablassig mulz das Proletariat an seiner welthistorischen
Aufgabe arbeiten, die Macbt seiner Organisation, die Klarheit seiner Er«
kenntnis schSrfen. Moge dann kommen, was da will, mag es seiner Kraft
gelingen, die furchterlichen Greuel eines Weltkrieg-s der Menschheit zu
ersparen, oder mag die kapitalistische Welt nicht anders in die Ge«
schichte versinken, wie sie aus ihr geboren war, in Blut und in Gewalt:
die historische Stunde wird die Arbeiterklassebereit
find en und bereit sein, ist alles."
Wir miissen heute bekennen: die historische Stunde hat die
deutsche Arbeiteiiklasse und ihre Organisation, die Sozialdemokra*
tische Partei, nicht bereit g e f u n d e n. Wie sie auf den Ge~
bieten der inneren Politik sich mit den bestehenden Verhaltnissen
ausgesohnt hatte und nur noch die „Auswuchse" des Kapitalismus
bekampfte, so dankte sie bei Kriegsausbruch auch in der aulzeren
Politik an die berrschenden Gewalten ab. Die reformistische Rich-
tung hatte auf der ganzen Linie gesiegt Die kapitalistisch-imperiali-
stische Entwicklung schien auf ihrem Hohepunkt angekommen zu
sein, indem die Sozialdemokratie sich in den allgemeinen Burgfrie*
den einfitgte, den Klassenkampf aufsagte und sich als wahrhaft
„nationale" Partei dem Heerbann der Bourgeoisie anschlolz.
20
<3B25^e©2^<S»S5e<S«B6<3SJ S55)QSaP&<SBS5)<eKi!St)<eK^)
Der 4. August 1914.
Der Kriegsvorwand der dsterreichischen und deutschen Kiiegstreiber. —
Aufruf des Parteivorstands gegen den Krieg. — Zusammentritt des
internationalen sozialistischen Bureaus. — Schwenkung in der Partei. —
Bewilligung der Kriegskredite. — Die Erklarung der sozialdemokrati«
schen Reichstagsfxaktion. — Die ersten Gegensatze,
!m September 1914 sollte der Internationale So«
zialistenkongreiz in Wien, etwas spater der Parteitag
derdeutschen Sozialdemokratiein Wiirzburg stattf inden.
Die friedlichen Vorbereitungen fur diese Tagungen wurden durch
den wiiden Kriegslarm unterbrochen. Der osterreichischen Militar-
clique war der Thronfolgermord sehr gelegen gekommen. Sie wollte
den Krieg und verhinderte durch ihr hinterh<iges diplomatisches
Trugspiel eine schiedliche Beilegung des neuen osterreichisch-serbi-
schen Konfliktes. Die Wiener Regierung richtete am 23. Juli ihr
Ultimatum an Serbien, das nichts anderes als die Niederknuppelung
feden Versuchs war, den Kriegsausbruch zu verhindern. Selbst das
Blatt der Zechenbarone, die „R h e i n i s c h ~ W e s t f a 1 i s c h e
Z e i t u n g'\ erklarte:
JDas dsterreichisch«ungarische Ultimatum ist nichts als ein
Kriegsvorwand, aber diesmal ein gefahrlicher. Wie es scheint,
stehen wir dicht vor einem 6sterreichisch~serbischen Kriege. Es ist mog«
lich 7 daiz wir osteuropaische Brande mit Gewehren l5schen aus Ver«
tragen oder aus dem Zwange des Tages. Aber es ist ein S k a n d a 1 ,
wenn die Reichsregierung nicht in Wien verlangt hatte, daiz solche End«
gebote ihr vorher vorgelegt werden. Heute bleibt nur eines ubrig, zu
erklaren: Fur Kriege der habsburgischen Eroberungs*
politik sind wir nicht verpflichte t."
Auch die sozialdemokratische Presse durchschaute selbstverstand-
lich die Absichten der osterreichischen Kriegstreiber und sie machte
gleichfalls die deutsche Regierung fur alle kunftigen Schritte Gester-
reichs mitverantwortlich. Am 25. Juli erlielz der Parteivor-
stand folgenden Aufruf:
„Noch dampfen die Aecker auf dem Balkan von dem Blute der zu
Tausenden Hingemordeten, noch rauchen die Triimmer verheerter St&dte,
verwiisteter Dorfer, noch irren hungernd arbeitslose Manner, verwitwete
Frauen und verwaiste Kinder durchs Land und schon wieder schickt sich
die vom dsterreichischen Imperialismus entfesselte Kriegsfurie an, Tod
und Verderben iiber ganz Europa zu bringen. Verurteilen wir auch das
Treiben der groiz-serbischen Nationalisten, so fordert doch die frivole
Kriegsprovokation der 6sterreichisch-ungarischen Regierung den sch&rf«
stenrrotest heraus. Sind doch die Forderungen dieser Regierung so brutal,
21
wia sie in der Weltgeschichte noch nie an einen selbstandigen Staat
ge&tellt sind und konnen sie dock nur darauf berechnet sein, den Krieg
geradezu z u provozieren. Das klassenbewu&te Proletariat
Deutschlands erhebt im Namen der Menschlichkeit und der Kul*
tur flammenden Protest gegen dieses verbrecherische Treiben der
Kriegshetzer. Es fordert gebieterisch von der deutschen Regierung,, dalz
sie ihren Einflufz auf die osterreichische Regierung zur Aufrechterhaltung
des Friedens ausube 7 und, falls der schandliche Krieg nicht zu verhdndern
sein sollte, sich jeder kriegerischen Einmischung e n t «
K a 1 1 e. Kein Tropf en Blut eines deutschen Soldaten darf dem Macht-
kitzel der osterreichischen Gewalthaber, den imperialistischen Profit*
interessen geopfert werden. Parteigenossen 7 wir fordern euch auf 7 sofort
in Massenversammlungen den unerscbutterlichen Friedenswillen des
ktessenbewufzten Proletariats zum Ausdruck zu bringen. Eine ernste
Stunde ist gekommen 7 ernster als irgendeine der letzten Jahrzehnte.
Gefahr ist im Verzugel Der Weltkrieg drohtl Die herrschenden
Klassen 7 die euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch
als Kanonenfutter milzbrauchen. Ueberall mufz den Gewalthabern in den
Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg I Nieder mit dem
Kriegl Hoch die international VSlkerverbruderun gV*
Am 29. Juli trat in Brussel noch einmal, zum letzten Male, das
inter n a tionale sozialistische Bureau zusammen,
urn von den Vertretern aller durch den Weltkrieg bedrohten Nationen
Brklarungen liber die politische Lage in ihren Landern entgegen-
zunehmen. In einem einstimmig gefaizten Beschluiz forderte es die
Proletarder aller beteiligten Nationen auf 7 die Kundgebungen fur den
Frieden nicht nur fortzusetzen, sondern zu verstariken. Das deutsche
und franzosische Proletariat sollte kraftvoller als je auf seine Re-
gierungen in dem Sinne einwirken, dalz Deutschiand auf Oesterreich
einen malzigenden Einflufz ausube und dalz Frankreich bei Rulzland
bewirke 7 dalz es sich nicht in den Konflikt einmenge. Die Prole-
tarier Groizbritanniens und Italiens sollten diese Bestrebungen aufs
energischste unterstutzen. Die Sitzung des Bureaus beschloiz, sofort
einen linternationalen Kongrelz nach Paris einzuberufen, der den
entschlossenen Friedenswillen des ges&mten Proletariats der Welt
zum entschiedenen Ausdruck bringen sollte. Wenige Tage spater
brach der Krieg aus r der Kongrelz konnte nicht mehr abgehalten
werden. Aber im Anschlulz an die Sitzung des internationalen Bu-
reaus wurde in Brussel eine gewaltige Fried enskundgebung
veranstaltet, an der viele Tausende von Arbeitern teilnahmen und
den Rednern der Internationale sturmische Ovationen bereiteten.
Der Kriegsausbruch «aber war nicht mehr aufzuhalten. So
unfahig sich die deutsche Regierung zu ernster Friedens arbeit zeigte,
so geschickt verstand sie es jetzt, den patriotischen Taumel zu wecken
und auch die proletariischen Massen in den Wirbel zu ziehen. Die
Regie der Kriegstreiber siegte iiber den Friedenswillen der Arbeiter-
schaft Und in den letzten Tagen des Juli schon waren die reformi-
stischen Staatsma'nner aus den Reihen der Sozialdemokratie bereit,
der Regierung des Krieges durch den Ozean von -Blut und Tranen
zu folgen. wahrend die Arbeiter noch Riesenkundgebungen gegen
den Krieg veranstalteten, schrieb Friedrich Stampfer, der
spa'tere Chefredakteur des 7r Vorwarts", in einem Korrespondenzartikel
in der Parteipresse der Provinz: , 7 Wenn die verhMngnisvolle Stunde
tschlagt, werden die Arbeiter das Wort einlosen, das von ihren Ver-
tretern fur sie abgegeben worden ist. Die vaterlandslosen
Gesellen werden ihre Pflicht e r f u 1 1 e n und sich darin
von den Patrioten in keiner Weise iibertreffen lassen."
Nach den bisherigen offentlichen Kundgebungen der Partei be-
stand fur die Genossen lira Lande kein Zweifel daruber, dafz die sozial-
demokratische Reichstagsfraktion die Kriegskredite ablehnen wiirde.
Am 31. Juli war der Kriegszustand erklart worden, die Presse durfte
nicht mehr frei reden, Versammhmgen konnten nicht mehr veran-
staltet -werden, die brutale Faust der militarischen Machthaber hatte
sich auf das offentliche Leben Deutschlands gelegt. Am 1. August
kam die Meldung, dafz J a u r e s , der Fuhrer der franzosischen So-
zialisten, der grolze Fried ensfreund, von einem Mordbuben m e u c h «
lings g e t 6 t e t worden war. Eine Zeit der ungeheuersten- Span-
nung und der tiefsten seelischen Depression! Alles blickt nach Ber-
lin, wo am 3. August die entscheidende Fraktions-
s & t z u n g stattfand. Die Verweigerung der Kredite fur den Krieg
war nunmehr die eindge Gelegenheit, den herrschanden Kiassen zu
zeigen, dalz das Proletariat .auch in dieser Stunde nichts mit ihrer
Politik zu tun haben wolle. Aber es kam anders. Die Reichstags-
fraktion beschloiz rait grolzer Mehrheit, die Kredite zu be«
w i 1 1 i g e n, Es war, wie der Kriegspatriot Konrad Haenisch
zwei Jahre spater schrieb, ein „in seiner Art schlechter dings beispiel-
loser Prontwechsel". In dem Vorwort zu seinem Buch Ober die
Reichstagsreden gegen die deutsche Kriegspolitik sagte Hugo
Haase von jenen Stunden: „Verwirrt und enttauscht schauten die
Wurzelfesten auf die Fuhrer, diese schwammen mit dem Strom/'
Die Arbeiter in dem Lande wuizten in der Tat zuerst nicht, was sie
mit diesem Ereignis beginnen sollten. Batten unsere Reichstags-
abgeordneten besondere Iniformationen von der Regierung erhalten,
die sie davon iiberzeugen mulzten, dalz die unbedingte Unterstiitzung
der deutschen Kriegspolitik zur Verteidigung des von alien Seiten
langegriffenen Vaterlandes geboten sei? Ach nein, die Fraktion an
ihrer Gesamtheit hatte schon damals erkennen konnen, dalz es sich
um den Beginn eines Eroberungskrieges handelte, fiir
dessen Ausbruch die deutsche Regierung in vollem Umfange ver~
antwortlich zu machen war. Am 4. August legte die deutsche Re-
gierung dem Reichstag ein Weiizbuch vor, aus dem fiir jeden, der
sehen w o 1 1 1 e , die Kriegsschuld der deutschen Regierung klar vor
Augen trat Aber die Mehrheit der Fraktion w o 1 1 1 e nicht sehen,
sie glaubte an das MSrchen von dem ruchlos ixberfallenen Deutsche
tend. Mit vollem Recht stellte Rosa Luxemburg in ihrer
Juniusbroschure folgendes fest:
,J)as Weifzbuch erklart uns kiipp und Mar: 1. dalz die osterreichi&che
Regierung vor ihrem Schritt gegen Serbien Deutschlands Einverstandnis
eingeholt hatte; 2. dalz die deutsche Regierung sich vollkommen bewufet
war, dalz das Vorgehen Oesterreichs zum Kriege mit Serbien und im
weiteren Verfolg zum europaischen Kriege f uhren wiirde; 8. dalz
die deutsche Regierung Oestereich nicht zur Nachgiebigkeit net, sondern
umgekehrt erklarte, dalz ein nachgiebiges, geschwachtes Oesterreich kein
wurdiger Rundesgenosse mehr fiir Deutschland sein kdnnte; 4. dalz die
deutsche Regierung Oesterreich vor dessen Vorgehen gegen Serbien auf
alle Falle den Beistand im Kriege fest zugesichert hatte, und endlioh 5.,
daiz die deutsche Regierung sich bei all dem die Kontrolle iiber das ent«
scheidende Ultimatum Oesterreichs an Serbien, an dem der Weltkrieg
hing, nicht vorbehalte, sondern Oesterreich v 5 1 1 i g freie Hand
g elassen h a 1 1 e."
Das alles erfuhr unsere Reichstagsfraktion am 4.. August. Und noch
eine neue Tatsache erfuhr sie aus dem Munde der Regierung am
gleichen Tage: dalz die deutschen Heere bereits in Belgien e i n ~
marschiert waren. Aus alledem aber schloiz die Mehrheit der
Fraktion, dalz es sich um einen Verteidigungskrieg Deutschlands
gegen eine fremde Invasion, um die Existenz des Vaterlandes, um
Kultur und einen Freiheitskrieg gegen den russischen Despotismus
handelel Konnte der wirkliche Hintergrund des Krieges und die inn
notdurftig verdeckende Kulisse, konnte das ganze diplomatische Spiel,
das den Kriegsausbruch umrankte, das Geschrei von der Welt von
Feinden, die alle Deutschland nach dem Leben trachteten, es
schwachen, erniedrigen, unterjochen wollten, konnte das alles fur
die deutsche Sozialdemokratie eine Ueberraschung sein, an ihr
Urteilsvermdgen zu hohe Anforderungen stellen? Aber nur
eine Minderheit von 14 Abgeordneten erkannte den
wirklichen Sinn des Krieges und stimmte in der Fraktion gegen
die Bewilligung der Kredite. In der Sitzung des Reichs«
tages vom 4. August gab dann Hugo H a a s <e im Auftrage der
Fraktion folgende Erklarung ab:
„Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistic
schen Politik, durch die eine A e r a des Wettrixstens herbeigefuhrt
wurde, und die Gegensatze zwischen den Volkern sich verscharften, sind
wie eine Sturmflut uber Europa hereingebrochen. Die Verantwortung
hierfur fallt den Tragern dieser Politik zu, die wir ablehnen. Die Sozial**
demokratie hat diese verhangnisvolle Entwicklung mit alien Kraften be-
kampft und noch bis in die letzten Stunden hinein hat sie durch macht«
voile Kundgebungen in alien Landern, namentlich in innigem Einverneh*
men mit den franzosischen Briidern, fiir dieAufrechterhaltung
des Friedens gewirkt. Ihre Anstrengimgen sind vergeblich ge«
wesen. Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges.
Uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen. Nicht fiir oder
gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern iiber die Frage
der fiir die Verteidigung* d^s Landes erforderlichen Mittel. Nun haben
wir zu denken an die Millionen Volksgenossen, die ohne ihre Schuld in
dieses Verhangnis hnieingerissen worden sind. Sie werden von den Ver«
heerungen des Krieges am schwersten getroffen. Unsere heilzen Wiinsche
begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Briider ohne Unterscbied der
Partei. Wir denken auch an die Mutter, die ihre Sdhne hergeben miissen,
an die Frauen und Kinder, die ihres Ernahrers beraubt sind, denen zu der
Angst um ihre Lieben die Schrecken des Hungers drohen. Zu ihnen
werden sich bald Zehntausende verwundeter und verstummelter Kampfer
geselleh. Ihnen alien beizustehen, ihr Schicksal zu erleichtern, diese un«
ermefzliche Not zu lindern, erachten wir als zwingende Pflicht. Fiir unser
Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russi«
schen Despot ismus, der sich mit dem Blute der Besten des eige~
nen Volkes befleokt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt diese
Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhangigkeit des eigenen
Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer
betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterknd
24
nicht Im Stick. Wir fuhlen uns dabei im Einklang mit der Internationale,
die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbstandigkeit. und Selbstver*
teidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir in llebereinstimmung mit ihr
jeden Eroberungskrieg verurteilen. Wir hoffen, daiz die grau-
same Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abscheu vor dem
Kriege wecken und sie fur das Ideal des Sozialismus und des Volker«
friedens gewinnen wird. Wir fordern, daiz dem Kriege, sobald das Ziel
der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, em
Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den
Nachbarvolkern ermogiicht. Wir fordern dies im Interesse nicht nur der
von uns stets verfochtenen Solidaritat, sondern auch in dem Interesse des
deutschen Volkes. Von diesen Grundsatzen geleitet, bewilligen wir
die geforderten Kredit e."
In dieser Sitzung des Reichstages unterwarfen sich bis auf Ge~
nossen Fritz K u n e r t , der sich an der Abstimmung nicht be~
teiligte, alle Abgeordneten der Sozialdemokratie dem bisher ublichen
Fraktionszwang, so daiz nach aufzen der Eindruck der einstimmigen
Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion zu den Kriegskredi-
ten hervorgeruf en wurde. Hugo Haase, der in der Fraktion s-
sitzung vom 3. August die Bewilligung der Kredit e am heftigsten
bekampfte, liefz sich aus Parteidisziplin dazu bewegen, in der Sitzung
des Reichstages die Erklarung der Fraktion als ihr Vorsitzender und
als Vorsitzender der Partei vorzulesen.
In seinem schon erwahnten Buch schreibt Haase ixber jene Tage:
, ? Die wenigen unter ihnen 7 (den Fiihrern) die den alten Grundsatzen die
Treue bewahrten, trennten sich aus Solidaritatsgefuhl nicht von
ihren Kampfgenossen. So entstand das Bild einer einzigen burgfried-
lichen Sozialdemokratie. In Wahrheit off enbarten sich schon beim
Ausbruch des Krieges starke Gegensatze innerhalb
der Sozialdemokratie, die bis dahin latent geblieben waren.
Mit 13 Fraktionsgenossen forderte ich am 4. August 1914 in der Fraktion
die Ablehnung der Kriegskredite als Konsequenz unserer prinzipiellen
Gegnerschaft gegen das herrschende System, dem die Verantwortung
fiir den imperialistischen Krieg zuzuschreiben sei. Die Mehrheit der
Fraktion bestritt, dafz die deutsche Regierung auf Eroberungen ausgehe
und stimmte fiir die Bewilligung der Kriegskredite, bekundete aber den
Entschluiz, dafz 77 Mls der Krieg den Charakter eines Eroberungskrieges
annehmen sollte", der entschiedenste Widerstand geleistet werden miisse.
Da nach einer festen Tradition die Fraktion ' im Reichstag e stets
geschlossen auftrat, die Minderheit sich der Mehrheit fugte, so wurde in
der Reichstagssitzung vom 4. August fur die gesamte Fraktion eine ein«
heitliche Erklarung abgegeben."
Karl Liehknecht hat die Tage urn den 4. August 1914 in
einer wahrend des Krieges verbreiteten Sennit „Klassenkamp£ gegen
den Krieg", folgendermalzen geschildert:
„In der Fraktionssitzung ergriff David als erster das Wort. Er meinte,
der Augenblick gebiete, sich von iiberkommenen Vorstellungen loszu~
sagen und umzulernen; die Sozialdemokratie werde in dieser Zeit
noch in vielen Dingen umlernen miissen. Er beantragte im Namen der
Mehrheit des Fraktionsvorstandes die Bewilligung der Kredite; sie moge
mit einer Erklarung motiviert werden — • aber mit einer Erklarung, oie
alle Polemik vermeide, die sich ohne Vorbehalt schlechthin mit der
Regierung und alien burgerlichen Parteien solida*
ri-s ch e r k 1 a r e — was dera Gigs der Bewilligungsfrexinde immerhin
zu weit ging. Fur die Bewilligung wurden u. a. die angeblichen feind*
lichen Invasionen von Ost und West ins Feld gefuhrt, Grenzgeplankel,
denen wichtige deutsche Angriffshandlungen gegeniiberstanden (z. B.
Besetzung des neutralen Luxemburg, Beschielzung von Libau 7 die Vor«
bereitung zum Ueberfall auf Belgien, die freilich damals dem deutschen
Volk noch verschwiegen wurde). Man horte die Parole: 7 ,Gegen den
Zarismus", Bebels Flintenrede 7 die stereotyp gewordenen literarischen
^Beweise". Es hielz weiter u. a.: „Der Volksstiminung diirfen und
konnen wir uns nicht entgegenwerfen; Jaures Ermordung und die (damals
lugenhaft gemeldetel) Ermordung Caillaux' zeigen den Hitzegrad der
Kriegsstimmung in Frankreich; durch diesen Krieg wird Deutschland
Frankreich vom Biindnis mit RuMand befreien; die russische Niederlage
bedeutet den Sturz des Zarismus; die deutsche Sozialdemokratie kann
sich in einem solchen Moment nicht ausschalten lassen; unsere Organi-
sationen werden vernichtet, zertrummert, wenn wir die Kredite verweigern
— das 77 J&" aber wird die Stellung der Sozialdemokratie gewaltig starken
— die Regierung wird nicht mehr in der Lage sein, diese Partei als auizer*
halb der Gesetze stehend zu behandeln; eine starke demokratische Welle
wird nach dem Kriege kommen/' Kautsky, der die Konstruktion der
Notstandskredite anregte, schlug vor: der Regierung die Zusicherung ah*
zufordern, dalz sie keine Eroberungen wolle und bei Abgabe der Zu«
'sicherung zu bewilligen, bei Verweigerung abzulehnen; der Vorschlag
fand allgemeine Zuruckweisung.
Die Mehrheit horte nur mit Ungeduld und Unruhe die Vertreter der Min*
derheit an. Ein Schluizantrag machte der sehr erregten Debatte em
ziemlich fruhes Ende.
Nur 14 Genossen (aulzer dem fehlenden Bmmel, der sich spater in
gleichem Sinne aussprach) stimmten gegen die Kreditbewilligung
(Albrecht, Antrick 7 Bock, Geyer, Haase, Henke, Herzf eld, Ledebour 7 Lensch,
Liebknecht, Peirotes 7 Rixhle, Vogtherr)* 78 stimmten dafur. Binige sollen
sich der Stimme enthalten haben. '
Haase beantragte 7 die Erklarung durch Scheidemann verlesen zu
lassen. Hoch und andere widersprachen und forderten die Verlestpg
durch Haase 7 der nicht nur wie Scheidemann Vorsitzender der Fraktion,
sondern auch des Parteivorstandes sei. Haase weigerte sich nachdriick"
lich, lielz sich aber 7 von zahlreichen Fraktionsmitgliederci besturmt,
schlielzlich dazu bewegen.
Der Antrag 7 bei dem Hoch auf 77 Kaiser, Volk und Vaterland" mit auf«
zustehen, wurde bekampft, aber unter Hinweis auf die in der Erwahnung
von Volk und Vaterland liegende Konzession mit grolzer Mehrheit an*
genommen.
Eine Kommission zur Ausarbeitung der Erklarung wurde eingesetzt.
Sie legte am Morgen des 4. August das Produkt ihres Schwedlzes vor 7
das mit einigen kleinen Aenderungen Annahme fand. Stadthagen
forderte vergeblich eine scharfe Wendung zur Kennzeichnung der inner*
politischen Zustande Deutschlands. Liebknechts Antrag, unseren
franzdsischen Freunden wenigstens noch ein Wort der Sympathie und
Briideflichkeit zuzurufen 7 fuhrte — nachdem er von Frank bek&mpf t war
— zur Einfuhrung einer nichtssagenden Floskel. Sein weiterer Antrag 7
auch fur Oesterreich jede Eroberungspolitik abzulehnen, fiel; David be«
merkte hierbei 7 dafe die Frage osterreichischer Eroberungen viel zu kom«
pliziert liege, als dalz sie kurzweg schlechthin verneint werden konnte.
In^ der ersten Plenarsitzung klatschten mehrere sozialdemo«
kratische Abgeordnete (Siidekum, Heine, Frank, Wendel und andere) bei-
fallrufend einigen Stellen der Reichskanzlerrede zu. Unmittelbar nach
^0
dieser und vor der zweiten, kurz danach erof fheten Plenarsitzung, fand eine
kurze Fraktionssitzung* statt, in der es zunachst wegen dieser „patrioti«
schen" Kundgebungen zu heftigen Zu<sammenst6izen kam; fur die zweite
Sitzung wurden derartige Kundgebungen durch besonderen Fraktions«
beschlulz verboten — urn am 2. Dezember dock wiederholt und in der
Fraktion von Heine geruhmt zu werden. Es wurde welter mitgeteilt, daiz
die Regierung eine Abschwachung des gegen Eroberungen gerichteten
Passus der Erklarung witnsche, weil die drohende Gefahr des englischen
Eingreifens durch diesen Passus verscharft werden konne. Dem Wunsche
der Regierung wurde entsprochen.
Versuche, eine abweichende Abstimmung der Vierzehn im Plenum zu
erzielen, war en in der Uebersturzung der wenigen Stunden miMungen.
Haase 7 selbst ein Vertreter der Kreditverweigerung, hatte sich zur Abgabe
der Erklarung bestimmen lassen; audi die Minderheit rechnete noch da~
mit, daiz die Parte! im ubrigen dennoch eine oppositionelle Politik, eine
Politik des Klassenkampfes auch wahrend des Krieges treiben werde 7 daiz
die Kreditbewilligungen vom grolzten Teil der Mehrheit nur in dem re~
volutionaren Sinn des viel mifzbrauchten Engels-Artikels gemeint ®ei und
schroffste Konflikte zwischen Partei und Staatsgewalt nicht ausbleiben
wurden; man trug Bedenken, sich in dieser gefahrvollen Lage 7 in der man
die Partei trotz alledem vermeinte 7 von der Mehrheit der Fraktion 6ffent«
lich zu trennen. Aus diesen und zahlreichen anderen Griinden kam k e i n
offentlichesMinderheitsvotum zustande, '
Alsbald nach dem 4. August zeigten sich in der Partei 7 besonders in
ihrer Presse, die bedenklichsten Ersch ein un gen — Chau«
vinismus, Annexionssucht, Harmonieduselei; besinnungslose Solidarisie*
rung mat den Todfeinden des Proletariats von gestern und von morgen ?
die plotzlich in einer truben Einigkeitsphrasen^Iiochflut zu Busenfreunden
von heute umgewaschen warden." '
Aber es dauerte nicht lange, so begann sich im Lande die
Opposition gegen die Ksriegspolitik der leitenden
Parteiinstanzen zu regen. Erst tastend, vereinzelt und zerstreut er«
hoben sich im Proletariat Stimmen, die die Abkehr von dem verderb-
lichen Wege forderten; immer starker wuchs der Chor an 7 vergeblich
waren alle Unterdruckungsversuche. Weder die Geiwaltstreiche des
Parteivorstandes, noch die Brutalitaten der militarischen und zivilen
Machthaber haben zu verhindern vermocht, daiz die Opposition in
der Partei von Monat zu Monat wuchs und schlielzlich den Boden
ebnete, auf dem drei Jahre spater die U n a b h a n g i g e S o z i a 1 ~
demokratische ParteiDeutsch lands sich bilden konnte.
27
Os3R5)QS2SS5><3^Sim&<Sfci3^>Q^^
Die beginnende Opposition.
Die Beschlusse der Intemationalen Sozialistenkongresse und der
deutschen Parteitage. — Urteile des sozialistischen Auslandes uber die
Kreditbewilligung. — Der erste Widerstand gegen die Kriegspolitik. —
Brklarungen der „Vorwarts"«Redakteiire. — Gegen den parteigenossi*
schen Kadavergehorsam. — Der Umfall der Pseudo«Marxisten,
— Leichenschandung an den Altmeistern des Sozialismus.
Die Regie hatte glanzend gearbeitet; fast das ganze deutsche Volk
war der Kriegspsy chose verf alien und auch die Mehrheit der sozial-
demokratischen Parteifiihrer wurde von dem patriotischen Taumel
ergriffen. Selbst solche Leute, von denen man sich nach ihrer Ver-
gangenheit in der Arbeiterbewegung einer ernsteren Einsicht hatte
versehen konnen, nahmen das unsinnigste Zeug glaubig bin. Man
erinnere &ich ? welche Rolle selbst in amtlichen Dokumenten neben
den Tausendeh von Spionen, den durch Deutschland rasenden Geld«
automobilen, den Brunnenvergiftungen im Elsalz besonders die
Fliegerbomben spielten, die auf bayerische Eisenbahnen und Stadte
noch vor dem Kriegsausbruch abgeworfen worden sein sollen. In
dieser Stimmung erregte es kaum Aufsehen, dafz die deutschen Heere
in das neutrale Belgien einmarschierten, bevor noch der Krieg er-
klart war. Es verschlug bei der Mehrheit der Reichstagsfraktion
auch nichts, dalz ihre Haltung in Widerspruch mit den
Beschliissen der deutschen Parteitage und der
intemationalen Sozialistenkongresse stand. Noch
der Friedenskongrefz von Basel vom 24. und 25. November 1Q12 hatte
an die Entschliefzungen der intemationalen Kongresse von Kopen-
hagen erinnert, worin es hielz:
,£>roht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen
und deren parlamentarische Vextretungen in den beteiligten Landern ver~
pflichtet, unterstiitzt durch die zusammenfassende Tatigkeit des Inter-
nationalen Bureaus, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen
am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges
zu verhindern, die sich je nach Verscharfung des Klassenkampf es
und der Verscharfung der allgemeinen politischen Situation naturgemafz
andern.
Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, fur
dessen rasche Beendigung einzutreten und mit alien Kraften
dahin zu streben 7 die durch den Krieg herbeigefuhrte wirtschaftliche und
politische Krise zur Aufnittelung des Volkes auszunutzen und dadurch
die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherr*
s c h a f t zu beschleunigen. '
Der Baseler Kongrefz erinnerte an diese Resolution und verlangte ins-
besondere von der Arbeiterklasse Deutschlands, Frankreichs und Bng-
lands, sich jeder Einmischung in die Balkanwirren zu e'? thalten und es
zu verhindern, dalz es wegen eines serbisch«5sterreichischen Streits
zum Kriege zwischen den Kulturvoikern komme. Dem kapitalistischen
Imperialismus miisse die Kraft der internationaien Solidaritat des
Proletariats entgegengestellt werden. Kurz zuvor noch hatte der
deutsche Parteitagin Chemnitz eine Entschliefzung ange-
nommen, wofin es hiefz, dafz die Sozialdemokratie aufs Nacndriick-
lichste alte imperialistischen und chauvinistischen Bestrebungen be-
kampfe und alles daran setzen werde, um eine VerstSndigung zwi-
schen den Nation-en herbeizufiihren.
Alle diese Beschliisse und Kundgebungen war en am 4. August 1914
vergessen. Im Ausland aber hatte man sie noch im Gedachtnis
und man erwartete auch ganz allgemein, dalz die deutsche Sozial-
demokratie sich aufs heftigste gegen die Regierung des Krieges wen-
den und selbstverstandlich die Kriegskredite ablehnen wiirde. Des-
halb stielzen die alarmierenden Meldungen, die iiber die Vorgange in
„ dem nach Ausbruch des Krieges von der Aulzenwelt abgesperrten
Deutschen Reich im Auslande umliefen, uherall auf Glaubien. Man er-
zahlt sich dort, dalz die deutsche Miiitarbehorde Dutzende von sozial-
demokratischen Abgeordneten und andere Fuhrer der Arbeiter-
bewegung, an der Spitze Ledebour, Karl Liebknecht, Rosa Luxem-
burg und Hugo Haase, ftisiliert habe, und dafz gegen die Partei die
wiistesten Verfolgungen eingesetzt hStten. Umso grofzer war dort
die Bnttauschung, als man von dem hurrapatriotischen Umfall der
Parteiinstanzen erfuhr. So schrieb die „ N e w Yorker Voiles-
*eitung" am 19. August 1914:
?/ Nach den heute von uns an anderer Stelie veroffentlichten Nachrich«
ten unterliegt es leider keinem Zweifel mehr, dalz die sozialdemokratische
Fraktion des deutschen Reichstages die fiinf Millionen Kriegskredit be*
willigte; die Regierung Wilhelms II. hatte also wirklich die ganze Volks~
vertretung hinter sich, als sie zu einem Kriege aufrief, dessen Konse*
quenzen heute noch garnicht abzusehen sind.
Wir haben bereits am 6. August — als die ersten Kabelmeldungen das
Zustimxnungsvotum unserer deutschen Genossen ankimdigten — erkl&rt,
dalz wir diese Stellungnahme nicht verstehen k 6 n n e n f
und nun verleiht unser hollandisches Bruderblatt „Het Volk" genau dei
gleichen Ansicht Ausdruck. Ja, wir miissen gestehen, dafz uns der Wort-
laut der Haaseschen Rede diese Abstimmung der deutschen Reichstags^
abgeordneten nur noch unverstandlicher mabht, weil sie auch nicht das
geringste Motiv fiir die Gesinnungsanderung, welche unzweifel*
haft seit dem 25. und 29. Jul! — den Tagen der letzten Kriegsproteste —
eingetreten war, erkennen l&fzt
Denn es 1st einfach undenkbar, dafz sich unsere Genossen durch den
Bugabo des russischen Despotismus in ihre unbegreifliche Haltung hii\«
einjagen lielzen, Wufzten sie doch nur zu genau, wie geschickt diese
deutsche Regierung noch immer ihre Vogelscheuchen aufzustellen ver«
stand> wenn es sich darum handelte, das dumme Volk in nationale Be«
geisterung zu versetzeru Die Septennatswahl von 1887, die Hottentotten-
wahl, der Chinafeldzug und nicht zu vergessen die , r Bxnser Depeschen*
Redigierung" sind einige der Beispiele r die nicht so leicht zu vergessen
sind. Ein Krieg gegen Frankreich oder England ware im hochsten Maize
unpopular gewesen, darum mu&te der Umweg uber Rulzland ge«
nommfen werden." '
29
F r i t z A d 1 e r hat den Bindruck, den die Haltung der Parteimehr*.
heit damals im Auslande machte, in der osterreichisdhen Zeitschrift
JDer Kampf" vom Jamjar 1915 in folgender Weise geschildert:
,,Nur "wenn man ganz erfalzt, wie teuer die deutsche Sozialdemokratse
den Genossen des Auslandes war, wie sie geradezu fur jeden einzelnen
den hochsten Stolz undden Quell d e f Siege ssuversicht
bildete, kann man die psychologische Wirkung der Ereignisse seit Kriegs«
ausbruch verstehen. Schon allein die Tatsache. dafz die deutsche Sozial«
demokratie Halt machen muiz, dalz nicht mehr ihr Klassenkampf, sondern
der Krieg die Weltbuhne beherrscht, wirkte — so wenig vorher jemand
theoretisch diese Moglichkeit bestritten hatte — plotzlich real geworden,
erschutternd. Dafz die deutschen Proletarier als Soldaten ihre
Pflicht tun werden, konnte man voraussehen, dafz aber die deutsche Ar«
beiterklasse als Partei plotzlich und in aller Form mit den herrschenden
Klassen \Vaffenstillstand schlielzen, sich mit ihnen zu gemeinsamer
Aktion vereinigen werde, war fiir F r e u n d wie G e g n e r e i n e
U e b e r r a s c h u n g. Wir haben an dieser Stelle nicht zu untersuchen,
ob oder inwieweit dieser Schritt unausweichlich war, sondern nur seine
psychologische Wirkung festzustellen. Sie ergriff die Sozialisten des
Auslandes mit gleicher Wucht wie die Deutschlands, obwohl in fast alien
Landern die Partei des Proletariats oder wenigstens Teile von ihr den
gleichen Weg gegangen waren. Doch dalz dies auch in Deutschland ge~
schehen konnte, dafz auch diese groize unbeugsame Sozialdemokratie sach
beug*en mufete, dafz auch die stolze Vorhut der Internationale dem Schick"
sal nicht entging, das wurde fiir die Arbeiter der ganzen Welt zum wahren
experimentum crucis ihrer Kraft und zum Symbol der historischen
Situation."
Nicht die ganze Partei hatte in diesen Tagen die Besinnung ver~
loren. Von Anfang an fanden sich Manner, die sich entschlosserv
dem Kriegstaumel entgegenstemmten. Auch aufzerhalb der Reichs«
tagsfraktion regte sich sofort der W i d e r s t a n d gegen die
K r i e g s p o 1 i t i k der I.n $ t a n z e n. Besonders die wiirttem-
bergischen Parteigenossen, an deren Spitze Crispien, West-
m e y e r und C La r a Z e t k i n standen, wandten sich von Anfang
an scharf gegen die Bewilligung der Kriegskredite und verlangten,
dalz die Reichstagsfraktion die Beschlusse der internationalen Kon«
gresse und der deutschen Parteitage respektiere. Wahrend man aber
den Verfechtern der Kreditbeswilligung die weiteste Meinungsaufze-
rung zugestand, hinderte der Kriegszustand die Gegner der sozial-
demakratischen Kriegspolitik an der offentlichen Begrimdung ihrer
Auiffassungen.
Nachdem die Reichstagsfraktion am 3. August ihren Beschhife ge«
fafet hatte, gaben die Redafeteure des „V o r w a r t s"% $es
Zentralorgans der Partei dem Parteivorstand folgende Brklarua-
g en ab, die wahrend des Krieges freilich niemals veroffentliclit
worden sind:
r ,Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat heute, nachdem gestern
Hi einer Fraktionssitzung gegen 14 Stimmen der Beschlufz gefaizt worden
war, der Regierung die geforderten Kriegskredite zu bewilligen, nicht nur
fiir die Gesetzentwurfe betreffend die Aenderung des Bank* und Miinz«
gesetzes, das Darlehnskassengesetz, die Zahlungsfristverlangerung fiir
Wechsel und Schecks gestimmt, sondern auch fiir die von der
Regierung zum ZweckederKriegsfuhrung v e r 1 a n g t e n
5 Milliard en Kredite. Begnindet wird diese Haltung damit, dafz jetzt,
30
naehdem nun einmal der Krieg erklart sei, es sich nicht mehr urn die
Entsoheidung fur oder gegen den Krieg handele, sondem um die
Frage der fur die Verteidigung des Landes erforderlichen Mitt el."
Ausschliefzlich die Rucksicht auf die jetzige gefahrliche Lage imserer
Partei und die Erhaltung unserer Presse hindert uns, diese Bewilligung
der Kriegskreditforderungen im „Vorwarts" einer offentlichen Kritik zu
unterziehen; doch konnen wir nicht darauf verzichten, dem Parteivorstand
und der Presskommission wissen zu lassen, dafz wir die Haltung der
Fraktion fur inkonsequent und in ihren Folgen fur parteischadigend
halten. '
Mit derselben Argumentation, mit der die Fraktionserklarung die Zu-
stimmung zu den 5 Miiliardenkrediten motiviert, kSnnen fast alle Military
forderungen begrundet werden. Fast immer kann gesagt werden, dafz,
naehdem nun einmal von den anderen Parteien neue Heeres*« und Flotten-
verstarkungen bewilligt sind, also nichts mehr an der Vermehrung zu
andern sei, unbedingt die Sicherheit des Vaterlandes und das Eigen*
interesse der Mannschaften erfordere, dafz sie moglichst gut ausgeriistet
und nicht mit unzulanglichen Monturen, Gewehren, Kanonen usw. gegen
den Feind geschickt wurden. Dazu kommt, dafz die Zustimmung einen
schweren Schlag f u r die Internationale bedeutet, dafz er
eine Lockerung des Zusammenhanges zwischen den verschiedenen
Zweigen der internationalen Arbeiterbewegung bewirken mufo, und dalz er
die Stellung der deutschen Sozialdemokratie innerhalb dieser Bewegung
schadigt; vor allem aber, dalz mit der Bewilligung der Kriegskredite die
deutsche Sozialdemokratie trotz der Ablehnung solcher Folgerung in der
Fraktionserklarung eine gewisse Mitverantwortlichkeit fur den Krieg und
die sich aus ihm ergebenden Folgen ubernimmt; eine Verantwortliohkeit,
die sich in Zukunft schwer rachen kann. '
Berlin, den 4. August 1914.
Die Redaktion des „Vorwarts".
Ctinow, Hi Herding, Leid, John, Daumig, Strobel,
Weber, Wermuth, Scholz. '
Die unterzeichneten Redakteure des „Vorwarts" kSnnen sich der Ei>
klarung ihrer Kollegen nicht anschlielzen, da sie eine Ablehnung der
Kriegskredite nicht h&ttengutheilzen konnen. Dagegen finden sie, dalz
durch die bedingungslose Zustimmung die Interessen des Proletariats
nicht genugend gewahrt wurden. Mindestens hatte in der begleitenden
Erklfirung der sozialistische Standpunkt viel starker hervortreten mussen.
N e s t r i e p k e , D o e s c h e r.'
Stadthagen bemerkte hierzu: Richtiger als eine Ablehnung hielt
und halte ich noch heute eine Bewilligung, falls die Begrundung derselben
Mar betont, dalz die Arbeiter aller Lander sich nicht bekriegen, dafz die
Entscheidungen uber Krieg und Frieden in Ruizland wie in Deutschland
nicht dem Volk, sondern einigen Personen zusteht, die auf die Dauer dem
Einflufz kapitalistischer Interessenklaquen und der Militarkamarilla nicht
widerstehen konnen, dafz ferner die russischen Kriegshetzer dem russi-'
schen Volk gegenuber dieselben Ziele der Vorenthaltung der politischen
Gleichberechtigung und der dauernden wirtschaftlichen Unterdruckung
verfolgen wie die Kriegshetzer in Deutschland. Ferner rnulzte in der Er«
klarung scharf hervorgehoben werden, dalz wir die Verantwortung fiir
den Krieg ablehnen, aber uns in einer Zwangslage befinden, weil der
Zarism'us mit einer Invasion droht. Wir stimmen deshalb fiir die Kredite,
urn gegen den Zarismus, nicht aber gegen die Arbeiter und urn fiir die
Preiheit in Deutschiand und Rufzland, sowie fur erne Annaherung und Ver«
briiderung der Volker, insbesondere des franzosischen zu wirken, dessen
Vertreter Jaures wegen seines Eintretens fur den Frieden ermordet 1st.
In der Fraktionssitzung erklarte ich r da ich and andere durch Dis«
kussionsschlulz an der Darlegung meines Standpunktes gehindert war r
zur GeschaTtsordnung im eigenen Namen und fur eine AnzaKl Frakrions"
kollegen: wir k6nnten nur dann fur eine Annahme stimmen, wenn diesen
Gesichtspunkten Rechnung getragen wurde. Dementsprechend e n t «
Kielt ich mich der Stimme. Als am f olgenden Tage ein Br«
klarungsentwurf von einer Kommission vorgelegt wurde, setzte ich mit
grofzer Miihe durch, dafz liber Abanderungsvorschlage gestimmt wiirde.
Fiir mich und eine Reihe anderer Kollegen erklarte ich die Erklarung fur
unannehmbar r v/enn nicht mindestens 1. ausgesprochen \vird 7 wir lehnen
die Verantwortung ab 7 2. Absatz 4 und 5 gestrichen wiirden, 3. im Absatz
6 nach „befleckt hat" eingeschaltet wird: r7 und dieselben politischen
Ziele dem eigenen Volke gegeniiber verfolgt r wie die Kriegshetzer bei uns
unserem Volke gegeniiber." Es wurde aber nur der erste Antrag an*
genommen, die beiden anderen abgelehnt. In der Fraktion stimmte ich
g e g e n die so gestaltete im Plenum abgegebene Erklarung. Im Plenum
stimmte ich trotzdem fiir die Bewilligung r weil Fraktionszwang ausge-
sprochen war und unter den obwaltenden llmstanden eine Durchbrechung*
dieses Zwanges die Partei schwer geschadigt hatte."
Der Redaktion des „ H a m b u r g e r Echo", das fxiiher an der
Spitze des radikalen Fliigels der Partei gestanden hatte, aber schon .
vor Kriegsausbruch in eine wahre nationaiistische Raserei verfallen
war, wurde am 13. August folgende Erklarung unterbreitet:
JDer jetzige Weltkrieg ist nicht ein Krieg der Volker wider die Volker
und nicht im Interesse der Volker r sondern ein Krieg im Interesse des
internationalen Finanzkapitals. Er ist seiner Grundlage nach ein Krieg
zwischen dem jungen r nach Ausdehnuni* drangenden deutschen und dem
gefestigten, sich bedroht fuhlenden englischen Imperialismus. Die Vor«
g&nge, die unmittelbar den Kriegsausbruch veranlalzt haben, sind nur
aufzere Erscheinungsformen, die iiber das Wesen dieser Gegensatze nicht
hinwegtauschen diirfen. Ebensowenig darf die Tatsache, dafz die von
den fiihrenden Schichten der Grofzstaaten betriebene Politik zur Be«
drohung unserer nationalen Existenz g-efwhrt hat, zur Verkennung der
imperialistischen Ursachen und der imperialistischen Ziele dieses Krieges
fuhren.
Von diesen Gesichtspunkten au$gehend 7 legen wir Verwahrung ein
gegen die Haltung des ^Hamburger Echo'", dessen Bewertung der Ereig-
nisse sich von der burgerlichen Auffassung kaum unterscheidet.
Hamburg, am Todestage August Bebels.
Dr. Laufenberg,, Dr. Herz« Altona, Wolffhei m"
Die Wortfuhrer der Instanzenmehrheit haben spater gegen die
oppositionellen Kreise den Vorwurf erhoben, dafz sie durch ihre
Di&ziplinlosigkeit die Grundlage der Arbeiterbewegung zerstort
hatten. Allen Ernstes ist zuerst von alien Partei^enossen verlangt
worden, dafz sie selbst in diesen grundsatzlicben Fragen den Mund
halten und bedenkenlos alles hinnehmen sollten, was die auf uner«
reichbaren und unerforschlichen Hohen thronenden Parteigotter be~
schlossen hatten. Gegeniiber dieser Theorie des parteigenossischen
Kadaverg-ehorsams hat G u s t a v Eckstein am 8. Jamiar 1915 in
der „Neuen Zeit" folgendes ausgefilhrt:
rr Sicheiiich mulz jeder von mis danach streben, sicli in einer Frage, die
unsere Lebensinteressen so entscheidend beruhrt, ein eigenes Urteil zu
bilden, und vielen 1st das gewilz nach schwereren und leichteren inneren
Kampf en gelungen. Sie haben nun ndcht nur das R e c h t , sondern
auch die Pflicht, fur ihre Ueberzeugung einzustehen
und sie nach Kraften in der Partei zur Geltung zu bringen. Wird doch
diese Ueberzeugung nicht durch Rucksicht auf die eigene Person diktiert,
sondern, sofern es eben Sozialdemokraten sind, durch das Interesse der
Partei, d. h. das Interesse der proletarischen Gesamtbewegung. V/oHen
sie diesem dienen, dann mussen sie bestrebt sein, die Masse der Partei-
genossen von der Richtigkeit ihrer Ansichten zu uberzeugen. Das kann
und darf aber nicht dadurch geschehen, dalz man den Verfechter anderer
Auf fastsiung'en innerhalb der Partei mwndtot macht. Gewilz liegt es
gerade in so schwierigen Zeiten nicht im Interesse der Partei, dafz alle
Meinungsverschiedenheiten vor der breitesten Oeffentlichkeit ausgetragen
werden, und ebenso erfordert es gerade der Ernst der Zeit, dafz an der
Einheitlichkeit der Aktion festgehaiten werde, soweit es irgend geht. Aber
das ist ja eben einer der Hauptvorteile der straffen Organisation, auf die
die deutsche Sozialdemokratie nnit Recht so stolz ist, dalz unseren Partei*
genossen Gelegenheit geboten ist, auch in kleinem und geschlossenejji
Kreis zu beraten und zu besprechen, was fiir die Partei von Wichtigkeit
ist; und diese Besprechung zu verhindern oder auch nur zu beschranken,
das ware der schwerste, der verhangnisvollste Fehler, den eine Partei-
leitung begehen konnte. '
Sind solche Methoden schon in ruhigen Zeiten verwerflich, so wiirde der-
jenige, der sie heute zur Anwendung bringen wollte, eine ganz un-
geheuerliche Verantwortung auf sich laden. Er wurde
gerade in der Zeit der schwersten und verantwortungsvollsten Entschliisse
die Partei das Proletariat entmundigen und ihnen seinen eigenen Willen,
seine eigene Erkenntnis gewaltsam aufnotigen."
Der Parteivorstand in seiner Mehrheit hat diese Schuld auf sich
genommen. Er versuchte, dem Proletariat den eigenen Willen zu
rauben und die ganze Partei in den Schraubstock einer von oben
diktierten Meinung zu pressen. Das ist freilich nicht gelungen. Aber
die Mehrheit des Parteivorstand es hat damit die Verantwortung vor
der Geschichte zu tragen, dalz sie d i e d e u t s c h e S o z i a 1 d e m o -
k r a t i e a u s e i n a n d e r g e r i s s e n , die Arbeiterbeweg"ung zer~
riittet und auf Jahre hinaus laktionsunfahig gemacht hat.
In der Provinz behielten nur wenige Blatter, wie die „L e i p z i g e r
V o I k s z e i t u n g '\ die „ B r e m e r B (i r g e r z e i t u n g " r das
„V o 1 k s b 1 a 1 t" in Halle, die „S c h w a b i s c h e Tagwachf
in Stuttgart ihren kritischen Kopf auch den Kriegsereignissen
gegemuber. Im allgemeinen aber tat die von der Regierung aus-
gegebene und von den Parteiinstanzen willig iibernommene Parole
,,Gegen den Zarismus" ihre Wirkung. In seinem zmei Jahre danach
erschienenen Buche „Die deutsahe Sozialdemokratie in und nach
dem Wdtkriege" konnte Konr ad Haeni'sch dariiber schreiben:
„Und all der Hass, und all der Abscheu, den wir seit Jahrzehnten gegen
dies Rufzland des fluchwurdigsten Despotismus in uns aufgespeichert hatten
und der inimer von neuein genahrt worden war durch die grauenvollen
Schildei^ungen 7 die aus den Graf ten der Peter^Paul-Festung, der Schlussel-
burg, der Warschauer Zitadelle, aus den Eiswiisten Sibiriens, ^ aus der
Katorga, zu uns gedrungen waren, all die wilde Emporung, die immer
wieder aufgepeitscht worden war durch die zahllosen Nachrichten iiber
3 38
die Herrschaft des wei&en Schreckens im Zarenreiche, der nur noch mit
Standrecht und Galgen, mit Meuchelmord und mit den Schurkereien seiner
agents provocateurs sich seiner lieben Untertanen zu erwehren gewufzt
hatte: alles das maohte sich nun gewaltsam Luft, als in den ersten August-
tagen 1914 vielmillionenstimmig der Ruf durch die deutschen Lande
brauste: Es geht gegen Rutland! Nieder mit dem Zarismusl"
Bine besondere Rolle spielten in jenen Tagen einige Leute, die
sich hisher als wiaschechte „Marxisten" ausgegeben hatten, jetzt aber
ihre Vergangeniheit verga&en und nach einigem Zogern den Anschlufz
an die kriegsbegeisterte Mehrheit fanden. Da war H e i n r i c h
Cunow, der selbst noch die Erklarung der ,,Vowarts"~Redaktion
verfafzt hatte, bald danatih aber zu den Sozialpatrioten iiberging und
einer ihrer eiifrigsten Wortfuhrer wurde. Dann der ^Marxist" Paul
Lensch r der am 3. August gegen die Kriegskreditbewilligung
gestimmt und wehklagend ausgerufen hatte, dafz die Fraktion die
Eingeweide der Internationale bloizgelegt habe. An dem Busen Rosa
Luxemburgs hat -er am Abend jenes Tages semen bitteren Schmerz
liber die klagliche Haltung der Fraktionsmehrheit ausgeweint Nicht
lang-e aber dauerte es, so schrieb er zahllose kriegsbegeisterte Artikel
fur die Parteipresse und walzte dicke Biicher, worm er „marxi$tisch"
nachwies, dafz die Fraktion gar nidht anders habe handeln konnen.
Und schlieizlich der Radikalsten einer, Konrad Haenisch,
fruher Flugblattfabrikant des Parteivorstandes und spaterer preufzi-
scher Kultusminister. Einige Zeit schwankte er noch, urn sich dann
mit der ganzen Inbrunst eines ,,llmlerners" der durch die augenblick-
lichen Mehrheitsverhaltnisse bestimmten Erkenntnis in die Arme zu
w erf en. Haenisch hat in seinem obenerwahnten Buch seine
Seelenkampfe in der damaligen Zeit in folgender Weise gesahildert;
„Leicht ist dies Ringen zweier S e e 1 e n in der einen Brust wohl
keinem von uns geworden. Darf der Autor hier einmal eine gewisse
innere Scheu zu iiberwinden suchen und einen Augenbliok von sich. selbst
reden, und darf er dabei von dem unpersonlichen , r Wir" iibergehen in
das unmittelbare, von Herzen kommende Ich? Nun, dann mochte ich nur
sagen: um alles in der Welt mochte ich jene Tage inneren Kampfes nicht
noch einmal durchlebenl Dieses drangend heifze Sehnen r sich hineinzu-
stiirzen in den gewaltigen Strom der allgemeinen n a t i o «
nalen Hochflut und von der anderen Seite her die furchtbare
seelische Angst, diesem Sehnen riickhaltlos zu folgen, der Stimmung ganz
isach lunzugeben, die rings um Einen herum brauste und brandete, und die,
sah man sich ganz tief ins Herz hinein, auch vom eigenen Innern ja langst
schon Besitz ergriffen battel Diese Angst: wirst du auch nicht zum Ha«
lunken an dir selbst und deiner Sache — darfst du auch s o ftihlen, wie
es dir urns Herz ist? Bis dann — - ich vergesse den Tag und die Stunde
nicht — plotzlich die furchtbare Spannung sich loste, bis man wagte,
das zu sein r was man doch war, bis man — alien erstarrten Prinzipien imd
holzernen Theorien zumTrotz — zum ersten Male (zum ersten Male sext
fast einem Viertel Jahrhundert wiederl) aus vollem Herzen, mit
gutem Gewissen und ohne jede Angst, dadurch zum Verrater zu werden,
einstimmen durfte 'in den brausenden Sturmgesang:
Deutschland,Deutschlanduber alles P ]
Die gleiche patriotische Stimmung kam in der Mehrzahl der sozial-
demokratischen Blatter zum Ausdruck. Hemmungslos warfen sie sich
der Krxegspolitik in die Arme, die Kriegsbegeisterung tobte sich in
ihren Spalten fast noch schlimmer aus als in der biirgerlichen Presse*
Der , y Wahre Jakob", das Pamilienblatt der Parted brachte am
28. August eirve Illustration zu dem Ausspruch Wilhelms II.: „Nun
wollen wir sie aber dreschenr, auf der man mehrere Arbeiter sah,
die <mit Dreschflegeln auf die „Feinde" losschlugen. Hauferuweise
kamen Arbeiterdichter an die Oberflache, urn das Lob des Krieges
zu sing-en. Die deutsche Sozialdemokratie und ihre Presse war auf
das denkbar tiefste Niveau gesunken. Es nutzte nichts, dafz auf einer
Redakteurkonferenz im September die Presse ersucht wurde, eine
wiirdigere Haltung zu bewahren; noch bis ins Jahr 1918 hinein hat
die Mehrheit der sozialdemokratischen Blatter den Parolen der
Obersten Heeresleitung und der deutschen Regierung willig Folge
geleistet.
Und was wurde nicht alles an Leichenschandung veriibt,
urn diese unerihorte Verleumdung aller sozialdemokratischen Grund-
satze zu beschonigen und zu verteidigenl Marx, Engels, Lassalle,
Wilhelm Liebknecht, August Bebel wurden als Schwurzeugen fur die
Kreditbewilliger aus den Grabern gerufen. Ihre Schriften wurden bis
in das letzte Bckchen durchstobert, um aus ihnen Beweise dafur zu
holen, daiz dieser Krieg ein gerechter Krieg sea, und dafz eigentlich
nicht die Bourgeoisie, sondern die Arbeiterklasse ihre heiligsten
Giiter za verteidigen habe. Es ware Zeitverschwendung, wollte man
nachprufen, fiir welche politischen Situafcionen die von den Sozial-
patrioten haufenweise herangeschleppten Zitate verfafzt worden sind,
und ob sie auch auf das von den Imperialisten entfesselte Welt-
morden pafeten; statt dessen mag daran erinnert werden, was
August Bebel auf dem Parteitag in Magdeburg in der Vor~
aussicht des kommenden Weltkrieges ausgefuhrt hat: r
„Wir fsind jetzt in einer Zeit, wo wir uns auf faule Kompromisse nicht
mehr einlassen. Die Klassengegensatze werden immer scharfer, wir mar~
schieren ernsten Zeiten entgegen. Wenn es gar dazu kommt, dafz 1912
ein europaisches Kriegsgewitter losbricht, dann sollt ihr sehen, was wir
erleben und wo wir zu stehen haben: sicherlich ganz wo anders,
als man jetzt in Baden steh t."
August Bebel hat sich getauscht. Die Mehrheit der Parteiinstanzen
ging im Jahre 1914 „nach Baden", sie verliefz die Fahne des Klassen-
kampfes und folgte dem Kriegsbanner Wilhelms II.; sie vergafz alle
Lehren des revolutionaren Sozialismus und marschierte unter der
Fiihrung der preufziscben Generale in den Burgfrieden hinein.
3* 35
<^fii^>©KS5>Q98fSi^S 88?56<SfcSS?><S885e<SS B&Onw&©liSS&
Das wahre Gesicht des Krieges.
Nicht mehr gegen die Kosakenknute ? sondern gegen die engiische
Wekherrschaft. — 1st es nock derselbe Krieg? — Die Annexionisten
enthiillen ihre Plane. — Kriegsgewinne und Preissteigerungen. —
Sudekum und Richard Fischer auf Reisen. — Karl Liebknecht in
Belgien. — Die ersten Zusammenkunfte der Opposition. — Angriffe
auf den rr Vorwarts". — Die Bewilligung der zweiten Kriegskredite,
Das Bild der ersten Kriegstage hatte sich bald ,g>eandert. Aus dem
„£erechten Verteidigungskrieg" gegen die Kosakenknute wurde ein
heiliger Krieg gegen die engiische W e 1 1 h e r r s c h a f t.
Die Stimmung war so weit patriotic ch entflammt, daiz man nunrnehr
die wahren Beweggriinde fur die Entfesselung des Krieges nicht mehr
zu verschweigen braucihte. Selbst sozialdemokratische Fiihrer
sprachen von einem Praventivkrieg, den Deutschland zu fiihren
gezwungen sei. Die alldeutschen Krieigsparolen wurden zum Gemein-
gut fast der .gesamten Oeffentlichkeit, und der bekannte liberale
Pastor lund imperialistische Herold Paul Rohrbach konnte ganz
of fen sense iben:
„F\ir uns, d. h. fur Deutschland und Oesterreich^llngam, bestand die
Hauptsorge diesmal darin, daiz wir durch eine vorubergehende und
scheinbare Nachgiebigkeit Ruizlands moralisch gez wungen warden
konnten, zu warten, bis Rufzland fund Frankreich wirklich hereit
waren. Fur unsere Gegner ware der Anfang des ubernachsten Jahres
giinstig gewesen, zumal wir gegen Ende des Winters unsere Vorrate
zum grolzten Teil verzehrt hatten und die Schlagfertigkeit der Flotte
durch die unfertige Ausbildung des im Oktober eingestellten dritten Jahi>
gangs beeintrachtigt gewesen ware." '
Weil also Deutschland seine militarischen Riistungen fertig hatte,
mufzte es sofort losschlagen aind durfte sich auf keine Verstandigung
mit den anderen Nationen einlassen. Dabei hat Rohrbach selbst fest-
stellen mussen r dalz England bis kurz vor dem Kriegsausbruch
Deutschland aufeerordentlich weit entgegengekommen war. Br
schreibt daruber:
„Jetzt, wo sich alles gewandelt hat, kann man ]a ruhig sagen, dalz die
Vertrage mit England uber die Abgrenzung unserer Interessen-
gebiete im Orient und in Afrika fertig und unterschrieben
waren, und dalz nur noch um ihre Verdff entlichung verhandelt wurde.
In Afrika war uns die engiische Politik uberraschend weit entgegen«
gekommen. In der Turkei war nicht nur in der Bagdadbahnfrage dem
deutschen Standpunkt weitgehend Rechnung getragen, sondern auch die
damit zusammenhangenden Angelegenheiten, die Ausbeutung der meso~
potamischen Petroleum! elder und die Tigrisschiffahrt, die England schon
36
ganz allein in Besitz gehabt hatte, war unter deutscher Beteiligung- ge«
regelt. Danaoh hatte es den Anschein, als ob England sich mit
dem Gedanken abgefunden hatte , sowohl in den afrikanischen
Tropen, als auch im tiirkischen Orient den allgemeinen Wett«
bewerb Deutschlands auf breiterer Grundlage als
bis her neb en sich anzuerkenne n."
Die deutschen Militaristen und Imperialist en aber wollten keine
Verstandigung, sie wollten den Krieg.
Inzwischen aber mehrte sich die ZaM der Zweifler in den Reihen
der Sozialdemokratie. Bduard Bernstein fragte in der „Leip-
ziger Volkszeitung" vorsichtig an, ob es noch d e r $ e 1 b e Krieg
wie am 4. August sei. Damals hatte es doch den Anschein, als ob
es vor allem ein Krieg gegen den Deutschland bedrohenden Osten
sein werde. Es sei aber bald ein Krieg mit dem Osten und Westen
geworden. Und allmahlich batten sich die Dinge so verschoben, dafz
es zurzeit ein Krieg mehr noch gegen den Westen als ein solcher
gegen den Osten sei. Worauf E d u a r d David, einer der beruch-
tigsten sozialimperialistischen Kriegsschurer, antwortete, dalz es noch
derselbe Krieg sei; einen faulen Separatfrieden mit RuMand mlisse
man fur ein schweres politisches Verhangnis ansehen, d e r eng-
1 i s c h e n K r i e g s m a c h t mit ihren weiizen und f arbigen Ver~
blindeten im Westen miilzten jetzt g r <ii n d 1 i c h die Zahne
g e z e i g t w e r d ie n. Die Mehrhelt der Parteiinstanzen stimmte
David und nicht Bernstein izu. Sie bewilligte auch weiterhin alle
Kriegs'kredite.
An den Fronten wurde das Blut von Millionen von Proletariern
vergossen: sie starben den „Heldentod fiirs Vaterland", das sie bisher
als Aussatzige behandelt hatte und auch jetzt nicht gewillt war, ihre
Anspruche auf politische Gleichberechtigung, ihre Forderung nach
Schaffung einer hoheren Wirtschaftsordnung als die kapitalistische
zu befriedigen. Sie sanken dahin im Kampfe gegen den „Erbfeind",
der bald Frankreich, bald Rulzland, bald England hieiz. Und
wahrenddem prustete und blahte sich der wirkliche Erbfeind der
Arbeiterklasse, der deutsche und der internationale Kapitalismus,
immer mehr auf. Je langer die Verlustlisten wurden, desto hoher
stiegen die Gewinne des Kapitals.
Nicht alle sozialdemokratischen Fiihrer, die in den Parlamenten
und an den Schreibtischen kriegerische Hymnen sangen, liefzen sich
von der Militarverwaltung fur ihre wichtigen Aufgaben in der Heimat
reklamiereru Es gab unter ihnen auch Leute, die mit ehrlicher,
wenn auch . f alscher Begeisterung ihre Haut zu Markte trugen. So
Ludwig Frank, einer der hoffnungsvollsten Manner aus der
jungeren Generation, der freilich nach den ersten radikalen Partei-
jahren neben Kolb zum Hauptvertreter des badischen Reformismus
geworden war. Frank war dem Kriegsrausch verfallen und hatte
sich freiwillig zum Frontdienst gemeldet. Er kam nicht mehr zuriick.
Die franzosische Kugel, die ihn niederstreckte, war starker als seine
Siegeszuversicht.
Die Breignisse sorgten bald dafiir, dalz dem Proletariat die Augen
geoffnet wurden. Der B u r g f r i e d e war verkundet. 7T Die Not der
-Zeit hat uns zusammengefuhrt. Die Parteikampfe ruheA jetzt Nach
dem Kriege wird es sie wieder g<eben", so verkundete es Lands-
berg in Magdeburg, so lehrten es hundert andere seiner
Gesinnungsgenossen. Aber wahrend sie sich voller Begeisterung
fiir die Hannonie zwischen den Klassen einsetzten, beurteilten die
wirklich „nationalen" Kreise di-e Lage do oh etwas anders. So schrieb
der Jungdeutschlandbund in seiner Numrner vom 1. September iiber
den auch von manchen Fiihrern der freien Jugendbewegung
gewiinschten Zusammenscbluiz aller Jugendorganisationen:
„Gewilz verdient die Kaltung des Bevoikeningsteiles, der sich vor dem
Kriegsausbruch sozialdernokratkch n&nnte, voile Anerkennung. Sie ist
ihr durch verschiedene Erlasse der Zivil* und Militarbehorden verdienter-
mafzen zuteil geworden. Aber werden die Fixhrer der sozialdemokra-
tischen Jugendbewegimg geneigt sein 7 ihre Mitglieder in die neue Organi-
sation hineinzugeben? Daiz sie die ihrige dadurch sprengen —
die Befurctatung mufz ihnen komraen. Wollen wir nicht Vogelstraulz«
politik treiben, so haben wir trotz der herrlichen geschlossenen Einigkeit
des ganzen Volkes mit Widerstanden zu rechnen. Aiuf jeden Fall ist es
wunschenswert, daiz sofort Klarheit geschaffen wird."
Die Klarheit wurde schneller geschaffen, als es den Nationalists
in alien Parteilagern erwiinscht war. Schon die Prontveranderung
in der Kriegsfuhrung mulzte den Teil der Arbeiter stutzig machen,
der das selbstandige Denken noch nicht aufgegeben hatte. Dazu
karn, dafz nach den rnilitarischen Erfolgen der ersten Wochen die
Armexionisten nunmehr offen ihre Plane enthiillten. Die burgerliche
Presse verlangte stiirmisch die Annexion Belgiens, der 7r Wiege des
Deutschtums". Die franzosisch-lotbringischen Minenfelder insbeson-
dere sollten im Inter esse der deutschen Schwerindustrie, deren
Hauptvertreter Rochling, Stumm, Krupp, Kirdorf und Stinnes ihre
Ausbeutung bereits ubernommen hatten, nach Deutschland einver-
leibt werden. Man richtete sich in Belgien und in Nordfrankreich
hHuslich ein. Die Wiinsche der Annexionisten schienen urn so eher
reifen zu sollen, als die T u r k e i zu jener Zeit in den Weltkrieg ver-
strickt wurde und Deutschland auf der Hohe seiner rnilitarischen
Erfolge stand. Karl Liebknecht verlangte in einem Brief an
den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei vom 31. Oktober, dafz
die Sozialdemokratie sofort Stellung gegeh die Annex ions-
politik nehmen solle. „Es ist hochste ZeitI Hinter dem Wagen
der Politik polternd herlaufen, wenn er bereits abgefahren ist, ist
gewifz ein Vergnugen eigener Art; ich meine aber, wir miissen
mindestens versuchen, uns auf den Kutschbock zu setzen", so schrieb
ear. Der Parteivorstand und die Mehrheit der Reichstagsfraktion lielzen
sich von ihrer bisherigen Haltung nicht abbringen.
Auch in der inneren Politik enthiillte sich immer deutlicher das
wahre Gesicht des Krieges. Die Zeichnung der Kriegs-
anleihen wurde zu einem glanzenden Gesch&ft fiir die Kapitalisten
ausgestattet, und da damals die rnilitarischen Baume noch in den
Himmel zu wachsen schienen, so stromten die Geldbesitzer herbei,
um bei niedrigem Kurs und hoher Verzinsung ihren Patriotismus zu
betatigen. Weniger eifrig folgten sie dem Ruf der Reichsbank r ihr
Gold auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern; denn sicherer als die
Reichsbanknoten und die Kri&o-sanleihen schien ihnen immer noch
der eigene Besitz des roten Metalls. Noch unverschamter trieben
38
■es die Brzeuger und die Handler mit Lebensmitteln. Sofort mit
Kriegsbeginn hatte eine mafzlose Preisst eiger ung fur alle
Waren ein^esetzt. Und waihrend die armere Bevolkerung an Unter-
ernahrung litt, wulzten die Agrarier, die Schlotbarone und die Handler
nicht, wie sie den reichen Kriegssegen berg-en sollten. Zwar mulzte
die Regierung, wenn sie nicht die vollstandige Verelendung des
Volkes in kiirzester Zeit herbeifuhren wollte, Kir einige der wich-
tfcsten Lebensmittel Hochstpreise festsetzen, was von dem
„Marxisten" Lensch als Kriegssozialismus etikettiert wurde und den
baeder-en Reichel, zweiten Vorsitzenden des Metallarbeiterverbandes,
zu dem begeisterten Ausruf hinriiz: „Sozialis<mus, wohin wir blicken!"
Diese Hochstpreispolitik war aber in Wirklichkeit nur dazu bestimmt,
der kapitalistischen Welt eine gesicherte Grundlage fiir ihre Profit-
interessen zu sdhaffen. Ohne diesen ^Kriegssozialismus" wSre die
deutsche Kriegspolitik wahrscheinlich schon nach wenigen Monaten,
und nicht erst im Herbst 1918, zusammengebrochen.
Die Militars sorgten auf ihre Art dafur, dalz der Burgfriede erhalten
Mieb. Je windier es urn die Kriegsberichte bestellt war, desto
eifriger drangte die Zensur darauf, dalz die Wahrheit iiber den Krieg
nicht an den Tag komme. Der ^Vorwarts" erlebte Ende September
in schnelier Folge zwei V e r b o t e. Auch in der Provinz legte man
den oppositionellen sozialdemokratischen Blattern einen exigen Maul-
korb urn. AuslMndische Parteizeitungen, wie unsere schweizerische
Parteipresse und das hollandische Parteibiatt „Het Volk", wurden in
Deutschland verboten. Der Briefverkehr verdachtiger Personen mit
dem Ausland wurde scharf kontrolliert Eifrig stellten sich fuhrende
Mitglieder der Sozialdernokratie in den Dienst der deutschen Kriegs-
propaganda Der Sekretar Legiens, des Vorsitzenden der General-
kommission der Gewerkschaften Deutschlands, Albert Bau-
meister, grundete mit Hilfe eines dunklen Fonds die „Inter-
nationale Korrespondenz", aus der sich -wie eine Schlammflut die
Hetze gegen die sozialistischen Parteien des Auslandes iiber die
Provinzpresse ergolz. Gekront wurde diese Tatigkeit durch die von
einzelnen Parteiinstanzen schon damals geubte Gewaltpolitik
gegen unbotmaizige Redakteure.
Die geschichtliche Wahrheit gebietet festzustellen r dalz die brutalen
Methoden zur Unterdriickung der oppositionellen Stromungen in der
Partei nicht vom Parteivorstand erfund-en worden sind, sondern dalz
sie zuerst in Stuttgart vom Wurttembergischen Landesvorstand
geiibt wurden.
Die „S c h w a b i s c h e Tagwach t 4 \ die damals unter der Lei-
tung von Artur Crispien stand, hatte sich von Anf ang an dem
Kriegswahn entgegengestemmt Ohne die Redaktion zu befragen,
verfiigte der Wurttembergische Landesvorstand am 4. November, dalz
sein vorstandsmitglied W i 1 h e 1 m K e i 1 , einer der ungestiimsten
Patrioten, die Leitung des Blattes ubernehmen solle. Vergebens war
der Protest der Redakteure Crispien, Hornle und Walcher, vergebens
auch der Protest der Prelzkommission. Dem Wurttembergischen
Landesvorstand standen die materielle Macht und die burgerlichen
Gesetzesparagraphen zur Seite, und das hatte alles ein groizeres
Gowicht, als die Berufung unserer Parteigenossen auf die sozial-
demokratischen Grundsatze. Der soziaidemokratische Verein Stutt-
gart und eine grofze Anzahl von Ortsvereinen im Lande nahmen
sofort Stellung gegen den Landesvorstand. Da dieser darauf nichts
gab, so blieb nichts anderes iibrig als die Herausga'be eines eigenen
Mitteilungsblattes. In Wurttemberg hatte sich also die S p a 1 1 u n g
der S ozialdiemokratie zum ers t en Mai e in D eu tsch-
land v o 1 1 z o g e n , durch die alleinige Schuld des Wurttemb^rgi-
schen Landesvorstandes.
Als Zwischenspiel sei bemerkt, dafz die Abgeordneten S Ci d e k u m
und Richard Fischer, teils im offiziellen Auftrage des Partei-
vorstandes, teils aus eigenem patriotischen Antriebe, im August und
September Italien, Schweden und die Schiweiz bereisten, urn unter
unseren dortigen Parteigenossen Stimmung fur die deutsche Sache
zu machen. Das hat den deutschen Sozialpatrioten allerdings nicht
viel geniitzt Denn die schwedischen Sozialpatrioten unter Brantings
Fuhrung vertrauten sich mit vollen Segeln den Ententeiwinden an,
und die sozialdemokratischen Parteien der anderen neutralen Lander
lielzen sich in ihrer kritischen Haltung gegeniiber der deutschen
Kriegspolitik durchaus nicht beeinflussen.
Nach der Reise Sudekums nach Italien veroff eantlichte die i t a 1 i e «
n i $ c h ,e Parteileitung ein Manifest, in dem es hieiz:
JDer deutsche Sozialismus, der bis jetzt die Fuhrerschaft unserer
Partei in Europa in Anspruch nahm, im Hinblick auf seine Mitgliederzahl,
seine wunderbaren Fortschritte, seinen festen Zusammenthang fur uns
ein beneidenswertes Vorbild, er ist der erste g e w e s e n , der
zusammenbrach und sich heute in seinen Ueberzeugungen und
seinen Handlungen von der deutschen Bourgeoisie nicht
m e h r u n t e r s c h e i d e t. Und nicht besser ist es der osterreichischen
Partei ergangem Und die Sozialisten Frankreichs, die einen Jaures sterben
sahen auf dem Felde der Intemarionalen, auch sie, vom Kriegstaumel
gepackt, machen nun gemeinsame Sache mit dem Biirgertum. Nur die
russischen Genossen haben inmitten von Gefahr und Schrecken den Mut
gehabt, gegen die Kriegskredite zu stimmen und in Serbien hat der einzige
sozialistische Deputierte es gewagt, der furchtbaren Agitation, dem Hafz
und Zorn der burgerMchen Partei seines kleinen Landes zum Trotz, die
Kriegskredite zu bekampfen und laut und mutig die Losung unseres
sozialistischen Gewissens zu bekennen: Nieder mit dem Kriegel
Genossen, Arbeiterl Es ist nicht zu wundern, dafz inmitten dieser un«
erh5rten menschlichen Tragddie unser Herz zittert vor der Zukunft und
der Kriegsfurie, die auch in unserem Lande erwachen konnte. Aber
gerade deshalb mussen wir, Hebe Genossen, offen zu euch reden. Wir
wollen uns selbst die furchtbaren Gefahren der gegenwartigen unsicheren
Lage nicht verhehlen, dieser Lage, welche der Bourgeoisie nicht behagt,
weil sie aus ihr keinen Nutzen ziehen kann, der Bourgeoisie, die gegen
das Proletariat in Krieg und Frieden nie abriistet, sondern, auch werui sie
euch Proletariern schmeichelt, nur beabsichtigt, iiber euer Leben zu ver«
fugen und euch zu um so gefugigeren Instrumenten ihrer Herrschsucht
zu machen. Gewilz ist heute unsere Partei nicht so stark, um den Krieg
zu verhindern. Aber wir wollen nicht noch andere Nationen
auf dem Schlacht felde sehen. Wir wollen keinen Schritt ab«
weichen von den Prinzipien, die wir uns vorgezeichnet. Wir wollen mit
diesem Manifest alien Genossen, von Mann zu Mann, von Herz zu
Herzen versichern, dafe wohl keiner in dem gegenwartigen Moment den
Gefuhlen wird wehren konnen, den Gefiihlen unwillkurlicher Sympathie r
40
die fur diese oder jene Parte! unter den Kriegfuhrenden axis seinem Herzen
steigen, aber dafz dessen ungeachtet wk mit aller Kiarheit und Treue zu
unserem einzigen Banner halten. Und auf dem stent geschrieben: So«
zialisten aller Lander, einigt euch'I Mitten unter Waffen*
schreck und Kriegswut sollen wir italienischen Sozialisten noch den Ruf
ertonen lassen: Die sozialistische Partei ist gegen den Krieg und fur die
Neutralitat. , r G e g e n den Krieg und fur die Neutrality t" r das
ist das Losungswort des Sozialismus, der heute fiir uns lebt und fiir den
die zusammengebrochene Internationale von neuem in aller Kraft wieder«
auferstehen soil."
Schlecht <erging *es Karl Liebkn e ch t r als er im September
1Q14 eine private R e i s e nach B e 1 g i e n unternahm. Er konnte
bei dieser Geiegenheit die besten Beobachtungen daruber sammeln,
wie der deutsche Militarismus in dem eroberten Lande, das doch
immer noch ein neutrales Land war, hauste. Und in llnterredungen
mit belgischen und hollandischen Parteigenossen machte Liebknecht
kein Hehl aus seiner Meinung uber die Kriegspolitik der Partei-
mehrbeit. Nach seiner Ruckkehr kanzelten inn dafur Parteivorstand
und Parteiausschufz in heftigster Weise ab. Denn wohl durften die
Sudekum und Richard Fisciher als freiwillige Agenten der deutschen
Militaristen im Auslande berumreisen, wenn aber ein Sozialdemokrat
auslandischen Parteigenossen gegenuber die Wahrheit ix'ber den
Krieg aussprach, dann war das nach der Meinung der Mehrheit des
Parteivorstandes ein Verbrechen.
Am 22. Oktober hatte auch das preuizische Abgeord«
n e t e n h a u s eine Kriegssitzung. Es sollte anderthalb Milliarden
fur Ausgaben bewiiligen, die durch den Krieg verursacht wurden.
Die Regierung versuchte die Vorlage oihne jegliche Debatte durch-
zupeitschen. Die burgerlichen Parteien waren damit einverstanden,
die kleine s o z i a 1 d e mo kratische Fraktion wolite das
verhindern und eine grund'liche Beratung der Vorlage herbeifuhren.
Die Fraktion gab eine Erklarung ab, deren Inhalt sich in den
bescheidensten Grenzen der Kritik hielt, aber trotzdem das Un-
behagen der Regierung und der burgerlichen Parteien erweckte. Als
die Erklarung der Sozialdemokrat en verlesen wurde, fand sie an
einigen Stellen auch den Beifall der biirgerlichen Parteien. Bei der
Forderung auf Einfuhrung des demokratischen Wahlrechts dagegen
erhob sich bei den konservativen Parteien ein deutliches Gemurmel
des Unwillens. Bei -der Schlufzrede des Prasidenten verlie&en die
Genossen Hofer, Adolf Hoffmann, Paul Hoffmann, Liebknecht und
Strobel den SaaL Die anderen flinf sozialdemoikratischen Abgeord-
neten bliehen darin und erhoben sich bei dem Hoch auf die Armee
und auf den obersten Kriegsherrn.
Urn die Gegner der Kriegspolitik im Reichstag und Abgeordneten*
haus sammelte sich nun ein von Woche zu Woche groizer werdender
Kreis von Parteigenossen. Da offentliche Ausspradben untersagt
waren und auch in Parteiversammlungen eine klare Stellungnahme
sich nicht immer ermoglichen liefe r muizte sich die Opposition zti
besondieren Z u s a m m e n k ii n £ t te n v e r e i n i g e n. Durch
Flugblatter und Broschiiren versuchte die Opposition Elnflufe auf die
Masse der ununterrichteten Parteigenossen zu gewinnen. Allerdings
kam es bald zu einer T^ilungder Ansichten dariiber, welche
41
Talctik gegen die offizielle Kriegspolitik der Parte! anzuwenden sei.
Diese Differ enzen haben spater zur Absplitterung der Spartakus-
k r e i s e von der iibrigen Opposition geftihrt. Karl Liebknecht und
seine Freunde wollten sofort losschiagen, trotzdem vorerst nur
geringe Krafte zur Verfugung standen und man Gefahr lief, durch
diese Voreiligkeit jede Opposition unmoglich zu machen. Wie die
Nachfahren der Spartakusanhang i er, die Kommunisten der verschie-
denen Spielarten, ohne |ede Rilcksicht auf die tatsachlichen Macht-
verhaltnisse ihre Parolen hinausschleudern -und dadurch die Aktions-
kraft der Arbeiterklasse schwaahen, so wollte Liebknecht damals
schon den offenen Kampf gegen den Krieg und die Kriegspolitik
der Parteimehrheit aufnehxnen, trotzdem ieder Kenner der Verhalt-
nisse sich dariiber klar sein mufcte, daiz solche Putschpolitik die
Sadie der Opposition nur aufs schwerste geschadigt hatte.
In einem Artikel des Kopenhagener „Sozialdemokraten" vom
1. November wurde liber die Stimmung in Deutschland
festgestellt: „Die Arbeiter fangen an, den Prieden ber'beizusehnen,
und sie verstehen sohon, dalz aus diesem Frieden durch Siege auf
dem Schlachrfeld nichts werden wird/sondern aliein durch den Sieg
der Demokratie und des Sozialismus/' Soweit es unter dem Zwang
der Zensur iiberhaupt moglich war, kam diese Stimmung im ? r V or-
wSrt s", dem Zentralorgan der Partei, zum Ausdruck Das war nun
den patriotischen Kreisen, die neben der Mehrheit des Partei-
vorstandes auch die General Commission der G e w e r k »
schaften Deutschlands bildete, gar nicht recht Zwar
hatten die Gewerkschaften bis zum Kriegsausbruch den Schein zu
wahren gesucht, als ob sie parteipolitisch neutral seien. Aber jetzt
schworen die Generalkommission und die Mehrzahl der Gewerk-
schaftsvorstSnde feierlich den Klassenkampf ab und ergaben sich
mit Herz und Hand der glorreichen Fiihrung Wilhelms und seiner
Paladine. Und deshalb war ihnen die Haltun^ des „Vorwarts" ein
Scheuel und ein Greuel. Es kam zu scharfen Auseinandersetzungen
in intemen Sitzungen. Im Anschlulz daran veroffentlichte die P r e fz-
kom mission des , r Vorwarts" am 24 November folgende
Brklarung:
Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands hat in Nr. 47
des Korrespondenzblattes Vorgange aus einer internen Besprechung, die
zwischen dem Parteivorstand, der Generalkommission und der Redaktion
des „Vorwarts" stattgefunden hat, der Oeffentlichkeit tibergeben. Wir
sehen von einer ausfuhrlichen Er6rterung der Angelegenheit unter den
gegen wartigen Verh<nissen ab und wollen nur Folgendes bemerken:
Die Generalkommission gibt als Hauptpunkte der vorgetragenen
Besch werden Folgendes an:
1. Der ^Vorwarts" soil die Interessen der deutschen Partei gegen An«
griffe sozialistischer Parteien des Auslandes vertreten.
2. Der „Vorwarts* 4 soil sich in seinen Berichten iiber Greuel, Ver«
wundeten- und Gefangenenbehandlung der grofzten Objektivitat be*
fleifeigen.
3. Der „Vorwarts" soil mehr wie bisher den sozialen und wirtschaft*
lichen Fragen seine Aufmerksamkeit widmen.
4. Der „Vorwarts" soil dem Chauvinismus, dem Hurrapatriotismus
und alien Annexionsgelusten entgegenarbeiten, wie es auch der Partei-
vorstand durch sein Zirkular an die gesarnte Parteipresse schon in den
ersten Kriegswochen verlangte.
Zu Punkt 4 wurde noch besonders festgesteilt, dak die General**
kommision in dieser Auffassung durchaus mit dem Parteivorstand einig
seL Dem wurde allseitig zugestimmt."
Demgegenuber wolien wir zu der Mitteilung der Generalkommission
bemerken, dalz die Presskonimission nach ausfuhrlichen Beratungen sich
mit der H a 1 1 u n g d e s 7 ,V or warts" durch Annahme folgender Re-
solution vollstandig einverstanden erklart hat:
Nach grundlicher Pruning der gegen die politische Haltung des
, ? Vorwart$" in der jetzigen Kriegszeit erhobenen Beschwerden erkl&rt
die Presskommission:
Die gegen die Redaktion des „Vorwarts" erhobenen Vorwurfe
konnen als berechtigt nicht anerkannt werden. Die Press«
kommission ist vielmehr der Auffassung, dalz der „Vorwarts", soweit
es ihm unter den heutigen aulzerordentlich schweren Bedingungen
mogiich war, nach besten Kraften seine Pflicht und Schuldigkeit gegen~
iiber der Partei erfiillt.
1 Getreu den sozialdemokratischen Prinzipien und gemalz den Be*
schliisisen der internationalen Kongresse, hat der y ,Vorwarts" auch im
Kriege den Geboten der Menschlichkeit Rechnung zu tragen und sich
gegen den Giauvinismus zu wenden.
Die Presskommission erwartet von der Redaktion des ,,Vorwarts**,
dalz auch in der Zukunft die Haltung des , y Vorw&rts" von diesen Grund«
satzen bestimmt wir<L
Die Presskommission ist der lleberzeugung, dafz sie sich in ihren
Entschliissen in Uebereinstimmung befindet mit der grofzen Mehrheit
ihrer Auftraggeber, die bisher vom rr Vorvvarts" stets eine prinzipielle
sozialdemokratsiche Haltung verlangt haben.
Dieser Resolution ist der Zentralvorstand des Verbandes
der Wahlverefne Grofz^Berlins beigetreten.
Anfang November 1914 wurde in einer Sitzung der Berliner
ParteifunktionHre heftig iiber die Kreditbewilligung gestritteru
Strobel machte dort einstiindige Ausfiihrungen liter die Kriegs-
ereignisse und wies nach, dafz nur in schleunigem Friedensschlufe
das Heil liege. Der gunstigste Fall fur Deutschland sei eine Remis-
partie; nicht nur sozialdemokratiscbe, sondern auch im biirgerlicshen
Sinne vaterlMndische Pflicht sei es daher, die Regierung mit aller
Kraft zu einem Verstandigungsfrieden zu drangen,
den man jetzt noch haben konne, spater vielleicht nicht mehr. Auf
die Berliner Organisationsvertreter blieben diese Ausfiihrungen nicht
ohne Eindruck, die anwesenden Mehrheitler dagegen schlugen sie
in den Wind; sie glaubten unerschiitterlich an den Bndsieg, an
KriegsentscthSdigung und Beuteteilung.
Auch in anderen Orten, wie in Bremen, Stuttgart,
Dresden, Leipzig, Hamburg, war es zu lebhaften Aus-
einandersetzungen gekommen. Daruber riickte der Tag immer naher,
an dem der Reichstag die zweiten Milliardenkredite fiir
den Krieg bewilligen sollte. Wie wiirde sich die sozialdemokratische
Fraktion diesmal entscheiden? In der Broschtire „Klassenkampf
gegen den Krieg" finden wir daruber langere Mitteilungen, denen
wir folgendes entnehmen:
43
Am 2 9. November 19i4 trat die Fraktion zur Vorbereitung der
Reicbstagssitzung vom 2. Dezember 1914 zusammen, in der iiber den
zweiten Funfmilliarden«Kredit zu entscbeiden war. Die K r e d i t «
D e b a 1 1 e gestaltete sich sehr lebhaft und beansprucKte fast zwei Tage.
Die Anhanger der Kreditbewilligung entwarfen nacb angeblicben
autbentischen Informationen ein duster es Bild von der militari*
schen Lage Deutscb lands, die Griinde, die f ur die Bewilligung
vom 4. August mafzgebend gewesen seien, bestanden verstarkt fort. Die
Anregung von biirgerlicber Seite (Erzberger), eine Erklarung, die u. a.
der tapferen Helden der „Emden" und von Tsingtau rubmend gedenken
sollte, gemeinsam mit alien anderen Parteien abzugeben oder ohne jede
Erklarung zu votieren, wurde zwar von verschiedenen Seiten durch Zu«
rufe sympathiscb begruizt, aber nicht zur Abstimmung gestellt, da sie
der Auffassung der groizen Mebrbeit offensicbtlicb zuwiderlief. Die
Vertreter der Kredit ver weiger er meinten, die seit dem
4. August verflossenen Monate batten die Ricbtigkeit ibres Standpunktes
doppelt bestatigt. i
Als Haase die Kreditbewilligung eine Zertiiimmerung unserer Partei*
grundsatze nannte, entgegnete David: dann batten sicb ja aucb die
Vierzebn der Fraktionsminderbeit, die sicb am 4. August im Plenum der
Mebrbeit unterworfen batten, an der Zertrummerung der Parteigrundsatze
beteiligt. Ein Zwiscbenruf Liebknecbts: die Konsequenz dieser Be-
merkung Davids fiibre zur offentlicben Abgabe eines Minderbeitsvotums
im Plenum, loste lebbafte Bewegung aus. Cohea, der fur die Be«
willigung eintrat, ricbtete Vorwiirfe gegen Haase, weil er, der am
4. August die Fraktionserklarung verlesen babe, die Mebrbeit so bef tig
angreife; bei diesem Standpunkte babe Haase die Erklarung nicbt verlesen
diirf en. Es entwickelte sicb eine stiirmiiscbe Szene; auf erregte
Zurufe, dafe die Fraktion Haase zur Abgabe der Erklarung genotigt babe,
bemerkte C o b e n : Haase babe sicb durcb nicbts zwingen lassen diirfen;
in einem solcben Falle gebe es keinen ZwangI Ein Genosse scblug vor,
die Aufbebung des Belagerungszustandes und eine Zusicberung der Re-
gierung zu verlangen, dalz sie den Krieg nur zur Verteidigung Deutscb~
lands, zur Niederwerfung des Zarismus und zur Befreiung der vom Zaris~
mus unterdriickten Volker fubre; nur bei Erfullung dieser und einiger
anderer Forderungen komme die Kreditbewilligung fur ibn in Frage; es
bandle sicb um keine prinzipielle, sondern um eine Zweckmalzig-
k e i t s f r a g e. Dieser Vorscblag wurde als utopiscb und inkonsequent
bekampft; die etwaige — aber ausgescblossene — Aufbebung des Be~
lagerungszustandes wixrde seine Wiedervjerbangung nicbt verbindem;
eine etwaige — aber ausgescblossene — Zusicberung der verlangten Art
wiirde vollkommen wertlos sein; der Regierung, die am 3. und 4. August
die Fraktion, den Reicbstag und das ganze Volk im Punkt des belgiscben
Neutralitatsbrucbs so schnode getauscbt babe, der Regierung des ver~
fassungswidrigen Belagerungszustandes, konne kein Vertrauen gescbenkt
werden; wer sei ubrigens jetzt die Regierung? Der Reicbskanzler sobwer~
licbr Vor allem aber sei es widersinnig, den Gbarakter des Krieges in die
Disposition der Regierung stellen zu wollen; der objektive gescbicbtlicbe
Gbarakter des Krieges durfe allein die Haltung zu ibm bestimmen, nicbt
eine Zusicberung oder eine Auffassung der Regierung uber diesen
Gbarakter. !
Liebknecbt, der wegen seiner angeblicben Wiiblereien in der
Partei scbwer angegriffen wurde, aber diese Vorwiirfe als baltlos zur\ick«
wies, legte dar, da£ die Kreditbewilligung gegen das Programm, die Be«
scblusse der Parteitage, besonders der von Liibeck, Hamburg und Magde^
burg und die Bescbliisse der international en Kongresse von Stuttgart und
44
Basel verstolze; das Parteiprogramm schlieize es aus^ fur kriegerische Er«
oberungen einzutreten, der imperialistische Zweck des jetzigen Krieges
aber sei militarische Vergewaltigung und Annexion anderer Lander, und
zwar ganz unabhangig von der jeweiligen militarischen Lage; Bewilligung
der Kredite heifze Bewilligung der Mittel zur Unterdruckung Belgiens
und Nordostfrankreichs. Dalz Wehrvorlagen nach Programm und Partei-
beschhissen abzulehnen sind, wagte biisher niemand zu bezweifeln; die
Kreditvorlage aber ist nichts anderes als eine riesenhafte Wehrvorlage,
nur eine durch den Blankocharakter des Kredits und die Aktualitat des
Mordzweckes besonders bosartige. Die internationalen Kongrefz-
beschliisse schreiben nicht nur die Ablehmmg aller Miiitarausgaben aus~
drucklich vor, sondern audi die Aawenf wng aller wirksamen
Mittel zurVerhinderung des Kfieges; nach Kriegsaus-
bruch die Kredite bewilligen, heilzt aber: den Kampf gegen den Krieg vor
Kriegsausbruch zu einer Farce machen, seine Kraft von vomherein zer«
brechen, ja geradezu zum Kriege einladen und fur die Zukunft jede Oppo«
sition gegen Kriegshetzereien der Wirkungslosigkeit und berechtigten
Nichtachtung uberliefern. Die Kongrelzbeschlusse geben weiter auf: nach
Kriegsausbruch alles fiir schleunigeBeendigung desKrieges
einzusetzen; zugleich die Kriegskredite bewilligen und fiir den
Frieden reden, das hei&e aber: mit der Linken die Friedenspalme
schwingen, wahrend man mit der Rechten dem Militarismus das Schwert
in die Band druckt. Die Kongrelzbeschlusse fordern schliefzlich Aus~
niitzung der durch den Krieg hervorgerufenen Lage zur Aufrutte-
lung der Massen, d. h. zum Klassenkampf. Der Internationale
Klassenkampf gegen den Krieg sei damit als die einzigmogliche Politik
des Proletariats gegen den jetzt ausgebrochenen imperialistischen Krieg
erkannt, da jede andere Politik eine positive Unterstiitzung der Massen-
metzelei zu Ehr und Nutz des Imperialismus bedeute. Wer aber wage zu
behaupten 7 dalz die in der Partei jetzt zumeist betriebene Politik dieser
Parole des verscharften Klassenkampfes entspreche? Und dalz die Kredit-
bewilligung mit einem solchen Klassenkampf vereinbar sei? Liebknecht
beantragte, die Fraktion moge am 2. Dezember eine Erklarung im
Sinne dieser Ausfuhrungen abgeben.
Gegen 17 Stimmen (den Vierzehn vom 3. August — aulzer
Lensch, der sich diesmal zur Mehrheit schlug — und weiter Emmel, Stadt-
hagen r Stolle, Baudert) wurde die Bewilligung beschlossen.
Die Ausarbeitung der Erklarung wurde wieder einer Kommission uber«
tragen, deren Werk am 30. November mit unerheblicher Aenderung an-
genommen wurde. Ein zur Verlasung gebrachter Brief Viktor
Adlers, der die Fraktion beschwor, eine energische Kundgebung fur
den Frieden und gegen den Bruch der belgischen Neutralitat zu erlassen,
blieb ohne Erfolg. Die Mehrheit erachtete jedes offentliche Eintreten fiir
den Frieden als eine Gefahrdung der Inter essen Deutschlands, und be-
gniigte sich mit der Wiederholung eines Satzes aus der Erklarung vom
4. August. Ein Protest gegen die Verletzung der belgischen Neutralitat
wurde abgelehnt und nur beschlossen r falls der Reichskanzler am 2. De«
zember nach dem Willen der Kriegspartei eine Rechtfertigung dieses
Volkerrechtsbruches unternehmen sollte r den Standpunkt des Reichs^
kanzlers vom 4. August kurz aufrecht zu erhalten. ;
H e n k e beantragte, der Minderheit aus drucklich zu ge«
statten, ihre abweichende Auffassung offentlich im
Plenum zu vertreten und zu begriinden. Dagegen wandte sich
u. a. H a a s e und Molkenbuhr, Letzterer berief sich auf einen Be-
schlufz des Gothaer Parteitages von 1876 r der einheitliche Frakriontsab-
stimmung vorschreibe, Der Antrag wurde darauf von Henke zuriickge«
45
zogen, al>er von Liebknecht aufgenommen und verteidigi Er ver«
fiel gegen 7 Stimrnen der Ablehnung.
Wie am 3. August so weigerte sich 11 aase auch am 30. No«
vember hartnackig gegen die Verlesung der Mehrheitserklarung. Nach
langem Drangen lielz er sich jedoch auch diesnial umstimmen,
Wie die am 3. August beschlossene Erklarung, so wurde auch die jetzige
den burgerlichen Parteien und der Regierung alsbald unterbreitet. W&h*
rend die Regierung zunachsst keine Einwendung erhob, drangten die bur*
gerlichen Parteien und schliefzlich auch die Regierung am 1. Dezember,
an dem die Verhandlungen der glorreichen freien Kommission begannen,
auf Streichung oder Abanderung der Satze liber den Belagerungszustand,
die Annexionspolitik und die belgische Frage. Staatssekretar Delbruck
bemerkte dabei zu den Fraktionsvertretern: ihm hatten Fraktionsmit*
glieder gesagt, sie seien bereit 7 ohne jede Erklarung der Fraktion fur die
Kredite zu stimmen; und der Volksparteiler Payer: er wisse aus dem
, Munde von sozialdemokratischen Abgeordneten, dafz sie keineswegs
grundsatzlich Gegner von Eroberungen seien. Eine in der
Fraktionssitzung vom 2. Dezember ergangene Auffordenmg, die be«
treffenden Genossen mochten sich melden 7 blieb erfolglos.
Als die auf Aenderung der Erklarung gerichteten Machenschaften am
Abend des 1. Dezember in der Fraktion bekannt wurden, versammelten
sich auf Veranlassung Hochs e t w a 2 0—3 Fraktionsmitglieder
und beschlossen feierlich, falls die Fraktionsmehrheit dem Willen der
burgerlichen Parteien und der Regierung nachgebe 7 sich dem 6 f f e n t «
iich zu widersetzen und die am 30. November abgefalzte Erklarung
in der Plenarsitzung vom 2. Dezember als Minderheitsvotum vorzutragen,
Es sollte jedoch beim guten Willen bleiben. Die Drohung geniigte; die
heroische Tat blieb der Weltgeschichte erspart.
Im Plenum stimmte Liebknecht als einziger Abgeordneter gegen
die Kriegskredite. Er versuchfce eine Erklarung zu Protokoll zu
geben, was vorn Prasidenten aber verhindert wurde. Am nachsten
Tage schrieb er dem Fraktionsvorstand, dafz er sich in einer Zwangs-
lage bekinden habe. Er habe sich bemuht, von der Fraktion die
Erlaubnis zu ;einer abweiohenden Abstimrrtung zu erwirken. Die
Fraktion habe sie versagt, obwohl der jeteige Fall, sowohl seiner
Bedeutung wie seinen irmeren Schwierigkeiten nach, ein ganz einzig-
artiger gewesen sei. In diesem Gewissenskonflikt habe Liebknecht
die Pflicht der Fraktionsdisziplin, so hoch er sie schatze,
der Pflicht zur Vertretung des P a r t e i programms unterzuordnen.
Er hoffe, dafiir bei den Genossen in- und aufzerhalb der Fraktion
Verstandnis zu finden. Dieses Verstandnis fand Liebknecht nicht.
Am 3. Dezember veroffentlichte der rr Vorwarts" folg-ende Erklarung
des Fraktionsvorstandes, die mit sechs gegen eine Stimme
beschlossen worden war:
JDer Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion stellt fest,
daiz der Genosse Karl Liebknecht entgegen dem alten Brauch der Frak«
tion, der durch einen ausdrucklichen Beschiulz ftir den vorliegenden Fall
erneuert wurde, gegen die Kriegskreditvorlage gestimmt hat. Der Vor-
stand bedauert diesen Bruch der Disziplin, der die Fraktion noch
beschaftigen wird, aufs tiefste."
Die Situation in der Parte! sohren sich aufzerlich noch nicht erheb-
lich geandext zai haben; aber doch hatte sich seit dem 4. August im
Innern der Parte! eine erhebliche Wandlu n g volkogen,
46
Jansson, ein Mitglied der Generalkommission, mochte damals
freilich in einem skandinavischen Blatt noch frohlocken:
JDie kleine Minoritat, die fiir Demonstrationen und Skandale
mehr schwarmt als fiir eine ergebnisreiche Arbeit erpolitik im Lande, hat
wirklich keine Bedeutung. Ihre ganze Haltung steht — und zwar nicht
nut jetzt — in einer so absoluten Opposition gegen die niichteme Real-
politik r die die skandinavische Arbeit erpartei bis jetzt getrieben hat, dalz
sie in Skandinavien keinen Anklang finden sollte und auch nicht finden
wiirde r wenn nicht der Weltkrieg so viele sonst klare Gehime verwirrt
hatte. Nach dem Schlusse des Krieges werden wir sehen r ob nicht dieser
Umsturz in der kapitalistischen Gesellschaft auch ein groizes Kultur«
werk vollbracht hat, man muJz wohl wenigstens hoffen, dalz solch gTofze
Opfer nicht vergeblich gebracht werden."
Bald zeigte es sich, dalz die Opposition doch nicht mehr so
scbwach war, und je weiter der Krieg fortschritt, je mehr „Kultur-
werke" der deutsche Militarismus vollbrachte, desto schneller vollzog
sich der Umschwung in der deutschen Sozialdemokratie.
O^O^O^Ot»<S^
<^^f^S^&^^^sSb l ^^^^Bim^^^^^^^^3^i^^^i^^^&^^
Die ersfe Budgeibewilligung.
llnterdrudkung-smalziialurLen gegen die Opposition. — Sozkldemokra*
tische Neujahrsgrulze nach England. — Scheidemanns Neujahrswunsch.
— Die Versammlimg der Berliner Gewerkschaftsfunktionare. — Dei-
Fall Liebkitecht. — Riicktritt Ledebouris -aus dem Fraktionsvorstand. —
Protest gegen barbarisclie Kriegfuhrung. — Die Zustimmung zum Btat.
Der Feldzug war tfiir Deutschland von Amfang an politisch ver«
loren. Je rnehr sich der 'Krieg gerade infolge der ersten deutschen
Siege in die Lange zog, desto mehr Zeit gewannen die Gegner
Deutschlands, ihre ungeheuren wirtschaftlichen, politischen und miii«
tarischen Krafte zu organisieren. Der Krieg war politisch ent«
schieden, als England sich an die Sedte Prankreiahs und RuMands
stellte, -als sich It alien fiir neutral erklarte, als fast die ganze ubrige
Welt sich gegen die Mittelmachte wandte. Militarisch war der Welt-
krieg rait der deutschen Niederlage an der Marne
entschieden. Je deutlicher aber das alles wurde, desto eifriger
bemuhten sich die deutschen Kriegstreiber, das Volk liber die Wahr-
heit zu tauschen. Nunmehr wurde die Parole d-es D u r c h h a 1 1 e n s
ausgegeben. Die miilitarische Faust senkte sicih auf alles, was die
Durchhaltestimmung gefahrden konnte. Bald regnete es von Ver~
boten gegen diejenigen Blatter der Soziaidemokratie, die nicht ganz
im Gleichmarsch der Kriegstreiber einherschritten. Wo es nicht zu
Verboten kam r dort verhangte man wenigstens die Praventivzensur.
Eine besonders unruhmliche Rolle spielten dabei einige Parteiblatter,
wie das „VoIksblatt" in Cassel und idle , r Vofestirnrne" in Chemnitz,
die sogar noch die Militarbehorde zu Verbotmafznahmen gegen
andere Parteibiatter anregten. Die Partei durfte im allgemeinen ihre
Mitgliederversammlungen abhalten, allerdings unter sorgsamer pohV
zeilieher Beobachtung. In einigen Orten verbot man aber auch diese
Mitgliederversammlungen, so besonders in Hamburg, trotzdem
an der patriotischen Haltung des ^Hamburger Echos" und der Ham-
burger Parteiinstanzen kein Zweifel eriaubt war. Selbst dem r ,Ham«
burger Echo" entrang sich der Seufzer: „Was hilft alle Aufklarung\s~
arbeit im Ausland, was hilft das Bemuhen der deutschen Sozial-
demokratie, die Einmutigkeit des deutschen Volkes zu bezeugen,
wenn Polizeistreiche dieser Art das Reich in den Augen der Auizen-
welt als einen S t a a t r e i n e r W i 1 1 k il r erscheinen
1 a s s e n." Im Dezember wurde die Genossin Rosa Luxemburg
aufgefordert, sich bis zum 15. Januar im Berliner Frauengefangnis
zum Antritt einer einjahrigen Gefangnisstrafe zu melden, die ihr fast
ein Jahr vorher von der Frankfurter Strafkarrroer wegen aufrilhre-
48
rischer Reden gegen den Militarismus zudiktiert worden war, und
kaum g-elang es, fiir die kranke Frau einen Aufschub zu erwirken,
Die leitenden Instanzen lielzen es von ihrer Seite aus an nichts
fehlen, urn die Parteigenossen im Lande fiir die Durchhalteparole zu
gewinnen. Am 22. Dezember erlielzen Parteivorstand und Reichs-
tagsfraktion eine Erklarung gegen den Reichstags abgeordneten
Georges Weill, einen gebiirtigen Blsasser, der in die fran~
zosische Armee eingetreten war, also dieselbe Siinde begangen hatte,
wegen der Ludwig Frank von alien deutschen Sozialpatrioten
stiirmisch gefeiert worden war. Weill habe sich mit dieser unpatrio-
tischen Haltung, so wurde verkiindet, „aufzerhalb der Partei gestellt",
und so hat man schon damals die Formel gefunden, die spater gegen
die Opposition massenhaft angewendet worden ist. In einer anderen
Erklarung wandte sich der Parteivorstand gegen einige Berichte von
Parabellum (Karl Radek) und Homo (Grumbach) iiber die Vorgange
in Deutschland, die in auswartigen Parteiblattern erschienen waren.
Von dieser hurrapatriotischen Betatigung stachen die Zuschriften
einiger Parteigenossen fiir die Neujahrsnummer des „Labour Leader",
des Organs der Unabhangigen Arbeiterpartei Englands, angenehm
ab. Franz Mehring schrieb, das ungiinstige Licht, worin die
deutsche Sozialdemokratie den Schwesterparteien des Auslandes
erscheine, tausche. Was sich heute in ihr abspielt, habe sein Vor~
bild in dem ersten Jahre des Sozialistengesetzes, wo die Pixhrer auch
kopflos wurden, aber die Massen sich bald sammelten unter der
Parole: Mit den Fiihrern, wenn diese wollen, ohne die Fiihrer,
wenn sie untatig bleiben, t r o t z den Fiihrern, wenn sie widerstreben.
Rosa Luxemburg fiihrte aus, es sei notig, die bittere Wahrheit
auszusprechen, dalz die Internationale der Arbeit erklasse schmach-
voll zusammengebrochen war, und am schmachvollsten die deutsche
Sektion der Internationale, die an der Spitze des Weltproletariats zu
marschieren berufen war. Es ware das verhangnisvollste fiir die
Zukunft des Sozialismus, wenn sich die Arbeiterparteien verschie-
dener Lander entschliefzen wurden, die burgerliche Theorie und
Praxis vollig anzunehmen, wonach es als naturlich und unvermeidlich
gelten solle, dafe sich die Proletarier verschiedener Nationen im
Kriege auf Kommando ihrer herrschenden Klassen gegenseitig die
Gurgeln abschneiden, nach dem Kriege aber miteinander wieder
briiderliche Umarmungen austauschen, wie wenn nichts geschehen
ware. Karl Liebknecht rief, dalz nicht unsere sozialistischen
Grundsatze versagt batten, sondern deren Vertreter. Es gelte, unsere
Lehre nicht zu andern, sondern sie lebendig zu machen. Jede sozia-
listische Partei habe ihren Feind, den Feind des internationalen
Proletariats im eigenen Lande, dort habe sie ihn zu bekampfen. Das
Wohlergehen aller Volker sei untrennbar miteinander verkniipft; der
Klassenkampf des Proletariats konne nur international gefiihrt werden.
Auch der Parteivorstand liefz es sich nicht nehmen, dem
yr Labour Leader" als Weihnachtsgrufz eine Erklarung zu ubermitteln,
worin er seine Treue fiir den internationalen Sozialismus, fiir seine
Sehnsucht nach dem Frieden betonte. Wie es bei den Fiihrern der
Mehrheit aber in Wirklichkeit damit bestellt war, dafiir bietet der
Neujahrswunsch von Philipp Scheidemann an seine Solinger Wahler
4 49
ein wahrhaft klassisches BeispieL Nicht wegen der iPerson seines
Verfassers, sondern well d^r Brief die Auffassungen weife'r Partei-
kreise so deutlich kennzeichnet, moge er hier einen Plate finden:
Die besten Wiinsche zum neuen Jahre!
Schwere Sorge lastet auf uns alien . . . Qualend sind die schlaflosen
Nachte, in denen wir uriserer Lieben gedenken, die ira Felde steh-en.
Grausam wiihlt der Schmerz im Herzen derer ? die das Liebste schon haben
hergeben miissen . . . !
Hut ab vor den Helden, die fur unser Vaterland gefallen sindl
Grofzer als die Sorgen und Schmerzen miissen .unser unbeugsamer
Wille, unsere unerschiitterliche Entschlossenheit sein. Wir wollen die
furchtbare Zeit nicht nur in Harem Bewulztsein mit offenen Augen durch*
leben, wir wollen audi die Absichten unserer Feinde zuschanden madienc
wir wollen sie gen!
Und so wiinsche icK zum Jahreswechsel alien die Kraft, Kranmer
und Schmerzen niederkampfen zu konnen. Ich wiinsche alien den uner-
schiitterlichen Willen zum Dure hhalten bis zum Siege!
Unseren verwundeten und kranken Soldaten wiinsche ich baldige und
vollkommene Genesung. Ihnen und ihren Kameraden, die in den
Schutzengraben hausen, zur See oder auf der Wacht dem Vaterlande
dienen — ihnen driicke ich herzhaft die Hand! '
Ihnen ganz besonders rufe ich zu: Haltet ausl Von Euch hang!
es ab 7 was aus unserem L a n d e und was aus der deutschen
Arbeiterschaftwird. '
Moge uns das neue Jahr baldigen Sieg und dauernden Frieden
bringenl - !
Berlin, Ende 1914.
PhilippScheidexnann.
Die Leitung der r ,Bergischen Arbeiterstimme" in Solingen hatte
2?war diesen Gliickwunsch in den Anzeigenteil gesteckt, dorthin also,
wo die Gastwirte, Backer und Fleischer ihre Gratulationen an die
geehrte Kundschaft abzuladen pflegen; nichtsdestoweniger entsprach
der Inhalt dieses Scheidemannschen Neujahrsgrufzes der allgemein
iiblichen sozial-patriotischen Auffassung. Von Verstandigung war
damals noch keine Rede; der Feind miisse niedergeworfen, der Friede
diktiert werden. Spater, als der Katzenjammer ii'ber sie kam ? haben
die Scheidemanner tausendfach beteuert, sie batten von Anfang an
nichts anderes als den Verstandigungsfrieden im Sinne gehabt. Dieser
Gliickwunsch zeugt fur eine ganz andere Gesinnung. Es war dieselbe
Gesinnung, die in Taixsenden von Reden, Aufsatzen r Broschuren und
Zeitungsartikeln der Konrad Haenisch, Heinrich Schulz, Scheidemann,
Cunow, Cohen, Heilmann, Winnig, Legien in der n Chemnitz er
Volksstimme", der /7 Schleswig-Holst i einischen
V o 1 k s z e i t u n g " in Kiel, im 7r Volksfreund" zu Karlsruhe,,
in vielen anderen sozialdemokratischen Slattern zum Ausdruck kam.
Was die wirklichePflicht Jedes Sozialdemokraten in dieser
Situation war, das hat die Mehrheit der Parteiinstanzen damals e'ben*
sowenig wie wahrend des ganzen Krieges erkannt. Die deutsche
Sozialdemokratie mufzte die Kriegsschuld der eigen-en Regierung lest-
stellen, bevor sie das Recht hatte, die Schuld bei d-en anderen Re-
50
gieruxvgen zu suchen. Die deutsche Soziaidemokratie mulzte sich
wieder auf den granitnen Boden- des Klassenkampfes stellen, den sie
am 4, August verlassen hatte r und von hier aus die Verbindung rait
dem Proletariat der anderen Lander wiederherzustellen suchen. Ge~
wife waren auch die Arbeiterparteien in Prankreich, in Belgien, in
England dem Kriegstaumel verf alien, aber die deutschen Heere stan-
den auf belgischem und franzosischem Boden, die belgischen und
franzosiscben Soziaiisten konnten also immerhin nooh behaupten, dafz
ihr Land das Opfer eines Angriffskrieges geworden sei, und dafz sie
deshalb nach den international-en Beschlussen die Pflicht hatten, die
Kriegspolitik ihrer Regierungen solange zu unterstutzen, bis der Feind
aus den Grenzen wieder hinausgedrangt sei.
Wie dem aber auch sei, die deutsche Soziaidemokratie hatte bis
25um Kriegsausbruch an der Spitze der internationalen Arbeiterbewe«
g-ung gestanden, und das legte ihr die Verpflichtung auf, fuhrend
und wegweisend auch im Kriege voranzugehen. Sie durfte nicht
warten, bis die Soziaiisten in anderen Landern sich wieder auf sich
selbst besonnen batten. Wenn die deutsche Soziaidemokratie da-
mals r noch im ersten Abschnitt des Krieges, wieder das Banner des
Sozialisnvus und des Klassenkampfes erhoben, die Gemeinschaft mit
Kapitalismus und Nationalismus aufgegeben hatte, es ware ein Fan-
farenstolz fur die gesamte proletarische Welt geworden, es hatte die
Arbeiterklasse zum bestimmenden Faktor in der Weltpolitik gemacht
Selbst wenn der deutsche Militarismus den Krieg vorzeitig hatte ab-
brecheh mussen, weil er ihn ohne die Unterstutzung des Proleta-
riats auch nicht eine Srunde weiterfuhren konnte: glaubt heute noch
jemand, dafz der Friede nach einem halben Jahre Krieg" ungiinstiger
ausgefallen ware, als vSer Jahre spater, nachdem Europa zu einer
Wiiste und zu einem Leichenfeld geworden war?
Aber immer starker regten sich die Krafte im deutschen Prole-
tariat, die 4en Kampfgegen die Kriegspolitik aufnahmen.
Of/iene Worte liefzen sich allerdings nur auf illegalem Wege sagen,
und so entstand bald eine Fiille von Broschiiren, Flugblattern und
Korrespondenzen, die im Geheimen hergestellt und von Hand zu
Hand verbreitet wurden. Start nun die Moglichkeit einer freien Mei~
nungsaufzerung wenigstens innerhalb der Partei zu erweitern, ver«
suchten auch die Parteiinstanzen die Opposition, die ^Quertreiberei",
mundtot zu machen. Kennzeichnend fiir diese Art der Bekampfung
unbequemer Meinungen war, was der „ Karlsruhe r V o 1 k s «
fr-eund" am 22. Januar im Anschlufz an die Erklarungen des
deutschen Parteivorstandes iiber die Information der auslandischen
Parteipresse durch deutsche Genossen schrieb:
77 Waren nicht einige bis her einflufzreiche Literaten die Wortfuhrer
dieser Opposition, so wiirde es iiberhaupt nicht zweckmalzig sein, sich
mit ihr zu beschaftigen. Nur der Umstand, dafz diese Literaten V e r «
dachtigungen und llnwahrheiten in die auslandische Pres.se
lancieren, zwingt uns 7 dagegen Stellung zu nehmen . . . Den Leuten, die
sich zu solchen Treibereien rorgeben, mangelt es nioht nur an parted
genossischen, sondern auch sehr an nationalem Empfinden, denn
isonst imifzten sie begreifen, dafz in der Situation, in der Deutschland sich
•augenblicklich befindet, ein solches Treiben im hdchsten Grade verwerf*
lick 1st, zuraal wenn es jeder tatsachlichen Grundlage
e n t b e h r t. Offenbar hofften sie, auf dem Umweg uber das Ausland
grohere Erfolg*e zu erzielen, als es ihnen bislier in Deutschland selbst
moglich war.
Einstweilen muiz man sich mit dem Protest gegen die Quertreibereien
begnugen . . . Nach dem Krieg aber mufz mit diesen Elementen Frak~
tur gesprochen werden, wenn die deutsche Sozialdemokratie den gew&!«
tigen Aufgaben, die ihrer harren, g'ewachsen sein soil. . . . hier handelt
es sich nicht mehr urn blofze Meinung-sverschiedenheiten, sondem
darum, ob die Sozialdemokratie eine g r o fz e politische Partei,
mit -entsprechenden Aufgaben und entsprechender Verantwor-
tung oder eine Sekte politischer Fanatiker sein soil, die von der
Wirklichkeit abstrahiert und fatalistisch den Dingen ihren Lauf
laizt. Wir stehen an einem Wendepunkt der geschichtlichen Ent«
wicklung. Die politische Aufgabe der Sozialdemokratie kann und darf
kunf tig nicht darin bestehen, die durch den Weitkrieg abgerisse-
n e n Faden fortzuspinnen, sondern auf den durch ihn geschaff enen neuen
Fundamenten aufzubauen."
Aehnliche Tone schlug Scheidemann am 25. Jariuar 1Q15 in
einer Rede in Hamburg an. Es wurde darufoer in der Parteipresse
berichtet:
Soweit es geeignet ist, falsche Meinungen \iber die Stimmung des deut-«
schen Volkes zu verbreiten r miissen wir es energisch zurixckweisen. Unter
dem Sozialistengesetz haben wir Leute, die sich in ahnlicher Weise gegen
unsere Sache versiindigten, Spitzel gehannt. Was heute von einzelnen
getrieben wird, ist nichts anderes als Spitzelarbeit. Die Partei wird
sich dagegen zu wehren wissen. Wir miissen es aber auch ablehnen, uns
in Zukunft uber unsere praktische Tatig'keit belehren zu lassen von Leu-
ten, die vor lauter T h e o r i e den Blick fur die Bedurfnisse unseres eige-
nen Volkes verloren haben. Der deutsche Arbeiter%at grolze Achtung
vor hoher Gelehrsamkeit, gleichviel woher sie kommt. Wenn aber die
Gelehrten uns nur Knlippel zwischen die Beine werfen wollen, pfeifen wir
auf sie . . .
Durchhaltenf Das muiz jetzt die Parole sein. Wenn der
Reichskanzler das gleiche Wort gebrauchte, so brauchen wir daraa
keinen Anstolz zu nehmen. Es gibt keinen besseren Ausdruck fur das„
was jetzt notwendig und allein moglich ist . . . Wir konnen nicht wiin~
schen, dafz das Opfer unserer kampfenden Briider umsonst gebracht, dafz
das Blut so vieler Sohne unseres Landes vergebens geflossen sein soil,
Wir diirfen nichts tun, was ihren Mut, ihre Widerstandskraft lahmeai
konnte. Das deutsche Volk hat bis jetzt in seiner Ernahrung durch
diesen furchterlichen Krieg noch nicht zu leiden gehabt, wie andere Vol-
ker. Wenn es jetzt mit der Emahrungsfrage infolge der Aushungerungs-
plane Englands auch fur uns emster wird, so wollen wir uns ohne
Murren in die harte Notwendigkeit fug en.
Das war die Stimmung in den malzgebenden Parteikrelsen. Durch-
halten bis zum Siege, Niederwerfung der aufzeren Feinde. Nieder-
werfung aber auch der Gegner im Innern, namlich desjenigen Teiles
der deutschen Arheiterschaft, der sich in Opposition gegen die
sozialdemokratische Kriegspolitik befand. In Wiirttemberg
ging man wie bisher schon fuhrend darin voran. Nachdem der dor-
tige Landesvorstand die „Schwabische Tagwacht" geiwaltsam an sich
gerissen und eine neue Organisation gegrundet hatte, stielz er die
nicht nach seiner Pfeife tanzenden Genossen rucksichtslos aus der
Partei aus. Oder man machte es einfacher, indem man wie bei
Genossen Westmeyer berichtete, dalz ein Ausschlufeverfahren sioh
erubrigt babe, „w e i 1 W e s t m e y e r s i c h durch sein Ver-
halten selbst aufeerhalb der Partei gestellt ha t".
Auch von anderer Seite wurde versucht, die Spaltung der Partei
schon jetzt vorzunehmen und alle oppositionellen Elemente hinaus-
zudrangen. Die Berliner Gewerkschaftskommission
veranstaltete am 27. Januar eine Versammlung der Gewerkschafts«
funktionare, in der Karl Legien, der Vorsitzende der General-
kommission, einen Vortrag iiber die Frage hielt: „Warum miissen
sich die Gewerikschaftsfunktionare mehr am inneren Parteileben be-
teiligien?" Bis dahin hatte die Generalkommission angstlich darauf
.gehalten, dalz die Gewerkschaften in die Auseinandersetzungen der
Sozialdemokratischen Partei nicht hineingezogen wurden. Jetzt aber
entdeckte sie, dafz die Gewerkschaftsfunktionare die entgegengesetzte
Pflicht batten. Den Hauptteii dies Vortrages von Legien bildeten
Vorwiirfe gegen den , r Vorwarts". Da die Redaktion vorher nicht
verstandigt worden war, so konnte sie ihren Standpunkt in der Ver«
sammlung nicht vertreten. Der Vortrag von Legien ist spater als
Broscbure herausgegeben worden. Was in der Diskussion gegen
Legien gesagt wurde, konnte aus leicht erklarlichen Griinden nicht
veroffentlicht werden. ^
Inzwischen wuchs die Garung in den grofzen Zentren der Arbeit er»
bewegung. In einer Reihe von Versammlungen wurden Resolutionen
angenommen, die den Krieg als imperialistisch kennzeichneten und
Seststellten, dalz die Bewilligung der Kredite eine Unterstutzung dieses
Krieges bedeute. Bine Kreiskonf erenz des 6. BerlinerReichs-
tagswahlkreises verlangte vom Parteivorstand, dafz er bei
der Regierung die Aufhebung des Belagerungszustandes durchsetze.
Eine andere Versammlung in Berlin protestierte gegen den Bruch
der luxemburgischen und belgiscben Neutralitat und forderte den
schieunigen Abschlufo eines Friedens ohne Eroberungen, ohne De~
miitigung der beteiligten Volker, eines Friedens im Geiste der inter-
nationalen sozialistischen Bruderlichkeit. Fiir den 2. Februar war
eine S i t z u n g der Sozialdemokratischen R e i c h s -
tagsfraiktion einberuf en worden. Sie fand auf Betreiben Lede-
bours start, der sein Amt als Mitglied des Fraktionsvorstandes
niedergelegt hatte, weil er dessen Politik nicht langer mitmachen
wollte. Die Sitzung sollte sich insbesondere mit dem Verhalten von
S it d e k u m befassen. Sudekum war neuerdings im Auftrage der
-deutschen Regierung in Rumanien und in den Kriegsgefangenen-
lagem herumgereist, um fur die deutsche Sache Stimmung zu
machen. Das ging sogar dem Parteivorstand gegen den Strich und
er erteilte Sudekum dafiir eine leise Riige. Aus der Anklage gegen
Sudekum machten fedoch die Durchhalter schleunigst eine Anklage
gegen Liebknecht, weil er im Reichtstage gegen die Kriegskredite
gestimmt hatte und dadurch die Fraktionsdisziplin gebrochen haben
sollte.
Zwei Tage lang wurde iiber den Fail Liebknecht diskutiert
Es lagen folgende drei Antrage vor:
1. Der Fraktionsvorstand schlug vor: Die Abstimirumg- der
Fraktion im Plenum des Reichstages hat geschlossen zu erfolgen, soweit
nicht fiir den einzelnen Fall die Abstimmung ausdriicklich freigegeben ist.
53
Glaubt em Fraktionsvorsland nach seiner lleberzeugung an der ge-
schlossenen Abstimmung der Fraktion nicht teilnehmen zu konnen y so
steht ihm das Recht zu, der Abstimmung' femzubleiben, ohne dalz dies
einen demonstrative!! Charakter tragen darf.
Dazu beantragte Stadthagen den Zusatz, dalz nur solche Frak-
tionsbeschlusse bindend sind, die dem Parteiprogramm und den Parted
tagsbesohlussen entsprechen; Bernstein beantragte den. Zusatz, dalz
denjenigen Fraktionsmitgliedem, die versicherten, den FrakrionsbescMuiz
nach ihrem Gewissen nicht befolgen zu konnen, die Befugnis zur ab-
weichenden Abstimmimg gewahrt werden raiisse; Ledebour bean-
tragte zu Absatz 2, dalz das Fernbleiben nur gestattet sein solle, wenn
es die Abstimmung der Fraktion im Plenum nicht gefahrde.
2. L e g i e n f orderte den Ausschlulz Liebknechts aus der
Fraktion.
3. FroKme beantragte: Die Fraktion schlielzt sich der uber die Ab-
stimmung Liebknechts abgegebenen Erklarang des Fraktionsvorstandes
vom 2. Dezember 1914 an. Sie verurteilt den von Liebknecht begange-
nen Disziplinbruch aufs scharfste.
Sie weist die von ihm verbreitete Begrimdung seiner Abstiimrnmg ak
unvereinbar mit den Interessen der deutschen Sozialdemokratie em-
schieden zurixck.
Ebenso verurteilt sie die von Liebknecht im Ausland verbreiteteu irre-
fuhrenden Mitteihmgen iiber Vorgange innerhalb der Partei.
Da der Fraktion nach dem Organisationsstatut nicht die Handhabe zu
weitergehenden Maiznahmen zusteht, so muiz sie die endgiiltige Ent-
scheidung dem nachsten Parteitag anheimstellen.
Hierzu st elite Bernstein einen Abanderungsantrag, der anerkennt,
dalz Liebknecht im guten Glauben und in bester Ueberzeugung ge~
handelt habe.
Die Mehrzahl der Redner wandte sich gegen Liebknecht Stadt-
hagen und Ledebour betonten, dalz Liebknecht gegen den Be-
schlufz der Fraktionsmehrheit handeln durfte, da er von der Pro-
grammwidrigkeit der Kreditbewilligung liberzeugt war. Edmund
Fischer stellte test, dalz er und 20 — 30 andere Fraktionsmitglieder
am 3. August entschlossen gewesen seien, entgegen einem etwaigen
Kreditablehnungsbeschlufz der Fraktion offentlich fiir die Kredite zu
stimmen: unter diesen Umstanden sei jede Verurteihing Liebknechts
eine linger echtigkeit und HeucheleL Liebknecht selbst begrCirv-
dete in ausRihrlichen Darlegungen seinen Standpunkt Der Antrag
Legiens wurde schliefzlich zurackgezogen, der Antrag des Fraktions-
vorstandes •mit Q3 gegen 4 Stimmen angenommen, naohdem der Zu-
satz Bernstein gegen 7 Stimmen, der Zusatz Stadthagen gegen sieb-
zehrt Stimmen abgelehnt worden war. Vom Antrag Frohme wurde
der erste. Antrag mit 82 gegen 15 Stimmen, der zweite Absatz mit
58 gegen 33 Stimmen, der dritte Absatz mifc 51 gegen 39 Stimmen.
der vierte Absatz mit 82 gegen 7 Stimmen,. schliefzlich der ganze
Antrag mit 65 gegen 2(5 Stimmen angenommen..
Am nachsten Morgen veroffentlichte der „Vorwarts" eine E r -
k 1 a r u n g von Liebknecht, in der er ausfiihrte, dalz er gegen die
Kriegskredite gestimmt habe, weil deren Bewilligung nicht nur den
Interessen des Proletariats, sondern auch dem Parteiprogramm und
den Beschlussen internationaler Kongresse scharf widerspreche r und
weil die Fraktion nicht berechtigt sei f einen Vorstofz gegen Programm
und Parteibeschlulz vorzuschreiben. Irrefuhrende Mitteilungen liber
54
Parteivorgang-e babe er nicht verbreitet. Diese Brklamng rief den
heftigert Unwiilen der Kreditbewilliger hervor. In der Fraktions-
siteung voni 4. Februar stellte David folgenden Antrag:
Die Fraktion weist die Behauptung, dalz die Bewilligung der
Kriegskredite den Interessen des Proletariats, dem Parteiprogramm
«md den Beschlussen der intemationaien Kongresse widersprichl y roil
aller EntscMedenheit zuriick.
Was die Verbreitung irrefiih render Mitteilungen an
das Ansland durch Genossen Liebknecht betrifft y so wurde mehr ais
gentig festgestellt, urn den Beschlulz der Fraktion zu rechtfertigen.
Stadthagen beantragte fur den Fall der Anna-rime des An-
trages ausdrucklich zu erklaren, dalz die Fraktion damit die suddeut-
schen Mehrheitsbeschlilsse auf Budgetbewilligung keineswegs recht-
fertigen wolle. In der Abstimmung wurde der erste Absatz des An-
trags David mit 53 gegen 20 Stimmen, der zweite Absatz mit 45
gegen 26 Stimmen, der ganze Antrag mit 52 gegen 21 Stimmen
angenommen. Der Zusatzantrag Stadthagen wurde gegen 13 Stim-
men abgelehnt.
Auch Ibei der Rehandlung der A m t s n i e d e r 1 e g u n g d e s G e ~
nossen L e d >e b o u r bewahrte sich die Hurrastimmung der
Praktionsmehrheii Die Vorwurfe Ledebours gegen den Fraktions-
vorstand wurden mit 70 gegen 7 Stimmen als unbegrundet erklart,
dagegen mit 47 gegen 36 Stimmen ein Antrag angenommen, der
Ledebours Vorgehen aufs scharfste verurteilt Bin Antrag Lede-
bours, der die Pflichten des Fraktionsvorstandes zu formulieren
suchte, wurde mit 35 gegen 32 Stimmen abgelehnt. An die Stelle
von Ledebour trat Hoch in den Fraktionsvorstand ein.
Die Fraktionssitzung befaizte sich schliefzlich noch mit der F r i e ~
densfrage. Es wurde strengste Geheimhaltung der Debatte be-
schlosseru Soviel ist aber aus dieser Sitzung doch bekannt ge-
worden, daiz die Mehrheit der Fraktion noch nicht die Zeit fur
gekommen erachtete, urn aktiv an der Herbeifuhrung des
Friedens zu ar.beiten. Sie vertraute vollig auf den Sieg der deutschen
W«affen und &ah ihre Sache bei Wilhelm II. und Bethmann Hollweg
in guten Handen.
In den nachsten Tagen erhielt Liebknecht die Einberufungsorder
als Armierungssoldat Man beurlaubte ihn fur die Sitzungen des
Reichstages und des Abgeordnetenhauses, verbot ihm aber aus-
drackiich r an Versammlungen teilzunehmen, Propaganda zu treiben
oder Berlin zu verlassen. Am 18, Februar wurde die Genossin
Luxemburg verhaftet und im Griinen Wagen nach dem Berliner
Frausengefangnis zur Abbufzung ihrer Strafe gebracht Sie hat die
deutsche Freiheit erst nach dem militarischen und politischen Zu~
sammenbruch im Herbst 1918 wieder geniefeen konnen.
Am 8, Februar kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen in der
kieinen >sozialdemokratischen Fraktion des Preufzischen Land-
tags. Haenisch legte fur die erste Lesung des Etats den Ent-
wurf einer Erklarung vor r worin angefuhrt wurde, dalz in dieser
emsten Zeit die feste Geschlossenheit der Nation nach aulzen hin
unbedingtes Erfordernis sei; deshalb werde in diesem Augenblick
•auf Erorteningen allgemein polemischer und parteipolitiscrier Natur
55
vemchtet. Soweit die Fraktionen Wiinsche und Beschwerden batten,
wiirden sie diese in der Budgetkommission zur Sprache bringen.
Liebknecht arbeitete einen anderen Entwurf aus, worin es hiefe,
dalz noch nicht einmal in dieser Zeit die Regierung sich bewogen
gefuhlt habe, das Dreiklassenwahlsystem zu beseitigen. Gegen den
Beiagerungszustand und die Pressezensur und die anderen Ausnahme-
bestimmungen gegen die Arbeiterklasse werde aufs scharfste pro
testiert. Der preulzischen Regierung rniisse das Vertrauen versagl
bleiben. Nur unter dem Eindruck des Priedenswillens der Arbeiter-
klasse aller Lander werde ein baidiger Friede zustande kommen.
Die Fraktion nahm den Bntwurf von Haenisch zur Grundlage, strich
die am meisten beanstandeten Teile und nahm wesentliche Telle
des Entwurfs von Liebknecht hinein.
Es nahte die Zeit, in der sich die sozialdemokratische Reichs-
tagsfraktion mit der Frage befassen mulzte, wie sie sich bei der
Abstimmung ixberden Etat verhalten wolle. Bisher stand
es fest, dalz die Bewilligung des Etats eine Vertrauenskundgebung
fur die Regierung bedeutete. Deshalb batten auch alle Parteitage,
die sich mit dieser Frage befafzten, beschlossen, dafe Jedes Budget,
das von der Regierung eines kapitalistischen Staatswesens vorgelegt
werde, von den Vertretern der Arbeiterklasse a b z u 1 e h n e n sei,
seibst wenn in einzelnen Forderungen enthalten seien, deren An-
nahme im Interesse des Proletariats lagen. Der Beschlufzfassung
auf den Parteitagen war jedesmal eine leidenschaftliche Debatte
vorausgegangen, >es stand aber iiber jeden Zweifel, dafz ihr alle
Teile der Partei verbunden waren, und dalz sich auch die Reichstags-
fraktion an die Parteitagsbeschlusse zu halten hatte.
Nun waren die bisherigen Kriegskredite, asweimal zu je funf Mil-
liard en Mark, in besonderen Vorlagen eingebracht worden, den
dritten Krieg^kredit in Hohe von 10 Milliarden Mark hatte aber die
Regierung in das Budget hineingearbeitet. Dadurch waren diejenigen
sozialdemokratischen Abgeordneten, die zwar fiir die Kredite stimmen,
aber doch nicht die Parteitagsbeschlusse verletzen wollten, in eine
etwas peinliche Lage geraten, und es bedurfte vieler Ueherredungs-
kunst der kriegspatriotischen Wortfuhrer, urn Gewissensbedenken
solcher Art zu beseitigen. Am. 7. Marz war der Parteiausschufz zu-
sammengetreten. Er billigte mit 35 gegen 5 Stimmen von Antrick,
Difzmann, Pieilzner, Hennig sund Linde die Bewilligung der Kriegs-
kredite im Reichstag und erklarte mit 30 gegen 10 Stimmen die
Bewilligung des K r i e g s b u d g e t s , trotz der Parteitags-
beschlusse, fiir zulassig und notwendig. Am 8. Marz trat die Reichs-
tagsfraktion zusammen. Die burgerlichen Parteien und die Regierung
batten gewimscht, dalz bei der ersten Lesung des Etats uberhaupt
nicht gesprochen werde. Der rechte Fliigel der Fraktion wollte
diesen Wunsch erfullen. Nach langen Diskussionen wurde aber be-
schiossen, dalz Haase eine Etatrede halten solle. Am Q. Marz
wurde der Inhalt dieser Rede erortert Haase wollte darin auch
ii b e r den F r i e d e n sprechen. Der rechte Fliigel erklarte, dalz
}ede Kundgebung des Friedenswillens verderblich sei. Mit 57 Stim-
men wurde jedoch der Vorschlag von Haase angenommen.
Baase fiihrte in seiner Rede vom 10. Marz aus, dafe die soziai-
demokratische Fraktion ihr Votum vom 4. August und vom 2. De-
56
member nicht als Handelsgeschaft betrachte. Aber es sei nicht .zu
biilig<en, dafz die Regierung dem Reichstage trotz der unermefzlichen
Opfer r die das Volk bisher gebracht babe, lediglicb diesen Etat vor~
lege. Die Regierung miisse dafiir sorgen, dafz alien Staatsbixrgern
ohne Unterschied der Klasse, der Partei, der Konfession, der Natio-
nalitat voile Gleichberechtigung geiwahrt werde. Vergeblich warte
das Volk auf die Aufhebung des Belagerungszustandes, der eine
Erbitterung erzeugt babe, von deren Starke die Regierung sicb keine
Vorsteliung zu machen scheine. Und wie werde die Zensur gehand-
habtf Es spotte jeder Beschreibung, aus welchen Griinden Zeitungen
verfolgt oind unterdriickt werden. Die Berufung auf den Burgfrieden
arte vielfach geradezu zu einem Unfug aus. Das deutsche Volk
■dixrfe sicb nicht ausschalten lassen, wenn es sicb um die schicksals«
schwere Frage seiner Zukunft bandele. Es babe mitzureden und an
den Entscbeidungen mitzuwirken. Die Sozialdemokratie als Vertre-
terin. des internationaien Sozialismus und die Partei des Friedens
wiinsohe, dafz ein dauerhafter Friede geschlossen werde, der nicht
neue Keime von tZwietracht in sich trage. Bis das blutige Ringen
2?um Abschlufz gekommen sei, miisse die Emahrung des Volkes
siehergestellt werden. Von den Kreisen, die in dieser Zeit der Not
besonders bobe Gewinne einstreichen, mufzten, hohe Besitzsteuern
^rhoben werden.
Einige Tage darauf hielt der Herrenhaus-Prasident von Wedel-
Piesdorf eine Eroberungsrede, und ein Teii der Fraktion verlangte
nunmehr, dafe Scheidemann, der zum Etat des Reichskanziers
sprechen sollte, eine Absage an die Annexionspolitik bringe. Es
wurde dagegen eingewandt, dafz die Regierung keine Annexionen
wolle, deshalb bestebe kein Anlafz, sicb jetzt gegen sie zu wenden.
Scheidemann wollte lediglicb bemerken, dafz die Fraktion an ihrem
fruh-eren Standpunkt zur Annexionsfrage festhalte. Ein Antrag von
Simon, die Rede von Wed el ausdrucklich zu erwabnen, wurde mit
48 gegen 39 Stimmen abgelehnt
In seiner Rede am 18. Marz berief sicb Scheidemann auf
die Erkiarungen vom 4. August und vom 2. Dezember und be~
hauptete, dafz sicb seitdem nicbts zugetragen babe, was die Haltung
der Fraktion andern konnte. Das Volk miisse durcbbalten, urn den
Glauben der Gegner an die Besiegbarkeit Deutschlands zu zerstoren.
Ailerdings miisse man verlangen, dafz wirtschaftliche Mafznahmen
getroffen wiirden, die das Durchhalten besser ermoglichten. Scheide-
mann bedauerte sehr, dafz der „Ausbau der Preiheit" erst nach dem
Kriege erfolgen solle; man batte jene Verheifzungen vom 4. August
doch jetzt schon erfullen konnen. Aber auch, wenn diese Ver~
heilzungen nicht erfiillt wiirden, so durfe es jetzt zu inner en Kampfen
»nicht kommen. Man kann sich vorstellen, dafz dieses Gerede nicht
den geringsten Eindruck auf die Regierung und auf die burgerlichen
Parteien machte.
Die Fraktion befasste sich nunmehr mit der Frage der K r e d i t -
b »e w a 11 i g u n g. Einige Abgeordnete verlangten, dafz man nicht
10, sondern nur 5 Milliarden bewilligen solle. W u r m warnte die
Ivfehrheit davor, den Bogen zu uberspannen. In den Arbeitermassen
wachse die Opposition gegen die Fraktionstaktik. David griff die
Opposition heftig an und meinte, sie werde die Regierung in die
Arme der Scharfmacher treiben. Legien murmelte einiges von
Koiwentikelpolitik. Siidekum verlangte die Bewilligung der
10 Milliarden, damit die Sozialdemokratie sich nicht ausschalten
lasse. Der Antrag auf Bewilligung von but 5 Milliarden wurde mit
64 gegen 34 Stimmen abgelehnt Dann wurde mit 77 gegen 23
Stimmen beschlossen, die 10 Milliarden zu bewilligen. Zwei Ge~
nossen erklarten sich noch nachtraglich gegen die Bewilligung. Die
Namen der Fraktionsmitglieder, die gegen die Kredite in dieser
Sitzung stimmten, waren: Albrecht, Antrick, Bernstein, Bock^ Ditt-
mann, Emmel, Fuchs, Geyer, Haase, Henke, Herzfeld, Hoch, Horn.
Kunert, Ledebour, Leutert, Liebknecht, Peirotes, Ruble, Schwartz,
Simon, Stadthagen, Stolle, Vogtherr und Zubeil
E b e r t suchte nunmehr nachzuweisen, dalz auf Grand einfer
Ausnahmeklausel des Lijbecker Parteitages das Budget bewiffigt
werden konnte. Im gleichen Sinne sprachen Schopflin, JCohen,
Landsberg und David. Gegen die Bewilligung wandten sich Bern-
stein, Haase, Stadthagen und Emmel. Simon beantragte im Falie
der Bewilligung im Plenum zu erklaren, dalz sie mir unter dem
Zwange des Krieges erfolge, aber die grundsatzliche Stellung der
Fraktion in der Budgetfrage nicht beruhre. Mit 60 gegen 34 Stim-
men wurde der Antrag abg-elehnt. Schliefzlich wurde die Bewilligung
des Budgets mit 69 gegen 30 Stimmen beschlossen, 5 Genossen
erklarten sich noch nachtraglich gegen die Bewilligung, Zu den
obengenannten Fraktionsmitgliedern kamen jetzt noch hinzu: Baudert,
Brandes, Buchner, Oskar Cohn, Hierl, Hoffmanns-JKaisersiautern,
Hofrichter, Hugel, Raute und Schmidt-Meifzen. Insgesamt waren also
jetzt schon 35 Mitglieder der Fraktion Gegner der Kreditbewilligung.
Ein Antrag Emmel, die Abstimiming im Plenum fiir die Minderheit
freizugeben, wurde mit 71 gegen 18 Stimmen abgelehnt
In der Reichstagssitzung vom 20. Marz kam es vor der Abstim-
mung Ciber das Budget noch zu sturmischen Aruseinandersetzungen..
Stadthagen hielt eine Rede iiber das Wuten des Belagerungs-
zustandes. Er wies nach, dafz nirgendwo in Deutschland jetzt ein
gesetzlicher Zustand fur die Presse bestehe. Die militarischen Be-
fehlshaber iibten die vollziehende Gewalt aus und hielten sich in
keiner Weise dabei an die bestehenden Gesetze. An einer Anzahl
von Beispielen zeigte Stadthagen, wie die sozialdemokratische Presse,
naturlich nur die oppositionelle, von der Zensur drangsaliert wurde.
Viel schlimmer noch als in der Provinz stehe es aber in Berlin,, wo
sich die militarischen Befehlshaber besonders den „Vorwarts" aufs
Korn genommen batten. Die Kriegstreiber 'dagegen wiirdert von
der Zensur in keiner Weise behindert
Hatte schon diese Rede lebhafte Entrustung bei der Regierung
and bei den biirgerlichen Parteien hervorgerufen, so steigerte sich
diese Entrustung zum Sturm, als Ledebour sich gegen die Aus-
nahmegesetze gegen einzelne Teile der Bevolkerung wandte. Die
franzosisch sprechende Bevolkerung Elsalz-Lothri-rtgens werde so
drangsaliert, dafz die Sehnsucht nach der franzosischen Herrschaft
geradezu in sie hineingepeitscht werde. Ebenso gehe es den Danen
und den Polen. Die Regierung habe die Parole gegen den Zarismus
ausgegeben, bei sich zuhause aber ijhe sie sich in alien Alluren des
58
Zarismiis. Dann .besprach Ledebour eine Kundgebung der Obersten
Heeresleitung. Hindenburg hatte die Meldung, dafz russiche Trupper&
ein paar Dorfer bei Memel niedergebrannt batten, mit folgender
Drohiung beantwortet: , y Fiir jedes von dies-en Horden auf deutschem
Boden niedergebrannte Dorf oder Gut werden drei Dorfer des von
uns besetzten russischen Gebiets in Flammen aufgehenl" Die
Rechte des Hauses tobte wie besessen, als Ledebour diese barba-
rische Anweisung ihres Nationalhelden zu kritisieren wagte.
Nach der Rede des Genossen Ledebour trat ein fourgerlicher
Redner nach dem anderen auf und verlangte von der sozialdemo»
kratischen Fraktion eine Erklarung dazu. Ebert und Heine foehaup-
teten in Zwischenmfen, dalz Ledebour seine Ausfuhrungen nicht ira
Auf tr age der Fraktion gemacht habe. SchlieizMch erklarte Scheide-
mann <im Namen des Praktionsvorstandes, dafz Ledebour beauftragt
gewesen sei, nur iiber den Sprachenparagraphen zu reden. Alles r was
er daruber hinausgehend gesagt habe, habe er fur seine
Person gesagt und allein zu verantworten. Diese Erklarung
w-urde von den burgerlichen Parteien und einem Teile der sozial-
demokratischen Fraktion mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Aber
der Kniefall Scheidemanns geniigte ihnen noch nicht Die Sitzung
wurde auf zwei Stunden unterbrocheru
In der Pause hielt die sozialdemokratische Fraktion eine Sitzung
ab. Mit 70 gegen 22 Stimmen bei 6 Enthaltungen wurde be-
schiossen, durch Scheidemann eine Erklarung abgeben zu lassen,
wonach die Griinde, die fur die Bewilligung der Kriegskredite am
4. August und am 2. Dezember bestanden, mafzgehend gewesen
seien, noch unvermindert fortbestanden. Aus diesem Grunde werde
die Fraktion auch dem Etat ihre Zustimmung geben. Ein Antrag
Emmel, in der Erklarung zu bemerken, dafz sie nur fcn Namen der
Fraktionsmehrheit erfolge, wurde gegen 22 Stimmen abg-elehnt.
Liebknecht und Ruble hatten dem Fraktionsvorstand rnitge-
teilt, dalz sie irn Plenum gegen das Budget stimmen wiirden. Legien
verlangte die Abgabe einer Erklarung, dafz die beiden Genossen
sich damit a u k e r h a 1 b der Fraktion gestellt hatten; er be-
schrartkte sich schliefziich auf einen iMiizhilligungsantrag, der mit
67 gegen 17 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen wurde. Mat
gxofzer Mehrbeit wurde die Veroffentlichung der Mifebilligung be-
schiossen.
Darauf wandte man sich der Besprechung des Falles Ledebour
zu. Verschiedene Redner warfen ihm vor, dafz er seine Kompe-
tenzen (iberschritten habe, und sie verteidigten sogar das Ver~
geltungsprinzip gegenuber dem Peinde. Ledebour blieb dabei, dalz
er die Kennzeichnung der Bar bar ei der Ob erst en Heeresleitung nicht
bedaure. In der darauffolgenden Plenarsitzung erklarten die Ver-
treter der burgerlichen Parteien, dafz sie mit dem, was Scheide-
mann zu der Rede von Ledebour ausgefuhrt hatte, nicht zufrieden
sein konnten, Graf Westarp fugte noch hinzu, dalz die Zustimmung
zum Etat die einfache Pflicht jedes Mitgliedes des Hauses sei, was
heftige Unruhe bei den Sozialdemokraten hervorrief. Scheidemann
gab schliefziich noch einmal erne Erklarung ah, worin er ausfCihrte,
d®k seine Fraktion nicht f(ir Jeden Zwischenruf ein-es Abgeordneten
r>9
verantwortlich gemacht werden konnte. Er miisse es ablehnen, sich
von anderen Fraktionen Zensuren erteilen zu lassen.
Es kam jetzt die Budgetabstimmixng; Liebknecht und Riihle
stimmten dagegen, vorher batten sich folgende Genossen aus dem
Saale entfernt: Aibrecht, Antrick, Baudert, Bernstein, Bock, Brandos,
Biichner, Davidsohn, Dittmann, Bmmel, Fuchs, Geyer, Haase, Henke,
Herzfeld, Hoch, Hofrichter, Horn, Kunert, Ledeboiir, Leutert, Feirotes,
Raute, Schmidt (Meiizen), Schwarz (Liibeck), Simon, Stadthagen,
Stolle, Vogtherr, Zubeil. Oskar Cohn erklarte im , r Vorwarts", dafe
er durch Krankheit verhindert gewesen sei, den Sitzungen beizu-
wohnen, er wiirde sich an den Abstimmungen iiber den Gesamtetat
nicht beteiligt hahen.
m
Das Gebot der Siunde.
Die Annexionswimsche der Unternehmerorganisationen. — Die Wirkung
der Zustimmung zum Budget. — Die Internationale Frauenkonferenz in
Bern. — Die Zeitschrift Internationale". — Das Schreiben an den Partei-
vorstand. — Das Gebot der Stunde.
Morvat um Monat verstrich und kein Ende des Weltkrieg.es schien
abzusehen. Hunderttausende von proletarischen Familien jammerten
urn den Vater, den Sohn, den Bnider, die der unersattliche Moloch
gafressen hatte. Die gesunden Leute waren verbraucht. Nun kamen
die Halbinvaliden, die Kranken, halbe Kinder daran. Die Preise der
Lebensmittel gingen unausgesetzt in die Hohe, die Waren wurden
immer knapper. Mangel und Sorge zogen in die Arbeiterkreise ein.
Deutschland versank in einem Meer von Blut und Tranen.
Dem kapitalistischen Burgertum dagegen ging es so glanzend wie
nie zuvor. Je hoher sich die Leichenhaufen auf den Schlachtfeldern
tiirmten, desto schneller stiegen die Profile der Unternehmer. Und
es inacbte keinen Unterschied, ob es sich um Kapitalisten vom Schlot
oder vom Halm handelte. Was Wunder, dafz die Bourgeoisie den
Krieg, diese herrliche Gelegenheit zur personlichen Bereicherung,
bis ins Unendliche auszudehnen gedachte. Und nun kehrten auch
die Kriegstreiber ihr wahres Gesicht hervor. Die Unternehmer-
verbande, der Bund der Landwirte, der deutsche Bauernbund, der
Zentralverband deutscher Industriellen, der Hansabund und der
Mittelstandsverband verlangten stiirmisch nach Annexionen in
Belgien, in Nordfrankreich und in Franzosisch-Lothringen. In Denk-
schriften und in Versammiungen wurde die Regierung bedrangt, dafz
sie endlich ihr K r i e g s z i e 1 verkiinden solle, natiirlich nur ein
Kriegsziel, das den Wunschen der Annexionisten entsprach. Offiziell
legte die Regierung sich nicht fest. Aber gerade dadurch, dalz sie
die Eroberungswunsche nicht unzweideutig zuruckwies, zeigte sie
mit aller Klarheit, dalz sie mit ihnen ubereinstimmte. Das wurde
noch hinreichend bestatigt durch zahllose Kundgebungen namhafter
Personlichkeiten aus den Kreisen der Regierung und der Heeres-
leitung, die sich off en fur maizlose Annexionen aussprachen.
Jedoch Bethmann«Hollweg wollte sich nicht vinkulieren. Ueber
das Kriegsziel sollte nicht offentlich geredet werden. Nicht deshalb,
weil man die Anspriiche der Annexionisten fiirchtete r sondern weil
auf diese Weise der Schwindel vom Verteidigungskriege noch
schneller entlarvt worden ware. Die Alldeutschen und ihre Gefolgs-
mannen, die bis in den Reihen der Sozialdemokratie bin ein sa(zen r
batten freilich vor dieser Anordnung keinen Respekt. Frei ent~
61
falteten sie ihr Eroberungsbanner, ihre Sprache wurde imroer deut-
Kcher. SchlieMich verlangten die wirtschaftlichen Organisationen
der Unternehmer in einer Eingabe an den Reichstag, er moge dafur
sorgen, dafz die Erorterung der Kriegsziele moglichst bald freigegeben
werde, damit die offentliche Meinung, namlich die Wunsche der
Annexionisten, bei den Friedensverhandlungen rechtzeitig zur Get
tung gelangen konnten. Die „Post" bemerkt erlauternd dazu, dafz
nur ein solcher Friede geschlossen werden durfe, der „das deutsche
Vaterland grofoer und starker als zuvor aus diesem Kriege" hervor-
gehen lasse.
Auch unter den sozialdernokratischen Fuhrem gab es manche y die
sich den Abschlufz des Fried-ens nur mit einem erheblichen Land-
zuwachs fur Deutschland vorstellen konnten. Scheidemann
predigte, dalz es ein-e Verriicktheit sei f zu glauben, der Krieg werde
ausgehen, ohne daiz die Grenzsteine verschoben werden warden.
Der Bergarbeiterfuhrer Leimpeters behauptete, daiz auch die
deutschen Arbeiter sich often fiir Eroberungen aussprechen wurden,
wenn man sie nur befragen wollte. Selbstbestimmung der Volker?
Ein Ladenhiiter der sozialdernokratischen Agitation von vor«
gestern, erklarte Lensch. Monarchic und Republik? Eine Frage,
die die deutsche Arbeiterklasse nicht mehr zu beschaftigen brauche,
nachdem sich das Kaisertum Wilhelm II. in diesem Kriege so herrlich
bewahrt habe. Also Wolfgang Heine in einer groJ&en Rede in
Stuttgart. Klassenkampf? Vielleicht wieder nach dem Kriege, so
sagte uns Konrad Haenisch. Mit Recht konnte das H a 1 li s c h e
„V o I k s b 1 a 1 1" in Jenen Tagen schreiben:
yy Von Tag zu Tag zeigt sich immer klarer, dalz gewisse fiihrende Per-'
sonlichkeiten in der Partei die Sozialdemokratie von ihren bisherigen
Grundlagen abzudrangen suchen, urn sie in eine einfache Reform-*
partei umzuwandeln. Dieselben Personen haben diese Bemiihungen
freilioh meist schon jahrzehntelang betrieben, aber so planmalzig r so
heftig und so offen noch niemals wie jetzt. Der Beschlulz der Frak-
tionsmehrheit r die Kriegskredite am 4. August und am 2. Dezember 1914
zu bewilligen, gab das Signal. Man deutet in jenen Kreisen den Beschlulz
so ? dalz er als Konsequenz den volligen Bruch mit alien Grund*
satzen der inter nationalen proietarischen Klassen*
kampfpartei zur Folge haben miisse. Da aulzerdem der J3urg~
frieden" zwischen den Parteien erklart ist 7 die Zensur waltet und so
viele tapfere sozialdemokratische Kampfer in den Schutzengraben stehen,
so meint man, der Zeitpunkt sei gunstig, um jetzt oder nie die grundsatz*
liche Richtung und Taktik der Sozialdemokratie umzubiegen. Wir haben
diese Treibereien bisher wenig beachtet, und nur ab und zu einen
Vorstofz mitgeteilt. Jetzt aber wird es notwendig 7 die breitesten Schich-
ten der Parteigenossen irber diese systematischen und sehr ernsten Be*
strebungen zu unterrichten."
Die Rede" Haases im Reichstag am 10. Marz rief in den Arbeiter-
massen eine starke Wirkung hervor. Sie wurde als der erste
proletarische Fanfarenstolz erkannt, der in den chauvi-
nistischen Nebel klarend hineinstielz. Starker freilich waren die
Wirkungen der Sitzungen vom 18. und 20. Marz. Man erkannte
sofort, welchen Zweck Scheidemann mit seiner Rede zum Etat des
Reichskanzlers erreichen wollte. Durch die Aufstellung einiger
62
demokratischer Fcrderangen <so!lte die Opposition g-egen die sozial«
demakratische Kriegspolitik beschwichtigt werden. Auf der andere-n
Seite wollte er durch die „besonnene" Form seiner Rede den inv
giinstig-en. Bindruck verwischen, den die Rede von Haase auf die
Bourgeoisie gemacht hatte. Konnte doch die junkerliche ^Deutsche
Tageszeitimg" von Scheidemanns Rede sag-en, dalz ,,unsere Peinde"
aus dessen Ausfiihrungen entnehmen konnten, wie auch die deutsche
Sozialdemokratie entschlossen sei, alles zu tun und allem zuzu-
stimmen, was notig sei, um den Sieg zu erringen. Dalz er auch
einige Spitzen gegen die Regierung gebraucht habe/ das sai nicht
welter schlimm.
Anders aber war es um die Reden bestellt, die Stadthagen und
Ledebour am 20. Marz im Reichstag gehalten batten. Suchte die
burgerliche Presse die Ausfiihrungen von Stadthagen mit Schweigen
seu ilbergehen, so fiel sie um so lebhafter liber Ledebour her. Die
„Post" verlangte, dalz die sozialdemokratische Partei jetzt endlich
„ r das Hauflein derer aim Liebknecht" von sich abschuttele, Wenn
sich die Liebknecht und Genossen fortgesetzt in Rede und Abstinv
mung in schroffsten Widerspruch zu dem volkischen Kriegswillen
stellten, die die iiberwiegende Mehrheit der Sozialdemokratie unbe-
dingt bejahe, so klafften Gegensatze so wesentlicher Art, dalz eine
Trennung unausbleiblich erscheine.
Der sozialpatriotische Toil der Partei beeilte sich denn auch, diesen
Forderungen der Scharfmacher nachzukommen. Das „H amburger
Bch o", das in diesem Treiben fuhrend vorangehe, behauptete, dalz
die Opponenten nur noch das lobliche Handwerk der Haarspalterei
betrieben. Eigensinn setze sich iiber alle politische Vernunft hin«
weg. Die ganze Art der Rede von Ledebour sei nicht so gewesen P
dalz die Wanning der Gerechtigkeit und Menschlichkeit hervortrat,
sondem der eigensinnige Wille, einen Skandal zu provozieren. Ein
anderes Biatt, die „Bergwacht" in Waldenburg, schrieb, dalz sie auf
das tiefste emport iiber den Skandal sei, den Ledebour verursacht
habe.
Noch scharf er wurden die Auseinandersetzungen in der Partei, als
die sozialdemokratische Reichstagsfraktion das Budget bewilligt hatte.
Mochte man immerhin noch die Bewilligung der Kriegskredite als
Ausnahmeerscheinungen hinnehmen, die verschwinden wurden, wenn
der Krieg voriiber war, so wurde die Zustimmung zum Etat von alien
Seiten und mit Recht so gedeutet, d a fz die F r a k t i o n end-
g <il 1 1 i g mit der bisherigen Politik der Partei ge~
b r o c h e n hatte. Die Beschliisse der Parteitage batten die Ab~
lehnung des Etats als grundsatzliche Frage festgelegt, und das war
besonders in Magdeburg zum Ausdruck g^ekommen. Nunmehr sollte
die Taktik bestimmt werden nicht mehr von den Grundsatzen der
Partei, sondem von den parlamentarischen Bedixrfnissen des Augen-
blicks. Aus der proletarischen Partei, die im scharfsten Gegensatz
zur Bourgeoisie stand und bisher davon durchdrungen war, dafz nur
Im Kampf mit diesem Gegner um den Sozialismus gerungen werden
konnte, war eine Reformpartei geworden, die in friedlichen Verhand-
lungen mit den kapitalistischen Machten einige Vorteile fur die Ar»
beiterschaft herauszuschlagen hoffte. So wurde die Zustimmung
zum Budget von der Partei, so wurde sie auch von der burgeriich-en
Presse gewiirdigt. Das „Berliner Tageblatt" nannte diese Reichs-
tagstagung das grolze Ereignis, das in die Friedenszeit hiniiber-
wirken und flir die kunftige Gestaltung der inner-en Reichspolitik
vielleicht die Richtung angeben wiirde. Der „Hannoversche Kurier"
erklarte, daiz mit der Zustimmung zum Etat der entscheidende Schritt
von der vemeinenden zu der mitarbeitenden Sozialdemokratie g<e«-
schehen sei. Die ^Frankfurter Zeitung" schrieb, daiz diese Ab«
stimmung ein historisches Ereignis sei, das fur unsere ganze innere
politische Entwicklung von Bedeutung sein werde.
In unendlich vielen Artilkeln bemuhten sich die Bewilliger des
Budgets, ihre Tat der Arbeiterklasse mundgerecht zu machen und
nachzuweisen, dalz erstens die Bewiliigung des Kriegsbudgets den
Parteitagsbeschlussen nicht widerspreche, und dalz ziweitens selbst
August Bebel, Wilhelm Liehknecht, Karl Marx und alle anderen
Meister des Sozialismus in dieser Situation nicht anders gehandelt
haben wiirden. Demgegenuber stellten die oppositionellen Partel-
blatter noch einmal und mit Nachdruck fest, daiz die Parteitage von
Lubeck, Nurnberg und Magdeburg als den Gesamtwillen der sozial«
demokratischen Partei die Verweigerung des Budgets an die Regie-
rung erklart hatten. Die Stellungnahme der Fraktionsmehrheit sei
durchaus nicht zu billigen, sie werde in waitesten Kreisen der
Parteigenossen auf scharfste Gegnerschaft stoizen. Es war selbst-
verstandlich, daiz diese Kritik an der Budgetabstimmung sich in der
mildesten Form halten mufzte, hatte doch eine Anzahl von Zen-
soren der Parteipresse ausdrucklich untersagt, gegen die Bewiliigung
der Kriegskredite etwas zu schreiben.
Im Marz versammelten sich in Bern die Vertreterinnen der
sozialistischen Frauen aus einer Anzahl von Landern zu
einer Konferenz. Der deutsche Parteivorstand und die franzosische
Parteileitung hatten es abgelehnt, offiziell Delegierte zu entsenden.
Dagegen hatten die englische Arbeiterpartei, das russische Zentral«
komitee, das Qrganisationskomitee der russischen sozialdemokra-
tischen Arbeiterpartei Vertretungen entsandt. Hauptgegenstand der
Beratungen war „die internationale Friedensaktion der sozialistischen
Frauen". Es wurde eine langere Resolution angenommen, worin
es hiefz, daiz der Weltkrieg seine llrsachen im kapitalistischen Im«
perialismus habe und im unversohnlichen Gegensatz zu den Inter-
essen der Arbeiterklasse der ganzen Welt stiinde. An die Stelle des
Klassenkampfes sei der Burgfriede getreten, der die Arbeiterklasse
bei der Erfullung ihrer grofzen geschichtlichen Aufgabe der Befreiung
des Proletariats als Werk der vereinigten Proletarier aller Lander;
hindere. Die Konferenz f ordere die sofortige Beendigung
des Krieges und einen Frieden ohne Annexionen, ohne Er~
oberungen, der das Recht der Volker und der Nationalitaten auf
Selbstbestimmung und Unabhangigkeit anerkenne und keinen der
kriegftihrenden Staaten demiitigende, unertragliche Bedingungen
auferlege. Eine baldige Beendigung des Weltkrieges konne nur
durch den klaren, unerschutterlichen Willen der breitesten Volks-
klassen erzwungen werden. Die Frauenkonferenz rufe daher die
sozialistischen, die proletarischen Frauen aller Lander auf, sofort
und ohne Furcht vor Verfolgungen durch Massenkundgebung*en
64
jeder Art ihr Internationales Solidaritatsbewulztsein und ihren Frie~
denswillen zu bekunden. Die sozialistischen Parteien miifzten die
Punning der Volker im Rampfe um den Prieden iibernehmen, die
Fried en saktion der sozialistischen Frauen miisse Vbrlauferin einer
allgem-einen Bewegung der werktatigen Massen fur die Beendigung
des Brudermordes sein. Sie miisse einen wichtigen Schritt vorwarts
bedeuten zum Wiederaufbau der einen grofzen Arbeiterinfernationale.
AIs ziweiten iPunkt der Tagesordnung erorterte die Konferenz die
Notw-endigkeit einer Beiwregung g<e g en den Nationalise
mus und fur den Internationalismus. Einstimmig pro-
testierte die Konferenz gegen die Verhaftuhg der russischen sozial-
demokratischen Dumaabgeordneten und der Genossin Luxemburg.
Gegen eine russische Stimme wiirde eine Resolution der engliscben
Delegation angenommen, die unbeschadet der grundsatzlichen Unter-
schiede in der sozialistischen und burgerlichen Auffassung der
"Friedensfrage den nichtsozialistischen Priedensfreunden und ins-
■besondere dem bevorstebenden international en. Priedenskongr eiz der
Frauen im Haag die Sympathie der Konferenz aussprach. Schliefz-
lich wurde das folgende Manifest beschlossen:
Friauendes arbeitenden Volkesf
Wo sind E iU.r e Manner? Wo s i n d E u r e S 6 h n e ?
Seit acht Monaten stehen sie draufzen im Felde. Sie sind iKrer Arbeit,
ihrem Heim entrissen: Jiinglinge, die Stiitze und Hoffhung ihrer Eltern,
Manner in der Blute ilirer Jahre, Manner mit ergrauendem Haar, die
Ernahrer -ihrer Familien. Sie alle tragen den bunten Rock, hausen in den
Schutzengraben, sind kommandiert zu veraichten, was fleilzige Arbeit
aufgebaut hat. !
Millionen ruhen bereits in den Massengrabern. Hunderttausende und
aber Hunderttausende liegen in den Lazaretten — mit zerfetzten Leibern,
mit zerschmetterten Gliedem, mit erblindeten Augen und zerstortem Him,
gepackt von Seuchen oder niedergeworfen von Erschopfung.
Verbrannte Dorfer und Stadte, zertrummerte Briidcen, vernichtete
Walder und zerwiihlte Aecker sind die Spuren ihrer Taten.
Proletarier frauen!
Man hat Euch g~esagt, Eure Manner und Sonne seien hinausgezogen,
Euch, die schwachen Frauen, Eure Kinder, Euer Haus und Euem Herd
zu sehiitzen. '
Wie ist die Wi r kli chk ei t ?
Auf den Schultern der „schwachen" Frauen ist doppelte Last gehault
Schutzlos seid Ihr dem Kummer und der Not iiberantwortet. Eure Kinder
hung-ern und frieren, das Daoh iiber Eurem Kopf droht man Euch zu
nehmen, Euer Herd ist kalt und leer.
Man hat Euch geredet von der einen grofzen Brtider« und Schwestem*
schaft zwischen hoch und niedrig, von dem Burgfrieden zwischen arm
und reich. Nun, der Burgfriede zeigt sich darin, dah der Unternehmer
Eure Lohne drixckt, der Handler und gewissenlose Spekulant die Preise
steigert 7 der Hauswirt Euch auf die Stralze zu setzen droht. Der Staat
hat karge Hand, die burgerliche Wohltatigkeit kocht Bettelsuppen und
empfiehlt Euch zu sparen.
Was ist derZweckdieses Krieges, der Euch so furcht*
bare Leiden bringt?
5 65
Man sagt: das Wohl, die Verteidigung des Vaterlandes.
Was 1st das Wohl des Vaterlandes? '
Sollte es nicht das Wohl vieler Millionen bedeuten, der Millionen, die
der Krieg zu Leichen, zu Kriippeln, zu Arbeitslosen und zu Bettlern, zu
Witwen und zu Waisen macKt?
y/er gefahrdet das Wohl des Vaterlandes? Sind es jene Manner,
die jenseits der Grenze in anderer Uniform stecken, die so wenig wie
Eure Manner den Krieg gewollt haben, noch wissen, weshalb sie ihre
Briider raorden sollen? Neinl Gefahrdet ist das Vaterland durch alle,
die aus der Not der breiten Massen Reichtum schopfen und ihre Herr-
schaft auf der Unterdruckung aufbauen.
Wem niitzt der Krieg?
Nur einer kleinen Minderheit in jeder Nation.
Den Fabrikanten von Flinten und Kanonen, von Panzerplatten und Tor*
pedobooten, den Werftbesitzern und den Lieferanten des Heeresbedarfs.
Im Interesse ihres Profits haben sie den Hafz unter den Volkern ge«
schiirt und so zum Ausbruch des Krieges beigetragen. Der Krieg niitzt
den Kapitalisten ixberhaupt. Hat nicht die Arbeit der enterbten und aus«
gebeuteten Massen Waren aufgehauft, die jene nicht verbrauchen diirfen,
die sie erzeugten? Sie sind ja arm, sie konnen nicht dafiir zahlen!
Arbeiterschweifz hat diese Waren geschaffen, Arbeiterblut soil
ihnen neue Absatzmarkte im Ausland erkampfen. Koloniallander solien
erobert werden, wo die Kapitalisten die Schatze des Bodens rauben und
billigste Arbeitskrafte ausbeuten. '■
Nicht die Verteidigung des Vaterlandes, seine Vergrolzerung ist der
Zweck dieses Krieges. So will es die kapitalistische Ordnung, denn ohne
die Ausbeutung und Unterdruckung des Menschen durch den Menschen
kann sie nicht bestehen.
Die Arbeiter haben durch diesen Krieg nichts zu ge«
winnen, wohl aber alleszu verlieren, was ihnen 1 i e b
undteuerist!
Arbeit erfrau en, Arbeiterinnen f
Die Manner der kriegfixhrenden Lander sind zum Schweigen gebracht
worden. Der Krieg hat ihr Bewufztsein getriibt, ihren Willen gelahmt,
ihr ganzes Wesen entstellt.
Aber Ihr Frauen, die Ihr neben der nagenden Sorge urn Eure Lieben
im Felde daheim Not und Blend ertragt, worauf wartet Ihr noch, um
Eur en Willen zum Frieden, Eur en Protest gegen den Krieg zu erheben?
Was schreckt Ihr zuriick?
Bisher habt Ihr fur Eure Lieben geduldet, nun gilt es, fur Eure Manner
fur Eure Sohne zu handeln.
Genug desMordensI
Dieser Ruf erschallt in alien Sprachen. Millionen von proletarischen
Frauen erheben ihn. Er findet Widerhall in den Schutzengraben, wo das
Gewissen der Volkssohne sich gegen das Morden emport.
Frauen des werktatigen Volkes!
In diesen schweren Tagen haben sich Sozialistinnen aus Deutsohland,
England, Frankreich und Rufzland zusammengefunden. Eure Note, Eure
Leiden haben ihre Herzen bewegt. Um Eurer und Eurer Lieben Zukunft
willen rufen sie Euch zum Friedenswerke auf. Wie uber die Schlacht*.
felder hinweg sich ihr Wille zusammenfand, so mixfzt auch Ihr Euch aus
alien Landern zusanomenschliefzen, um den einen Ruf zu erheben:
66
* FriedenlFriedenI
Der Weltkrieg hat Each das grolzte Opfer auferlegt! Die Sdhne, die
Ihr in Schmerz and Leid geboren, anter Mah und Sorgen erzogen, die
Manner, die Eure Gefahrten im harten Lebenskampfe sind, raubt er
Eudbu Im Vergleich mit diesen Opfern sind alle anderen klein simd
idchtig.
Die gauze Menschheit blickt auf Euch 7 Ihr Proletarierinnen der hrieg*
fiihrenden Lander. Ihr sollt die Heldinnen, Ihr sollt die Erloserinnen
werdenl
Vereinigt Euch in einem Willen, in einer Tat!
Was Eure Manner, Eure Sohne noch nicht beteuern konnen, verikundet
Ihr es millionenfach:
Das Volk der Arbeit aller Lander ist ein Volk von Briidern. Nwr
der e i rt i g e W i 1 1 e dieses Volkes kann demMorden E i n ~
h a 1 1 g e b i e t e n.
Der Sozialismus allein ist der kiinftige Menschheitsfriede.
Nieder mit dem Kapitalismus, der dem Reichtum und der Macht der
Besitzenden Hekatomben von Menschen opfertl
Nieder mit dem Kriegel Durch z u m Sozialismus!
Bern, im Marz 1915.
Die Internationale sozialistische Frauenkonferenz
an der teilgenommen haben Genossinnen aus
D e .ii t s c -h land* F r a n k r e i c h , England, R u Iz 1 a n d 7 Polen,
Italien, Holland und der Schweiz.
Im April erschien das erste Heft der ^International <e",
Monatsschrift fiir Praxis und Theorie des Marxismus, herausgegeben
van Rosa Luxemburg und Franz Mehring. In der Einfuhrung wurde
g-esagt, dafz diese Monatsschrift ihre Entstehung der Genossin
Luxemburg verdankte, die ein Opfer des Burgfriedens geworden sei
und infolgedessen ihr Werk nicht selbst zu Bnde flihren konne:
JUnsere Aufgabe ist die gleiche wie die Aufgabe der ersten internatio«
nalen Monatsschrift, die Karl Marx herausgab: Selbstverstandi«
gang iiber die Kampfe d e r Z e i t. Diese Selbstverstandigung ist
notwendig geworden durch die imheilvolle Verwirrung, die die Wirbel
des Weltkrieges in der Internationale and zumal in der deutschen Ar«
beiterwelt hervorgerufen haben. So gilt es von neuem, die einigende,
■samm-elnde and starkende Kraft za erproben, die der Marxismus noch in
jeder Schicksalsstunde des proletarischen Emanzipationskampfes he»
wahrt hat. '
Das Bekenntnis zu einer praktischen Theorie ist das einfache Pro«
gramm in dieser Zeitschrift."
Das erste Heft enthielt einen Artikel von Rosa Luxemburg iiber
den Wiederaufbau der Internationale, ferner Beitrage von Johannes
Kampfer (Karski), Paul Lange, Kate Duncker, Klara Zetkin, Heinrioh
StrobeI ? A. Thalheimer und Franz Mehring.
Liatte es sich bisher schon gezeigt, dafz die Opposition gegei*
die Kriegspolitik der Partei durchaus keinen einheitlichen
Character trug, so erhielten die Gegensatze innerhalb der Oppo-
sition durch diese Zeitschrift sozusagen ihre theoretische Begriindung.
Sie hielt es, wie die „Leipziger Volkszeitung" damals f>eststellte P
67
weniger fiir ihre Aufgabe, die Rechte, als vielmehr einen Tell der
Linken in der Partei zu bekampien, weil er naeh Ansicht der „Inter~
national©" nicht scharf genug gegen die Fraktionspolitik verging.
Selbstverstandlich land auch diese Zeitschrift keine Gnade vor' den
Augen der Zensur. In Diisseldorf, am Druckort, warden eifrige
Haussuohungen abgehalten, ohne dalz es gelang, die Verbreitung der
, ^Internationale" zu hindern.
-Die' a b i 1 a u e n d e Kriegsstimmung glaubte die Regie-
rung wieder neu beleben zu konnen, als Italian in den Krieg ein-
trat, und der rechte Fliigel der Fraktion ieistete ihr dabei eifrigen
Beistand. In der Reichstagssitzung vom 28. Mai fiihrte E b e r t aus r
dalz Italien keinen Verteidigungskrieg, sondern einen Angriffs- und
Eroberungskrieg fiihre. In dieser Stunde gesteigerter Gefahr sei zu
wiederhoien, was am 4. August eriklart worden sei, einmiitig werde
das deutsohe Volk seine ganze Kraft einsetzen, urn dieser neuen
Gefahr Herr zu werden. Darauf folgte ein schwacher Angriff auf
die Annexionisten und die Behauptung, dalz auch seine Gesinruings*-
freimde gegen jeden Eroberungskrieg seien. Das rief die Vertreter
der biirgerlichen Parteien auf den Plan, die Herrn Ebert zum Vor~
wurf machten, dalz -er den Burgfrieden verletzt habe. Herr
Schiffer, der spat ere Ministerkollege der Rechtssozialisten,
fiihrte aus, dafz g e n u g e n d e S i c h e r h e i t e n geschaff en wer-
den mufzten und dalz die militarische Situation auszuniitzen und
ausznschopfen sei unter dem Gesichtspunkt der Gewinnung realer
Sicherheit. Start nunmehr festzustellen, dalz das ein Beweis fiir die
Eroberungsziele der burgerlichen Kriegspolitik sei, bene! sich
Scheidemann zum Schlulz dieser Debatte auf die T.hronrede
vom 4. August, worin es geheifzen hatte: wir fiihren keinen Erobe-
rungskrieg, sobald das Ziel der Sicherung erreicht sei und die
Gegner zum Frieden geneigt seien, miisse Frieden gemacht werden.
Durch solche nichtssagenden Bemerkungen ist freilich der Kriegs-
wille der Annexionisten nicht im mindesten eingeschrankt worden.
Hatte bis dahin die Opposition der Parte! ohne Jeden Plan ge«
arbeitet und lediglich von der Grundlage des sozialdemokratischen
Programms und der BeschKisse der sozialdemokratischen Parteitage
aus die Kriegspolitik der Fraktionsmehrheit bekampft, so machte es
sich bald notwendig, dalz ein gewisser Zusammenschlufe
sich vollzog. Der Parteivorstand hat spater behauptet, dafz schon
damals eine Organisation der Opposition bestanden habe und dafz
von ihr die Spaltung der Partei planmafzig vorbereitet worden sei.
Das ist nicht richtig. Erst durch die Unterdruckung der Meinungs-
freiheit, durch die von den Parteiinstanzen angewandte Politik der
Gewalt und der List kam es von selbst dazu, dalz die oppositionellen
Element e in der Partei sich zu sammeln begannen. Als das erste
Ergebnis dieser verstandlichen Regungen ist das Schreiben zu
betrachten, das im Juni 1915 an den Vorstand der Sozialdemokra-
tischen Partei und der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion ge«
richtet wurde. Es fand sehr schnell Hunderte von Unter-
schriften von soichen Genossen, die fiihrende Steliungen in der
Arbeiterbewegung inne hatten. Das Schreiben ist auch als Flug-
Matt in zahllosen Exemplar en verbreitet worden. Es lautete:
68
Berlin, den 9. Juni 1915,
.An den Vorstand der Sozialdemokratischen Parte!
Deutschlands f
An den Vorstand der sozialdemokratischen
Reichstagsfraktion, Berlin!
Werte Genossen!
Die Ereignisse der letzten Wochen zwingen uns zu diesem Schreiben.
Mit dem 4, August 1914 hat die parlamentarische und auizerparla^
mentarische Leitung der deutschen Sozialdemokratie eine Politik begon*
Tien, die nicht nur das Versagen der Partei in einem unvergleichlichen
geschichtlichen Augenblick r sondern eine immer schroff ere Abkehr von
ihren bisherigen Grundsatzen bedeutet.
Die verhangnisvollen Wirkungen dieser Abkehr ergriffen unerbittlich
von der aulzeren Politik aus die gesamte innere Politik der Partei, die
dairdt auf beiden Gebieten aufhorte, als selbstandiger Faktor zu exisrieren.
Die Anerkennung des Burgfriedens war das Kreuz auf dem Grabe des
Klassenkampfes r der nicht in behordlichen und parlamentarischen Ge«
heirakanventikeln r noch durch eine Hintertreppenpolitik nach dem
Muster kapitalistischer Kliingel gefixhrt werden kann.
Die Mehrheit der Reichstagsfraktion wich jedem
ernsthaften. Kampf aus, selbst dem fur die Koalitionsfreiheit, fur
die Wahlreform. Sie lehnte es ab, audi nur die Aufhebung des Belage«
rungszustandes zu beantragen, und verwandelte damit die aufgezwungene
Rechtlosigkeit in eine freiwillig ubernommene, um dann durch ihren Red~
ner der untertanigen Hoffhung Ausdruck zu geben, eine Milderung der
Zensur lasse sich vielleicht von einer Fursprache beim Kaiser erreichen.
Von Session zu Session wurden die Hoffnungen auf eine Aenderung
der Fraktionspolitik vertrostet und verschoben. Und immer von neuem
enttauscht. Der Mai brachte die Vollendung des Zusammenbruchs.
Immer klarer war zutage getreten, dalz der Krieg nicht der Vertei«
digung der nationalen Unversehrtheit dient. Irnmer deutlicher hatte sich
sein imperialistischer Eroberungscharakter of f enhart.
Immer imgeniertere Bekenntnisse zur Annexionspolitik wurden abgelegt.
Zu den Aeufzerungen einflufzreicher Drahtzieher des Kapitalismus traten
Kundgebungen machtiger kapitalistischer Wirtschaftsverbande, Beschlusse
der herrschenden burgerlichen Parteien und im Februar die vom Herren«
haus mit einhelliger Zustimmung aufgenommene Rede des rlerrenhaus*
prasidenten, die die Moglichkeit eines sofortigen Friedens unter Auf~
rechterhaltung des bisherigen deutschen Besitzstandes feststellte, aber
die Fortsetzung des Krieges zu Eroberungszwecken fiir geboten erklarte,
eine Rede, durch die sich die Mehrheit der sozialdemokratischen Frak«
lion dennoch nicht an der Bewilligung neuer zehn Milliarden Kriegs*
kredite und des Budgets hatte hindern lassen.
Die itbergrolze Masse der Parteigenossen daheim wie im Felde erwartete,
dalz die Reichstagsfraktion wenigstens jetzt endlich im Mai r nach langen
10 Monaten eines furchtbaren, in Dauer und Ausgang unubersehbaren
Krieges in einer nachdrucklichen unzweideutigen Kundgebung die schleu*
nige Beendigung des Krieg'es fordern und dem entschlossenen Friedens«
willen der Sozialdemokratie Ausdruck verleihen wiirde — entsprechend
dem vom deutschen Parteitag noch ausdrucklich gebilligten Beschlulz
des Stuttgarter Kongresses, der die Partei verpflichtet, den Krieg zur Auf«
riittelung der Massen im Klassenkampf auszunutzen und so fiir seine
rasche Beendigung zu wirken.
Die Erwartung der Massen ist wieder unerfullt geblieben.
69
Wie die Fraktionsmehrheit kein Wort des Protestes gegen den B r w c h
der belgischen Neutralitat gefunden hatte, wie sie es ab-
lehnte, ihre Stimme zu erheben gegen die Torpedierung der Lusitania,
gegen das Vergeltungsprinzip, das zu einem Wettlauf der Grausamkeit
fuhrt und die Zivilbevolkerung immer tiefer in die Schrecknisse des Krie~
ges reilzt, wie sie es unterliefz, nach dem Beispiel unserer serbischen,
nxssischen, englischen und italienischen Genossen die Schuldlgen am
Weltkrieg im eigenen Lande zu bekampfen, und wie sie half, dem impe«
rialistischen Unternehmen den Deckmantel des Patriotismus uxnzuhangen,
so hat sie auch hier vollig versagt. Wenn der sozialdemokratische Red«
ner am 29. Mai in einigen Wendungen von Friedenssehnsucht sprach und
fur einen Frieden ohne Annexions eintrat, so nahmen dock Form und
Begleitumstande von vomherein dieser Rede den Charakter einer ernsten
Friedenskundgebung. Und was sich nach ihr abspielte, stempelte die
ganze „Aktion" fur In« und Ausland zum Gegenteii einer Friedenskund-
gebung.
Die voile Redeutung dieser Haltung der Fraktionsmehrheit ergibt sich
aus der Tatsache, daiz ihr das Kriegsziei der Regierung ganz
autorativbekannt war. Unverbliimt hatte der Reichskanzler in der
Reichstagssitzung vom 28. Mai den Eroberungskrieg proklamiert, zu des-
sen Programme wie die Fraktion wufzte, die offene Annexion russischer
und franzosischer Gebietsteile und unter dem Etikett der zwangsweisen
wirtsehaftlichen Angliederang die versteckte Annexion Belgiens ge«
hort. Auf diese Proklamation gait es, die sozialdemokratische Antwort
zu erteilen. Die sozialdemokratische Fraktionsmehrheit jedoch fand
darauf, von jenen unerheblichen Redewendungen abgesehen, nur ein
ententes Bekenntnis zur Politik des 4. August, das heifzt zur Willfahrig-
keit gegenuber der Regierung und den herrschenden Klassen; und das,
obwohl Graf Westarp sie unter Beihilfe der burgerlichen Parteien durcli
den — freilich von Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion unter «
stutztenl — Handstreich seines Vertag-ungsantrages gerade eben die
Junkerpeitsche hatte fiihlen lassen. Und auf die alarmierenden Erobe-
rungsfanfaren des konservativen und nationalliberalen Redners fand sie
nur eben eine nochmalige Unterstreichung dieses Bekenntnisses und die
Berufung auf denselben Reichskanzler, dessen Annexionsziele vor den
Augen der Welt enthullt waren.
Der dringendste Anlafz war gegeben, sich endlich von der Re«
giexungs^Kriegspolitik loszusagen und ihr den scharfsten
Kampf zu erklaren. Die endliche rucksichtslose Hervorkehrung der so*
zialistischen Interessen und der proletarisch-internationalen Friedensziele
war geboten; aber eine erneute Verpflichtung zur Politik des Durchhaltens y
eine wiederholte Solidaritatserklarung gegenuber den herrschenden Klas-
sen und der Regierungs~Kriegspolitik erfolgte.
Auch im Jahre 1870 waren die sozialdemokratischen Abgeordneten
durch scharfe Gegensatze getrennt; aber geschlossen standen sie gegen
die Regierung,, sobald sich die Annexionsplane offen herauswagten. Heute
liegt das offizielle Annexionsprogramm der Regierung und aller burger-
lichen Parteien vor. Dennoch begniigt sich die Fraktionsmehrheit mit
einigen nichtigen Wendungen uber Friedenswunsche und Annexions*
politik, urn sich desto nachdrucklicher auf das Durchbalten einzu*
schworeiu
Damit ist der Sc lilufzpunkt unter die unheilvolle E n t «
wickelung gesetzt^ die am 4. August begann. Die Reichstagsfraktian,
in der auch die meisten Mitglieder des Parteivorstandes sitzen 7 hat den
Widerstand gegen die imperialistische Eroberungspolitik auf gegeben.
Und nicht aus Mofzer Schwache und Burgfriedensfreudigkeit, sondem. wei!
70
ein erheblicher Teil der Reichstagsfraktion — ebenso wie der preulzi*
schen Landtagsfraktion und wie andere einflulzreiche Genossen — in
kohsequenter Fortbildung der Politik des Durchhaltens, das heilzt der
hemmungslosen Volkerzerfleischung, audi dieser Eroberungspolitik mit
vollem Bewulztsein anhangt.
Besonders dreist bat vor einigen Tagen die Baumeistersche Inter*
Rationale Korrespondenz (I. K.), die vom Einfluiz der auch in der Reichs*
tagsfraktion iiberaus machtigen Generalkommission getragen wird, dieser
Parteistromung Ausdrnck verlieben. Sie stiramt der Schiffer schen Be«
urteilung von Eberts Rede zu: die Betonung des Durchhaltens sei ihr
wesentlicher Sinn, die Fraktion werde sich von dieser Losung aucK durch
die Meinungsverschiedenheiten uber das Kriegsziel nicbt abbringen
lassen — eine Beurteilung, der in der Reichstagssitzung vom 29. Mai die
Fraktionsmehrheit begeistert Beifall riefl Und sie versichert, gegen die
Methode der zwangsweisen „wirtschaftlichen Angliederung", d. h. der
verkappten Annexion Belgiens sei nichts einzuwendenl
Nocb einmal stehen die leitenden Parteiinstanzen
am Scheideweg-e. Wollen sie, was an ihnen liegt, die Partei jener
immer deutlicber hervortretenden Stromung nock Ianger uberantworten
oder nicbt?
In der Hand der deutschen Sozialdemokratie ruht nocb immer die Macht
zu einer welthistorischen Entscheidung. Die llnabhangige Arbeiterpartei
Engiands, die ibr bedeutendes Gewicbt in die Wagschale des Friedens
wirft, bat gerade jetzt mit verscharftem Nachdruck die sofortige Bekannt*
gabe der engliscben Friedensbedingungen gefordert und den Kampf
gegen die Annexionspolitik des Drei« oder Vierverbandes aufgenommen.
-Serve und seine Gesinnungsgenossen seben sicb einer immer starkeren
Bewegung- unter den rranzosischen SoziaBsten gegen liber, einer Bewegung
fur einen baldigen Frieden obne Annexion und ,,Angliederung", einer Be«
wegung, deren Drangen sie vergeblicb zu beschwichtigen suchen. Das
Beispiel der italienischen Bruderpartei lafzt unsere Herzen holier schla~
gen. Aus England, aus Frankreich, aus Italien schallen sozialistische
Frieden sstimmen immer eindringlicher zu uns. Von der rlaltung" der deut-
schen Sozialdemokratie hangt die Weiterentwickelung des sozialistiscben
Kampfes gegen den Krieg in jenen Landern wesentlich ab. Treibt die
Leitung der deutschen Sozialdemokratie jetzt weiter im Kielwasser
der Eroberungspolitik, rettet sie sicb nicbt jetzt endlicb auf
den Boden des internationalen proletariscben Kampfes gegen den Krieg
raid die imperialistischen Raubgeliiste zuriick, so versaumt sie die letzte
Gelegenheit, sicb von der vollen Mitscbuld daran zu entlasten, dafz dieser
Krieg als erbarmungsloser Vernicbtungskrieg bis zum Weilzbluten der
Volker fortgesetzt und der auf ibn folgende Friede nur die Vorbereitung
eines neuen Weltkrieges sein wird.
Der Aug'enblick beiscbt gebiet eriscb sofortiges
H a n d e 1 n. In den letzten Stunden sind der Konig und der Kronprinz
von Bayern offentlicb als Befurworter der Eroberung'spolitik bervorg*etre«
ten. Keinem, der nocb Ianger zog^ert, kann fiirderbin Gutglaubigkeit und
llnkenntnis zugebilligt werden. Der Tatbestand liegt unzweideutig; die
Situation ist vom letzten Nebel geklart. Die Alternative lautet schlechthin:
Parteirettung* oder Parteizerstorung.
Wir warnen vor der Fortsetzung* der Politik des
4. August und des 2 9. Mai. Wir wissen, dalz wir die Auffassung
eines grofzen Teils der Parteigenossen und breiter Bevolkerungsscbicb"
ten ausdriicken, wenn wir fordern, dafz Fraktion und Parteivorstand
endlich obne Zaudern dem Parteiverderben Einbalt tun, den Burgfrieden
aufsagen und auf der ganzen Linie den Klassenkampf nach den Grund«
71
satzen des Programms und der Parteibescklusse, den sozialistiscken
Kampf fur den Frieden eroffnen. Die Verantwortung fur alias, was sonst
kommt r fallt clenen zu, die die Parte! auf die absckiissige Balm getrieben
kaben und ferner darauf erhalten wollen.
Begnugte sich dieses Schreiben damit, inrverhaib der Organisation
die Au£fassungen der Opposition zu verbreiten und gegen die
Kriegspolitik der Parteiinstan&en zu arbeiten, so .wandte sich das
kurz darauf veroffentlichte Manifest von Eduard Bern-
st<ein, Hugo Haase und Karl Kautsky sofort an die
breiteste Oeffentlichkeit Es err egte naturgemafz das grofzte -Auf-
sehen, es war die erste Kampfansage der Opposition an die Mehr-
heiten der Parteiinstanzen. Der Airfruf, der zuerst in der „Leipziger
Vol'kszeitung" ersehien, hatte folgend-en Wortlaut:
Das Gebot der Stunde.
JD i e S t u n d e der Entscheidung ist g e k o m in e n. Die
deutscke Sozialdeiuokratie ist vor eixie Frage gestellt, die Kir die Ge«
sckicke des deutscken Volkes, fiir die Zukunft der Kulturwelt von der
grolzten Tragweite ist, s
Forderungen, fiir die sckon in friiheren. Monaten eine gewisse Presse,
sowie Vereinigungen, denen keine grolzere Bedeutung beigelegt wurde,
systematise]* Stimmung gemacht hatten, sind in den letzten Wochen
von Personlichkeitan in hervorragender Stellung, sowie von ein£!ulz~
reichen Korperschaften in teiiweise sogar nock verscharfter Form yer~
treten worden, Programme werden aufgestellt, die dem gegenwartigen
Krieg den Stempei eines Eroberungskrieges aufdriicken. Nock
ist es in aller Erinnerung, dafz der President des preufziscken Herren«
hauses, Wedel-Piesdorf in der Sitzung des Herrenkauses vom 15. Marz
1915 erklarte: Deutsehland stake jetzt als Sieger da:
rr llnd wenn wir nickts weiter wollten, als den Angriff der Fein.de
abscklagen, so glaube ick, wtcrde es nickt alku sckwer sein, einen Frie-
den in kurzer Frist zu erlangen. Damit aber kann sick Deutsehland
nickt befriedigt erklaren. Naok den ungekeuren Opfern 7 die wir ge«
brackt kaben, an Menschen sowokl wie an Hab and Gut, miissen wir
mekr fordern, wir konnen das Sehwert erst wieder in die Sckeide
stecken, wenn Deutsckland eine Sickerung eriangt hat dagegem dafz
in aknlicker Weise wie diesmal die Nackbarn uber uns kerfallen."
In der Reichstagssitzung vom 29. Mai 1915 kaben die Abgeordneten
Graf v. Westarp als Vertreter der Konservativen und Sckiffer als Ver«
treter der Natiomalliberalen unumwunden sick fiir Annex ionen
ausgesprochen; der erstere unter Berufung auf eine Erklarung des
deutscken Reichskanzlers vom Tage zuvor 7 die dakin ging r
Deutsckland miisse alle nur moglicken „realen Garantien und
S i c k e r k e i t e n" dafixr sckaffen, dafz keiner seiner Feinde, „nicht
vereinzelt, nickt vereint", wieder einen Waffengang wagen werde. Diese
Auslegung der Worte des Reickskanzlers kat vcn der Reicksregierung
keine Zuriickweisung erfakren.
• Es ist fernerkin bekanntgeworden, dafz seeks grofze Wirtn
sckaftsvereinigungen r voran der grolzkapitalistiscke Zentral-
verband deutscker Industrieller und die- Kampforganisation der Agrarler,
der Bund der Landwirte, die der Politik des Deutscken Reickes so oft
sckon die Ricktung gewiesen kaben, unter dem 20. Mai 1915 eine Bin-
gabe an den Reickskanzler gericktet kaben 7 worin sie fordern: G e -
winnung eines grofzen Koloniaireickes 7 ausreichende
Kriegsentsehadigung* und Annexionen in Europe, die
ailein im Westen uber zekn Millionen Menschen — mekr als sieben. Mil-
lionen Belgier und uber drei Millionen Franzosen — zwangsweise unter
72
■deutsche' Herrschaft stellen wurden. Wie diese Zwangsherrschaft ge«
dacht ist, kennzeicknet der Satz der Eingabe, wonach Regierung und
Verwaitung in den annektierten Landern so gefuhrt werden mussen, dalz
7 ,die Bewohner keinen Einfluiz auf die Geschicke des Deutscben Reiches
eriangen". Das heifzt mit anderen Worten, diese gewaltsam annektierte
Bevolkerang sol! politisch rechtlos gemacht und gehalten werden,
Und weiter wird gefordert, aller Besitz, der einen starken wirtschaft-
lichen und sozialen Einfiulz gewahre, „miisse in deutsche Hande iiber«
gehen", im Westen besonders der industrielle Besitz aller grofzen Unter«
nehmsxngen, im Osten besonders der landwirtschaftliche grofze und Mittel-
besitz. (
Mehr nooh. In den allerletzten Tagen bat ein deutscher Bundesfurst,
der K 5 n i g von Bayern, in einer Ansprache in Fiirth Forderungen
in bezug auf die Ausdebnung unserer Grenzen im Westen ausgesprochen,
„durch die wir fur Sud~ und Westdeutschland glxnstigere Ver«
bindungen zum Meere bekommen".
Angesichts aller dieser Kundgebungen mufz sicb die deutscbe $®»
zialdemokratie die Frage vorlegen r ob sie mit ibren Grundsatzen
und mit den Pflichten, die ibr als Huterin der materiellen und
raoraliscben Interessen der arbeitenden Klassen
Deutschlands obliegen r vereinbaren kann, in der Frage der Fort~
'funning* des Krieges an der Seite derjenigen zu stehen, deren Absicbten
in schroffstem Widerstand sind zu den Satzen der Erklarung unserer
Reichstagsfraktion vom 4. August 1914, in denen diese aussprach, dalz
sie im Einklang mit der Internationale jeden Eroberungskrieg
verurteilt. Dieser Satz wiirde zur Luge gestempelt werden, wenn
die deutscbe Sozialdemokratie jenen Erklarungen aus den Kreisen der
Machthaber gegenuber es bei dem Aussprechen akademiscber Friedens*
wimsche bewenden liefze. Zu deutlicb haben wii- es erfabren mixssen,
dalz man auf solcbe Bekundungen aucb nicbt die geringste Riicksicht
nimmt.
Was verscbiedene unter uns befurcbtet baben, zeicbnet sicb immer
bemerkenswerter ab: Man erlaubt der deutscben S o z i a 1 «
demokratie, die Kriegsmittel zu b e will i gen, man gebt
aber kuhl iiber sie binweg bei den fur die Zukunft unseres Volkes folgen«
schwersten Bescblussen. '
Dilrfen wir dieses Verhaltnis fortbesteben lassen, das uns die Moglicb«
keit raubt, die Kraft der deutscben Arbeiterklasse fur eine Politik geltend
zu machen, die nacb unserer innersten, auf die Erfabrungen der Ge«
sckickte g*estiitzten Ueberzeugung das Interesse des deutscben Volkes und
mit diesem das aller beteiligten Volker gebietet?
IXngeheuer sind die Opfer, die dieser Krieg den in ibn bineingerissenen
Volkern scbon verursacht bat und die jeder Tag vermebrt. Die Welt«
geschichte kennt keinen zweiten Krieg, der aucb nur annabernd gleicb
morderiscb gewirkt batte. Es ist die Grausamkeit barbariscber
Zeitalter, verbunden mit den raffiniertesten Mitteln der Zivilisation,
welche die Bliite der Volker hinrafft. Nicbt minder unerbort sind die
Opfer an Gutem, die der Krieg den Volkern entreilzt. Weite Gebiete
werden verwiistet, und Summen, die fiir Kulturzwecke in einem Jabre
auszugeben man sicb gescbeut bat, werden in diesem Kriege in eineic
Woche fiir die Totung von Menschen und die Vernicbtung von Grund«
lagen kiinftiger Woblf abrt ausgegeben. Allen beteiligten N a t i o«
nen starrt bei Verlangerung des Krieges der Bank*
rott entgegen.
In weiten Kreisen unseres Volkes und derjenigen Volker, mit denen
das Deutsche Reich im Kriege liegt, macht sicb denn aucb immer starkere
Friedenssebnsucbt geltend. Wahrend die Herrscbenden davon
73
zuruckschreckeri, diesem Friedensbedixrfnis zu entsprecben, blicken Tau«
sende und aber Tausende auf die Sozialdemokratie, die man als die
Partei des Friedens zu betracbten gewobnt war, und erwarteii
von ikr das erlosende Wort und das ihn\ entsprecbende Verbaiteru
Nachdem die Eroberungsplane vor aller Welt of f enkundig sind r
bat die Sozialdemokratie die voile Freibeit, ibren gegensatzlicben Stand-
punkt in nacbdriicklicbster Weise geltend zu macfien, und die gegebene
Situation macbt aus der Freiheit eine Pflicbt. Das Proletariat erwartet
sicberlicb, dalz ebenso wie im Jabre 1870 sicb bei einer abnlicben Situ-
ation alle Sozialdemokraten, trotz ibrer Meinungsverscbiedenbeiten beim
Ausbrucb des Krieges, zu einem einmiitigen Handeln zusammenfanden,
die Sozialdemokratie aucb jetzt in gleicber Einmutig-
keit zusammensteben wird.
Wir wissen, dalz die Friedensbedingungen, die von einer
Seite der Kriegfubrenden der anderen aufgezwungen werden, keinen wirk~
licben Frieden bringen, sondern nur neue Rustung~en mit dem Ausblick
auf neuen Krieg bedeuten. Ein wirklicber und dauernder Frlede 1st nur
moglicb . auf der Grundlage freier Vereinbarung". Diese
Grundlage zu scbaffen, 1st nicbt der Sozialdemokratie eines einzelnen
Landes gegeben. Aber jede einzelne Partei kann nacb Mafegabe ibrer
Steliung und ibrer Krafte dazu beitragen, dalz diese Grundlage ber«
gestellt wird. (
Die gegenwaxtige Gestaitung der Dinge ruft die deutscbe Sozialdemo*
kratie auf, ein en entscbeidenden Scbritt zu diesem Ziele
zu tun. Sie 1st beute vor die Wabl gestellt, diesem Gebote Folge zu
leisten oder dem Vertrauen einen todlicben Stoiz zu versetzen, das sie
bisber im deutscben Volke und in der gesamten Welt als Verfecb*
terin des Volke rfriedens genoiz. '
Wir zweifeln nicbt, dalz unsere Partei diejenigen Folgerungen zieben
wird, die sicb fur unsere parlamentariscbe und aufzerparlamentariscbe
Haltung bieraus ergeben. Mit den scbonsten UeberHeferungen der So*
zialdemokratie stebt die Zukunft unseres Volkes auf dem
Spiel, seine Woblfabrt und seine Freibeit. Hat unsere
Partei nicbt die Macbt, die Entscbeidungen zu treffen, so fallt docb uns
die Aufgabe zu, als treibende Kraft die Politik in der Ricbtung vorwarts~
zudrangen, die wir als die ricbtige erkannt baben. j
Eduard Bernstein. Hugo Haas e. Karl Kautsky.
Auf die Veroffentlichimg des ,,Gebot der Stunde" erfolgfe eine
Erklarung d ^e r M -e h r b -e i t der Vorstande der Partei mid der
Reichstagsfraktion, worin es bielz:
JDer Genosse Haase, der das Amt eines Vorsitzenden der Partei
und der Reicbstag-sfraktion in seiner Person vereinigt, bat in keiner der
beiden Korperscbaften Antrage auf eine Aktion im Sinne eines Aufrufs
gestellt oder irgendeine Mitteilung von der Absicbt seines Vorgebens
gemacbt.
Getreu unserer am 4. August abgeg*ebenen Erklarung, dalz wir jeden
Eroberungskrieg verurteilen, baben wir scbon seitber jenen E r «
oberungsaulzerungen entgegengewirkt und den Friedens*
gedanken gefordert. An der prinzipiellen Geneigtbeit der beiden Korper«
scbaften, dieses aucb fernerbin zu tun — selbstverstandlicb unter Wab«
rung der Interessen des eigenen Landes und Volkes als bdcbsten Ge~
botes der Stunde — , konnte daber kein Zweifel besteben.
Es lag sonacb nicbt der mindeste Anlalz zu einem derartigen
Pronunziamento vor. Wenn darin von der Einmiitigkeit der Partei ge«
redet wird, so sind wir der Ueberzeugung, dalz diese durcb nicbts
scbwerer gefabrdet wird als durcb ein solcbes Vorgeben.
74
Hugo Haase antwortete darauf :
Mir wird vorgeworfen, daiz ich in keiner der beiden Korperschaften
, Antrage auf eine Aktion im Sinne meines Aufrufs gestellt oder irgendeine
Mitteilung von der AbsicKt meines Vorgehens gemacht habe.
Nun ist allgemein bekannt, daiz ich im Sinne jenes Artikels
seit Kriegsausbruch unaufhorlich im Vorstande der Partei
imd der Fr aktion tatig gewesen bin.
Der erste Vorwurf geht also fehl; und der zweite mutet reckt sonder*
bar an. Er erinnert sehr stark an die Gracchen, die sich liber Aufrahr
beklagen. Seit Monaten haben einige Mitglieder des Vorstandes, die
Jetzt Stellung g*egen micK nehmen zu miissen glauben, Artikel und Offene
Brief-e in die Welt gesetzt, ohne dem Vorstand der Partei oder der
Fraktion vorher Mitteilung davon zu machen; sie haben sich bemiiht, die
Partei fur gewisse Perolen, so die Parole des Durchhaltens, zu gewinnen,
ohne dafz der Vorstand vorher davon in Kenntnis gesetzt worden war.
Keine offentliche Zensur ist ihnen deswegen von irgendeinem Vorstands«
mitglied erteilt worden. Danach scheint mehr der Inhalt des Ar«
t i k e 1 s 7 als die Tatsache der Veroff entlichung vor der Mitteilung an
den Vorstand fur die neue Methode maizgebend zu sein.
Die Mitglieder des Partei" und Fraktionsvorstandes, die bisher schrie~
'ben r was sie im Interesse der Partei zu schreiben fur notig oder nutzlich
Melteiv ubten damit ihr gutes Recht aus, das ich ihnen nie bestritten
habe, wenn ich auch an ihren Ausfiihrungen Kritik ubte, soweit ich sie
fiir falsch hielt. Das, was den anderen recht war, mufz mir billig
sein, und ich lehne es jedenfalls ab, mir das Recht der freien Mei~
nung-saulzerung beschranken zu lassen. '
Die Einmiitigkeit der Partei wird durch E n t r ix s t u n g s~
politik nicht gefordert; wohl aber wirkt im Interesse des Zu«
sammenschlusses der Partei, wer Meinungsverschiedenheiten sachlich er«
ortert; und daiz der Artikel „Das Gebot der Stunde" streng sachlich ge«
halten ist, hat mir noch jeder zugegeben, der mit mir daruber ge«
sprochen hat." !
Die Mehrzahl der Parteiblatter durfte „Das Gebot der Stunde"
iiberhaupt nicht abdruckeru Die „Leipziger Volkszeitung" swurde
wegen der Veroff entlichunig des Aufrufs auf eine Woch-e verboten-
Das konnte die Wirkung d i e s e r Kundgebung nicht beedn-
trachtigen. Das „Gebot der Stunde" lebt in der Geschichfe der
Opposition gegen die sozialdemokratische Kriegspolitik als -ewves
ihrer wichtigsten Denkraale fort.
75
G&ss&aea&&sa^^
Das Bekenninis der Annexionisfen.
Die Wirkung des ^Gebot der Stunde". — • Friedensaufruf des Partei*
vorstandes und Eingabe an den Reicbskanzler. — Die Leitsatze zur den
Kriegszielen. — Die Internationale Konferenz von Zimmerwald. — Das
Annexionsbekenntnis der burger-lichen Parteien. v
■Mit der Veroffentlichung des „Geibot der Stunde" war eiidlich
Kir Millionen Proletarier das erlasende Wort gesprochen
worden. Wohl hatte auch Karl Liebknechts Auftreten im Reichstag
tiefgehende Wirkungen in der Oefientlichkeit ausgeiibt; aber indent
er sich mit Bewufztsein abseits der Parte! stellte, verlor er die Fiihlung
mit den Massen, erschienen seine Aktionen als verfruht und liber-
stiirzt, trug seine Haltung mehr putschistischen <als klassenorganisa-
torischen Cbarakter. Scbon das Massenschreiben an 'den Partei-
vorstand zeigte, dalz nunmehr die Zeit gekommen war, wo mit der
Kriegspolitik der Instanzenmehrheit gebrocben werden mufete. Und
das „Gebot der Stunde" bat das Verdienst, den entscheidenden
Augenblick richtig erkannt zu haben, Wir seben also scbon be!
dieser Gelegenheit die Tendenzen, die spater zur Trennung zwischen
llnabhangiger Sozialdemokratie und Kommunistischer Parte! gefirhrt
haben. Haase, der wissenschaftlich geschulte Socialist und erffah-
rene Politiker, wufzte, dafz eine Aktion nwr dann mit Aussicbt auf
Erfolg unternommen werden konnte, wenn die Massen der Arbelter
hinter ibr standen; Liebknecbt dagegen scbleuderte erst die Parolen
hinaus und glaubte damit das Proletariat fur ©eine Aktionen ge~ '
winnen zu konnen. Diese verscbiedenartige Auffassung- vom Wesen '
des proletarischen Kampfes lielz spater die Unabhangige Sozial-
demokratie zur grofzten revolutionaren Parte! der Welt werden, wp~
gegen die Kommunistiscbe Partei zur Sekte erstarrte, bis ibr schliefe-
lich durcb die von der Moskauer 'Internationale verursachte Spaltung
der IXnabhangigen Sozialdemokratie wieder einiges Leben eingeflolzt
wurde.
In den spateren Darstellungen des Parteivorstandes a ist behauptet
worden, dafz sich die Opposition schon damals selbstandig organ!-
siert babe, dalz sowohl das Massenschreiben an den Parteivorstand,
wie das „Gebot der Stunde" wohlvorbereitete Aktionen
dieser Sonderorganisation dargestellt batten, und dalz von ihr mit
Absicbt die Spaltung der Partei herbeigeluhrt worden sei. Das ist
durchaus false h. Es lag in der Natur der Sacbe, dalz die
Anhanger der 'Opposition in den einzelnen Parteiorten zusammen-
kamen und auch fur das ganze Reich miteinander in Verbindung
traten. Aber das alles hatte gerade den Zweck, die Einbeit der
76
Parte! zu erhalten und ihre Politik auf -die alten sozialdemokratischen
Grundsatze zurackzufiiihren. Einzelne Genossen, w-ie Julian Borch&rdt
In den ,;Lichtstrahien", haben wohl mit dem Gedanken der Spaltung
gespieit wnd schon damals mit der Einstellung der Beitragszahlung
an den Parteivorstand gedroht; aber in der Praxis bekannten doch
auch sie sich immer zur Einheit der Parte! und wollten im Rahmen
der Parte! ihre oppositionellen Absichten verwirklichen. Geschicht-
liche Tatsache dagegen ist es, dalz die Spaltung der Partei zuerst
von den Mehrheitsinstanzen begonnen worden ist; so in Wurttem-
berg, wo ganze Organisationen aus der Partei emiach ausgeschlossen
wurden, weil sie die offizielle Kriegspolitik nicht unterstiitzen wollten,
oder in Bremen, wo die in der Minderheit gehliebenen Sozial-
patriofcen gegenuber der oppositionellen „Bremer Btirger-Zeitung"
ein eigenes Blatt herausgaben. Und erst, als die Opposition von
den Instanzen aus der alten Partei hinausgedrangt worden war, war
sie gezwungen, sich eine selbstandige Organisation zu geben.
Die Besprechung des rr Gebot der Stunde" mulzte sich in den
oppositionellen Parteiorganen auf ein geringes Malz beschranken,
weil die Zensur jede freie Meinungsaufzerung aufs scharfste ver-
folgte. In der burgerlichen Presse hub selhstverstandlich ein grofzes
Larmen liber den Bruch des Burgfriedens an, und auch der sozial-
patriotische Teil der Parteipresse liefz es an Scheltworten gegen die
Unterzeichner des Aufrufs nicht fehleru
Auch die Mehrheit des Parteivorstandes und der Praktionsvorstand
wandten sich gegen d e n A u f r u f. Sie eriiefzen eine Erklarung
unter der Ueberschrift rr Gegen die Parteizerruttung", worin sie be-
haupteten, dafz sie vom Beginn des Krieges gegen eine imperials
stische Eroberungspolitik gewesen seien. Schliefzlich machte auch
die Generalkommission der Gewerkschaften gegen das Massen-
schreiben an den Parteivorstand und gegen das „Gebot der Stunde"
mobil. Im , r Korrespondenzblatt" verofifentlichte sie einen Artikel,
worin es hielz, dalz durch das Schreiben alles liber den Haufen ge~
worfen worden sei, was bisher in der Arbeiterbewegiing Deutschiands
als unantastbar gait.
Zwlschendurch hatte sich Hugo Haase der heftigsten Angriffe der
sczialpatriotischen Presse zu erwehren. Zwar wurde dort das 7 ,Gebot
der Stunde" nicht abgedruckt, aber unter den niedrigsten Verdachti-
gungen und Schmahungen wurden die Leser liber den Inhalt und
den Zweck des Aufrufs irregefiihrt. An der Spitze dieser gehassigen
Kampfesweise stand das ^Hamburger Echo". Mit Recht konnte
Haase in einem Artikel gegen dieses Blatt sagen: „Wenn ein ver«
bissener politischer Gegner eine solche Methode des Kampfes gegen
•tins anwendet, so gehen wir mit kiihlem Lacheln oder einer Hand-
bewegung der Verachtung darliber hinweg, aber ein Gefiihl tiefer
S chain ergreift uns, dafz ein Mitarbeiter des ^Hamburger Echo" auf
ein so niedriges Niveau hat herunterkommen konnen."
Am 30. Juni und am 1. Juli tagte der Parteiausschufz in
Berlin. Die Sitzung wurde mit den Verhandlungen iiber den
Parteistreit ausgefiillt. Am Ende der Beratungen wurde eine Reso-
lution beschlossen, in der die Haltung des Parteivorstandes und der
77
Fraktionsmehrheit gebilligt und ihre Bemiihungen zur Anbahnung
einer Verstandigung mit den Bruderparteien der fuhrenden Lander
anericannt wurde. Die angeblich von einer Zentralstelle aus ge~
leitete unterirdische Minierarbeit, die der Parteimehrheit den Willen
der Minderheit aufdrangen wolle, wurde verurteilt. Die Veroffenf-
licrvungen des Aufrufes „Das Gebot der Stunde", so heiizt es zum
Schlulz, stehe nicht im Einklang mit den Pflichten eines Vorsitzenden
der Partei. Gegen den ersten Absatz der Resolution stimmten 8,
gegen den zweiten 7 und gegen den dritten 12 Mitglieder des
Parteiausschusses.
Um zu zeigen^ dafz der Parteivorstand seine Pilicht zur Herbei-
funning des Friedens erfiille, erliefz er Ende Juni einen Aufruf,
von dem er behauptete, dafz er bereits am 7. Mai beschlossen
word en sei. Nur wegen des Eingreifens It aliens in den Krieg sei die
Veroffentlichung bisher unterblieben. Die deutsche Sozialdemokratie
habe durch ihre berufenen Vertretungen den sozialistischen Grand-
satzen und den Beschlussen der international en Kongresse getreu
flir den Frieden gewirkt. Mit schmerzlichem Bedauern mixsse dem-
gegehiiber konstatiert werden, daiz bisher alle Versuche einer inter-
national en Verstandigung vomehmlich an dem Verhalten der sozia-
listischen Partei Frankreichs gescheitert seien. Deutschland, das
sich bisher aller seiner Feinde siegreich erwehrt und bewiesen habe,
dafz es unbesiegbar sei, sollte den ersten Schritt zur Herbeifiihrung
des Friedens tun. Die deutsche Regierung wurde aufgefordert, ihre
Bereitwilligikeit kundzutun, in Friedensverhandlungen einzutreten.
Von den Parteigenossen in den anderen kriegfiuhrenden Landern
werde erwartet, dafz sie im gleichen Sinne auf ihre Regierung ein~
wirkten.
Zu gleicher Zeit richteten die Vorstande der Partei und der
Reichstagsfraktion an den Reichskanzler eine Eingabe, die sich
gegen die Ziele der Annexionisten wandte. Es hieiz darin, daiz die
Sozialdemokratische Partei unterm 4. August 1914 mit der Gesamt-
heit des deutschen Volkes sich in Reih und Glied gestellt habe, um
seine nationale Existenz und Unabhangigkeit zu verteidigen. Sie
habe in diesem Kampfe gegen eine Welt von Feinden zu ihrem
Lande gestanden und werde dies welter run, bis das Ziel der Siche-
rung erreicht sei und die Gegner zum Frieden geneigt seien. Der
Krieg diirfe aber nur zur Abwehr der Feinde und nicht zum Zwecke
einer Eroberung gefuhrt werderu
Das Manifest mufzte ebenso wie die Eingabe wirkungslos bleiben,
well es sich nicht darum handelte, schone Worte flir den Frieden
zu pragen, sondern darum, mit alien Mitteln des proletarischen
Klassenkampfes die Weiterfuhrung des Krieges, der immer mehr
zum Eroberungskrieg wurde, zu verhinderru Aber gerade das taten
die Mehrheiten der Instanzen nicht. Durch die Bewilligung der
Kriegskredite, die immer weiter fortgesetzt wurde, durch die Unter-
stiitzung der Durchhaltestimmung ubernahmen sie die Mitverani-
wortung flir die Verlangerung des Krieges, verhinderten sie die
Herbeifiihrung des Friedens.
Das wurde in einem F 1 u g b 1 a 1 1 f estgestellt, das von 90 Grofz-
Berliner llnterzeichnern des Protestschreibens vom 9. Juni zugleich
im Namen vieler Unterzeichner von auswarts herausgegeben wurde.
Es hieiz darin, dalz alles, was in dem Friedensmanifest an plato-
nischen Priedenswimschen enthalten sei, in die Gegenwirkung urn-
gebogen v/erde durch die Angriffe auf die Bruderparteien in den
gegnerischen Landern und durch die planmaizige Vertuschung der
gegenwartigen, einem baldigen Friedensschlufz abtraglichen Politik
der Reichsregierung. Wolle der Parteivorstand den auslandischen
Barteien em Muster geben, so miisse er den einzigen Weg ein-
schlagen, der zu einem dauernden Frieden und zum Wiederaufbau *
der Internationale fuhren konne, indem er den Imperiaiismus als
schuldigten Urheber des Weltkrieges da bekampfe, wo er ihn allein
wirksam bekampfen konne, namlich im eigenen Haus-e. Das Flugblatt
schlofz: r? Daran halten wir fest, uberzeugt, dalz die Treue, die wir den
Grundsatzen und IXeberlieferungen der deutschen Sozialdemokratie
bewahren, nur dazu dienen kann, die Einheit und Reinheit der Partei
.zu sichiern."
Wahrend so die deutschen Parteiinstanzen in ihrer Mehrheit noch
immer hinter dem Kriegswagen des Imperiaiismus einherliefen,
sammelten sich schon die Krafte der internationalen Arbeiterklasse,
urn auf neuer Grundlage das Proletariat wieder zusammenzufuhren.
Ende Juni traten auf Veranlassung der italienischen sozialistischen
Bartei in der S c h w e i z eine Anzahl dort tatiger Genossen,
Schweizer, Italiener, Russen, Polen, Deutsche, Oesterreicher und
Ungarn zu einer gemeinsamen Beratung iiber die Probleme des
Krieges zusammen. Sie setzten em Exekutivkomitee ein,
das sich rnit einem Manifest an die Arbeiter der ganzen Welt wandte.
Insbesondere die schweizerischen Arbeiter wurden aufgefordert, sich
zusammenzuschlielzen, gleichviel zu welcher Rasse und Mationalitat
sie auch gehoren mochten.
Inzwischen liefz es der Parteivorstand der deutschen Sozialdemo-
kratie ruhig geschehen, dafz in der ihm nahestehenden Provinzpresse
der Hafz gegen die anderen Volker immer aufs neue geschurt wurde.
So schrieb Ernst Heilmann, der Chefredakteur der „Ghemnitzer
Volksstlmme", seinem Blatte aus dem Felde, dafz es keine sozia-
listische Vrerstandigung gabe, die diesen furchtbaren Mordkrieg bei«
iegen konnte, ihn ende nur der Sieg der starkeren Gewalt:
TT So zerschmetternd miissen die Feinde geschlagen werden, dalz ihr
Ring zerbricht, die Koalition birst. Die Friedensbedingungen sollen hier
milde, dort hart, die Wiederkehr des Einkreisungsbundes unmoglich
machert . . . Dazu hilft uns gegen diese Feinde nur eines: Den Dau«
men aufs A u g e und die Knie auf die Brust, und greinen
uns ein paar Heilige dazwisehen, wie furchtbar das Schicksal der fran~
zosischen Arbeiter sei, so erwidern wir ihn en: die franzosischen Arbeiter
bleiben Manner, auch wenn wir mit ihnen Kugeln wechseln, ihr aber
seid — alte Weiber. Mogen darum die ewig schwankenden Gestalten
plotzlich den Verrina der Internationale spielen wollen — ich gehe
zum Hindenbur g."
Aehnlich schrieb Wolfgang Heine. Er begnugte sich aber
nicht damit, die Opponenten zum hundertsten Male als Quertreiber
zu beschimpferv sondern er wandte sich auch gegen das Friedens-
manifest des Parteivorstandes:
„Man geht kaum feh! r wenn man annimmt, dafz der sozialdexnokratische
Parteivorstand die tatsachliche Lage des Krieges genan so gut gekannt hat
wie andere Leute r und wenn man deskalb in dieser Aufforderung an die
Regierung n i c h t s als eine scKone Geste sieht, bestimmt, Partei-
genossen, und vieileicht auch auslandische Sozialisten zufriedenzu-*
stellen."
So konnte der „Vorwarts" am 8. August, riickschauend auf diese
Auseinandersetzungen in der Partei, auf die Handlungen ihrer ver~
antwortlichen Korperschaften -und auf die Ausfiihrangen ihrer hervor-
ragendsten Wortfiihrer, die Stellung der Partei so kennzeichnen: ■
y ^ie empf angt das Gesetz ihres Handelns nicht mehr nach
iliren Grundsatzen und Prinzipien, sondem von ihren bisherigen
G e g n e r n. Der en Entschliefzungen und Entscheidungen sind es, die in
letzter Linie die Haltung der Sozialdemokratie bestimmen. Nicht ihre
Grundsatze leiten mehr die Partei, sondern nur die Furcht vor der Iso«
lierung, die Angst, den Anschlufz -an die burgerlichen Parteien, das Wohl«
wollen der Regierung zu verlieren. . . . Wie immer man nun iiber diese
Stellung, in die die Partei zum Teil bewuJzt, zum Teil 7 hoffen wir 7 un«
bewufzt, von ihren Fixhrern hineinmanoveriert worden ist ? denken. mag,
sicher ist wohl das Eine: Diese Stellung ist grundverschieden selbst von
der, die die Partei auch in ihrer Majoritat am 4. August eing-enommen
hat."
Am Schlufz des Artikels sagte der ,,Vorwarts", dafz die Partei jetzt
vor ihrer Schicksalsstunde stehe, und die Entscheidungen r die die lei-
tenden Instanzen zu fallen haben wiirden, seien von so ernster Bedeii-
tung, wie nie zuvor. Nicht urn die Stellung zum Kriege und zu einzeinen
Regierungsmafznahmen allein handele es sich, es handele sich urn
mehr: urn die Bewahrung des Charakters der Partei, ihrer Eigenheit,
Selbstandigkeit und Unabhangigkeit nicht nur in der schweren
Zeit des Krieges, sondern auch in der nicht minder schweren, die
uns dann bevorstehe. Die gesamte kiinftige Politik der
Partei stehe zur Entscheidung: Aufgeben der bisherigen
Parteigrundsatze und der Parteitaktik, Zusammeruwirken der Partei
mit den burgerlicfoen Partei en in gemeinsamer Blockpoiitik, Ein-
reihung der Partei als wesensgleiche unter gleiche in das Getriebe
des burgerlichen Parlamentarismus. Das letzte Wort dariiber freilich
werde die Geschichte sprechen. Inzwischen hat die Geschichte
gesprochen, und sie hat ihr Urteil gegen die Kriegspolitik der dent-
schen Sozialdemokratie gefallt.
Am 14. August traten R e i c h s t a g s f r a k t i o n und P a r t e i -
ausschufz wiederum zusammen. Drei Tage lartg verhandelte
man iiber die K r i e g s z i e 1 e. Die Mehrheit war fur unbedingtes
„Durchhalten bis zum Siege", und sie suchte aile Bestreburtgen zu
hintertrieiben, die die deutsche Regierung zur Anbahnung des
Friedens hatte veranlassen konnen. Von der Opposition lag-en drei
Resolution en vor, die sich besonders gegen Annexionen aussprachen.
Haase stellte folgenden Antrag:
77 Die Sozialdemokratie verwirft mit der grolzten Entschiedenheit jede
gewaltsame Antastung der Selbstandigkeit und Unabhangigkeit eines
Volkes. Sie wendet sich mit aller Kraft gegen jede Annexions**
p o 1 i t i k , insbesondere den Versuch, Belgien zu vergewaltigen ? in wel~-
ciher Form es auch immer sei."
80
Dieser Antrag wurde von der Fraktion mit 59 gegen 37 Stimmen,
vom Parteiausschuiz mit 25 gegen 13 Stimmen abgelehnt. Ein ahn-
liches Schicksal erlebten ein Antrag Hoch, der inhaltlich dasselbe
wollte, und ein Antrag Henke, der von der Regierung Friedens*
bemuhungen bei volligem Verzicht auf Annexionen verlangte. Die
von Eduard David vorgelegten Leitsatze f anden dagegen
die Zustimmung der Mehrheit. Der erste Absatz sprach sich zwar
gegen Annexionen aus, aber gegen die Annexionen der anderen
Staaten, und lehnte besonders die Forderung der Wiederangliede-
rung Elsafz-Lothringens an Frankreich ab. Im zweiten Absatz wurden
eine Anzahl Sicherungen zur wirtschaftlichen Entwicklungsfreiheit
des deutsehen Volkes verlangt. Der dritte Absatz wandte sich gegen
die Schwachung und Zertriimmerung Oesterreich-Ungarns und der
Tiirkei, der vierte Absatz sprach sich gegen die /r Plane kurzsichtiger
Eroberungspolitiker" aus, und im letzten Absatz wurde die Schaffung
eines standigen internationalen Schiedsgerichtshofes gefordert. Diese
Leitsatze wurden von der Fraktion mit 74 gegen 26, vom Partei-
ausschuiz mit 30 gegen 8 Stimmen angenommen. Sie entsprachen
weder in ihrem Inhalt noch in ihrer Form den Anforderungen, die
in dieser Situation an die Sozialdemokratische Partei gestellt werden
mulzten, wenn durch sie wirklich etwas zur Wiederherstellung des
Friedens geschehen sollte. Sie sind darum auch ohne jede Wirkung
geblieben.
So gelinde die Instanzen die Regierung behandelten, um so
scharf er gingen sie gegen die Opposition vor. Sie wandten
sich in einer besonderen Erklarung gegen die von Karl Liebknecht
eingebrachten Kleinen Anfragen und stellten fest, dalz er sie,
ohne die Partei zu befragen, eingebracht habe.
In der Reichstagssitzung vom 20. August wurden
wiederum Kriegskredite bewilligt. Der „Vorwarts" vom 24. August
1915 berichtete iiber die Abstimmung der sozialdemokratischen
Fraktion folgendes:
„Es stimmten in der Fraktion gegen die erste Kreditvorlage 14, gegen
die zweite 17, gegen die dritte 23 und gegen die vierte Kriegskreditvor«
lage 36 Abgeordnete. Von diesen 36 stimmten am 20. August im Ple-
num 3 fur die Vorlage r Liebknecht dagegen, 32 von ihnen befanden
sich bei der Abstimmung aufzerhalb des Saales. Von diesen konnen
wir folgende 29 Abgeordnete namhaft machen, die aus grundsatzlichen
Bedenken sich aus dem Sitzungssaal vor der Abstimmung entfernt hatten:
Albrecht, Antrick, Bernstein, Bock, Biichner, Dr. Cohn«Nordhausen, Ditt«
mann, Emmel, Erdmann, Fuchs, Geyer, Haase, Henke, Dr. Herzfeld, Hoch,
Hofrichter, Horn, Kunert, Ledebour, Peirotes, Raute, Riihle, Schwartz-
Ltibeck, Simon, Stadthagen, Stolle, Vogtherr, Wurm, Zubeil.
Dazu teilte der Abg. Dittmann in der „Bergischen Arbeiterstimme"
noch mit:
„In der Fraktion haben folgende Genossen gegen die Kriegskredite ge«
stimmt: Albrecht, Antrick, Baudert, Bernstein, Bock, Brandes, Buchner r
Dr. Cohn, Dittmann, Emmel, Erdmann, Edmund Fischer, Fuchs, Geyer,
Haase, Dr. Herzfeld, Hoch, Horn, Hofrichter, Henke, Kunert, Ledebour,
Leutert, Liebknecht, Peirotes, Riihle, Reifzhaus, Raute, Simon, Stadthagen,
Stolle, Stubbe, Schwartz, Vogtherr, Wurm, Zubeil. Von der Minderheit
der Marztagung schlugen sich Davidsohn und Schmidt^Meilzen zur Mehr-
6 81
heit, wahrend die Minderheit durch folgende Genossen verstarkt wurde:
Erdmann, Edmund Fischer, Reilzhaus, Stubbe, Wurrn. Der Genosse
Dr. Cohn war wahrend der Marztagimg krank, hatte aber spater erklart,
dalz er mit der Minderheit gestirnmt hatte. Die Abstimmung im Reichs*
tag kam unerwartet rasch, so dafz einige Mitglieder der Mehrheit nicht
im Saale waren, wahrend Mitglieder der Minderheit, die im Saale waren,
sich nicht mehr entfernen konnten."
Hatten die militarisch-en und zivilen Gewalten bisher schon keine
Milde gegeniiber der Opposition geubt, so gingen sie jetzt mit ruck-
sichtsloser Brutalitat gegen sie vor. Die Zensur wurde so schroff
gehandhabt, dafz eine Reihe von Parteiblattern die Berichterstattung
liber die Auseinandersetzungen in der Partei einstellen mulzten.
Unzahlige Parteigenossen, die sich gegen die Kriegspolitiik aus-
gesprochen hatten, wurden ins Gefangnis geworfen. Auch Klara
Zetkin, die greise Vorkampferin der Frauenbewegung, verfiel diesem
Schicksal. Der Redakteur Niebuhr in Elberfeld erhielt wegen irgend-
eines Verstolzes gegen den Militarismus drei Monate Gefangnis,
wurde von dort aus in den bunten Rock gesteckt und so drangsaliert,
dafz er sich eine schwere Erkrankung zuzog, die ihn in ein fruhes
Grab bracht-e. Gegen viele Genossen in leitenden Stellen wurden
Redeverbote verhangt.
Was aber die Militargewalt nicht unterdrucken konnte, das war
der hegeisterte Widerhall, den der von der Schweiz ausgegangene
Ruf zur emeuten Sammlung des internationalen Proletariats fand.
In Zimmerwald, einem Vorort von Bern, trafen sich im
December 1915 Vertreter sozialistischer Parteien
und G x u p p e n aus kriegfuhrenden und neutralen Landern. Es
nahmen an der Konferenz Genossen aus Italien, aus Frankreich, aus
der Schweiz, aus Rufzland, Schweden, Deutschland und vom Balkan
tell, Aus Deutschland waren die Genossen Ledebour und Adolf
Hoffmann erschienen. Nach viertagiger Beratung uber die inter-
Rationale Lage wurde einstimmig beschlossen, eine Kundgebung in
franzoskcher und deutscher Sprache zu verofientlichen, die von je
zwei Sozialdemokraten balder Nationen unterschrieben werden sollte.
Die Beteiligung an der Konferenz konnte aus naheliegenden Griinden
nicht sehr zahlreich sein. Es beteiligten sich an ihr 37 Personen: aus
Frankreich 2, aus Italien 5, aus Schweden 2, aus Holland 1, aus der
Schweiz 3, aus Deutschland 10. Vom Exekutivkomiiee der Sozia-
listiscben Federation der Balkanstaaten waren 2 Mitglieder erschienen,
ferner 12 Delegierte der auslandischen Zentren und Redaktionen der
sozialistischen Organisation en Rufzlands und Pol ens, darunter Lenin,
Axelrod unci Radek. Die Englander waren durch ihre Regierung an
der Beschickung verhindert worden. Die Verhandlungen der Kon-
ferenz waren streng vertraulich. Das Brgebnis der Beratungen war
-ein Manifest an das Proletariat, ein Aufruf zum Kampfe fur den
Fried en. Es wurde eine international e sozialistische Kommission
mit dem Sitz in Bern gewahlt. Sie sollte den Verkehr der einzelnen
Parteien untereinander erleiohtern, ohne das Internationale Sozia-
listische Bureau zu ersetzen.
Der Aufruf, der kurz darauf veroff entlicht wurde, verweist auf
den imperialistischen Charakter des Krieges und fordert zum Kampf
fur einen Frieden ohne Annexionen unci Kriegsentsohadigungen auf.
82
Airf dem Boden der internationalen Solidaritat und des Klassen*
kampfes miisse sich das Proletariat wieder zusammenfinden^ die zer-
rissenen Faden der internationalen Beziehungen neu knupfen und
die Arbeiterklasse zur Selhstbesinnurig aufrufen. Unterzeichnet war
der Aufruf fur die deutsche Delegation von L-edebour und
Adolf Hoffmann, fiir die franzosische Delegation von
A. Bourderon und A. Merrheim, fiir die italienische Delegation von
G. L. Modigliani und Const. Lazzari, fiir die russische Delegation von
N. Lenin, Paul Axelrod und M. Bobroff, fiir die polnische Delegation
von Lalbinski, Karski und Hanecki, fiir die interbalkanische Fodera-
tion von Racovski, fiir die skandinavische Delegation von Hoglund und
Ture Norman, fiir die hollandische Delegation von Roland Hoist, fiir
die Schweizer Delegation von Grimm und Charles Naine.
Dem deutschen Parteivorstand war es nicht recht, dalz sich ohne
seine Genehmigung auch einige deutsche Parteigenossen an der
Zimmerwalder Konferenz beteiligt hatten. Er richtete ein ver-
trauliches Rundschreiben an die Parteiorganisationen,
worin er beteuerte, dafz die Leitung der deutschen Sozialdemokratie
bisher alles getan hatte, was in ihren Kraften stand, um einen
baldigen Frieden zu erzielen, dalz sie aher mit ihren Bestrebungen
im Auslande bisher leider wenig Gegenliebe gefunden habe. Es sei
die Aufgabe der berufenen Parteileitung, mit den Bruderparteien
Verhandlungen zu fuhren, die Teilnahme einzelner Parteigenossen
an internationalen Konferenzen sei nur geeignet, die Anknupfung
freundschaftlicher Beziehungen mit dem Auslande zu erschweren.
Der Parteivorstand lehne jede Verantwortung fiir die Zimmerwalder
Konferenz ab. Er mache iferner aufmerksam auf einen Aufruf des
Bureaus des internationalen Verbandes sozialistischer Jugend-
organisationen, in dem u. a. gesagt werde: „Der Boden fiir eine
revolutionare Emporung ist gegeben, saen wir." Die Parteigenossen,
besonders die in der Jugendbewegung tatigen Genossen sollten vor
jedem unuberlegten Tun gewarnt werden. So hat sich der Partei-
vorstand schon bei dieser Gelegenheit gegen jeden wirklichen
Versuch einer internationalen Verstandigung des Proletariats gewandt.
Der Herbst 1915 ging unter den h e f t i g s t e n A u s e i n a n d e a>
s e t z u n g e n in der Partei voriiber. Die Wortfiihrer der Sozial-
patrioten stelltem sich immer offener in den Dienst der offiziellen
Kriegspolitik; sie schrieben zusammen mit den Vertretem des Unter-
nehmertums dickleibige Bucher uber die Harmonie der Klassen-
interessen, sie fuhren als gerngesehene Gaste der Heeresleitung im
Auto an der Front herum, wahrend zu gleicher Zeit die Vorkampfer
einer proletarischen, sozialistischen Politik in Gefangnissen und
Zuchthausern schmachteten, die hartesten Urteile iiber Flugblatt-
verbreiter gefallt wurden. Das alles hinderte freilich nicht, dafz die
Opposition sich immer starker regte und von den Parteiinstanzen
immer sturmiscber die Abkehr von ihrer Kriegspolitik verlangt wurde.
Die gespannte Situation in der Partei drangte zur Entladung, und
sie kam in der nachsten Tagung des Reichstags im Dezember 1915.
Einige Wochen vprher hatte Karl K a u t s k y in der „Neuen
Zeit" auseinandergesetzt, dalz die Fraktionsminderheit sich an die
Fraktionsdisziplin nicht halten durfe, sondem ihrer Ueberzeugung
o* S3
Ausdruck geben miisse. Er verlangte, dalz bei der nachsten Kredit-
vorlage die Minderheit auch im Plenum dagegen stimmen solle.
Diese Ausfiihrungen entfesselten eine lebhafte Diskussion in der
Parteipresse und in den Organisationen. Die „Leipziger Volks-
zeitung" unterstiitzte die Anregungen Kautskys. Am 27. November
fiihrte sie aus:
„W ir wollen die Einheit der Partei erhalten wissen;
wir haben das bei mehreren Gelegenheiten sehr unzweideutig gesagt
und durch unsere ganze Haltung zu erkennen gegeben, dafz unserer
Meinung nach ein jeder Sozialdemokrat bereit sein muiz, urn der Einheit
der deutschen Arbeiterbewegung groize Opfer zu bringen. Wir haben
energisch jede Propaganda der Parteispaltung abgewiesen. Aber wir
miissen es ebenso deutlich heute aussprechen, dalz wir weiteres Schweigen
der Minderheit der Fraktion zu abermaliger Fortsetzung der Nichts~als»«
Durchhaltepolitik der Fraktionsmehrheit fur unertraglich halten. Wir
meinen, dafz angesichts dessen, was jetzt auf dem Spiele steht, die
Minderheit der Fraktion das Recht in Anspruch nehmen mufe,
ihren Standpunkt im Refchstag offentlich kundzu«
geben und dafz die Mehrheit ihr dieses Recht zubilligen muiz.
Wenn sie das tut, so ist die Einheit der Partei nicht ge«
f a h r d e t. Schlimmer als das Aussprechen dessen, was ist, gefahrlicher
fiir die Partei und ihre Einheit wird auf die Dauer dieser Zustand, wo ein
Teil der Partei, der auf alle Falle eine groize, bedeutende Minderheit
darstellt, aller gesetzlichen Mittel beraubt ist, seine Meinung vor der
Oeffentlichkeit darzulegen." '
Die Fraktion hatte sich nun endiich dazu bereitfinden lassen, eine
Interpellation uber den Frieden einzubringen. Der Reichskanzler
wurde angefragt, unter welchen Bedingungen er geneigt sei, in
Friedensverhandlungen einzutreten. Schon die Formulierung dieser
Interpellation liefz darauf schliefzen, dalz es der Fraktionsmehrheit gar
nicht darauf ankam, gegen die Kriegspolitik der Regierung etwa
wirksam vorzugehen. Und wenn dariiber noch Zweifel bestehen
sollten, so wurden sie durch die Ausfiihrungen von S c h e i d e ~
maun, der die Interpellation begriindete, zerstreut. Er klopfte auf
das deutsche Schwert und fiihrte aus, dafz Deutschland militarisch
so stark sei, dafz es jetzt Frieden schlieizen konne. Der Reichs-
kanzler hatte demgegeniuber ein leichtes Spiel. Er fiihrte aus, dafz
die deutsche Regierung nicht daran denke, um Frieden zu betteln.
Deutschland habe genug Lebensmittel, um den Krieg noch recht
lange und, wie er hoffe, bis zum Siege Deutschlands weiterzufuhren.
Was der Reichskanzler offiziell nicht sagte, das holte der Zentrums-
abgeordnete S p a h n nach, der im Namen aller biirgerlichen
Parteien folgendes erklarte:
„Mogen unsere Feinde sich erneut zum Ausharren im Kriege ver«
schworen, wir warten in voller Einmiitigkeit mit ruhiger Entschlossen-
heit und — lassen Sie mich einfugen — im Gottvertrauen — die Stunde
ab, die Friedensverhandlungen ermoglicht, bei denen fiir die Dauer die
militarischen, wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Interessen
Deutschlands im ganzen Umfange und mit alien Mitteln einschlielz«
lich der dazu erforderlichen Gebietserwerbungen ge«
wahrt werden mussen."
Hier war also das offene Bekenntnis zu Annexionen,
das im Namen aller biirgerlichen Parteien abgegeben wurde, deren
84
sturmischen Beifall fand, und mit dem die Regierung sicher im vollen
Einverstandnis stand. Nunmehr ware es die Pflicht der gesamten
sozialdemokratischen Fraktion gewesen, sich gegen diese Annexions-
plane zu erheben und endgultig den Bruch mit der deutschen
Kriegspolitik vorzunehmen. Das sollte verhindert werden. Die
burgerlichen Parteien stellten einen Schluizantrag und unter starkem
Larm wurde er vom Prasidenten als angenommen erklart Es kam
zu einer sturmischen Geschaftsordnungsdebatte, in der Genosse
Haase folgendes erklarte:
„. . . Meine Herren, gerade nach den unbestimmten r allgemeinen, viel-
deutigen Aeufzerungen des Herrn Reichskanzlers und nach den letzten
Worten des Herrn Spahn ist es notwendig, dafz unser Volk und die
Welt erfahren, dafz nicht etwa der gesamte Reichstag mit
diesen Ausfiihrungen einverstanden ist.
Nein, meine Herren, ich erklare fur meine Person, daiz ich die Ge«
meinschaft mit den * Anschauungen, die hier zum Ausdruck gekommen
sind 7 mit aller Entschiedenheit ablehne, und ich weifz mich eins darin mit
der iiberwaltigenden Mehrheit unseres Volkes. Meine Herren, wollen
Sie denn wirklich 7 dafz aus diesem Gemetzel das ja alle bedauert haben,
schliefzlich als Ergebnis herauskommt ein Buropa, das einen Trummer-
hauf en bildet r durchtrankt von Tranen und Blut? Wir verlangen
eine Absage an alle Eroberungsplane 7 von welcher Seite
sie auch kommen und in welcher Form sie sich auch aufzern. Wir wollen
den Frieden."
In der Debatte wies Ledebour nach, dafz die biirgerliche Mehr-
heit duroh den Schlufzantrag die grofzte Partei, die Sozialdemokratie,
vergewaltigt habe, die Partei, die in diesem Augenblicke nicht nur
ihre vier Millionen Wahler hinter sich habe, sondern aller Wahr-
scheinlichkeit nach die grofze Mehrheit des Volkes. Liebknecht
sagte, dafz das, was er seit jeher als Luge und Regierungsmanover
bezeichnet habe, der Burgfriede, heute in Wahrheit als Luge
enthiillt sei.
Die Besprechung iiber die Interpellation wurde von neuem auf~
genommen. Es sprach jetzt Lands berg. Statt einer offenen
Kampfansage an die Annexionisten bekam man aus seinem Munde
deren offene Unterstiitzung zu horen. Er stellte es so dar, als wenn
Bethmann Hollweg nichts mit den Eroberungsabsichten der burger-
lichen Parteien zu tun habe, und dafz deshalb die deutsche Regie-
rung das Recht hatte, alle Annexionsabsichten abzuleugnen. Als
Liebknecht dazwischenrief, dafz an den Annexionsabsichten der
Regierung kein Zweifel herrschen konne, schleuderte Landsberg ihm
die bezeichnenden Worte zu: „Aber ich bitte Sie, meine Herren,
geben Sie doch nicht dem Auslande Wafffen in die Hand." Und er
schlofz seine Rede mit heftigen Angriffen auf die Opposition in der
eigenen Partei. Es konnte nicht wundernehmen, dafz die Rede bei
den biirgerlichen Parteien sturmischen Beifall fand.
85
<S2SS©<B2SS6<eaS5&<BW»5)©^
DieSozialdemokraiischeArbeiisgemeinschaft.
Gewitterstimmung in der Reichstagsfraktion. — Erklarung der Minder «
heit zu den neuen Kriegskrediten. — Die Parteiinstanzen gegen die
Minderheit. — Ausschlulz Karl Liebknechts aus der Fraktion. — Die
Minderheit gegen den Notetat. — Ausschlulz der Minderheit und
Rildung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft.
Vor der Abstimmung liber die fiinften K r i e g $ k r e d i t e gab
Genosse Haase in der Fraktion fur die Minderheit die Erklarung ab,
dafz sie gegen sie stimmen und eine Erklarung dazu abgeben wiirde.
Diese Haltung der Fraktionsminderheit war besonders durch die
herausfordernde Rede Landsbergs veranlafzt worden. Die Erklarung
war unterzeichnet von den Genossen Albrecht, Antrick, Baudert,
Bernstein, Bock, Brandes, Buchner, Dr. Oscar Cohn, Dittmann,
Emmel, Ewald, Fuchs, Geyer, Haase, Dr. Herzfeld, Henke, Hoch,
Hofrichter, Horn (Sachsen), Hugel, Kunert, Ledebour, Dr. Liebknecht,
Raute, Reifzaus, Riihle, Schwartz (Lubecik), Simon, Stadthagen, Stolle,
Vogtherr, Wurm und Zubeil.
Dier Parteivorstand suchte dem heraufsteigenden Gewitter dadurch
zu begegnen, dafz er der Parteipresse einen Artikel zusandte, der die
Ueberschrift trug: „Es geht urn die Einheit der Partei." Im Wider-
spruch mit den Tatsacben wurde darin behauptet, dafz kein Mensch
in der Partei bisher daran gedacht babe, den Vertretern der Minder-
heit aus den Bekundungen ihres abweichenden Standpunktes in der
Press e und im Rahmen der Parte ^organisation einen Vorwurf zu
machen. In Wirklichkeit hat der Parteivorstand nicht nur kaltlachelnd
gebilligt, dafz die Heine, die Lensch, die Gunow, die Winnig die
Minderheit mit den argsten Schimpfworten belegten, er hatte sich
bisher auch noch wenig geriihrt, um die Opfer der zivilen und mili-
tarischen Kriegsjustiz zu scbiitzen. Nun verlangte er, daiz eine
einheitliche Kampiffront gebildet werden solle, dafz die Parlaments-
tribiine nicht dazu benutzt werde, die Parteidifferenzen auszutragen.
Demgegenuber stellte die Presse der Opposition fest, dafz der
Parteivorstand es nicht fur notig gehalten hatte, auch nur mit einem
Wort auf all das einzugiehen, was an Grunden fiir die Notwendigkeit
des selbstandigen Auftretens der Minderheit vorgebracht worden
war. Der Erlafz zeige alle ublen Eigenschaften einer Polemik, die
den Gegner nicht zu Wort kommen lalzt, die die Oeffentlichkeit iiber
das, was bekampft wird, moglichst im Unklaren lalzt, um den Gegner
dadurch um so sicherer ins Unrecht zu setzen.
Es kam bald darauf heraus, dafz die Mehrheit des Parteivorstandes
die parteiamtlichen Einrichtungen mifzbraucht hatte. Eine Sitzung
86
des Parteivorstandes, in der em Beschltife zu einer Veroffentlichung
des Erlasses hatte gefafzt warden konnen, hatte nicht stattgefunderu
Die Genossen Haase, Wengels und die Genossin Zietz, die Mit-
glieder des Parteivorstandes wanen, wurden zu einer solchen Sitzung
nicht geladen. Es handelte sich also nicht urn eine Erklarung des
Parteivorstandes, sondern hochstens urn eine Meinungsaufzerung des
Rumpfparteivorstandes.
in der Reichstagssitzung vom 2Q. December sollte uber die fiinfte
Kreditvorlage im Betrage von 10 Milliard em Beschlufz gefafzt werden.
E b e r t gab eine Erklarung ab, die im Geiste der Reden von
Scheidemann und Landsberg gehalten war und die Zustimmung zu
den Krediten enthielt. Nunrnehr g'ab Fritz Geyer im Namen von
20 Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion folgende Er-
klarung ab:
rr Die Militardiktatur, die rucksichtsilos alle Friedensbestrebung-en unter~
driickt und die freie Meinungsaufzerung zu ersticken sucht 7 macht es uns
unmoglich, aufzerhalb dieses Hauses unsere Stellung zu der Kreditvor-
lage zu begriinden. Wie wir Eroberungsplane, die von Regierungen und
Parteien anderer Lander aufgestellt werden 7 rait aller Kraft bekampfen,
so wenden wir uns mit derselben Entschlossenheit auch gegen das
verhangnis voile Treiben der Annexionspolitiker
unseres Landes, die in gleicher Weise wie jene das starkste Hindernis fiir
die Einleitung von Friedensverhandlungen sind. Diese gefahrliche Politik
hat der Reichskanzler am 9. Dezember, als er zu der sozialdemokratischen
Interpellation das Wort ergriff, nicht von sich gewiesen, er hat ihr viel~
mehr Vorschub geleistet, und die samtlichen boirgerlichen Parteien haben
in Unterstutzung seiner Ausfuhxungen ausdrucklich Gebietserwer-*
b u n g e n gefordert. Erfolgversprechende Friedensverhand~
1 u n g e n sind aber nur moglich auf der Grundlage r dafz kein Volk ver*
gewaltigt 7 dafz die politische und wirtschaftliche Selbstandigfkeit und Un«
abhangigkeit jedes Volkes gewahrt, dafz allenthalben Broberungsplanen
jeder Art entsagt wird. Unsere Landesgrenzen und unsere Unabhangig^
keit sind gesichert 7 nicht der Einbruch feindlicher Heere droht uns 7 wohl
aber geht unser Reich wie das ubrige Europa bei Fortsetzung des Krieges
der Gefahr der Verarmung' und der Verwiistung seiner Kultur entgegen.
Der deutschen Regierung kame es zu, da Deutschland sich mit seinen
Verbundeten in giinstigerer Kriegslage befindet, den erst en Schritt
zum Frieden zu tun. Von der sozialdemokratischen Fraktion ist
sie aufgefordert worden, den Gegnern ein Friedensangebot zu machen.
Der Reichskanzler hat dies jedoch schroff abgelehnt. Der entsetzliche
Krieg geht weiter, jeder Tag schafft neue unsagliche Leiden. Eine
Politik, die nicht alles tut r um diesem namenlosen Elend Einhalt zu ge«
bieten 7 eine Politik, die in ihrer gesamten Betatigung in schreiendem
Gegensatz zu den Interessen der breiten Massen der werktatigen Bevolke-
rung steht 7 durch unser parlamentarisch.es Verhalten zu unterstutzen,
ist uns unmoglich. Es gilt, dem in alien Landern hervortretenden und
wachsenden Friedensbedurfhis einen kraftigen Antrieb zu geben. tlnseren
Friedenswillen und unsere Gegnerschaft gegen Eroberungsplane konnen
wir nicht vereinbaren mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten. Wir
lehnen die Kredite a b." '
Die Erklarung Geyers, die ruhig und wurdig vorgetragen wurde,
machte im Hause sichtlichen Eindruck. Am Schlusse erhieit er noch
liber den Kreis der 20 hinaus lebhaften Beifall. Denn in der
Fraktion hatten wohl 43 Genossen ^e^en die Bewillio-un^ der Kredite
gestimmt, aber nur 20 fanden den Mut, sich der Sonderaktion
anzuschlielzen. Die biirgerlichen Parteien schwiegen still. Bei der
Abstimmung stimmten die 20 dagegen, etwa 22 andere Mitglieder
der sozialdemokratischen Fraktion verliefzen den Saal. Nach
Beendigung der Plenarsitzung hielt die Fraktion eine Sitzung ab,
die sich mit dem Sondervotum der 20 befalzte. Die Fraktions-
mehrheit erlieiz folgende Erklaning:
Die Fraktion hat sich am Montag mit der von einer Anzahl Genossen
angekundigten Sonderaktion im Reichstage beschaftigt. In der eindring*
lichsten Weise wurde den in Betracht kommenden Genossen vorgestellt 7 in
wie schlimmer Weise sie die Einheit der Partei gefahrden,
wenn sie ihr Vorhaben verwirklichen. Es wurde zum Schlufz der Debatte
festgestellt, dafz die Fraktion noch am 2. Februar 1915 mit 93 gegen nur
4 Stimmen beschlossen hat, daiz unter alien Umstanden im Plenum e i n «
heitlich abgestimmt werden mulz. Ein am 30. November 1915
gestellter Antrag r der fur die Minderheit Aktionsfreiheit im Plenum
forderte, vereinigte nur 29 Stimmen auf sich. Dagegen wurde ein Antrag,
der das selbstandige Auftreten der Minderheit erneut fur unzulassig er«
klart r rr weil es gegen die dringend notwendige Einheit der Partei ver«
stofzt" r mit alien gegen nur 27 Stimmen angenommen. Genosse Haase
erklarte 7 dafz er sich dem Vorgehen der Minderheit anschliefzen werde
und infolgedessen sein Amt als Fraktionsvorsitzender
niederlege. — Am Dienstag gaben 20 Mitglieder der Fraktion eine
besondere Erklarung im Reichstag ab und setzten sich damit xiber die
Fraktionsbeschlusse hinweg. Die Fraktion trat sofort nach dem Plenum
erneut zusammen, um Stelhmg zu der nunmehr vollzogenen Tatsache des
Disziplinbruchs zu nehmen. Die Aussprache endete mit der Annahme
folgender Resolution:
, r Die Fraktion erblickt in der Sonderaktion einen Disziplinbruch
bedauerlichster Art. Die Sonderaktion zerstort die Einheit der
parlamentarischen Aktionen in der schwierigsten politischen Lage und
ist darum auf das scharfste zu verurteilen.
Die Fraktion lehnt die Verantwortung fur jede Sonderaktion und fur
alle sich daraus ergebenden politischen Wirkungen ab."
Diese Resolution wurde mit 63 gegen 15 Stimmen angenommen.
Die Minderheit der Fraktion erklarte dazu das folgende:
r £)ie Fraktionsmehrheit halt an dem durchaus verfehhen Standpunkt
fest, dafz das Verhalten der Minderheit einen Disziplinbruch darstelle.
In Wahrheit hat die Minderheit lediglich ihre Pflicht erfiillt.
Die Fraktionsmitglieder sind Vertreter der Gesamtpartei. Die von der
Ansicht der jetzigen Fraktionsmehrheit abweichende Anschauung kann
aufzerhalb des Parlaments zurzeit nicht zur Geltung kommen. Deshalb
war die Minderheit in die Notwendigkeit gesetzt, die Griinde fur ihre
Abstimmung da darzulegen, wo es allein noch moglich ist r auf der
Tribune des Parlaments. Dadurch hat sie gegen keinen Parteitagsbeschlufz
verstofzen. Sie ist uberzeugt, dafz sie vielmehr im Sinne der auf
den Parteitagen gefafzten Beschliisse gehandelt hat. Die
Einheit der Partei wird durch das Vorgehen der Minderheit in keiner
Weise gefahrdet, sondern im Gegenteil gestarkt. Denn es steht aufzer
allem Zweifel, daiz eine grolze Anzahl Parteigenossen auf das schwerste
enttauscht waren r wenn nicht endlich im Reichstag das ausgesprochen
ware, was sie selbst infolge der jetzigen Umstande nicht offentlich sagen
konnen. Diese Genossen werden durch das Vorgehen der Minderheit
wieder starker an die Partei gefesselt. Damit wird die Geschlossen-
heit der Partei fur die Zukunft gefestigt. Das Vorgehen
der Parteiminderheit spaltet nicht, sondern fordert die Einheit der Partei."
38
Wie aus diesen Erklarungen hervorgeht, hatte H a a s e sein Amt
als Fraktionsvorsitzender niedergelegt. H o c h legte gleichf alls sein
Amt im Fraktionsvorstand nieder.
Die Sonderaktion der Minderheit entfesselte naturgemafz lebhafte
Diskussionen in der Presse und in den Organisationen. Die sozial-
patriotischen Blatter entriisteten sich uber den verbrecherischen
Schritt gegen die Einheit der Partei und malten besonders die Wir-
kung aus, die diese Aktion auf das Ausland haben werde. Die Blatter
der Opposition verkannten den Ernst der Stunde durchaus nicht.
Zum ersten Mai, seitdem die sozialdemokratische Fraktiori im Reichs-
tag grofzere Bedeutung besitze, habe eine Anzahl ihrer Mitglieder
offen einen von der Mehrheit abweichenden Standpunkt ein-
genommen. Das sei ohne Zweifel ein Schritt, den nur die dringendste
Notwendigkeit zu reohtfertigen vermoge. Es sei ein Bruch mit der
Tradition, aber es gebe Dinge, die hoher gewertet werden miifzten,
als die Ueberlieferung, und so wenig wie die Disziplin durfe die Tra-
dition zum Fetisch werden. Entscheidend bleibe unter alien Urn-
standen das Interesse der Partei. Die 20 hatten Treue gegeniiber der
Partei geiibt, indem sie die Disziplin der Fraktion verletzten. Fest-
gestellt wurde dabei noch, dafz sich zur Zeit Fraktionsmehrheit und
Fraktionsminderheit wie 3 zu 2 verhielten.
Es gab auch Heifzsporne in der Partei, sowohl auf der rechten wie
auf der linken Seite, die bei diesem Anlafz die Spaltung herbeifiihren
woilten. So schrieb Otto Riihle in der „Pirnaer Volkszeitung",
dafz der Spaltung in der Fraktion auch die Spaltung der Partei un-
vermeidlich folgen musse. Er wisse, dafz in der Partei viele Tausende
die unausbleibliche Spaltung auch der Partei zur Vorbedingung fur
ihre fernere Betatigung als Kampfer in den Reihen der Sozialdemo-
kratie machten. Die „Leipziger Volkszeitung" bemerkte zu diesen
Aeufzerungen:
„Wir bedauern sie und lehnen sie entschieden ab. Die Ablehnung der
Kriegskredite und die Erklarung der 20 Abgeordneten haben jedenfalls
mit diesen Absichten Riihles nichts zu schaffen. So«
lange sich keiner der anderen 19 Abgeordneten ausdriicklich Riihle an-
schliefzt, diirf en wir annehmen, dafz sie samtlich seinen Plan auf
Parteispaltung entschieden ablehnen und verur«
t e i 1 e n. Dalz viele andere und viele Tausende in der Partei mit Riihle
die Spaltung wiinschen, bezweifeln wir sehr; jedenfalls haben die Partei-
organisationen, die sich fur das selbstandige Vorgehen der Minderheit
aussprachen, alles andere als die Absicht, die Partei zu
s p a 1 1 e n."
Die Anhanger der Richtung Liebknecht und Riihle hatten sich
allerdings schon vorher von der Opposition getrennt und eine Propa-
ganda auf eigene Faust getrieben. Sie gaben besonders die Sparta-
kusbriefe heraus, die spater ihrem Bunde den Namen gegeben haben.
Sie veranstalteten besondere Konferenzen und gaben sich eigene
Programme.
Es war jetzt noch eine Frage der Zeit, wann es zum offenen Bruch
zwischen Mehrheit und Minderheit in der Fraktion kommen wiirde.
Beide Richtungen hielten neben den gemeinsamen Sitzungen noch
regelmafzige Sonderberatungen ab. L e g i e n hatte in der Sitzung
nach der Abstimmung einen Antrag auf Ausschlufe der 20 aus der
89
Praktion gestellt, und der Fraktionsvorstand verlangte, dalz die 20
von der Stellimg von Fraktionsrednern im Plenum und in den Kom-
missionen ausgeschlossen werden soilten. Es wurde aber schlielzlich
ein milderer Antrag angenommen, der die Sonderaktionen aufs
scharfste mifzbilligte.
Am 7. und 8. Januar tagte wiederum der Parteiausschulz in Ge-
meinschaft mit dem Parteivorstand. Es wurde eine Entschliefzung
angenommen, die das Vorgehen der 20 verurteilte und erklarte, es
sei nicht geeignet, „die von der Gesamtfraktion unternommene Frie-
densaktion zu starken und dient den Interessen der Arbeiterklasse
in keiner Richtung". Insbesondere verdiene das Verhalten des Ge-
nossen Haase die scharfste Mifzbilligung. Welter stelle der Partei-
ausschufz fest, dalz der „Vorwarts" seine Pflicht als Zentraiorgan der
Partei nicht erfulle. Statt die Poiitik der Partei zu vertreten, fordere
die Redaktion des „Vorwarts" die auf Parteizerrilttung gerichteten
Bestrehungen. Damit verwirke der „Vorwarts" jedes Recht,, als Zen-
traiorgan der deutschen Partei zu gelten.
Der „Vorwarts" stellte dazu fest r dalz der Parteiausschufz mit seiner
Mifzbilligung die ihm zustehenden Befugnisse liberschritten habe. Der
„Vorwarts" habe stets im Sinne der auf deutschen Parteitagen und
. auf internationalen Kongressen geforderten Poiitik gewirkt. Die Poii-
tik der Fraktionsmehrheit und die der Partei sei nicht gleichzusetzen.
Der Parteiausschulz habe nicht das mindeste Recht, festzustellen, ob
der „Vorwarts" als Zentralcrgan der Partei gelte. Der Parteiausschulz
habe sich damit iiber den klaren Wortlaut des Organisationsstatuts
hinweggesetzt.
Einige Tage spater, am 12. Januar, fuhrte die Reichstagsfraktion
die erste Spaltung durch. Karl Liebknecht hatte wiederum,
ohne die Fraktion vorher zu verstandig-en, dem Bureau des Reichstags
eine Anzahl Anfragen uberreicht. Darauf falzte die Fraktion mit 60
gegen 25 Stimmen folgenden Beschlufz:
„Da Genosse Liebknecht fortgesetzt gegen die Beschliisse der Fraktion
handelt und somit die Pflichten der Fraktionsgemeinschaft auf das Grab-
lichste verletzt, erklart die Fraktion, dafz Liebknecht dadurch d i e
R e c h t e , die ihm aus der Fraktionszugehorigkeit e n t -
springen, verwirkt hat."
• Dieses Kauderwelsch sollte naturlich nur verdecken, dafz Karl
Liebknecht kurzerhand aus der Fraktion ausgeschlossen war. Dazu
hatte die Fraktionsmehrheit aber nicht das mindeste Recht. Ueber
die Zugehorigkeit zur Fraktion hatte nicht die Fraktion zu bestimmen,
sondern die Organisation, die den Abgeordneten in den Reichstag
entsandte. Die Wahler Liebknechts aber hatten bisher stets dessen
Haltung gebilligt. Indem die Fraktionsmehrheit sich auf so brutale
Weise liber jedes Recht hinwegsetzte, zeigte sie deutiich, wer in
Wirklichkeit die Zertrummerung der Partei wollte. An die Stelle des
Willens der Organisation setzte sie die Willkur einer Handvoll
Fiihrer. Das wurde durch die Minderheit sofort festgestellt. Sie ver-
offentlichte eine Erklarung, die folgendermafzen schlofz:
77 Die Fraktion ist nicht b e f u g t , sich zum Richter iiber das einzelne
Praktionsmitglied aufzuwerfen. Der Beschkilz ist also eine offenbare
V e r g e w a 1 1 i g u n g. Er beraubt Liebknecht der Recht e, die ihm als
90
Abgeordneten nach dem. Willen seiner Warder und der Gesamtpartei aut*
Grand des Gesetzes und der Verfassung zustehen. Liebknecht mufz dem-
nach nach wie vor a Is vollberechtigtes M it g lied der F r a k~
tion g e 1 1 e n. Die Partei kennt nur gleichberechtigte Mitglieder. Zu
diesem Grundsatz steht der Beschlufz der Fraktion im scharfsten Wider**
spruch."
Karl Liebknecht verstand sofort den wahren Inhalt des Beschlusses
der Frakticnsmehrheit; er teilte dem Reichstagsbureau mit, dafz er
aus der sozialdemokratischen Fraktion ausgeschieden sei. Kurz dar-
auf erklarte sich Riihle mit Liebknecht solidarisch.
Die Vcrgange im Reichstage veranlafzte die Organisationen,
sich mit der Stellung der Partei zu befassen. Der Zentralvorstand der
Grofz-Berliner Parteiorganisationen nahm mit 41 gegen 17 Stimmen
eine Entschliefzung an, worin die von der Fraktionsminderheit abgege-
bene Erklarung gebilligt und bedauert wurde, dafz nicht die gesamte
Fraktion diese Erklarung abgegeben habe. Eine von 320 Fumktiona-
ren besuchte Kreiskonferenz des 6. Berliner Reichstagsiwahlkreises
sprach dem Genossen Ledebour fur seine Haltung ihre voile Billi-
gung aus. Eine von 300 Mitgliedern besuchte Konferenz des 4. Ber-
liner Wahlkreises nahm gegen 7 Stimmen zwei Resoluticnen an, in
der die Haltung der Fraktionsminderheit begriifzt wurde; sie habe der
Stimmung weitester Parteikreise Ausdruck gegeben. Aehnliche Er-
klarungen gaben die anderen Berliner Kreise, sowie eine ganze An-
zahl grofzerer Parteiorganisationen im Reiche, wie Leipzig, Halle und
Bremen, ab.
In der Wochenschrift der osterreichischen Sozialdemokratie, im
„Kampf ' vcm Januar 1916 schrieb Friedrich Adler liber das
Vorgehen der Minderheit das Folgende:
„Die Fraktionsminderheit in Deutschland hat vom 4. August an das
Vorgehen der Mehrheit fur ein Abschwenken vom Programm gehalten.
Aber sie hoffte und hoffte immer von neuem, dafz die Mehrheit zur Be-
sinnung kommen werde, und hat, weil sie die gemeinsame Aktion in ihrem
ganzen Werte erkannte, mit der grofzten Selbstiiberwindung die Politik
der Verfehlungen gegen das Gesamtinteresse des Proletariats, die Politik
der Zerrei&ung der Internationale zwar durch die Aufklarung zu ixber-
winden gesucht, aber ohne Storung der Parteiaktion hingenommen. Die
Minderheit wartete und hoffte von Abstimmung zu Abstimmung. Sie
wurde starker und starker, aber die Mehrheit in der Fraktion zu werden,
durfte sie noch lange hinaus nicht erwarten. Und so wurde die Frage
immer brennender, ob es nicht im hochsten Interesse des Proletariats
gelegen sei, dafz wenigstens die Minderheit den Weg gehe, den sie als
den einzig moglichen zur Wiederherstellung der internationalen Solidari-
tat ansah. Die Frage, ob die Einheit der Reichstagsfraktion wichtiger
sei oder die Dokumentierung der internationalen Gesinnung durch die
Minderheit, wurde schliefzlich nach schweren inneren Kampfen in letzterem
Sinne entschieden. Die Einheit der deutschen Reichstagsfraktion war ge-
sprengt, aber eine Briicke geschlagen zu den Proletariern aller Lander.
Die hoehste Solidaritat, die Solidaritat des Gesamtproletariats war aus-
schlaggebend im Konflikt mit der Solidaritat innerhalb einer begrenzten
Gruppe.
Und das ist der entscheidende Punkt, auf den es bei der Be-
urteilung des ,J3isziplinbruches der deutschen Minderheit" ankommt.
Eine wirkliche Versurtdigung gegen die Interessen der Arbeiterbewegung
01
ist jeder Disziplinbruck, der darauf beruht r dak eine Gruppe Hire Inter-
essen iiber die Gesamtheit stellt,. dalz sie handelt im Widerspruch zum
sozialen Denken. Fiir die Minderheit der deutschen Reichstagsfraktion
kamen aber nicht die Inter essen ihrer Gruppe in Betracht, sondern ge-
rade sie war durchdrungen von den Grundsatzen sozialen Denkens, sie
ging aus von der internationalen Solidaritat der Arbeiterklasse, von dem
h6chsten Gesichtspunkt unserer ganzen Bewegung, die sie durch die
Politik der Mehrheit fiir verletzt ansah."
Die Instanzenmebrbeiten gingen nunmehr riicksicbtslos gegen die
Opposition in der Partei vor. Nacbdem der Parteiausscbufz erklart
batte, dafz der „Vorwarts" das Recbt verwirkt babe, als Parteiorgan
zu gelten, versucbte der Parteivcrstand einen Ersatz dafiir zu
scbaffen. Zu diesem Zwecke gab er die „Parteikorrespondenz", die
bisber eine Sammelstatte fur Zeitungsausscbnitte war und unter der
Leitung von Georg Scbopflin stand, einem der feurigsten Kriegs-
patrioten, in erweitertem Umfange beraus. Sie sollte kiinftig um
„sacblicbe Ricbtigstellungen" bereichert werden. Das bedeutete
nicbts anderes r als dafz dieses Blatt das Organ der Parteivorstands-
mebrbeit wurde, obne dafz jedccb die Instanzen den Mut batten, es
als solcbes zu bezeicbnen. Der Zentralvorstand der Bezirksorganisa-
tion fur die Provinz Brandenburg, der damals in seiner grofzen Mebr-
beit aus Kriegsfreunden bestand, bescblofz, die „Facker', eine Agi-
tationsscbrift fiir das Land, deren Erscbeinen der Krieg unterbrocben
hatte, wieder berauszugeben. Es war aber jetzt keine Agitations-
scbrift fiir die Partei, sondern das Blatt entbielt fast nur Artikel und
Notizen parteipolemiscben Inbalts, die sicb gegen die deutscbe Oppo-
sition und gegen die sozialistiscben Parteien des Auslandes ricbteten.
Die Zeitscbrift war denn aucb dazu bestimmt, nicbt neue Anbanger
fiir die Partei zu werben, als vielmebr den Anscbauungen des „Vor-
warts" entgegenzuwirken.
Die Zensurbehorden lielzen es inzwiscben an Schneidigkeit
nicbt feblen. Unaufborlich wurden opponierende Gesnossen und
Flugblattverbreiter drangsaliert, in die Gefangnisse geworfen, in die
Scbutzengraben geschickt. Das binderte jedoch nicbt, dalz die Ver-
breitung von illegalen Scbriften einen immer grofzeren Umfang
annabm. Welche Sorge den Militarbehorden daraus entstand, das
geht a#s folgender Aufstellung von verbotenen Druckscbriften
hervor, die das wurttembergiscbe Generalkommando in einen ibrer
Geheimbefeble auiinabm:
1. Ein Ende dem Winterfeldzug.
2. Hinter den Kulissen in „groIzer Zeit" usw.
3. Den Genossen und Genossinnen zur Aufklarung (Verlag von Fr. Engel-
bardt).
4. Bilder ohne Worte.
5. Proletarier Europas. '
6. Erklarung von 36 sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten (Ber-
lin 2. 12. 15).
7. Jugendinternationale (Verlag Sekretariat der Internationalen Verbande
sozialistischer Jugendorganisationen).
8. ParteigenossenI ParteigenossinnenI
9. Wer hat die Schuld am Kriege?
d). Reale Garantien fiir einen kommenden Frieden.
It. Krieg, Zusammenbruch und Revolution von X KarskL
92
12. Ansprache der deputierten GroIz*I3erliner Genossinnen an den
Parteivorstand und an den Parteiausschuiz vom 28. 10. 1915.
13. Genug des Mordens.
14. „Disziplinbruche", mit Schreibmaschine geschrieben.
15. Disziplinbrtiche.
16. Der Weltkrieg.
17. Ein Brief an die „Norddeuitsohe Allgemeine Zeitung".
18. An die Internationale Konferenz grundsatztreuer Sozialdemokraten.
Unterschrieben: Die programmtreuen Sozialdemokraten Wiirttembergs.
19. Opportunistische Marseillaise.
20. Frauen des arbeitenden Volkes. (Schweizerische Sozietatsdruckerei.)
21. Dasselbe (einseitig) unterzeichnet: Die internationale sozialistische
Frauenkonferenz, Bern im Marz 1915.
22. „Der Annexionswahnsinn" als Manuskript gedruckt bei der Schweize*
rischen Sozietatsdruckerei.
23. Krieg und Proletariat.
24. Der Hauptfeind steht im eignen Land. Verantw. Wilh. Mayer.
25. Der Zusammenbruch.
26. Die Hetze gegen Haase.
27. Dasselbe (Schweizerische Sozietatsdruckerei).
28. An den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
unterzeichnet: 90 Grofe-Ber liner Unterzeichner des Protestschreibens
vom 9. und 13. Juli 1915.
29. Revisionistenspiegel von August Bebel.
30. Ein neues Wintermarchen.
31. Neues von der wurttembergischen Freiheit. (Unterzeichnet: Put-
schistenkomitees.)
32. Die militarische Zensur.
33. Was ist und was geschehen soil.
34. Das erste Dokument der kommenden Internationale.
Die Wintermonate flossen in dumpfer Spannung und zugleich
unter den heftigsten Auseinandersetzungen in der Partei dahin. Es
hagelte Angriffe auf die „Disziplinbrecher", auf die diese jedoch in
der Oeffentlichkeit nicht deutlich genug antworten konnten. Es war
ein ungleiches Spiel zwischen Mehrheit und Opposition. In eine
besonders mifzliche Lage war die Fraktionsminderheit gekommen,
die den scharfsten Aingriffen ausgesetzt war, ohne daiz sie in der
Presse oder sonst offentlich ihren Standpunkt deutlich genug ent-
wickeln konnte. Immer dringlicher, so fuhrte der „Vorwarts" ein
wenig spater darliber aus, stellte sich fur die Fraktionsminderheit
die Notwendigkeit heraus, wenigstens an der einzigen Stelle, wo zeit-
weilig Gelegenheit zur freien Aussprache gegeben war, von der
Parlamentstribiine ihre Auffassungen darlegen zu konnen. Die
Fraktionsmehrheit hielt es dagegen fur notwendig, die Redner nur
aus ihren eigenen Reihen zu stellen. So blieb der Minderheit
schliefzlich nichts anderes ixbrig, als endlich die Gelegenheit zu
ergreifen, auch ohne Genehmigung der Mehrheit ihre Stellung dar-
zutegen.
Diese Gelegenheit kam am 24. Marz 1916, als der N o t e t a t zur
Abstimmung gelangen sollte. In der Fraktion hatte man sich vorher
dariiber unterhalten, und es war beschlossen worden, fiir den Notetat
zu stimmen. Spater ist von der Mehrheit der Minderheit der Vorwurf
gemacht worden, dafz sie damals nichts dariiber hatte verlautbaren
lassen, dafz sie besondere Stellung zum Notetat nehmen wiirde. Erst
im letzten Augenblick, unmittelbar vor Eroffnung der Verhandlung,
habe Haase dem Fraktionsvorstand mitgeteilt, dafz er reden werde.
Auf diese Weise sei die Fraktion von dier Minderheit hinterriicks
iiberfallen worden. Formell mag die Mehrheit im Recht gewesen
s>ein 7 in der Sacbe selber konnte die Minderheit damals gar nicht
anders handeln 7 wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, von der Mehr-
heit durch Angrifife aus dem Hinterhalt handlungsunfahig gemacht
zu werden. Uebrigens konnte gar kein Zweifel dariiber herrschen,
dafz sich die Minderheit das Recht auf Aeufzerung ihrer Meinung
nicht nehmen lassien wiiirde.
Ueber den Verlauf der Sitzung vom 24. Marz gab der
„Vor.warts" folgende Darstellung:
77 Zu Sturrnszenen 7 wie sie im Reichstag* wohl noch nie erlebt worden
sind 7 eben so leidenschaftlich als beschamend und beklagenswert 7 kam es
am Freitag bei der ersten Beratung des Notetatsgesetzes. Alle Tiefen
des unheilvollen Parteikonfliktes schienen a u f g e «
w u h 1 1 7 alle Gegensatze fanden in einem unerhorten Tumult ihre
schrankerdose Entfesselung.
Wahrend die Mehrheit der Fraktion den Notetat mit einer kurzen Er«
klarung bewilligen wollte 7 war Genosse Haase im Einverstandnis mit
seinen Minderheitsfreunden entschlossen, ihre ablehnende Haltung durch
eine Rede zu begriinden. Die Mehrheit nahm sofort gegen Haases Absicht
Stellung inAuftritten und Wutausbnichen 7 die jeder Beschreibung spotten.
Schon vor Beginn der Sitzung bildeten sich erregte Gruppen. Haases
Platz war formlich umlagert von gestikulierenden, drohenden 7 durch-
einanderschreienden Vertretern der Mehrheit 7 und wiederholt mulzte der
President fur den ersten Punkt der Tagesordnung um Ruhe ersuchen. Als
Haase fest blieb und schlieMich das Wort nahm 7 kam die Erregung* zu~
nachst in Zurufen 7 bald aber in einem ohrenbetaubenden Chorus des
Protestes und der Demonstration zum Ausdruck. Das Haus r langst auf
die Gewitterstimmung aufmerksam geworden 7 ergriff sofort Partei im
Bruderkriege zugunsten der Mehrheit, deren Haltung durch lungenkraftige
Ermunterungv Heiterkeit 7 Geschrei und Handeklatschen lebhaft stixtzend.
Besonders K e i 1 und Heine wurden fur ihre Leistungen ostentativ von
der rechten Seite applaudiert. Minutenlang war im Saale 7 weil alles
durcheinander tobte 7 uberhaupt kein Wort zu verstehen 7 minutenlang be-
miihte sich Herr Kampf mit drohender Glocke vergeblich um Ordnung
und Ruhe. Haase, der wiederholt versuchte 7 seine Rede fortzusetzen,
wurde unausgesetzt zur Sache gerufen 7 von der Mehrheit unterbrochen^
von der Rechten am Weiterreden verhindert und schliefzlich durch einen
Gewaltakt mundtot gemacht. Vorubergehend trat Windstille ein 7 bis
Schatzsekretar Helfferich 7 durch einen Tadel 7 den er der Opposition aus*<
zustellen glaubte 7 erneut Oel ins Feuer gofz 7 so dafz dieses nbch einmal
lichterhell aufschlug und den letzten kummerlichen Rest der Wurde dieses
Hauses hinwegfegte."
Es mufz dazu festgehalten werden 7 dafz auch sozialdemokratische
Reichstagsabgeordnete sich nicht gescheut hatten 7 fiir die Wort-
entziehung zu stimmen, dafz also Leute 7 die sich Sozialdemokraten
nannten 7 gemeinsam mit den biirgerlichen Parteien einem anderen
Sozialdemokraten die freie Rede abschnitten.
In seiner Rede fuhrte Haase aus 7 dafz er und seine Freunde
diesen Notetat ebenso ablehnen miifzten, wie sie den Hauptetat
04
ablehnen wiirden. Der Klassencharakter zeige sich in dieser Zeit
noch scharfer als vorher. Die Regierung habe auf dem Gebiete der
Le^ensniitt elver sorgung vollig versagt, in weiten Kreisen sei Hunger,
Unterernahrung rait all ibren Folgeerscheinungen eingetreten. Das
freie Wort sei geknebeli Der Belagerungszustand werde immer
noch aufrechterhalten. Bs seien Steuergesetze eingebracht worden,
die sich gegen die besitzlosen Kreise richteten. In alien Landern
hatten die Massen den leidenschaftlichen Willen zum Frieden. Aber
die deutsche Regierung, die sich in einer gunstigen Position befinde,
tue nichts, urn den Krieg zu beenden. Es spreche alles dafiir, dalz
das deutsche Beer trotz seiner groizen militarisc'hen Erfolge die
Gegner nicht werde auf die Knie zwingen konnen. Am Schluiz des
furchterlichen Ringens werde es wahrscheinlich weder Sieger noch
Besiegte, sondern nur besiegte, aus Millionen Wunden blutende
Volker geihen. Wie auch das Ring en ausgeihen werde, Europa gehe
seiner Verarmung entgegen. Was habe unter solchen Umstanden
die Fortsetzung des Krieges noch fur einen Sinn? „Wir Sozialisten,
die war den Krieg verabscheuen und mit aller Kraft ihn zu verhindern
uns bemuht haben, widersetzen uns seibstvierstandlich seiner Ver«
langerung. Wenn ;es sich nur darum handele, die Unversehrtheit
des Reiches und die Unabhangigkeit unseres Volkes aufrecht-
zuerhalten, so hatten wir den Frieden schon erzielen konnen. Aber
immer lauter erheben sich die Stimmen, die als Ziel des Krieges die
Ausdehnung unserer Weltmacht, die Erringung der Weltherrschaft
fordern." Die kapitalistische Wirtschaftsordnung habe sich durch
diesien Krieg selbst das Urteil gesprochen.
Nach dieser Szene im Plenum kam die Fraktion zusammen. Der
V o r s t a n d der Fraktion legte eine Erklarung vor, die
inhaltlich der >entsprach, die den Ausschlufz von Liebknecht aus der
Fraktion veranlalzt hatte. Sie hatte folgenden Wortlaut:
JDie Fraktion bedauert lebhaft die Vorgange, dip sich innerhalb ihrer
eigenen Gemeinschaft in der heutigen Reichstagssitzung zugetragen
haben. In ihrer Fraktionssitzung am Vormittag wurde der einstimmige
Beschlulz gefalzt, eine allgemeine politisohe Debatte im Plenum nach der
Behandlung des Etats des Auswartigen Amis in der Budgetkommission
zu fiihren — ein Beschlufz, dem noch vor Begirm der Plenarsitzung der
Seniorenkonvent widerspruchslos zugestimmt hat. Hinsdchtlich der Be*
handlung des Notetats hatte die Fraktion in der gleichen Sitzung be*
schlossen, im Hinblick auf jene in Aussicht stehenden politischen Erorte*
rungen nach altera Herkoramen heute von einer politischen Debatte Ab«
stand zu nehmen.
In dieser Fraktionssitzung 1 ist Haase mehrmals aushihrlich zu Wort ge«
kommen, um seine Auffassung zum Notg-esetz zu begriinden. Nachdem
die Fraktion sich in ihrer Mehrheit gegen diese Auffassung entschieden
hatte, hat Haase auch nicht die leisteste Andeutung gernacht, dalz er gegen
diese Fraktionsbeschlusse im Plenum vorgehen werde. Dadurch wird sein
Disziplinbruch zugieich zum Treubruch. Nachdem die Fraktion bereits
am 12. Januar die damalige Sonderaktion aufs scharfste geriigt hatte, sieht
sie sioh nunmehr gezwungen, zu erklaren, dafz Haase und diejenigen
Fraktionsmitglieder, welche die gemeinsam gefafzten Beschlusse groblich
milzachten und offentlich durchkreuzen, dadurch die aus der Frak«
tionszugehorigkeit entspringenden Rechte verwirkt
haben."
Die Erklarung wurde mit 58 gegen 33 Stimmen angenommen, der
Stimme enthielten sich 4, es fehlten 12 Abgeordnete. Die Minder-
h e i t der Fraktion, die durch diesen Beschlufz aus der Fraktion tat-
sachlich ausgeschlossen war, gab hierauf folgende Erklarung ab:
77 Die sozialdemokratische Fraktion des Reichstags hat uns heute mit
58 gegen 33 Stimmen, bei 4 Stimmenthaltungen, der „aus der Fraktions-
zugehorigkeit entspringenden Rechte" beraubt. Dieser Beschlulz macht
es uns unmoglich, innerhalb der Fraktion auch ferner die Pflichten zu er«
fullen, die uns durch die Wahl als Abgeordnete der Sozialdemokratischen
Partei auf erlegt sind. Wir sind uns bewulzt, getreu den Grund-
satzen der Partei und den Beschlussen der Parteitage
gehandelt zu haben. Urn so die Pflichten gegeniiber unseren Wahlern
auch weiter erfvillen zu konnen, sind wir genotigt, unszu einer
Sozialdemokratischen A r b e i t s gem einsch af t zu-
sammenzuschlieJzen.
Den vollig unbegriindeten Vorwurf des Disziplinbruchs und des Treu*
bruchs weisen wir zuriick.
Berlin, den 24. Marz 1916.
Bernstein, Bock, Buchner, Dr. Oskar Cohn, Dittmann, Geyer, Haase,
Henke, Dr. Herzfeld, Horn, Kunert, Ledebour, Schwarz (Liibeck), Stadt-
hagen, Stolle, Vog*therr, Wurm, Zubeil."
Diese 18 Genossen hatten sich also von der sozialdemokratischen
Reichstagsfraktion gelost und erne neue Fraktion, die
Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft, ge-
bildet, die als ihren Vorstand die Genossen Haase, Ledebour und
Dittmann wahlte. Vierzehn andere Genossen gaben eine offent*
liche Erklarung ab, wonach sie in der Fraktion gegen den Not-
etat gestimmt, im Plenum des Reichstags den Saal verlassen und in
der Fraktion gegen die Mafzregelung gestimmt hatten.
96
<392SKe3BSKiS6QSKiH&<22ii("^^
Die Reichskonferenz.
Fortgang- der Auseinandersetzungen. — Die Kurzsichtigkeit der
Instanzenmehrheiten. — Gewaltakte des Parteivorstandes. — Die
Konferenz von KfenthaL — Differenzen zwischen Opposition und
Spartakusbund. — Verhaftung Liebknechts. — Die Reichskonferenz. —
Keine Abschwachung der Gegensatze*
An diesem Punkte der Darsteliung erschednt es notwendig, die
bisherige Entwicklung der Parteidifferenzen
noch einmal im Zusammenhange zu betrachten. Die kapitalistische
Hochkonjunktur vor dem Kriege hatte der Taktik der deutschen
Sozialdemokratie einen immer deutlicher werdenden reiormistischen
Charakter gegeben, ihre Mehrheit warf sich beim Kriegsbeginn in
die Arme des welterobernden deutschen Imperialismus. Die Wort-
fiihrer der Mehrheit wollten zuerst glauben machen, als ob der
nationalistische Rausch die Klassengegensatze ausgeloscht habe. Je
weiter der Krieg aber vorschritt, urn so deutlicher wurde es, daiz das
edn Irrglaube war. Ueber den Eroberungscharakter der deutschen
Kriegsfuhrung konnte bald kein Zweifel mehr herrschen; die Klassen-
gegensatze waren nicht ausgeloscht, sie wurden vielmehr immer
scharfer, je langer sich das Gemetzel hinzog. Hatte die deutsche
Arbeiterklasse vor dem Kriege an dem Aufstieg des Kapitalismus
einigen Anteil nehmen diirfen, so wurde sie jetzt um so enger an sein
unentrinnbares Schicksal, den volligen Niederbruch, gefesselt Aber
die Rechte der Partei 7 die die Mehrheit bildete und sich auf den
Parteiapparat stiitzte, war ebensowenig wie die aufzerste Linke, die
Spartakusgruppe, imstande, diese Situation zu erkennen. Die organi-
satorische Einheit der Sozialdemokratischen Partei konnte nur
dadurch erhalten werden, dalz die Gegensatze in den grundsatzlichen
und taktischen Fragen anerkannt wurden und den verschieden-
artigen Auffassungen der weitestgehende Spielraum gewahrt wurde.
Aber der Mehrheit lag weniger an der Erhaltung der Einheit der
Partei, als an der Ausmiitzung der Organisation fur ihre besonderen
Auffassungen. Und so iibte sie sich im Wettstreit mit Zensur und
Belagerungszustand in der Unterdriickung der freien Meinungs-
Mu&erung, weil sie nur damit ihre eigene Position zu festigen hoffen
durfte. In heute kaum glaublicher Kurzsichtigkeit schatzte sie die
Opposition als einen spaten Nachfahren jener konfusen Bewegung
der „Jungen" ein, deren sich die Partei anifangs der neunziger Jahre
mit Recht entledigein mufete, wollte Sie nach den Jahren des
Sozialist«ng£setzes zu der gebotenen Geschlossenheit kommen. Die
Parteiinstanzen sahen so wenig die vollstandig anders geartete
7 97
Situation dieser Jahre, dafz sie nur durch den Hinauswurf der schein-
bar so schwachen Opposition zur Ruhe zu kommen glaubte. In der
Hand des Arztes mag dieselhe Medizin dem Kranken Heilung
brmgen, die dem Leidenden den Tod bringt, fwenn sie ihm der Kur~
pfuscher reicht.
Die Spartakusleute auf der anderen Seite aber tat en in ihrer lleber-
gescheitheit alles, urn dem Parteivorstand in die Hande zu arbeiten.
Sie gaben erhabene und wortreiche Programme- und Leitsatze genug
heraus; aber diese litten nur an dem Penler, dalz sie von den
Arbeitern entweder nicht gelesen oder nicht verstanden wurden r
soiweit es sich um die Kriegspolitik der Regierung handelte, und
die in den Reihen der Opposition nur Verwirrung anrichteten, soweit
es sich um die Kriegspolitik der Partei handelte. Statt die Massen
der Arbeiter von der Kriegspsychose zu befreien und sie wieder fur
den proletarischen Klassenkampf zu genvinnen, verbreiten sie den
Glauben, als ob schon eine kleine Schar entschlossener Leute
geniige, um den Krieg zu beenden, den Imperialismus niederzuwerfen
und die soziale Revolution siegreich durchzufiihren. Statt die Mehr-
heit der Partei fur die Opposition zu gewinnen, warfen sie sinnlose
Parolen, wie die Einstellung der Beitragszahlung an den Partei-
vorstand, in die Diskussion und gaben so den Parteiinstanzen will-
kommene Gelegenheit, nicht allein gegen das Dutzend Spartakus-
anhanger, sondern vor allem gegen die Massen vorzugehen, die
hinter der Arbeitsgemeinschait standen. Diese Desperado-Politik hat
sich dann fortgesetzt bis zu den verschiedensten Putschversuchen
nach dem Novemberzusammenbruch und bis zur Zerreifzung der
Unabhangigen Sozialdemokratie.
Mit welcher Verschlagenheit die Instanzenmehrheiten arbeiteten,
um die Arbeiter liber die Absichten der Regierung zu tauschen f
dafur lassen sich unzahlige Beispiele erbringen. Eines der deut-
lichsten hat Philipp Scheidemann gegeben in einer zur
damaligen Zeit unter seinem Verfassernamen veroffentlichten Schrift:
„Es le'be der FriedenI" Nachdem er auseinandergesetzt hatte, was
die Partei hisher schon alles flir den Frieden getan habe, erklarte er:
77 DaJz die Regierung mit den von einem alldeutschen Professor auf«
gestellten und von Y orstandsmitgliedern verschiedener Verbande unter-
zeichneten Annexionsforderungen nichts zu tun hat r ist hinlanglich be~
kannt und auch den auslandischen Regierungen kein Geheimnis mehr.
Wir Sozialdemolu aten, die wir dem Frieden dienen, dem Krieg also
so schnell als moglich ein Ende bereiten wollen, haben nicht die geringste
ilrsache, dem Reichskanzler und seiner Regierung wixste Eroberungs*
absichten zuzuschreiben, von denen wir wissen r dalz sie nicht bestehen."
Im Jahre 19 21, als Scheidemann annahm, dalz die Welt die
Erinnerung an diese Satze verloren haben konne, hat er 7f Erinne«
rungen an Bethmann Hollweg" veroffentlicht Dort berichtet er
folgendes:
7/ Am 8. Marz 1915 hatte der Reichskanzler vor den Vertrauens*
mannern der Fraktionen iiber seine Kriegsziele gesprochen und gesagt:
?? Wir wollen Sicherung, groizere Bewegungsfreiheit und Entwicklungs*
moglichkeit fur ein starkeres und grolzeres Deutschland." Mir liefs eisig
kalt iiber den Riicken, und als er die Wendung von dem grSizeren
Deutschland zum zweiten Male gebrauchte y da schauten wir vier uns am
98
Molkenbuhr, Robert Schmidt und ich sehr verstimmt, Haase offenbar sehr
angenehm beriihrt. Er hatte nun, was er gebrauchte, das Stichwort
fur den JEroberungskrie g", fixr den wir unmoglich noch
Kredite wurden b e w i 1 1 i g e n konnen. Auf dem Heimweg
begann ich Haase gegeniiber zu erortern, dalz Bethmann Hollweg nach
alien seinen sonstigen Darlegungen unmoglich ein durch Gebietszuwachs
grofzeres Deutschland gemeint haben konnte; das erscheine mir ausge-
schlossen . . . Diese Konferenz hatte immer noch unter der Riicksicht
auf die relativ grolze Zahl der Teilnehmer gelitten. Der Reichskanzler
hatte aber, wie vor alien solchen entscheidenden Reden, den Wunsch,
sich ganz vertraulich mit der Sozialdemokratischen Partei vorher auszu-
sprechen. Das beweist mein Tagebuch~Eintrag vom 9. Marz.
Friih urn 8 kommt ein Bote aus der Reichskanzlei und bittet mich
urn 10 Uhr zum Reichskanzler. Ich ahnte: Er will uns noch einmal zu-
setzen, damit von einer Rede im Plenum Abstand genommen wird. Ich
bin kurz entschlossen, Haase die Waffe aus der Hand zu schlagen, die
ihm Bethmann Hollweg am gestrigen Abend durch eine rrulzverstandliche
Wendung gegeben. Ich rufe Wahnschaffe an, dalz der Reichskanzler in
der bevorstehenden Unterredung auf sein Kriegsziel zuruckkommen
nuisse, aber so, dalz daraus unter gar keinen Umstanden Eroberungs-
absichten herausgehort werden konnten, wie das gestern abend der Fall
gewesen ware. Absichten, von denen ich xiberzeugt sei, dalz sie Beth-
mann Hollweg ja auch gar nicht habe.
Wahnschaffe verstand mich sofort, nachdem ich ihn auf
unsere Grundsatze aufmerksam gemacht hatte . . . „Im tiefsten Ver-
trauen — sonst habe niemand Kenntnis da von — : Zarte Keime sprieizen in
Rufzland, Keime, aus denen ein Friede entstehen konnte. Wir wurden
sie zertreten, wenn wir vom Frieden sprechen. Das werde man deuten
als Schwache, und dadurch wachse in Rulzland das Kraftgefuhl noch ein-
mal usw. Die Ziele, die die Alldeutschen verlangten, seien Unsinn." „Ich
denke nicht daran, sie zu verwirklichen. Belgien annektieren! Ein Land
mit einer uns vollkommen fremden, auch sprachfremden Bevolkerung. Ich
stelle mir vor, dalz wir engere Wirtschaftsbeziehungen mit Belgien
kriegen konnen, vielleicht auch Abmachungen militarischer Art. Und wenn
es mir gelange, die Grenze in den Vogesen ein wenig zu regulieren, die
jetzt unterhalb des Kammes verlauft, dann ware das schon von grolzer
Bedeutung, ebenso, wenn man die Schleifung Belforts durchsetzen konnte.
An diesen Grenzen haben wir furchtbare Opfer bringen mussen."
Haase und ich — Haase vor mir — stellten mit Genugtuung fest, dalz
diese Darlegungen uns befriedigten, mindestens hatten sie mancherlei
Befiirchtungen zerstreut . . .
Bethmann Hollweg * wies dann auf unsere Genossen in England hin:
„Wenn Sie mit denen Fuhlung nehmen konnen, sei das gewiiz wert-
voller, als wenn wir im Reichstag iiber den Frieden reden. Aber ihre
internationalen Freunde scheinen wenig friedlich gesinnt zu sein." . . .
Dalz Bethmann Hollweg auf Haase grolzen Eindruck gemacht hatte, war
unverkennbar."
Scheidemann und seine Freunde haben also spatestens seit dem
8. Marz 1915 gewulzt, dafz Bethmann Hollwegs Kriegsziele aufEr-
oberungen gingen. rf Bisig kalt" ist es ihm nach seinem eigenen
GestMndnis iiber den Rixcken gelaufen. Trotzdem haben die Scheide-
manner bis zum Zusammenbruch die Eroberungspolitik der Regie-
rung unterstiitzt und alle Kriegskredite bewilligt Wenn Scheide-
mann unseren Haase, der nicht mehr reden kann, in sein Getriebe
?* 99
hineinzuziehen sucht, so 1st das nichts anderes als eine Grabsohan-
dung. Haase hat nicht „mit Genugtuung" festgestellt, dalz auch
ihn die neuen Darlegungen des Reichskanzlers befriedigt hatten, son-
dern am 9. Marz 1915 hat er, entgegen den Wiinscben der sozial-
demokratischen Kriegspatrioten, in seiner Rede zum Etat ausdriick-
lich den Willen der Arbeiterklasse zum Frieden bekundet
Wie Scheidemann, so trieben es auch seine zahlreichen Ge-
sinnungsgenossen in der Partei. Die Reden, Aufsatze und Broschii-
ren der Lensch, Haenisch, Heine, Cunow, Winnig, Pendrich und wie
sie alle hielzen, hauften sich zu Riesenstapeln. Dazu kamen zahl-
lose Korrespondenzen und Zeitschriften, mit denen die Sozialpatrioten
die Arbeiterschaft uberschutteten. Die „Parteikorrespondenz", die
frixber nur einem beschrankten Personenkreis zuganglich war und
jetzt mit einseitigem, zugunsten der Mehrheit zurechtgestutztem Ma-
terial gefiillt war 7 wurde auf Kosten der Partei massenhaft an die
Funktionane verschickt. Durch August Winnig lielz der Parteivor-
stand eine Broischiire iiber die Einheit der Partei schreiben und
massenhaft verbreiten. Albert Baumeister, der Sekretar und Ver-
trauensmann Karl Legiens, gab die ^Internationale Korrespondenz"
heraus, die mit den niedrigsten Methoden der Verhetzung gegen die
sozialistischen Parteien des Auslandes arbeitete. Daneben erschien
die „Sozialdemokratische Feldpost", die aus ahnlichen Quellen ge-
speist und in Mas&en an die Front verschickt wurde. Der im Kriege
reichgewordene Parvus griindete die Wochenschrift „Die Glocke",
an die er bald einen grofzeren Verlag anschloiz. Eine Leitartikel-
korrespondenz von Aoxgust Winnig, Heinrich Schulz, Dr. Lensch und
Heinrich Cunow versorgte die Redaktionen der Mehrheitspresse.
Der Opposition dagegen stand nur ein kleiner Teil der Partei-
presse zur Verfugung. Durch die von Rudolf Breitscheid steit 1915
herausgegebene „Sozialistische Auslandskorrespondenz" wurden die
Redaktionen mit wertvollem Material aus den besten Federn des
internationalen Sozialismus versehen. Im iibrigen aber mulzte die
Opposition sich auf die Herausgahe illegaler Druckschriften be-
schranken; sie stand jeden Tag aufs neue vor der Gefahr, wie es
mit Rosa Luxemburg, Karl Liebkn/echt, Franz Mehring in Berlin,
Crispien und Hornle in Stuttgart, Niebuhr in Elberfeld, Herre in
Leipzig und Miiller in Schkeuditz, wie es mit vielen Tausenden ande-
ren mehr oder weniger bekannten Parteigenossen geschah, ins Ge-
fangnis oder Zuchthaus geworfen oder fur den Schutzengraben ge-
prelzt zu werden.
Die illegale Arbeit der Opposition wurde nun freilich energisch
gefordert durch die Tatigkeit der Sozialdemokrati**
schen Arbeitsgemeinschiaft im Reichstag. Diese nahm
jede Gelegenheit wahr, um vom Boden der alten sozialdemokrati-
schen Grundsatze aus den Kampf gegen die Kriegspolitik zu fiihren.
Es konnte ihr nicht darauf ankommen, bei der Vertretung von Ar-
beiterforderungen einen Wettlauf mit der Mehrheit der bisherigen
Fraktion im Reichstag zu beginnen. ,„Wenn deren Haltung von den
GrundsStzen der Partei abwich, 4 ' so heifet es in einem Bericht der
sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, „war jedoch eine klare und
too
sachlich scharfe Auseinandersetz-ung geboten, bei der aber die
Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft jede personliche Polemik
zu vermeiden suchte. Wurde dieses selbstSndige Vorgehen oft
genug zu einer Anklage gegen die Mehrheitspolitiker, so lag das an
dieser Politik, die den selbstandigen, sozialistischen Geist vermissen
liefz." Die Parlamentstribune war die einzige Statte, wo man noch
<einigermafzen frei sagen konnte, was Hunderttausenden auf der
Zunge lag. Die Maizregelung der Fraktionsminderheit durch die
Mehrheit war so wider Willen ein Akt der Befreiung geworden, „der
zugleich die Wirkung hatte, viele der Parteigenossen auch weiter an
die Partei zu fesseln, die in Sorge, Groll oder Verzweiflung sich von
der Partei abzuwenden drohten' .
Anders dachten die Mehrheiten der Parteiinstanzen dariiber. Sie
begannen auf die skandaloseste Art eine lange Reihe von brutalen
Willkiirakten und Gewaltmalznahmen gegen mifziiebige Partei-
genossen, durch die schliefzlich die Zertrummerung der Partei her-
beigefuhrt wurde. Die Mehrheit des Parteivorstandes lud den Partei-
ausschufz auf den 27. Marz zu einer Sitzung ein, ohne den Partei-
vorsitzenden Haase bei der Beschlufzfassung hinzuzuziehen. Auch
die Redaktion des „Vorwarts" war im Gegensatz zu der bisherigen
Uebung nicht rmehr geladen worden. Wie hinterhaltig die Vorstands-
mehrheit gegen Haase handelte, geht aus dem Schreiben hervor, dalz
dieser an Ebert richtete. Einen Tag vor der Konferenz erhielt er die
Nachricht von dem Zusammentritt des Parteiausschusses mit dem
Anheimgeben, an der Sitzung teilzunehmen; tags zuvor hatte noch
eine Sitzung des Parteivorstandes stattgefunden, in der ihm nichts
von der Absicht, den Ausschufz einzuberufen, gesagt wurde. In
dieser Sitzung wurde er in Abwesenheit der erkrankten Genossin
Zietz und gegen den Widerspruch des Genossen Wengels dazu ge-
drangt, sofort eine Erklarung iiber seine weitere Zugehorigkeit zum
Parteivorstand abzugeben. Obwohl er darauf hinwies, dafz es im
Interesse der Partei lage, wenigstens um einige Tage diese Ange-
legenheit hinauszuschieben, beharrte die Mehrheit des Parteivor-
standes auf sofortige Entschlielzung mit dem Bemerken, dafz sie ein
Zusammenarbeiten mit ihm ablehne. Darauf gab Haase die Erkla-
rung ab, dalz er sein Amt als Vorsitzender der Partei niederlege.
In der Sitzung des Parteiausschusses suchte Ebert mit
inquisitorischer Griindlicbkeit nachzuweisen, dafe die Opposition
planmalzig arbeite, dalz sie schon eine besondere Partei gebildet
habe und dafz nunmehr nichts anderes iibrig bleibe, als alle Partei-
genossen, die mit der Kriegspolitik der Instanzenmehrheit nicht ein-
verstanden seien, aus der Partei hinauszuwerfen. Die Vertreter der
Opposition im Parteiausschufz, wie Gottschalk aus Konigsberg,
L i p i n s k i aus Leipzig, H e n n i g aus Halle, F 1 e i fz n e r aus
Dresden, erklarten, dafz alles geschehen musse, um die Einheit der
Partei zu erhalten. Die Spaltungsversuche seien zuerst von der
rechten Seite gekommen. Trotz Fraktionsspaltung konne die Partei-
einheit aufrechterhalten werden. Es sei das gute Recht eines jeden,
seine Gesinnungsgenossen durch Drucksachen zu informieren, und
es sei auch nichts dagegen einzuwenden, wenn durch freiwillige
Sammlungen Gelder aufgebracht wiirden. Uefoer die bisherigen Vor-
101
gSnge in der Parte! miisse der nMohste Parteitag sein Urteil abgeben,
der Parteiausschufz diirfe nicht als Richter auftreten.
Die Mehrheit des Parteiausschusses liefe sich durch diese Aiisfuh-
rungen von ihren Absichten nicht abbringen. Es wurden Antrage
angenommen, die sich gee-en die Opposition wandten. In dem
ersten Antrag hiefz es, dalz die Griindung der Sozialdemokratischen
Arbeitsgemeinschaft eine vorbedachte untergrabung der gemein-
Samen politischen Tatigkeit und unvereinbar mit den Grundsatzen
des Organisationsstatuts sei. In dem zweiten Antrag wurde gesagt,
es stehe unzweideutig fest, dalz ein Tell der Parteimitglieder in
fiihrender Stellung sich eigene, festgefugte Organisationen ge-
schaffen hatte mit dem Ziel, die Gesamtpartei zu bekampfen. Da
die Abhaltung eines Parteitages wahrend des Krieges unmoglich er-
scheine, sei es eine Aufgabe des Parteivorstandes, gegeniiber den
Sonderbestrebungen alle geeigneten Mafznahmen in Anwendung zu
bringen, urn die Geschlossenheit der Organisation zu wahren. In
dem dritten Antrag wurde der Parteivorstand ersucht eine Dar-
stellung der Ursachen zu geben, die zur Spaltung der Fraktion ge~
fiihrt hatten. Abgelehnt wurde dagegen ein Antrag, in dem der
Parteivorstand erklaren sollte, dafz er nach dem Organisationsstatut
nicht hefugt sei, liber das Verhalten der Reichstagsfraktion, die allein
dem Parteitag verantwortlich sei, zu Gericht zu sitzen und abzu-
urteilen. Die Opposition gab dazu eine Erklarung zu Protokoll, in
der sie dagegen protestierte, dafz der Parteiausschufz iiber seine Be-
fugnisse hinaus das Verhalten der Reichstagsfraktion kontrolliert und
zum Ge^enstand seiner Beschlufzfassuno- gemacht habe und worin sie
dem Parteivorstand fur diese Uebergriffe des Parteiausschusses ver-
antwortlich machte.
Gestiitzt auf diese Beschlusse der Mehrheit ging der Parteivorstand
nunmehr zum Frontalangriff gegen die Opposition
vor. Er veroffientlichte eimen Aufruf, worin alle die Behauptungen,
die Ebert in der Sitzung des Parteiausschusses vorgetragen hatte,
noch einmal wiederholt wurden. Die Einwande der Opposition
blieben selbstverstandlich unberucksichtigt. Wieder konnte man be-
obachten, mit welcher Kurzsichtigkeit die Instanzenitiehrheiten die
Vongange in der Partei beurteilten. In dem Aufruf wurde behauptet,
dalz „einige Verblendete" die Fackel der Zwietracht in den Bau des
Sozialismus geworfen hatten, den Tausende und Abertausende von
Genossen und Genossinnen in vieljahriger opfervoller Tatigkeit er-
richtet hatten. Also noch immer nicht wollte der Parteivorstand er«
kennen, dafe die Ursache zu den Differ enzen nicht in der person-
Kchen Schuld einiger Genossen lag; noch immer glaubte er, dafz
nur eine Heine Zahl von Parteigenossen sich an der Opposition
gegen die Kriegspolitik der Partei beteiligte und dafz es genuge, sie
mit scharfer Hand anzufassen, urn die Opposition fur immer nieder-
zuwerfen. Die Folgezeit hat ergeben, dafz diese Auffassunig ein
grundlicher Irrtum war.
Trotz des Aufrufs des Parteivorstandes und trotz der Beschlusse
des Parteiausschusses erklarten sich eine Reihe der grofzten und
bestgefiigten ortlichen Organisationen der Partei fur die Arbeits-
gemeinschaft So nahm der Zentralvorstand der sozialdemokratischen
102
Wahlvereine Groiz-Berlins am 31. Marz mit grolzer Mehrheit eine
Resolution an, in der das Verhalten der Fraktionsmehrheit ver-
furteilt und die Bildung der Arbeitsgemeinschaft gebilligt wurde.
Aufs allerscharfste wurde die Art verurteilt, wie Genosse Haase aus
dem Parteivorstand gedran<?t wurde. Aehnliche Resolutionen wurden
dann auch in den Kreiskonferenzen und Funktionarsitzungen der
einzelnen Berliner Wahlkreise angenommen. Auch im Reiche
stellte man sich an vielen Orten hinter die Arbeitsgemeinschaft r so
in Leipzig und Braunschweig, in Bremen und in Halle.
Der „Vorwarts'\ der nicht nur Zentralorgan, sondern Organ der
Berliner Parteigenossen war, hatte also die Mehrheit der Berliner
Partei hinter sich, die die Politik der Arheitsgemeins chart billigte.
Er mufzte deshalb sowohl die offiziellen Aufrufe und Erklarungen
des Parteivorstandes, wie auch die Mitteilungen veroffentlichen, die
ihm von der Arbeitsgemeinschaft zugingen. Am 31. Marz wurde
nun die Redaktion des „Vorwarts" von dem Faktor der Druckerei
durch die Mitteilunsr iiberrascht, daiz der Geschaftsfuhrer Richard
Fischer ihm anbefohlen habe, unter keinen Umstanden mehr die
Erklarungen der Sozialdeimokratischen Arbeitsgemeinschaft an hervor-
ragender Stelle zu geben. Als sich die Redaktion gegen diesen
Eingriff in ihre Rechte verwahrte, erschien Fischer und das Partei-
vorstandsmitglied Otto Braun, urn zu erklaren, dafz nunmehr der
Parteivorstand eine Praventivzensur liber den „Vorwarts" auszuiiben
gedenke. Einen Tag spater erhielt dann die Redaktion auch noch
-eine besondere Mitteilung des Parteivorstandes, wonach aus dem
„Vorwarts" alles fortzubleiben habe, was die Parteizerruttung fordern
konne. Wenige Tage spater erschien Hermann Miiller in der Redak-
tion und verhinderte die Aufnahme von Artikeln und Notizen in das
Blatt. Das alles geschah, ohne dafz die zustSndigen Instanzen, ohne
dafz insbesondere die Prefzkommission des „Vorw8rts" und der
Zentralvorstand daruber gehort worden waren, ohne dafz der Partei-
vorstand auch nur den Versuch unternommen hatte, sich mit der
Redaktion zu verstandigen. So begann der Parteivorstand mit
grofzter Brutalitat die Verfolgung der ihm unbequemen ,,Vorwarts"«
Redaktion, die schliefzlich dahin fiihrte, dafz ein halbes Jahr darauf
der „Vorwarts" mit Hilfe der Militarhehorden den rechtmHfzigen
Eigentumern, den Berliner Parteigenossen, geraubt wurde.
Aehnliche Gewaltstiicke wurden in der Provinz veriibt. Am
31. Marz kundigte der Parteivorstand liber den Kopf der zustandigen
Parteiinstanzen der Kreise Duisburg^Mors zwei Genossen aus der
„Niederrheinischen Arbeiter-Zeitung 1 '. ihre Stellung als Redakteure
dieses Blattes, Otto Braun fuhr selbst nach Duisburg, warf die beiden
kurzerhand hinaus und ersetzte sie durch den gesinnungstiichtigen
Pokorny. Der Parteivorstand, der durch Hingabe von Geld an das
Duisburger Unternehmen das Recht erworben zu haben glauhte,
auch liber den Inhalt des Blattes zu bestimmen, liefz sich trotz aller
Proteste der Duisburger Parteigenossen, des engeren und weiteren
Kreisvorstandes und der Bezirksleitung Niederrhein nicht dazu brin-
gen, seinen Handstreich riickgangig zu machen. Aehnliche Vor-
gange ereigneten sich in Frankfurt a. M. und in Bremen.
Vierzehn Ta^ie darauf wurde Ernst Meyer aus der Redaktion
des r ,Vorwarts" hinausgeworfen, weil er es gemagi hatte, aufzerhalb
10B
seiner redaktiorvelten TMti|keit an der Abfessung eines Plu^btottes
„Die Lehre des 24. M&rz' mitzuwirken, das sich gegen die Kriegs-
politik der Parteiinstanzen wandte. Alle diese Malznahmen der
Instanzen lieferten aufs neue den Beweis, dalz es nicht die Opposi-
tion war, die zur Spaltung trieb, sondern dalz die Instanzenmehr-
heiten mit Absicht die Zertriimmerung der Partei herbeigefiihrt
haben. Sie stiitzten sich dabei lediglich auf die Beherrschung des
Parteiapparats und auf ihre wirtschaftliche Macht, brachen aber alle
Ueberlieferung von Treu und Glauben, die bisher in der Partei
herrschte.
Vom 24. bis zum 30. April tagte in K i e n t h a 1 (Berner Ober-
land) die zweite interna tionale Konferenz solcher
Parteigenossen, die in der Opposition gegen die Kriegspolitik standen.
Seit der ersten Konferenz von Zimmerwald war die oppositionelle
Bewegung aufzerordentlich erstarkt. Zugleich ergab es sich aber,
dalz sie auch international kerne einheitlichen Tendenzen aufwies,
sondern in verschiedenartige Auffassungen verfiel, die dann auch
auf der Tagung von Kienthal zuweilen in heftigen Formen zum Aus-
druck gebracht wurden. Die Konferenz war von etwa 40 Delegierten
aus Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, Serbien, Portugal,
Rufzland und Polen besucht. Von den Russen waren Axelrod, Lenin
und Martow da, von den Italienern Morgani, Serati, Mussati, von
den Schweizern Naine, Grimm, Graber und Platten, von den Franzosen
Rufin Dugins, Brizon, Bracke und Guilbaux, von den Polen Radek
und Labinski, von den Serben Katzlerowitsch. Den beiden Franzosen
Merrheim und Bourderon, den Vertretern der englischen Independent
Labour Party und vielen anderen Genossen waren die Passe ver-
weigert worden oder man lielz sie nicht liber die Grenze. Aus
diesem Grunde konnten auch nur sieben deutsche Genossen an der
Konferenz teilnehmen, von denen vier den Standpunkt der Sozial«
demokratischen Arbeitsgemeinschaft, zwei den der Spartakusgruppe
vertraten und einer sich der Radekgruppe anschlofz. Die von der
internationalen sozialistischen Kommission vorgeschlagene Tages-
ordnung wurde angenommen. Danach waren zu behandeln: 1. Die
Berichte der einzelnen LSnder, 2. die Stellung der Internationale zum
Krieg und 3. die Stellung zum internationalen sozialistischen Bureau
in Haag.
Bevor die eigentlichen Verhandlungen begannen, kam es zu einer
unangenehmen Aueinandersetzung zwischen den Vertretern der
Italiener und der Franzosen mit dem schweizerischen Genossen
Greulich. Dieser hatte sich vor dem Eintritt Italiens in den Krieg
zum Mittelsmann zwischen einem ^amerikanischen Pazifisten und
der italienischen Partei gemacht, um diese zu bewegen, mit den
Geldern des Amerikaners Friedenspropaganda zu betreiben. Greulich
versicherte, dalz er in bester Absicht gehandelt habe, aber schlielz-
lich blieb ihm nichts anderes iibrig, als die Konferenz freiwillig zu
verlassen. Die einzelnen Delegierten berichteten dann liber den
Stand der oppositionellen Bewegung. Die Franzosen konnten mit-
teilen, dafe bei ihnen die Opposition im stetigen Wachsen begriffen
sei, was sich besonders deutlich auf der letzten Tagung der National-
konferenz gezeigt habe, wo ihre Stimmen auf etwa 950 gegen 1900
W4 . . ,.
dear MahrHeit gestieg^n $eien f In Italien stand die gfcsj&mta Part$i-
organisatkm auf dem fcoden der Opposition. Der Kri-eg wurde aufs
schSrfste bekSmpft, die Kredite wurden abgelehnt. Die russische
Arbeiterklasse hatte auch wShrend des Kriegszustandes vor dem
Zarismus nicht kapituliert. Ihre parlamentarische Vertretung fiihrte
den Kampf in der scharfsten Form. Vier Abgeordnete waren deshalb
nach Sibirien verbannt worden. Besonders scharf kamen die Gegen-
satze in der Opposition bei der Berichterstattung der deutschen
Delegation zum Ausdruck. Die Spartakusgruppe legte neue Leit-
satze vor, betonte aber, dafz sie vorlaufig nicbt den Austritt aus den
Organisationen propagiere, sondern ihre oppositionelle Tafekeit
ebenso wie die Gruppe der Arbeitsgemeinschaft innerbalb der Orga-
nisationen entfalten wolle. Der Bremer Delegierte, der der Radek-
gruppe angehorte, polemisierte sowohl gegen die Arbeitsgemein-
scbaft wie auch gegen die Spartakusgruppe, die er gleichfalls zum
„Sumpf" rechnete. Der Vertreter der Arbeitsgemeinscbaft befaizte
sich mit der Spaltung der Opposition in Berlin. Alle grofzen Demon-
strationen gegen den Krieg seien von der Arbeitsgemeinschaft aus-
gegangen. Trotzdem die Parteileitung alle Hebel in Bewegung setze,
um die Opposition zu unterdriicken, macbe sie recbt gute Fort-
scbritte. Seit eihigen Wochen gebe die Opposition ein kleines Mit-
teilungsblatt heraus, das weite Verbreitung in alien Grofzstadten
Deutschlands und in den Industriezentren fande. Die Leitung der
Organisationen sei vielfach schon auf die Opposition ubergegangen,
so in Leipzig, Berlin, Bremen und anderen Orten. Das Ziel der
Opposition sei, alle oppositionellen Elemente zusammenzufassen und
auf der Grundlage des Erfurter Programms den Kampf gegen die
Politik vom 4. August mit Energie zu fuhren. Dabei verschliefze sich
die Opposition durchaus nicbt der Notwendigkeit, nacb dem Kriege
eine starkere Formulierung mancber Satze des Programms wie der
internationalen Beschlusse zu fassen.
Am scharfsten traten die Gegensatze bei der Behandlung des
zweiten Punkts der Tagesordnung, „D e r Kampf f ii r die Be-
endigung des Kriege s", zutage. Deutsche, Italiener und
Franzosen stellten sich im allgemeinen auf den Boden der Zimmer-
walder Konferenz. Hauptstreitpunkte waren die Frage der Vater-
Iandsverteidigung, die Frage der Schiedsgerichte und die Wahl der
Mittel fiir die Beendigung des Krieges. Die Lenin-Radek-Gruppe,
der sich die deutschen Spartakusanhanger anschlossen, verneinte
die Landesverteidigungspflicht unter alien Umstanden und verwarf
auch die Schiedsgerichte als wirksames Mittel zur Verhinderung von
Kriegen. Es gelang aber doch noch, das Auseinanderfallen der
Konferenz zu verhindern und die verschiedenen Gruppen auf gemein-
same Beschlusse zu vereinigen. Es wurde die Herausgabe eines
Manifestes und einer Reihe von Thesen beschlossen.
Schlieizlich wurde noch heftig tiber die St e Hung zum inter-
nationalen sozialistischen Bureau in Haag diskutiert.
Die Italiener wunschten, dafz man um diese Einrichtung ebenso
kampfe, wie um die Herrschaft in den Organisationen. Demgegen-
iiber wurde die Meinung vertreten, dafz das international Bureau
jede Bedeutung verloren habe und dalz es nur Verwirrung anrichten
konne, wenn das Bureau zusamenberufen werde und die Opposition
105
sich an seinen Arbeiten beteilige. Das Bureau habe durch seine.
UntStigkeit wShrend des Krieges jedes Recht verwirkt, als Vertreterin
des internationalen Sozialismus zu gelten. In dies-em Sinne kam ein
Beschlufz der Konferenz zustande. Es wurde dann noch vereinbart,
den Versuch zu unternehmen, in der nachsten Zeit eine interparla-
mentarische Konferenz solcher Sozialisten zu veranstalten, die auf
dem Boden der Zimmerwalder Beschlusse standen. und von denen
man die Forderung gemeinsamer Aktionen zur Herbeifiihrung des
Friedens erwarten konne.
Die Konferenz von Kienthal hat ebenso wie die von Zimmerwald
zur Belebune* der Opposition Gutes geleistet Nicht zufrieden mit
ihr waren allerdings die Anhanger der Spartakusgruppe, die Taten,
Kampf und Mass en aktionen verlangten, dagegen von Konferenzen,
Resolution en und Manifesten nichts wissen wollten. Es zeigte sich
erroeut, dafz die Spartakusanharvger nicht den realen Tatsachen Rech-
nung tras*en, sondern eine Taktik treiben wollten, die nach der Lage
der Verhaltnisse so gut wie ohne Wirkung bleiben mufzte. Im
ubrigen erschopfte sich die Aktion der Spartakusgruppe vorlaufig
nur in der Empfehlung an die Sozialdemokratische Arbeitsgemefrv
schaft, den Kampf gegen die Kriegspolitik ebenso wie Karl Liebknecht
durch kleine Anfragen im Reichstag zu fuhren.
Selbstverstandlich nahm die Opposition unabhangig von den Kon-
ferenzen und Manifesten jede Gelegenheit wahr, urn in der Oeffent-
lichkeit ihren Willen zu bekunden. Eine solche Gelegemheit bot sich
bei der M a i f e i e r 1916. Soweit es irgend ging, wurden offent-
liche Kundgebungen veranstaliet, die an vielen Orten eine grofze
Beteiligunsr aufweisen konnten. In Berlin verlegten die Spartakus-
leute ihre Kundgebung auf den Potsdamer Platz, also dorthin, wo
die Bourgeoisie verkehrte und man zu den Arbeitermassen liberhaupt
nicht reden konnte. Hier war es, wo endlich Karl Liebknecht
den Scher^en des Militarismus zum Opfer fiel. Er hatte „Nieder
mit dem Kriegl Nieder mit der Regierunsr!" gerufen. Sofort wurde
er von Polizisten gefafzt, und seit der Zeit liefz man ihn bis zum
Zusammenbruch im November 1918 nicht mehr aus der Zelle, erst
des MilitMrgefangnisses, dann des Zuchthauses.
Jetzt nahm anch das Internationale sozialistische
Bureau in Haag Gelegenheit, etwas fur den Fried en zu tun. Da
aber sein Vorstand sich aus Vertretern der Kriegspatrioten der ver-
schiedenen Lander zusammensetzte, so war es unmoglich, das ganze
Internationale Proletariat von dieser Stelle aus zu einer gemeinsamen
Friedensaktion aufzurufen. Das Bureau beschrankte sich denn auch
daraufr die angeschlossenen Parteien in einem Aufruf zu ersuchen,
die politischen Fraeen zu erortem, die nach ihrer Meinung eine
Losung in den Friedensbestimmungen verlangten. Das Bureau wollte
also den Krieg nicht sofort bekampfen, sondern es sollte erst fiir
irgendeine Zeit nach dem Kriege irgendeine Untersuchung angestellt
werden./ Die Delegierten der Arbeiterparteien aus den neutralen
Landern wurden dann noch fiir den 26. Juli zu einer Konferenz nach
dem Haao* eingeladen. Die Vertreter der kriegfuhrenden Lander
waren von vornherein ausgeschlossen. Die Veranstalung hat wie
nicht anders zu erwarten, weder fiir die Beendigung des Krieges
106
noch fur den Wiederaufbau der so^ialistischen Internationale irgend
etwas Positives erbracht.
Zu den heftigsten Auseinandersetzungen kam es in diesen Monaten
in den Berliner Parte! organisation en. Die Berliner
Genossen verlangten mit Recht, dafz die Leitung der Organisationen
so zusammengesetzt werde, wie es ihren Anschauungen entsprach,
und diese gehorten der Opposition. Das Verlangen pafzte aher nicht
den bisherigen Leitern der Organisationen, die mit alien Mitteln der
brutalen Gewalt ihre Stellungen zu erhalten suchten. An ihrer Spitze
standen Eugen Ernst, Wels, Richard Fischer, Groger, urn nur einige
bekanntere Namen zu nennen. Anfang 1916 war en die Wahlkreise
vom Zentralvorstand von Grofz-Berlin befragt worden, ob eine
Generalversammlung stattifinden solle. Die Mehrzahl der Kreise
hatte sich dagegen erklart. Inzwischen war wiederum von einzelnen
Kreisen ein Antrag auf Einberufung einer Generalversammlung ein-
gebracht worden, da bei ihnen die Besetzung der Vorstandsposten
gewechselt hatte und das einer Bestatigung der Generalversammlung
bedurfte. Es wurde zur Begrundung angefiihrt, dafz die Vorgange
in der Partei zu einer Aussprache dramgten, und selbst wenn die
statutarischen Bestimraungen die Einberufung einer Generalversamm-
lung verhindern, so miisse man sich den gegebenen Verhaltnissen
anpassen. Die Mehrheit des Zentralvorstandes beschlofz schliefzlich,
die Verb andsgeneral vers ammlung abzuhalten. Die Folge dieses Be-
schlusses war eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen den An-
hangern der Kriegspolitik und der Opposition im , 7 Vor warts". Es
entwickelten sich daraus heftige Kampfe um die Besetzung der Vor-
standsposten, und als die Kriegspatrioten sahen, dafz ihres Bleibens
nicht mehr langer war, fixhrten sie ihre schon langst verkundete Ab-
sicht durch, die Berliner Organisation zu spalten. Auch in Berlin ging
also die Spaltung der Partei nicht von der Opposition aus, sondern
wurde verursacht durch den Machtdimkel der Anhanger der Kriegs-
politik.
Ende Juni kam es zu profzeren Streiks unter den Metallarbeitern,
besonders in Berlin, in Braunschweig, in Bremen, in Stuttgart und
in anderen Orten. Sie richteten sich gegen das erste Zuchthausurteil
gegen Liebknecht, und da besonders die Munitionsfabriken daran
beteiligt waren, so erregte die Bewegung den heftigen Unwillen nicht
nur der Militaristen, sondern auch der Sozialpatrioten in den Partei-
instanzen und bei den Gewerkschaftsvorstanden, die sich bald mit
Aufrufen oind Flugblattern gegen die Streikbewegung wandten.
Die gespannte Situation in der Partei liefz die Frage akut werden,
ob nicht ein Parteitag zusammentreten und liber die Taktik der
Partei bindende Beschliisse fassen konnte. Schon in der Sitzung der
Kontrollkommission vom 5, Juni hatte Timm aus Miinchen angeregt,
einen aufzerordentlichen Parteitag einzuberufen. Man solle nicht
warten, bis der Krieg zu Ende sei, sondern schon jetzt eine Bnt-
wirrung der lunhaltbaren Verhaltnisse versuchen. Diese Anregung
fand den lebhaften Beifall des rechten Fliigels. Es war aber klar,
dalz ein Parteitag, an dem nicht alle Parteigenossen Anteil nehmen
konnten und dem kein freier Meinungsaustauch vorangehen konnte,
nur ein Zerrbild der wirklichen Stimmung in der Arbeiterschaft zeigen
107
wurde. Und es war waiter zu >erwarteiv dalz ein Parteitag wahrend
des Krieges in seiner Mehreit ein gefiigiges Instrument in der Hand
der Instanzen sein wiirde. In der Kontrollkommission wurde zwar
der Antrag Timm mit Stimmengleichheit abgelehnt, aber gleich
danach beschaftigte sich der Parteivorstand in mehreren Sitzungen
damit und brachte die Sache vor den Parteiausschulz, der fur den
20. und 21. Juli zu einer Tagung nach Berlin einberufen war.
Nachdem es am ersten Tage der Verhandlungen zu voller Ein-
miitigkeit iiber das Vorgehen in der Ernahrungsfrage ge-
kommen war, gerieten die beiden Tendenzen um so heftiger am
zweiten Sitzungstage gegeneinander, als man sich iiber die Frie-
densfrage unterhielt. Die Instanzenmehrheiten hielten wieder
heftige Anklagerede gegen das angeblich parteizerriittende, sonder-
organisatorische Treiben der Opposition. Da man aber auch in der
Mehrheit sich nicht verschweigen konnte, dafz die unerlalzliche Vor-
bedingung fur die Abhaltung eines Parteitages die Gewahr einer
vollig unbeschrankten Aussprache sei, so kam man auf den Ausweg,
eine Reichskonferenz einzuberufen. Gegen 12 Stimmen wurde eine
Resolution angenommen, die dem Parteivorstand die Einberufung
einer Konferenz der Parteiorganisation empfahl, ry um der fortschrei-
tenden Zerriittung der Partei vorzubeugen". Der Parteivorstand liefz
sich das nicht zweimal sagen, er berief die Reichskonferenz
auf den 21. September nach Berlin ein.
Schon die Bestimmungen iiber die Vertretungen der Wahlkreise
liefzen erwarten, dafz die Zusamensetzung der Reichskonferenz die
wirklichen Parteiverhaltnisse nicht richtig wiedergeben wiirde. Die
grolzen Wahlkreise, in denen die Opposition besonders stark ver«
treten war, wurden zugunsten der kleinen und kleinsten Kreise, in
denen nur wenige Arbeiter organisiert wurden, zuriickgesetzt. Die
Mehrheitspresse fiihrte beruhigend dazu aus, dalz die Reichskonferenz
a keine bindenden Beschlusse fassen konne und dalz deshalb ihrer
usammensetzung kein besonderes Gewicht beigemessen werden
diirfe. Aber es war vorauszusehen, und dahin ist es schliefelich auch
gekommen, dalz die Kundgebungen der Reichskonferenz in einseitigem
Sinne von der Mehrheit fur ihre Zwecke ausgeschlachtet werden
wurden. Dem Parteivorstand lag vor allem daran, die Gegner der
Kriegspolitik moglichst wenig zu Worte kommen zu lassen, und er
versuchte auch, die Arbeitsgemeinschaft von der Teilnahme an den
Verhandlungen auszuschlielzen. Das ist ihm allerdings nicht ge-
Iungen, die Konferenz beschlolz ihre Zulassung.
Die Reichskonferenz tagte am 21., 22. und 23. September
im Berliner Reichstagsgebaude. Die sozialdemokratische Reichstags-
fraktion war mit 83, die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft
durch 18 Mitglieder vertreten. Insgesamt waren 451 stimmberech-
tigte Delegierte anwesend. Schon bei der Konstituierung und bei
der Festsetzung der Geschaftsordnung kam es zu heftigen Ausein-
andersetzungen. Ebert wollte, dafz man genau so verfahre wie auf
den Parteitagen. Das wiirde bedeutet haben, dafz zwar die Redner
der Mehrheitspolitik imbeschrSnkte Redezeit fiir ihre Ausfuhrungen
^reha^t hatten, dafz aber die Vertreter der Opposition nur in der
Diskussion zu Worte gekommen wSren. Es wurde aber besehlossen,
108
?
nach den Referaten von Ebert und Scheidemann, die irber die
Politik der Partei und iiber die Tatigkeit des Parteivorstandes sprechen
sollten, Haase als Vertreter der Minderheit mit unbeschrankter Rede-
zeit zu Worte komm^n zu iassen und einem Vertreter der Spartakus-
gruppe eine Redezeit von einer halben Stunde zu gewahren.
Vor Eintritt in die eigentliche Tagesordnung erklarte Ledebour
im Auftrage von mehr als 100 Delegierten und Abgeordneten, dafe
der Reichskonferenz jede Befugnis fehie, Beschliisse zu fassen.
Obendrein sei durch die Art der Zusammensetxung der Moglichkeit,
eine den tatsachlichen Verhaltnissen entsprechende Wider-
spiegelung der Parteiverhaltnisse zu geben, der Boden voHig
entzogen worden. Die Oppositionsvertretung sei kirnstlich einge-
schrankt worden. Trotz der auf solche Weise bewirkten Verzerrung
beteilige sich die Opposition an den Verhandlungen, weil sie selbsl
diese kiimmerliche Gelegenheit zu einer Ausprache uber die Partei-
verhaltnisse nicht voriibergehen Iassen wolle. Fiir die Gruppe
Internationale schlofe sich Frassek diesen Ausfiihrungen an, und
er fiQtgte hinzu, dafe die Spartakusdelegierten jede Beteiligung an den
Abstimmungen ablehnen wiirden.
Das erste Ref erat iiber die Politik der Partei hielt
Scheidemann. Er wiederholte darin in ausfuhrlicher Breite
alles das, was er und seine Gesinnungsgenossen tausendfach schon
in der Oeffentlichkeit gesagt hatten. Scheidemann meinte, dalz seit
dem 4. August 1Q14 das ganze Volk von dem Bewufetsein einer
riesenbaften Gefahr erfulit gewesen sei, aus der es nur mit dem
Aufgebot aller seiner Krafte sich retten konne. Die deutsche Sozial-
demokratie bilde grofze Stixcke des deutschen Volkes selber, und eine
solche Partei konne die grundsatzliche Pflicht der Landesverteidigung
nicht verneinen. Wenn die Fraktion gegen die Kriegskredite hatte
stimmen sollen, so hatte das aus anderen Grunden und nicht aus
Verteidigungsnihilismus geschehen miissen. Den Zulauf zur Oppo-
sition erklare er sich aus der Not und aus den groizen Ern&hrungs-
schwierigkeiten, die vielfach in sehr demagogischer Weise ausgenutzt
wiirden. Die franzosischen und englischen Sozialisten hatten doch
auch fiir die Kriegskredite gestimmt Die Wirkung einer Ablehnung
der Kriegskredite fiir die deutsche Sozialdemokratie ware ganz anders
gewesen, als sie von der Opposition eingeschatzt werde. Wenn
Deutschland, was kein Mensch bei uns annehme, eine Niederlage
erleiden wiirde, dann wolle die Partei mit reinem Gewissen dastehen
und sagen konnen, sie habe alles getan, was in ihren Kraften stand,
um das namenlose Elend fernzuhalten. Es habe sich bei der Be-
willigung der Kriegskredite nicht darum gehandelt, der Regierung das
Vertrauen auszusprechen, sondern dem Lande sollten die notwendigen
Mittel zur. Verfugung stehen, damit es sich seiner Haut wehren
konne, und damit seine Sonne und Bruder imstande seien, im Felde
ihre Schuldigkeit zu tun. Die Beschliisse der internationalen Kon-
gresse forderten nicht nur von der deutschen Sozialdemokratie, dafe
sie alles tue r um den Krieg so schnell wie moglich zu beendigen, sie
forderten das von den Sozialisten aller Lander. Was hatten aber
die anderen LSnder der Internationale in die&er Beziehung bisher
getan? Mit der Bewilligung der Kriegskredite habe die Partei die
109
Verantwortung fur den Krieg nicht ubemommen. Weder der Reichs~
kanzler noch der Kaiser habe den Krieg gewollt. Wenn von
deutscher Seite Fehler gemacht worden sei en, so trage das ganze
deutsche Volk schuld daran, weil es sich jahrzehntelang die Politik,
die zum Kriege fiihrte, gefallen liefz. Das Verhalten der Fraktions-
mehrheit im Reichstag sei nicht die Folge eines besonderen Ver-
trauensverhaltnisses zur Regierung. Ihrer Kriegspolitik gegeniiber
bieibe die Fraktion aufzerst kritisch, der Reichskanzler habe zwar
wiederholt seine Bereitschaft erklart, in Friedensverhandlungen ein-
zutreten, aber leider sei er in seiner letzten Rede sehr unklar ge-
wesen, so dafz den verschiedensten Auslegungen Tixr und Tor ge~
offnet wurden. Nicht die deutsche Regierung sei schuld daran f dafz
es noch nicht zu Friedensverhandlungen gekommen sei, sondern die
Regierungen der gegnerischen Lander, die bisher jede Erorterung
der Friedensbedingungen abgelehnt hatten. Gegen die Annexions-
politiker aller Richtungen stehe die Partei geschlossen zusammen.
Dalz einzelne Parteigenossen lediglich im Ueberschwang ihrer Ge~
fiihle das notige klare Unterscbeidungsvermogen nicht ; gefunden
hatten, sei gewifz bedauerlich. Aber iiber die grundsa^zlichsrStellung
der Partei zu den Annexionsforderungen konne kein Zweifel be-
stehen. Die Fraktion habe sich hinter Bethmann gestell't, weil es
schwerlich eine Wendung zum Besseren bedeuten wiirde, wenn es
den Alldeutschen gelange, einen Mann ihres Herzens an dessen
S telle zu bringen. In eimer demokratischen Partei habe sich die
Minderheit der Mehrheit zu fiigen, und darum konne auch der Oppo-
sition in der Fraktion nicht das Recht zugebilligt werden, ihre Meinung
offentlich vorzutragen, darum sei auch die Bildung der sozialdemo-
kratischen Arbeifcsgemeinschaft zu verurteilen. Scheidemann wieder-
holte zum Schlufz die Beschuldigungen gegen die Arbeitsgemein-
schaft, dafz sie in geschlossenen Sitzungen besonders getagt und
ihre Taktik vor den Entscheidungen der Gesamtfraktion festgelegt
habe. Die Fraktion sei von der Arbeitsgemeinschaft uberrumpelt
worden. Er schlofz seine Rede mit einem Appell an die Partei, die
alte Einheit und Geschlossenheit auch unter den augenblicklichen
schwierigen Verhaltnissen aufrechtzuerhalten.
Der zweite Referent war Ebert. Er berichtete, dalz die Mit-
gliederzahl der Partei seit 1914 von 1 085 905 auf 395 216 zuruck-
gegangen sei, also um 64 Prozent. Der Abonnentenstand der Presse
war gefallen von 1 288 092 auf 691 484 oder um 46 Prozent. Die
Einnahmen an Parteibeitragen hatten sich um 60 Prozent vermindert.
Ebert schilderte die Tatigkeit des Parteivorstandes in der Ernahrungs-
frage und in der Frage des Belagerungszustandes. Er ^ behauptete
weiter, dalz der Parteivorstand alles getan habe, um die Aktions-
fahigkeit der Internationale wieder herbeizuftihren; leider sei das
aber an der Hartnackigkeit der sozialistischen Parteien in den kriegs-
gegnerischen Landern gescheitert. Die Partei habe eine Friedens-
aktion unternommen, an einigen Orten sei die Beteiligung daran
aber abgelehnt worden, weil sie nicht radikal genug gewesen sein
soil. Der Opposition warf Ebert dann vor, eine Partei in der Partei
bilden zu wollen. Man schaffe sich eigene Organisationen, gebe
sich ein eigenes Programm und schreie dann im ganzen Lande
umher iiber angebliche Gewaltpolitik des Parteivorstandes, der
110
Parteiprogramm und Parteitagsbeschiusse nicht halte. Eine Schlamm-
flut anonymer .Flugschriften walze sich iiber das Land. Harmlose
Leute, die ihre Verbreitung vorgenommen hatten, seien verhaftet
worden, die eigentlich Schuldigen aser batten sicb in Sicherheit ge-
bracht. Als Ebert sicb dann weiter dagegen wandte, dalz die deut-
schen Munitionsarbeiter in dieser Zeit streiken, kam es zu einem
sturmischen Zwischemfall. Timm aus Miinchen ging auf Stadthagen
zu und wollte ibn tatlich anfassen. Dariiber geriet die Konferenz in
eine so starke Unruhe, dafz die Verhandlungen auf erne halbe Stunde
vertagt werden mulzten. Timm mulzte schlielzlich um Entschuldigung
fur sein Verbalten bitten.
Am zweiten Verbandlungstage bielt H a a s e sein Korrefierat. Er
wandte sich zunacbst dagegen, dalz man die Verbreiter der Flug-
blatter als Feiglinge beschimpfe und erinnerte daran, wie man wah-
rend des Sozialistengesetzes iiber die Manner geurteilt babe r die
sich derartigen Gefahren ausgesetzt hatten. Er zeigte an einigen
Beispielen, wie durch die Malznahmen der Parteiinstanzen opposi-
tionelle Arbeiter den Behorden -ans Messer geliefert worden seien.
Die Streiks der Munitionsarbeiter, an denen sich in Berlin allein iiber
50 000 Personen beteiligt hatten, seien innerhab der Arbeiterschaft
aus Sympathie fur den Genossen Liebknecht ausgebrochen. Noch
niemals hatten selbst burgerliche Politiker solche Ausfuhrungen in
einem Parlament gemacht, wie Heine im Reichstag am 18. Januar
1916, als er ofifen die scharfsten Mafzregeln gegen den Genossen
Liebknecht verlangte. Die streikenden Arbeiter seien von der Ber-
liner „Fackel" als ehrlos beschimpft worden. Es gebe ifi der Oppo-
sition allerdings verschiedene Richtungen, genau so, wie auch auf
dem rechten Flugel die Auffassungen nicht einheitlich seien. Aber
wir mulzten als Sozialdemokraten jede Kritik, auch die allerharteste,
ertragen konnen. Der Parteivorstand treibe dagegen die Opposition
immer weiter von sich und driicke den Keil immer tiefer in die Partei
hinein. Die gegebene politische Situation hatte mit alien Kraften
ausgenutzt werden miissen, um politische Rechte zu erringen. Nichts
sei aber geschehen, nichts wesentliches in dieser Zeit erreicht
worden. Die Agrarier hatten ihre eigene Taktik und konnten dadurch
ihre Interessen bei der Lebensmittelversorgung wahren. Wir Sozial-
demokraten haben auch unsere Taktik, aber wir haben sie nicht an-
gewendet. Wir haben nur das eine Mittel, dafz wir die Masse unserer
Parteigenossen, so gut es geht, mobil machen. Das ist nicht ge-
schehen. Woher komme denn unsere EinfluMosigkeit? Sie komme
daher, dalz die Regierung wisse, nach der Haltung, die die Sozial-
demokratie im Kriege eingenommen hat, konne man ihr alles bieten,
brauche man auf sie keine Rucksicht zu nehmen. Die Mehrheit babe
vergessen, dalz die Interessen der verschiedenen Klassen auch im
Kriege ebenso verschieden seien, wie vorher, ja, dalz die arbeitende
Klasse im Kriege noch mehr leide, als vorher.
Haase wies bierauf eingehend nach, dalz die Hauptschuld am
Kriegsausbruch bei der deutschen Regierung gelegen habe. Zuerst
waren sich der Parteivorstand und die Fraktion durchaus nicht iiber
die Bewilligung der Kriegskredite einig. Erst spSter habe sich der
Mehrheit die Ueberzeugung bemachtigt, dafz sie mit der Vergangen-
111
heit brechen miisse. Jetzt konne roan nicht mehr behaupten, dalz
wir am 4. August so hatten stimmen miissen, wie wir gestimmt haben.
Jetzt miisse man weiter gehen und sagen, dalz wir am 4. August
nicht so hapten stimmen durfen, weil der Charakter dieses Krieges
und die Haltung der Regierung in diesem Krieg uns davon abhalten
muizte. Weruvnun von der Mehrheit gesagt werde, dalz die Kredite
bewilligt werden mulzten, um unsere Briider im Felde zu schiitzen,
so sei darauf zu erwidern, dalz die Abstimmung im Parlament ein
politischer Akt sei und dalz man bei solcher Gelegenheit zu erklaren
habe, wie man zur Regierungspolitik stehe. Bei den meisten An-
gehorigen der Mehrheit sei Jetzt die Anschauung vorhanden, dalz
man bis zum Siege durchhalten miisse. Zwischen Sieg und Nieder-
lage aber geb^ es einen dritten Weg: den Weg der Verstandigung
unter den Volkern, bei dem kein Volk eine Niederlage erleide. Die
Annahme, dalz die Regierung mit den Annexionsplanen der Imperia-
listen nichts zu tun habe, konne durch eine Unzahl von Beispielen
widerlegt werden. Und so sei die ganze Haltung der Mehrheit un-
vereinbar mit unseren Gmndsatzen gegenuber einem imperiali-
stischen Kriege. Es fehle bei der Mehrheit jede selbstandige
Orientierung, sie folge den Losungen, die von der Regierung aus-
gegeben werden. Die Mehrheit setze ihr ganzes Vertrauen auf einen
Mann wie Bethmann Hollweg, sie sage, man miisse ihn stiitzen, denn
man wisse nicht, was dahinter komme, wenn er den Annexionisten
zum Opfer falle. Und so sei es gekommen, dalz man auch in der
Frage des Bruchs der belgischen Neutralitat nicht den Mut auf-
gebracht h§be, die Wahrheit zu sagen. Im Gegenteil, man habe
durctv David ein Buch in die Welt gehen lassen, worin der Neutra-
litatsbruch noch beschonigt worden sei.
Haase wandte sich in seinen weiteren Ausfuhrungen gegen die
Auffassung, dalz der Friede nur durch die Niederzwingung, durch die
Zerschmetterung der Gegner wiederhergestellt werden konne. Die
Opposition wolle nicht eine Niederlage Deutschlands, aber auch nicht
die Zerschmetterung eines anderen Landes, sondern die Verstandi-
gung. Im Auslande wisse man jetzt, dalz eine starke Gruppe in
Deutschland vorhanden sei, die eine Verstandigung nicht mit den
Lippen, sondern durch die Tat wolle. Diese Tatsache allein miisse
es rechtfertigen, dalz die Arbeitsgemeinschaft selbstandig im Reichs-
tage vorgehe. In einer Zeit, wo die Welt aus den Fugen sei, konne
man nicht solche Fragen mit dem Worte Disziplin oder Nichtdisziplin
erledigen. „In einer Zeit, wo Reden Pflicht ist, und Schweigen ein
Verbrechen, konnten wir nicht dasitzen wie stumme Hunde. Wir
wollen nicht den Frieden um jeden Preis, trotzdem bei den Arbeitern
oft genug die Meinung zu horen ist, man miisse den Krieg zu Ende
fiihren, ganz gleich, wie der Friede aussieht. Das aber wollen wir:
um keinen Preis die Fortsetzung dieses Krieges." Haase wies bei
dieser Gelegenheit darauf bin, dalz die Moglichkeit gegeben war, mit
England zu einer Verstandigung zu kommen. Das ist aber von der
Regierung und von den deutschen Kriegstreibern verhindert worden.
Zum Schlufc seiner Rede betonte Haase, dalz auch die Opposition
di« Einigkeit der Partei aufrechterhalten wolle* Aber die Handhmgen
der Mehrheit hatten dazu gefiihrt, dafe die Einigkeit auf das au&erste
112
gefahrdet "sei Eine gro&e Anzahl von Parteigenossen fuhle sich von
der Parte! abgestoizerv und fiir diese Genossen sei es uberaus wichtig
gewesen, dalz die Arbeitsgemeinschaft sich gebildet habe. Binen
einheitlichen Organisationsrahmen der Partei zu bewahren, sei nur
moglich, wenn Toleranz geiibt werde, wenn nicht -diejenigen An-
schauungen unterdriickt wiirden, die nicht (ibereinstimmen mit denen
des Parteivorstandes und denen der Mehrheit der Fraktion. Die ge-
fahrlichste Periode fiir die Partei werde kommen, wenn sie sich liber
ihre Stellung zum verscharften U~Boot~Krieg lentscheiden miisse.
„Wir wollen die Einheit der Partei, aber nicht einer Partei, in der dem
Imperialismus offen oder versteckt Konzessionen gemacht werden.
Wir wollen die Einheit der Partei, aber nicht einer Partei, die die
Kolonialpolitik untersttitzt, wie etwa Lensch im kolonialpolitischen
Ausschufz. Wir sind gegen eine Partei, in der die Schutzzollbereiche*
rungspolitik eine Forderung erfahrt. Wir wollen nicht eine Partei,
in der der Klassenkampf ahgeschwacht wird. Wir wollen die Einheit
der Partei, aber auf dem festen granitnen Boden des sozialdemo-
kratischen Programms. Wir wollen sie als Internationale Sozialistenf"
Fur die Gruppe „Internationale" sprach Kate Duncker. Am
4. August, so fiihrte sie aus, sei die zweite Internationale unheil'bar
zusammengebrochen, und die Partei habe vor der Ideologie des
Nationalismus kapituiiert. Die kommende Internationale miisse eine
engere Organisation sein, die mit entscheidenden Machtbefugnissen
fiir alle Lander ausgeriistet wird. Die Stellung zum Kriege diirfte
man nicht abhangig machen von der jeweiligen Kriegslage. In der
Stellung zu der Steuerfrage, zu der U-Boot-Frage, zur Friedenspetition
des Parteivorstandes trenne sich die Auffassung des Spartakusbundes
von der der Arbeitsgemeinschaft, aber beide Teile wiirden den
gemeinsamen Gegner vereint schlagen. Die Einheit der Partei ruhe
auf der Einheit der Grundsatze. Das Fundament unserer Grundsatze
aber sei der internationale Gedanke und der Gedanke des Klassen-
kampfes. Wenn Parteivorstand und Fraktion dieses Fundament
durch ihre Kriegspolitik und durch die Politik des Burgfriedens unter-
graben, dann miisse die Organisation der Auflosung und der Zer-
riittung anheimfallen. Nicht die Einheit der Partei sei das wichtigste,
sondern die Einheit in den GrundsMtzen. Die Massen miiizten auf*
gerufen werden zum machtvollen Kampf gegen den Imperialismus
und gegen den Krieg. Der Friede miisse erkampft werden unter
Anwendung aller Machtmittel des Proletariats. Bin solcher Friede
werde den Sieg des Sozialismus vorbereiten und die Internationale
zu einer Macht gestalten, die eine Wiederholung solchen entsetz*
lichen Volkermordens fiir alle Zeiten verhindere.
In der Diskussion steilte sich bald heraus, dalz die Hoffnung, die
Reichskonferenz werde zu einer Abschwachung der Gegensatze,
ftrhren, sich nicht erfullen konnte. Die Mehrheit fclieb dabei, dafe
ihre Kriegspolitik in den Verhaltnissen begriindet gewesen sei und dafe
kein Anlafz vorliege, von ihr abzugehen. Und so wurde es fiir die
Opposition immer deutlicher, dalz sie den Kampf gegen diese Auf-
fassungen mit aller Scharfe weiterfuhren miisse. Die Mehrheit ver-
suchte noch eine kleine Komodie aufzufuhren, indem sie eine
Sympathieerklarung fiir Karl Liebknecht herausbrachte. Kate
8 113
Duncker protestierte dagegen, dafe Leute, die durch ihre Politik mit-
schuldig daran seien, dalz Liebknecht hinter Kerkermauern sitze,
hier eine so heuchlerische Erklarung abgeben wollten. Auch Haase
legte im Namen der Opposition Protest dagegen ein. Nicht der
Ausdruck mitleidigen Bedauerns, wie es die Mehrheit wolle, sei hier
am Platze, sondern entschiedener Protest. Zugleich stellte Haase
noch einmal fest, dalz die Konferenz, die im Parteistatut keine Stiitze
habe, nicht befugt sei r sachliche Beschltisse zu fassen. Durch die
Aussprache sei ihre Funktion eriedigt.
Nach dreitagigen Verhandlungen kam es trotzdem zu Abstimmun-
gen. Die Minderheit in der alten Fraktion erklarte, dalz sie sich an
der Abstimung iiber die von der Mehrheit vorgelegte Resolution, die
die Kriegspolitik des Parteivorstandes und der Fraktion guthiefz,
nicht beteiligen wiirde. Ein Antrag Haase-Ledebour, eine Beschlulz-
fassung iiber sachliche Antrage abzulehnen, wurde in namentlicher
Abstimmung mit 276 gegen 169 Stimmen abgelehnt. Danach gaben
die Vertreter der Opposition und der Gruppe ^Internationale" Er~
klarungen ab, dalz sie sich an den weiteren Abstimmungen nicht
beteiligen wiirden.
Ebert schlofz die Reichskonferenz mit einem Appeli an alle Teil-
nehmer, dalz sie bei alien Gegensateen nicht vergessen sollten, dafz
sie Kameraden und Kampfgenossen seien. Ueber allem Streit stehe
das grofze gemeinsame Ziel: Die Befreiung der Arbeiterklasse aus
wirtschaftlicher und politischer Bedruckung. Zur Erfiillung dieser
Aufgahe mufzten alle Krafte zu gemeinsamem und geschlossenem
Handeln zusammengefaizt werden. Die nachste Zukunft lehrte bald,
wie wenig ernst es gerade Ebert mit diesen Worten war. Er hat an
der Spitze derjenigen gestanden, die durch ihre Handlungen die
Einheit der Partei zerschlagen haben.
114
OS*&<B8iiS6<39W^>GS2^
Die Zerreifcung der Partei.
Das Programm des rechten Fliigels. — Der Gewaltstreich gegen den
„Vorwarts". — Das Urteil des Auslands. — Die NacKwahl in
Oschatz~Grimma. — Das Hilfsdienstgesetz. — Das Friedensangebot
der Kriegsregierimg. — Die Januarkonferenz der Opposition. — Ab«
lehnung der Spaltung. — Die Zerreifzung der Partei durch die
Instanzenmehrheiten.
Was es m»it den Absichten des rechten Fliigels fur die Reichs-
konferenz auf sich hatte, das war besonders klar aus den Artikeln
zu erkennen, mit denen die „Sozialistischen Monatshefte", das Organ
des rechten Fliigels, die Veranstaltimg der Partei begriifet hatteru
Severing verlangte von der Partei, dafz sie sich fur die Sicher-
stellung der Rohstoffeinfuhr aus eigener Kolonialtatigkeit einsetzen
solle. Das war, wie Kautsky im „Vorwarts" feststellte, eihe Aufgabe,
zu der die Sozialdemokratie sich nur bekennen konnte, wenn sie sich
zugleich fur eine Riesenflotte und fur koloniale Eroberungspolitik
begeisterte. Quessel, der von der Bedeutung der Seegeltung
schrieb, wollte die Arbeiter lehren, dalz „das Gedeiben der Industrie
nicht nur Sache der Unternehmer, sondern in noch h5herem Mate
ihre eigene Sache" sei f so dalz sie zu „Verteidigung und Sieg" und
, r gegen/uber der britischen Seetyrannei, die standig unser Dasein
bedroht'V mit den Unternehmern zusammenstehen miifzten.
Jansson f urchtete, dalz nach dem Kriege grolze Lohnkampfe der
deutschen Wirtschaft schwere Wunden schiagen wurden, „daher
sollte die Verstandlgung in der Lohnfrage alien anderen Dingen
vorangehen". II m b r e i t , der Redakteur des ,^Korrespondenzblattes
der Generalkommisskm der Gewerkschaften'V wiinschte , r keine Iso-
lierung, keine Proklamierung von Klassengegens&tzen und Klasseiv
kampfen, wo Zeit und Tatsachen ein gemeinsames Zusammenarbeiten
dringend erheischen". Heilmann sah in dem Krieg einen grofeen
Klassenkampf, vor d&m alle geringen Fehden so zuriickzutreten
hatten, dalz sie ihn nicht schadigen konnten. K a 1 i s k i riigte den
Parteivorstand, „weil dieser sich noch nicht dazu entschliefeen konnte,
den Schutzzollgedaniken anzuerkennen", ohne den der geplante
mitteleuropaische Wirtschaftskomplex undenkbar sei. Peus schliefz-
Kch meinte, „dafz wir uns in Zukunft der Bewilligung der Heeres-
und Flottenbudgets nicht mehr werden entziehen konnen".
Dieses positive Programm des rechten FKigels war auf der Reichs*
konferenz freilich nicht entwickelt worden, denn es hStte dort viel-
leicht manchen von jenen Elementen, die noch immer nicht wulzten,
auf welche Seite sie sich schiagen sollten, stutzig machen und zur
s* 115
Opposition abdrangen konheni Nachher klagte K o I b , der FCihrer
der badischen Reformisten, der gleichfalls auf der Reichskonferenz
geschwiegen hatte, dariiber, daiz es dort zu keiner klaren Ent-
scheidung gekommen war, und er stellte in seinem „Volksfreund" noch
einmal zusammen, wie er sich die weitere Tatigkeit der Sozialdemo*
kratischen Partei vorstellte:
„Im Ernste kann doch kein vernunftiger Mensch damit rechnen, dalz
die Manner, die auf dem Boden der Politik des 4. August stehen, kixnftig
in der kegei das Budget abiehnen, dalz sie in Pragen der Heeres~,
Marine**, Kolonial**, >^irtschafts~ usw. -Politik dieseibe fialtung ein«
nehmen, welche die Sozialdemokratie vor dem 4. August eingenommen
hat. Diese poiitische Neuorientierung der Sozialdemo-
kratie kann aber nicht bis nach dem Kriege verschoben werden, denn
sie ist die unentbehrliche Voraussetzung flir eine Neugestaltung der po«
litischen Verhaltnisse im Reiche wie in den Einzelstaaten. \Vartet die
Sozialdemokratie mit der Entscheidung iiber die Krise, in welcher sie sich
befindet, bis nach dem Kriege, dann erscheint sie zu spat auf dem Plane,
um bei der Entscheidung iiber die poiitische Zukunft des deutschen
Volkes ein gewichtiges Wort mitsprechen zu konnen."
Ebert hatte die Reichskonferenz mit einem Mahnwort zoir Einig*
keit, zu gemeinsamem geschlossenen Handeln geschlossen. Bald
aber sollten die Arbeiter erkennen, was sich fur den Parteivorstand
hinter diesen schonen Worten versteckte. Zwei Wochen danach
wurde der langst geplante Gewaltstreich gegen den
„V o r w a r t s" ausgefuhrt. Er blieb nicht der einzige Fall seiner
Art, aber an ihm konnte man am deutlichsten erkennen, welche
Absichten die Mehrheit des Parteivorstandes verfolgte.
Am 8. Oktober wurde der „Vorwarts" zum vierten Male in der
Kriegszeit verboten. Den Anlalz gab ein Artikel, der sich
gegen die Kanzlerfronde wandte. Bethmann Hollweg war
zwar den Annexionisten mit seiner Politik soweit es
irgend ging entgegengekommerL Die . Alldeutschen, an
der en Spitze der Landschaftsdirektor Kapp stand, verlangten
aber, daiz entweder Bethmann Hollweg sich offen zum ruoksichts-
losen Eroberungskrieg bekennen oder seinen Platz einem ihrer Leute
rMumen solle. Der ueschaftsfuhrer des „Vorwarts", der Reichstags-
abgeordnete Richard Fischer, setzte sich mit dem Ober-
kommando der Marken wegen der Aufhebung des Verbotes in Ver~
bindung; den zustandigen Instanzen teilte er mit, dalz die Militar-
behorde die Entlassung der am „Vorwarts" tatigen Redakteure
fordere. Zu gleicher Zeit verhandelte der Parteivorstand iiber das
Verbot mit Herrn Wahnschaffe, dem Leiter der Reichskanzlei,
trotzdem bekannt war, dalz selbst der Reichskanzler keimen Einflufz
auf die Militarbehorden hatte. Auch eine Beschwerde von Haase im
Reichstag blieb ohne Wirkung. Am 12. Oktober lehnte der Zentral-
vorstand von Grolz-Berlin die geforderte Entlassung der Redakteure
des „Vonwarts" ab; dagegen wollte er Ressortveranderungen in der
Redaktion vornehmen, so dafz Ernst DSumig ausschlielzlich fur
die Ueberwachung der .Zensurvorschriften freiblieb. Fischer weigerte
sich, dieses Anerbieten bei der MilitSrbehorde zu vertreten. Bei
dieser Gelegenheit ging schon hervor, dalz Fischer und seine Hinter-
manner dem Oberkommando noch weit mehr Zugestandnisse machen
116
wollten, als dieses selbst verlangt hatte. Der Parteivorstand glaubte
eben die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen zu sollen, urn mit
Hilfe der Militardiktetur den „Vorwarts" ganz in seine Hande zu
bekommen.
Acht Tage lang war der Parteivorstand in Sachen des „Vorwarts"«
Verbots fur' die zustandigen Instanzen iiberhaupt nicht zu sprechen.
Erst am 16. Oktober ruokte er mit seinen wahren Absichten heraus;
er wollte nSmlich dem Oberkommando den Vorschlag machen, daiz
„ein Mitglied des Parteivorstandes in die Redaktion eintritt und die
Vollmacht erhalt, iiber den Inhalt des Blattes zu entscheiden". Das
bedeutete nichts anderes, als daiz der Parteivorstand die Militar-
diktatur benutzen wollte, urn die Leitung des „Vorwarts" in die von
ihm gewunschte Richtung zu drangen. Die Prelzkpmmission stellte
sofort fest, daiz das Oberkommando doch nur Garantien fur die Ein-
haltung der Zensurvorschriften verlangen konne; es wurde einen
Verzicht auf jede politische Ehre bedeuten, weim man der Militar-
diktatur auch nur den * geringsten Einflulz auf die politische Haltung
des Blattes einraume. Die Preizkommission schlug nun vor, daiz ein
Mitglied des Parteivorstandes die Beobachtung der Zensurvorschriften
iiberwachen solle. Das lehnte der Parteivorstand und auch Fischer
ab r derm man konne es einem Vorstandsmitglied doch nicht zumuten,
die Verantwortung fur ein Blatt zu iibernehmen, auf dessen Inhalt
es keinen Einflulz habe. Um zu dem gewiinschten Ziele zu kommen,
wurde also die politische Haltung und die Verantwortung vor der
Zensurbehorde miteinander in Verbindung gebracht. Fischer ver-
handelte dann noch einmal mit dem Oberkommando, und dieses
stimmte der Aufhebung des Verbotes unter der vom Parteivorstand
angebotenen Bedingung zu. Noch am 19. Oktober hatte das Ober«
kommando der Redaktion des „Vorwarts" mitgeteilt, daiz es leddglich
„Garantien fiir eine vom Standpunkt der Zensur aus einwandfreie
Leitung des „Vorwarts" zu erhalten" wiinsche. Eine mit den Zensur-
vorschriften in Einklang gebliebene Vertretung der Weltanschauung
und der politischen Ueberzeugung der Leser konne nicht die Grund-
lage fur ein Einschreiten des Generalkommandos gegen den „Vor~
warts" bilden. Der Parteivorstand war demnach mit seinem Angebot
viel weiter gegangen, als die Militarbehorden es selbst gewunscht
hatten; bald konnte man sehen, aus welchen Grunden das
geschehen war.
Der Parteivorstand entsandte sein Mitglied Hermann Muller
in die Redaktion mit der Vollmacht, daiz lediglich er iiber den Inhalt
des Blattes entscheiden solle. In einer Erklarung an die Leser ver-
suchte der Parteivorstand es so darzustellen, als ob eine andere
Losung des Konfliktes mit der Militarbehorde nicht moglich gewesen
ware. Das war ein offenbarer Schwindel. Die Redaktion wollte eine
Erklarung dazu abgeben und ihre Stellung zu dem diktatorischen
Vorgehen des Parteivorstandes mit der gebotenen Deutlichkeit dar-
legen. Hermann Muller, Chefredakteur von Gnaden des Ober-
kommandos, verweigerte die Aufnahme dieser Erklarung, und er
griff auch in den spateren Nummern des „VorwSrts" in die Ver-
Fugungsrechte der Redaktion ein. In einer Broschiir-e, die sich mit
diesem Gewaltstreich des Parteivorstandes befaizte, wurde das Br-
gebnis dieser Vorgang-e so dargestellt:
tt7
„Der Parteivorstand hat selbstherrlich und weit iiber die Forderungen
der Militarzensur hinausgehend Beschlag auf den „Vorwarts" gelegt.
Er lalzt ihn vollstandig im Sinne einer vorstandsoffiziosen Politik leiten.
Die bisherige Redaktion ist in ihrer freien Meinungsaulzerung und ihren
vertraglich zugesicherten Berufsrechten geknebelt. Die Preizkommission,
als die nach dem Parteivorstand vorgesehene Ueberwachungskommission
des „Vorwarts'\ ist vom Parteivorstand selbstherrlich ausgeschaltet
worden, die Berliner Parteiorganisationen, die Eigen turner und Stiitzen
des „Vorwarts" sind, haben jedes Anrecht, jeden Einflulz iiber ihr Blatt
verloren und werden durch den Geschaftsfuhrer Fischer auch um ihr
Recht auf die Druckerei des „Vorw&rts" betrogen. Die Berliner Parted
genossen kSnnen und diirf en sich eine derartige Vergewaltigung nicht
tef alien lassen. An ihnen istes, jetzt die geeigneten Schritte zu tun,
en Gewaltstreich zu parieren.
Dieser in der Parteigeschichte beispiellos dastehende
Rechts- und Treubruch des Parteivorstandes und seines Hand-
langers Fischer muiz die gebiihrende Antwort erhalten."
Diese Antwort gaben denn auch die Berliner Parteigenossen sofort
Am 25. Oktober befalzten sich Extrazahlabende mit dem Gewalt-
streich, am 27. Oktober stand er auf der Tagesordnung der General-
versammiungen der Wahlkreisvereine, und schliefzlich beriet die
Verbandsgeneralversammlung fur Groiz-Berlin am 29. Oktober 1916
darixber. Ueberall wurde der folgende Antrag dies Z e n t r a 1 .-
vorstandes angenommen:
,JDa der Parteivorstand durch sein Vorgehen, weit iiber die Forde-
rungen der Militarbehorden hinausgehend, die Hand auf den „Vor~
warts", das Eigentum der Grolz-Berliner Genossen, gelegt, die von den
Aufsichtsinstanzen eingesetzte Redaktion vergewaltigt hat, da er weiter
dem „Vorwarts" eine Haltung gibt, die der politischen Ueberzeugung der
iiberwaltigenden Mehrheit der Berliner Genossen widerspricht, fordert
die Verbandsgeneralversammlung den Parteivorstand auf, seine Gewalt-
malzregeln aufzugeben.
Geschieht das nicht, so verpflichtet die Verbandsgeneralversammlung
die Berliner Parteigenossen, die Zahlung des „Vorwarts"«Abonnements
solange einzustellen, bis der Parteivorstand sein statutenwidriges Ver-
halt en aufgegeben hat und die Grofz^Berliner Organisationen wieder zu
ihren Rechten auf den „Vorw&rts" gekommen sind."
Die Verbandsgeneralversammlung von Grolz-Berlin nahm ein~
stimmig eine Resolution Ledebour und Adolf Hoffmann
an, worin die Parteigenossen im ganzen Reich aufgefordert wurden,
keinem Teilnehmer oder Begiinstiger des „Vorwarts"-Raubes ein
parlamentarisches Mandat oder ein Parteiamt zu ubertragen. Die
opartakusgruppe brachte eine Resolution ein, die die Beitragssperre
gegenuber dem Parteivorstand verlangte. Ledebour sprach sich
dagegen aus, weil er dem Parteivorstand eine formelle Handhabe
bieten wiirde, gegen die nichtzahlenden Parteigenossen vorzugehen.
Die Resolution wurde denn auch abgelehnt. Es wurde dann noch
ein Aktionsausschuiz eingesetzt, der das Recht der Berliner Genossen
zur Geltung bringen und die Beschlusse der Generalversammlung
ausfuhren sollte.
Der Gewaltstreich gegen den „Vorw8rts" erregte das grolzte Auf«
sehen nicht nur in Deutschland, sondern auch weit iiber dessen
Grenzen hinaus. Die auslSndische Parte! pr esse gab ihrem
118
Unwillen dariiber lebhaften AusdmGk. So schrieb das in Zurich
erscheinende Informationsorgan der Sozialdemokratischen Arbeiter-
1>artei RuMands, die Haltung des neuen „Vonwarts" sei schmShlich.
n einer Woche habe er bereits den Rekord des Beddententums
geschlagen. „Die letzten Heldentaten des deutschen Parteivorstandes",
hiefz es dort, „werden hoffentlich alien denen die Augen ftffnen, die
sich abrniihen, einen Unterschied zu konstruieren zwischen dern
heuchlerischen Sozialpatriotismus eines Scheidemann und dem
zynischen Sozialimperialismus eines Lensch. In Wirklichkeit haben
wir es hier nur mit zwei Aeulzerungen eines Wesens zu tun, dessen
Name Renegatentum ist" Die „Humanit£" sprach sich gleichfalls
Mu&erst abfMllig iiber den fr VorwMrts <4 -Raub aus. Zu eih-em Artikel
von Friedrich Stampfer, der die Politik des Parteivorstandes zu retten
suchte, bemerkte das Blatt:
JBs wird ihm nicht gelingen, vergessen zu machen, dalz der Kanzler
niemals, weder direkt noch indirekt, dem ,,Friedensprogramm" der sozia«
listischen Mehrheit zugestimmt hat, dalz er sich niemals von den Arw
nexionsten, von alien Annexionisten geschieden hat, und dalz die burger-
lichen Parteien, die ohne jede Ausnahme glatt annexionistische Ziele pro~
klamiert hatten, niemals eine Erklarung abgegeben haben, die ihre fruhe**
ren Erkl&rungen aufhob. Das sind unwiderlegte und unwiderleglicha
Tatsachen.
Diejenigen anklagen, die sie mahnen, „fur die Verlangerung des Krie«
ges verantwortiich zu sein", heilzt den Brieftrager beschuldigen, fur das
Ungliick der Person verantwortiich zu sein, der er einen schlechte Nach~
richten enthaltenden Brief gebracht hat. Der Artikel von Stampfer im
„Vorwarts" und alle ahnlichen Entrefilets aus seiner Feder, die man
uber denselben Gegenstand in anderen Majoritatsorganen, wie der
„M\inchner Post" von gestern, findet, zeigen seine Anstrengungen, die
Einheit der Front im Schofz der deutschen Partei wieder herzustellen,
aber ihre Wirkung kann notwendigerweise nur gleich Null sein. Und
sicher kann man nicht durch die Art der ,,Eii\nahme" des „Vorwarts"
durch den Partedvorstand der Sache des Friedens und der Internationale
dienen."
Im „Avanti", dem Hauptorgan der italienischen Sozialisteay
konnte man folgendes lesen:
rtSo ist es denn dem Parteivorstand gelungen, wieder die Hand auf den
„Vorwarts" zu legen und ihn zum Sprachrohr der Scheidemann,
Heine usw. ; das heilzt der mehr oder weniger imperialistischen Politik
der sozialistischen Mehrheit der Parlamentsfraktion, zu machen,
Wie bekannt, hat die bisherige Redaktion des „Vorwarts" sich be«
muht, den Willen der sozialistischen Massen zum Ausdruck zu bringen,
es abgelehnt, sich zum Werkzeug jener Elemente zu machen, die diesen
Willen verleugneten und mit Verachtung jeden Einflulz der Regierungs~
organe auf die Gestaltung des Parteiblattes zuruckgewiesen. Auizerdem
aber hat die Redaktion in den Augen des Parteivorstandes noch die
groize Sehuld auf sich geladen, die in der Arbeitsgemeinschaft organic
sierte Minderheit nicht mundtot zu machen. Lang und erbittert war
der Kampf gegen die Regierung, die vergeblich versuchte. die Redaktion
zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Und beinahe ebenso neftig war der
Kampf der Redaktion gegen den Parteivorsitand, der sich Machtvoll*
kommenheiten anmalzte, die im Widerspruch mit den Beschlussen der
Berliner Sozialdemokratie uber die Haltung ihres Blattes standen. Nur*
aber bietet sich dem Parteivorstand mit einem Male die Gelegenheit
119
seine Position wieder einzunehmen; er ergreift sie sogleich, paktiert -—
statt die Haltung der Redaktion zu unterstiitzen, die sich weigerte, un~
annehmbare und mit der Wiirde sozialistischer Parteifuhrer unverein-
bare Bedingungen zu akzeptieren — mit der Regierung und intern
-veniert, urn das Parteiorgan an sich zu reilzen.
Der 7 ,Vorwarts" wird nun nicht mehr dasselbe Blatt sein, das es in den
vergangenen Monaten war, das heiizt, ein Organ, das den Stimmen der
Kriegsgegner offen steht und den Protest der soziah'stischen Masse
zum Ausdruck bringt, sondern er wird unter der Kontrolle eines Ver«
treters des Parteivorstandes zu einem reinen Organ der Mehrheit werden,
die das Bundnis mit den herrschenden Klassen respektieren und jede
StSrung des Burgfriedens vermeiden will/'
Viel sch&ier war selbstverstSndlich das Urteil grolzer Massen der
Parteigenossen in Deutschland s e 1 b s t , und gerade dieser
Gewaltstreich des Parteivorstandes hat dazu beigetragen, dalz die
Opposition eine wesentliche StMrkung erfuhr. Die Berliner Partei-
genossen bestellten den neuen „Vorwarts" in grolzer Zahl ab und
bezogen dafiir auswartige Blatter, wie die „Leipziger Volkszeitung",
den Braunschweiger , r Volksfreund" und das ,,Volksblatt" in Halle.
Die auswartigen Bl&tter konnten freilich keinen vollen Ersatz flxr das
Berliner Blatt gehen, zumal besonders die Berliner Hausfrauen darauf
angewiesen waren, sich rechtzeitig iiber die Lieferung von Lebens-
mitteln in der Presse zu informieren. Wenn die Sozialpatrioten
spater verkundeten, dalz der Boykott des „Vorwarts" keinen sonder-
lichen Erfolg gehabt habe, so 1st das ein billiger Hohn, und es beweist
nur noch einmal, wie sehr sich der rechte Fiugel auf die Tiicken und
Niicken des Krieges stutzen mulzte, urn seine Position zu halteru
Auch eine Nachwahl zum Reichstag, die am 23. No-
vember 1916 in dem Leipzig benachbarten Kreise Oschatz-Grimma
vorgenommen wurde, gab den Kriegssozialisten Gelegenheit, sich
iiber die angebliche Schwache der Opposition zu belustigen. Bei
den bisherigen Nachwahlen, bei denen fast immer Rechtssozialisten
kandidierten, batten diese unter dem Schutze des Burgfriedens mit
den burgerlichen Parteien Abmachungen getroffen, wonach man auf
einen Wahlkampf verzichtete und sich den bisherigen Besitzstand
sicherte. In Oschatz-Grimma war die Ersatzwahl eines burgerlichen
Parteimannes vorzunehmen, und hier entschlossen sich unsere
Genossen, die auf dem Boden der Opposition standen, den Wahl-
kampf aufzunehmen. Sie hatten sich freilich die grolzen Schwierig-
keiten der Wahlbeteiligung nicht verhehlt. Der Wahlkreis hatte
zum uberwiegenden Teil landliehen Charakter, er zahlte neben
250 Dorfern 90 Rittergiiter. Lediglich in den drei grolzeren Stadten
des Kreises, die zusammen 40 000 Einwohner zahlten, konzentrierte
sich die Industrie des Kreises. Erst einmal hatte die Sozialdemo-
kratie den Kreis in der Stichwahl mit einer kleinen Stimmenmehrheit
erobert, sonst war er stets im Besitz der Konservativen. Diesrrial
stellten die Konservativen einen ausgesprochenen Alldeutschen,
Dr. Wildgrube aus Dresden, auf, und sie konnten mit ihrer Agitation
bei der landliehen Bevolkerung des Kreises urn so grolzeren Erfolg
erzielen, ais den Agrariem durch den Krieg aulzerordentliche Vor«
teile gebracht worden war en. Zudem war die industrielle stimm-
flhige Bevclkerung des Kreises fast bis zum letzten Mann zum
120
Heeresdienst eingezogen worden, wogegen die Landwirte zu einem
erheblichen Telle sich der Reklamation erfreuten. Dem alien ist
noch hinzuzufugen, dalz unsere Parteigenossen unter dem Belage-
rungszustand aulzerordentlich zu leiden hatten, in der Verbreitung
von Flugblattern sehr beschrankt waren und dalz die Parteipresse
bisher nur geringen Eingang in den Kreis gefunden hatte. Sonne
und Wind hatte also unsere Partei bei diesem Wahlkampf gegen
sich. Sie unterlag bei der Abstimmung, aber sie ist ehrenvoll unter-
legen. Ueber 6000 Wahler bekannten sich fur den Kandidaten der
Arbeitsgemeinschaft, Genossen Lipinski aus Leipzig, der sich
offen fur die Kreditverweigerung ausgesprochen hatte. Und das
war ein Erfolg, dessen sich die Opposition nicht zu schgmen
brauchte.
Im November 1916 kam das beruchtigte Hilfsdienstgesetz,
das nichts anderes als eine vollkommene Lahmlegung der deutschen
Arbeiterbewegung bringen sollte. Die sozialdemokratische Mehrheit
und auch die Gewerkschaftsvorstande hatten sich bereitgefunden, bei
diesem Gesetz mitzuwirken. Was es mit diesem Gesetz auf sich
hatte, das fiihrte Genosse Haase fiir die Arbeitsgemeinschaft in
der Reichstagssitzung vom 2. Dezember aus:
JDas Gesetz beschlagnahmt das einzige Gut des Arbeiters, die Arbeits*
kraft, ohne aber andererseits die kapitalistischen Betriebe zu ver«
staatlichen. Einige wenige k5nnen ihr Hab und Gut vermehren, wahrend
Tausende von Existenzen zugrunde gehen. Das Gesetz fesselt die Ar~
beiter an die Arbeitsstelle, die reichen Miilzigganger haben nur in den
Voiverhandlungen eine dekorative Rolle gespielt. Auch der Mittelstand
wird unter dem Gesetz leiden, und man wird sehen, dafz ganz andere
Krafte wie die Sozialdemokratie ihn vernichten. Nach den Erfahrungen
mit dem Belagerungszustand miissen wir befurchten, dafz politisch mifz~
liebige Personen auf Grund dieses Gesetzes aus ihrem Wohnsitz entfernt
und dem Arbeitszwang unterworfen werden. Dieses politische Gesetz
hebt die Freiziigigkeit auf und beseitigt das Recht, die Arbeitskraft dort
anzubieten, wo sie vorteilhaft verwertet werden kann. Man hat dieses
Gesetz als einen Triumph des sozialistischen Gedankens hingestellt,
es ist aber Geist vom Geiste des Militarismus und modernsten Kapitalis-
mus. Die Aufhebung der Freiziigigkeit fuhrt zum Lohndruck. Unser
Antrag auf gleichen Lohn fur gleiche Arbeit bei Mannern und Frauen
ist abgelehnt worden und das nach all den Lobliedern auf das Helden«
turn der FrauenI Der Arbeit erschutz fiir Frauen und Jugendliche wird
ncch immer nicht wiederhergestellt. Die Schutzbestimmungen dieses
Gesetzes verdienen nicht den Namen der Rechtsgarantien. Die Land*
arbeiter werden an die Scholle gefesselt. Die Vorsitzenden der Aus*
schiisse werden, nicht aus Parteilichkeit, sondern auf Grund ihrer ganzen
Erziehung und sozialen Stellung, in den meisten Fallen gegen die
Arbeiter entscheiden. Wir protestieren entschieden gegen die volker-
rechtswidrige und obendrein unkluge Abschiebung der belgischen Arbeiter
nach Deutschland."
Die Rechtssozialisten stimmten dem Gesetz zu, und einer ihrer
Redner, Bauer, beklagte sich liber den „Doktrinarismus" Haases,
der jedes Verstandnis fiir die schwierige Lage des Landes vermissen
lasse. Es hat sich spHter erwiesen, dalz Haase mit seinem JDoktri-
narismus" vollkommen recht behalten hat.
121
^ Was die von Haase bei dieser Gelegenheit bekSmplte Deporta-
tion belgischer Arbeiter nach Deutschland betrifft, so war
dieses eines der schwarzesten Kapitel aus der deutschen Kriegs-
politik. Die Rechtssozialisten behaupteten zwar, daiz sie all ihren
Einfluiz geltend gemacht hatten, urn eine schlechte Behandlung der
belgischen Arbeiter zu verhindern. Aber dieser Einflulz hat die
Militarbehorden nicht davon abhalten konnen, die belgischen Arbeiter
wie die Sklaven antreben zu lassen und damit das Entsetzen, das
die deutsche Kriegfiihrung im Auslande ohnehin schon hervor-
gerufen hatte, noch zu steigem.
Das Hilfsdienstgesetz, das nach dem EingestSndnis seiner Urheber
lediglich die Kriegsriistung Deutschland vervollstMndigen und den
letzten Mann und die letzte Frau, allerdings nur, soweit sie der
Anbeiterklasse angehorten, in den Dienst des Krie^es stellen sollte,
bildete den wiirdigen Auftakt zu der Komodie, die kurz danach auf~
gefuhrt wurde. Am 9. Dezember wurde bekanntgegeben, daiz der
Reichstag fiir den 12. Dezember einberufen sei. Es sollte eine hoch-
bedeutsame Aktion vom Stapel gelassen werden. In dieser Sitzung
hielt der Reichskanzler von Bethmann Hollweg eine Rede, in der er
erst des langen und breiten ausfiihrte, welche grofzen Erfolge der
deutsche Militarismus bisher an der Westfront, im Osten, gegen
Italien, gegen RumHnien errungen und welche Heldentaten die
deutschen Unterseeboote nebenher noch verrichtet h&tten. Trotz
dieser militSrischen StHrke sei aber die deutsche Regierung bereit,
den ersten Schritt zum Frieden zu machen. Er habe
den Vertretern der neutralen Staaten eine Note tibeireicht, die sie
den feindlichen Machten iibermitteln sollten. Das Wesentliche in
der Note hatte diesen Wortlaut:
„Getragen von dem Bewuiztsein ihrer militiarischen und wirtschaft*
lichen Kraft und bereit, den ihnen aufgezwungenen Kampf notigenfalls
bis zum auiz ersten fortzusetzen r zugleich aber von dem Wunsch oeseelt,
weiteres Blutvergieizen zu verhiiten und den Greueln des Krieges ein
Ende zu machen, schlagen die vier verbundeten Machte vor, alsbald in
Friedensverhandlungen einzutreten. Die Vorschlage, die sie zu diesen
Verhandlungen mitbringen werden und die darauf gerichtet sind, Da~
sein, Ehre und Entwicklungsfreiheit ihrer Volker zu sichern r bilden nach
ihrer Ueberzeugung eine geeignete Grundiage fiir die Herstellung eines
dauerhaften Friedens.
Wenn trotz dieses Anerbietens zu Frieden und Versohnung der
Kampf fortdauern sollte, so sind die vier verbiindeten Machte ent-
schlossen, ihn bis zum siegreichen Ende zu fiihren. Sie lehnen aber
feierlich jede Verantwortung dafiir vor der Menschheit und der Ge~
schichte ab."
Dei Reichskanzler fugte noch hinzu: Wenn die Feinde diese
Friedensbereitschaft ablehnen wollten, dann wiirde bis in die letzte
Hiitte hinein jedes deutsche Herz aufflammen im heiligen Zorn gegen
die Feinde, die urn ihrer Vernichtungs- und Eroberungsabsichten
willen dem Menschenmorden keinen Binhalt tun wollen. WShrend also
der Reichskanzler mit der linken Hand den Oelzweig des Friedens
hochhielt, packte er mit der rechten Hand urn so fester das Schwert,
mit dem er die Gegner niederzuschlagen hoffte. W i 1 h e 1 m II.
erganzte noch diese Geste, indem er in einem Tagesbefehl an das
122
deutsche Heer sagte, dafz er nur in dem Gefiihle des Sieges, den
das Heer bisher errungen habe, dem Feinde das Friedensangebot
gemacht habe.
Die Rechtssozialisten fielen prompt auf diesen Friedensschwindel
hinein und priesen die Friedensliebe der deutschen Regierung und
des deutschen Kaisers in alien Tonen, die Sozialdemokratische
Arbeitsgemeinschaft dagegen erkannte sofort den wahren Charakter
des Friedensangebots. Sie gab zu der Rede des Reichskanzlers
die folgende Erklarung ab:
„Die Einleitung von Friedensverhandlungen haben wir von Anfang an
gefordert, getreu der Solidaritat der Volker, wie sie die So-
zialdemokratie auf ihren nationalen und internationalen
Kongressen klar und entschieden zum Leitstern der auswartigen Po-
litik des Proletariats gemacht hat. Dabei sind wir von der Gewiizheit
ffetragen, dalz die demokratischen Volksmassen in alien Landern mit
den anderen Volkern in einem Frieden leben wollen, der alien die freie
Selbstbestimmung gewahrt. Jeder Schritt in dieser Richtung ist deshalb
unserer Unterstutzung sicher.
Die deutsche Regierung hat mit ihren Verbundeten den Regierungen
der gegnerischen Staaten eine Note zugestellt, in der sie sich zu Frie-
densverhandlungen bereit erklfirt Soil diese Note zum
Frieden fuhren, dann ist notwendig, dak in alien Landern der Ge-
danke an Annexionen fremden Gebietes, an politische,
wirtschaftliche oder militarische Unterwerfung irgendeines Volkes unter
eine andere Staatsgewalt unzweideutig abgewiesen wird.
Gem&lz unserer grunds&tzlichen Anschauung, dalz der Krieg kein
Mittel ist, die Gegensatze zwischen den Volkern auszugleichen und ihre
gegenseitigen Beziehungen zu regeln, verwerfen wir jede A u s -
nutzung der Kriegslage zur Verge waltigung eines
Volkes. Plane dieser Art fuhren nur zur Verscharfung und Verlange-
rung dieses Krieges und bergen den Keim neuer Kriege in sich. Soil
die Dauer des Friedens gewahrleistet werden, so ist vielmehr erf order-
lich, dafe durch internationale Vereinbarungen uberall die Rustungen
eingeschrankt und alle Streitigkeiten der VSlker zur Schlichtung Schieds-
gerichten unterbreitet werden.
Von den Bedingungen, unter denen die Regierung Friedensverhand-
lungen einleiten will, erfahren Volk und Volksvertretung nichts. Somit
bleibt das fur den Erf olg Entscheidende im Dunkel. Wir fordern
die Bekanntgabe der Friedensbedingungen. Rede-
wendungen, die verschiedene Deutungen zulassen, rufen Milztrauen her-
vor, erschweren oder vereiteln gar das Zustandekommen von Friedens-
verhandlungen. '
Nach alien Grundsatzen wahrhaft demokratischen Lebens durfte eine
Kundgebung von solcher Tragweite wie das Friedensangebot nicht ohne
Mitwirkung der Volksvertretung in die Welt gehen.
Der Reichstag hat aber die Nichtachtung der Volksver-
tretung durch die Regierung noch ubertrumpft, indem er, ebenso wie
vorher schon bei der Proklamierung des Konigreichs Polen, auch jetzt
wieder sich selbst ausgeschaltet hat. Der von uns wie von den National-
liberalen und den Konservativen gestelite Antrag auf Besprechung der
vom Reichskanzler gehaltenen Rede wurde vom Zentrum, der Fort-
schrittlichen Volkspartei und der sozialdemokratischen Fraktion abge-
lehnt. So ist die Stimme des werktatigen Volkes in einem
wichtigen Moment nicht zu Gehor gekommen. Die Volksmassen
123
sind nun wie in den anderen Landern so auch bei uns berufen, darauf zu
dringen, dafz dem materiellen und moralischen Elend des Krieges, in das
sie wider ihren Willen gestiirzt sind, ein Ende gemacht wird, dafz ein
Friede zustande kommt, der der Verbruderung der Volker die Wege
ebnet."
Es kam so, wie die Opposition vorausgesagt hatte: Das Friedens-
angebot wurde, abgelehnt, der Krieg ging weiter, und er wurde mit
noch grftfzerer Erbitterung als bisher gefuhrt. Bald folgte der ver-
stHrkte U-Boot~Krieg, der auch die Vereinigten Staaten von
Amerika und fast alle die bisher noch nicht am Kriege beteiligten
Staaten in das Gemetzel bmeinrilz.
Aber auch die Instanzenmehrheiten ftihrten ihren Krieg gegen
die Opposition mit verstarkten Mitteln fort Dem Gewalt-
streich gegen den ;r Vorwarts" folgten zahllose andere Zeitungsraube
in der Provinz. Ueberall wurden die oppositionellen Genossen aus
der Parte! hinausgedrangt Es wurde zu weit fiihren, wenn wir alle
Einzelheiten aus den Drangsalierungen, deren sich die Opposition
nicht nur durch die Instanzenmehrheiten, sondern auch durch die
militarischen und zivilen Gewalten ausgesetzt sah, darstellen wollten.
Sie Shnelten sich wie ein Ei dem anderen, sie waren hochstens in
der Art ihrer Ausiifoung ein wenig voneinander verschieden. Genug,
es drangte sich den oppositionellen Kreisen in der Partei immer mehr
die Notwendigkeit auf, der Gewalt sich nicht durch vereinzelte
Aktionen zu erwehren, sondern sich ihr gesbhlossen ent-
geg enzustemmen.
Zum 7. Januar 1917 wurden die Vertrauensleute aller Richtungen
der Opposition zu einer Konferenz nach Berlin zusammenberulen.
Die Organe der Mehrheit suchten diese Tagung von vornherein
dadurch zu diskxeditieren, dafz sie meinten, nach dem Friedens-
angebot der MittelmSchte sei doch eigentlich jede Opposition gegen
die deutsche Kriegspolitik hinfallig geworden, und jetzt musse das
gesamte deutsche Volk wie edn Mann hinter Wilhelm IL stehen. Was
dazu zu sagen war, das hatte die Kundgebung der Arbeitsgemein-
schaft bereits ausgefiihrt. Der Gegensatz zwischen den Instanzen-
mehrheiten und der Opposition trat immer starker hervor. Der
Parteivorstand veroffentlichte eine Erklarung, worin er behauptete,
dalz die Konferenz im Widerspruch stehe zum Organisationsstatut
der Gesamtpartei und mit der organisatorischen Einheit unvereinbar
sei. Von unberufenen Parteigenossen werde versucht, Parteiorganisa-
tionen und deren Mittel in den Dienst einer Sondergruppe zu stellen,
und es werde ihnen geraten, dieses parteizerstorende Treiben nicht
zu unterstiitzen. Die Genossen Haase, Ledebour, Vogtherr als Ein«
berufer der Konferenz stellten demgegeniiber fest, dafz der Partei-
vorstand zum Zwecke der falschen Orientierung der Parteigenossen
aus dem Einladomgszirkular den vom Zweck der Besprechung han«
delnden Teil weggelassen habe. Dieser lautete:
„Es handelt sich urn die Taktik der oppositionellen Ab«
feordneten im Reichstag und urn Mafzregeln zum Schutze
es Parteistatuts und der Organisationen, sowie urn die
Sicherung der Eigentumsrechte der Parteigenossen an , ihren Zei~
tungen."
m
Daraus 1st ersiditilch, dalz die Besprechung gerade dem Zweck dient,
. gegeniiber deiti organisations- und statutenwidrigen sowie parteizer-
storenden Treihen des Parteivorstandes Schutzma®eln zu ergreifeii
Die Konferenz war von 157 Parteigenossen besucht. Darunter
befanden sich 35 Mitglieder der Spartakusgruppe. 72 Wahlkreise
waren vertreten. In seinem einleitenden Referat wies Haase die
Erklarung des Parteivorstandes zuriick, der ein Kir allemal das Recht
verwdrkt nabe, anderen Parteigenossen eihen Bruch des Organisations-
statuts zum Vorwurf zu machen. Der Parteivorstand pflege und
schiitze selbst Sonderorganisationen, vor allern den Diskutierklub
„Vorwarts" in Berlin. Die arbeiterfeindliche Politik des Partei-
vorstandes und der alten Fraktion kornme besonders zum Ausdruck
im neuen „Vorwarts", dessen Niveau tief gesunken sei. Das Blatt
betraibe nicht grundsatzliche Aufklarung, sondern Verwischung der
Klassengegensatze. Im Auslande werde der „Vorwarts" nicht mehr
als Organ der Sozialdemokratie angesehen, sondern als offizioses
Organ der deutschen Regierung. In der Friedensfrage habe sich
die alte Fraktion als Werkzeug Bethmann Hollwegs gebrauchen
lassen. Die selbstverstandliche, demokratischen Grundsatzen ent-
sprechende Forderung, im Reichstag zu der Friedensrede des Kanz-
lers das Wort zu nehmen, sei von der alten Fraktion abgelehnt
worden, nachdem die Regierung es so gewiinscht habe. Nach
alledem, was sich bisher ereignet habe, sei es nicht nur das Recht f
sondern die Pflicht der auf dem Boden der Opposition stehenden
Parteigenossen, sich im Rahmen des Parteistatuts zusammen-
zuschliefzen, um nicht isoliert zu bleiben. Es gelte in der Partei zu
bleiben, die uns ans Herz gewachsen sei, und es sei mit Sicherheit
zu erwarten, dalz uber kurz oder lang die Massen fur die Opposition
gewonnen worden seien. Es wHre toricht, sich zu einer Sekte zuriick-
drangen zu lassen. Die Arbeiterbewegung konne nur als Massen-
bewegung existieren. Die Massenbewegung diirfe aber nicht auf den
Boden des englischen Tradeunionismus herabsinken, sondern sie
miisse erfiillt sein vom alten sozialdemokratischen Geiste.
L i p i n s k i (Leipzig) behandelte die organisatorischen
Notwendigkeiten der Opposition. Aufgabe der Sozialdemo-
kratie sei es, den Kampf um die politische Macht zu fiihren, um die
kapitalistische Produktionsweise umzugestalten. Die Politik des
Parteivorstandes und der Mehrheitsfraktion aber laufe auf eine
bedingungslose Unterstiitzung der Regierungspolitik hinaus. Die
Parteigenossen mufeten mobilgemacht und fur unsere Auffassungen
gewonnen werden. Zweckwidrig sei die Beitragssperre, die die Macht
des Parteivorstandes nicht beriihre, ihm aber das formale Recht gebe,
gegen die Organisationen vorzugehen. Notwendig sei der Zusammen-
schlulz der Opposition, der mundliche Verkehr der oppositionellen
Genossen in den Be^irken und Ortsgruppen, aber alles miisse im
Rahmen der Partei geschehen.
Der Redner der Spartakusgruppe, Ernst Meyer, ver-
langte dagegen, dalz man die Frage der Beitragssperre und der Zu-
gehorigkeit der Partei erortern solle. Der Klassenkampf miisse auch
Pegen den Parteivorstand gefiihrt werden, und dabei diirfe man auf
ormalien keine Riicksicht nehmen. Die Spartakusgruppe trete zwar
125
nicht fur die Spaltung der Parte! ein y aber der Hatiptton sei auf die
Selbstbetatigung und die Aktion der Massen zu legen. Der Kampf
musse mit alien Mitteln gefuhrt werden, auch mit der Beitragssperre r
selbst.wenn er in der Folge zur Spaltung fiihre. Bine nicht gerade
ruhmliche Rolle spielte dann noch Julian Borchardt als Ver-
treter der kleinen Gruppe der Internationalen Sozialisten
Deutschlands. Seine Freunde lehnten ein Bundnis mit der Arbeits-
gemeinschaft ab, sie wollten die Beitragssperrung durchfuhren und
mit den anderen Gruppen der Opposition nur gegen Gewaltstreiche
des Parteivorstandes zoisammen kampfen.
Es kam zwischen den verschiedenen Richtungen zu scharfen Aus-
einandersetzungen, die grolze Mehrheit der Konferenz stand jedoch
auf dem Boden der Aribeitsgemeinschaft. Ihre Resolution erhielt
111 Stimmen, fur die Resolution Borchardt wurden nur 6, fur die
Resolution der Spartakusgruppe 34 Stimmen abgegeben. Die
Resolution der Opposition hatte folgenden Wortlaut:
„Seit Ausbruch des Weltkrieges ist der Vorstand der Sozialdemokra-
tischen Partei Deutschlands bestrebt, mit alien Mitteln die Gesamtpartei
auf die Politik der Reichstag-sfraktion vom 4, August 1914 festzulegen
und sie dieser Politik dienstbar zu machen. Den wachsenden Wider-
spruch versuchte er durch planmafzxge Gewaltmalzregeln
unter Verletzung des Organisationsstatuts der Partei
niederzuhalten.
Zeichen dieses parteizerruttenden Treibens sind sein Auftreten in Ber-
lin, Bremen, Duisburg, Frankfurt, Stuttgart, die rechtswidrige Ausliefe-
rung der Presse an die Anhanger seiner Politik auch an Orten, wo die
Parteiorganisationen in grofzer Mehrheit auf dem Boden der Opposition
stehen, die Maferegelung" der Redakteure in Berlin, Bremen, Duisburg
und Stuttgart, der Mifzbrauch des Parteiausschusses zur Deckung der Vor-
standspolitik und seines statutenwidrigen Handelns und das Hin&us-
dr&ngen der oppositionellen Abgeordneten aus der
Reichstagsfraktion.
So hat der Parteivorstand die ihm von der Gesamtpartei auferlegte
Pflicht, alien Anschauungen innerhalb der Partei freie BetStigung auf
dem Boden des Parteiprogramms zu gew&hren, die UnabhSngigkeit
und Selbst&ndigkeit der Parteipresse zu wahreri, die
Parteipresse zum Kampf gegen den Kapitalismus und die von diesem be-
triebene Politik zusammenzuhalten, fortdauernd verletzt und mit Absicht
zur Forderung seiner Sonderbestrebungen die ihm innerhalb der Organi-
sation zugewiesenen Befugnisse uberschritten. Den Parteigenossen er-
w&chst damit die dringende Pflicht, zum Schutze gegen dieses organic
sationswidrige und die Partei gef&hrdende Verhalten des Vorstandes,
zur Wahrung der Parteigrunds&tze imd des Parteistatuts
einheitlich und geschlossen aufzutreten.
Die Orts- und Kreisorganisationen, deren Mehrheit die Auffassung der
Opposition teilt, haben in stete enge Fuhlung zueinander zu treten.
Dort, wo die oppositionellen Genossen nicht die Mehrheit in der Organi-
sation haben. haben sie im Rahmen des Parteistatuts uner-
mudlich fin* die Ausbreitung ihrer Anschauungen zu wirken und zur Er-
fiillung der der Opposition im Interesse der Partei obliegenden Auf-
gaben, sowie zu edgener Belehrung in geeigneter Weise einen Zusammen-
schlufz herbeizufuhren.
Die Sperre der Partei'beit'rSge, die als schSrfstes Mifztrauens-
votum gegen den Parteivorstand geclacht ist, ist als u ng e e i g n e t
126
zur tick zu wei sen, da sie die iinanzielle Macht des Parteivor-
stands in keiner Weise andert und ihm nur eine begueme, wenn audi
im Parteistatut nicht begriindete Handhabe bietet, Parteiorganisationen
j^aulzerhalb der Partei" zu stellen und ihren Einflulz aiif die Entscheidung
der Partei auszuschalten.
Diesen Einflulz preis^ugeben, ware ein grolzer Fehler. Der Parteitag,
der nach Wiederherstellung verfassungsrechtlicher Garantien und
griindlicher Vorbereitung zusammentritt, soil die Opposition auf ihrem
Platze finden, wenn es gilt, dariiber zu entscheiden, ob die Partei die N
alten Bahnen aufgeben soil.
Ziel der Sozialdemokratie ist es, die kapitalistische Produktionsweise,
deren Anarchie sick besonders im Kriege gezeigt bat, in die sozialistische
umzuwandeln, die politiscbe Macbt zu diesem Zweck zu erringen und
den Kampf urn diese zu einem einbeitlicben zu gestalten.
Die wahrend des Krieges vom Parteivorstand betriebene Politik ist damit
unvereinbar, weil sie die Bourgeoisie starkt, bei ibrer Macht-
erweiterung stutzt, die Arbeiterklasse dagegen nocb mebr
s p a 1 1 e t und in der Verfolgung des sozialistiscben Zieles bemmt
Aufgabe der Opposition ist es, die arbeitende Klasse auf das alte
Kampf f eld zuruckzufuhren und uberall die grundsatzliche Poli-
tik der Sozialdemokratie zu fordern,
Zur Erfullung dieser Aufgabe fordern wir die Parteigenossen auf, im
Sinne vorstehender Vorscblage mit tatkraftigem Eifer zu wirken."
Zum Schlusse der Konferenz sprachen Karl Kautsky und
Kurt Eisner ixber die Friedensfrage. Ein von Kautsky vor-
gelegtes Manifest sowie eine von Kurt Eisner begriindete Resolu-
tion wurden einstimmig angenommen* Das Manifest lautete:
„G e n o s s e n I
Die Internationale fordert gemaiz der Kongreizbeschlusse von S t u 1 1 -
g a r t , Kopenbagen und Basel die sozialistiscben Parteien auf,
bei dem Ausbruch eines Krieges fur dessen schnelle Beendigung
einzutreteiu
Dementsprechend bat die Opposition in der deutscben Sozialdemo-
kratie sicb stets dor Parole des Durcbbaltens bis zum Siege widersetzt
und stets von der Regierung verlangt, dalz sie ibre Friedens-
bereitscbaft bekennt Die Opposition bat ibre Friedenspropa-
ganda nicbt erst mit dem Moment begonnen, wo eine solche von der
Regierung gutgeheifzen wurde.
Was die Opposition fordert, war nicbt die Bereitscbaft zum Frieden
urn jeden Preis, aber aucb nicbt die blofze Bereitscbaft zu einem Frie-
den an sich obne iede nabere Angabe seiner Bedingungen. Was sie for«
dert,,war die Bereitscbaft zu einem Frieden, in dem es weder Sieger
nocb Besiegte gibt, zu einem Frieden der Verstandigung obne Ver«
gewaltigung.
Die Opposition innerbalb der deutscben Sozialdemokratie betracbtet
die Friedensbereitscbaft, die der Reicbskanzler am 12. Dezember v. J.
kundgab, als Symptom aufkeimenden Friedenswunscbes in den regie-
renden Kreisen. Sie kann aber die Art der Ankundigung dieser Bereit-
scbaft nicbt als taugliches Mittel zur Erreicbung des Friedenszieles an-
erkennen.
Der Reicbskanzler proklamierte das Deutsche Reich als Sieger im
Weltkriege. Und doch erschwert das Pocben auf erfocbtene Siege den
Friedensschluiz ebensosehr, wie die Ankiindigung kommender Siege.
127
Femer unterlielz der Reichskanzler jede genaue Darlegung der
Kriegsziele, Keine der beiden Machtegruppen hat blsher Kriegs-
ziele erkennen lassen, die der andern Seite das Eingehen auf Verhand«
lungen erleichterru Diese verhSngnisvolle Unterlassung 1st eine Folge
der Macht, welche die Kriegsparteien in den herrschenden Klassen noch
besitzen. Der en Einflulz mufe gebrochen werden r ehe wir zum Frieden
kommen kSnnen. Das ist nicht zu erreichen durch diploma tische Trans-
aktionen hinter den Kulissen, sondern nur durch die Einwirkungder
V oiks mass en auf ihre Regierungen. Nur aus diesem po-
litischen Kampf, nicht aus dem Burgfrieden kann die wirkliche Friedens-
bereitschaft hervorgehen. Sie erheischt die Aufhebung des Kriegszu-
standes, erheischt die Freiheit der Presse und der Versammlungen.
Aber auch nur als internationaler Kampf ist das Ringen urn
den Frieden zu gewinnen. Es darf nicht einseitig bleiben. Mehr als je
bediirfen wir in der neuen Situation, die durch das Friedensangebot des
Reichskanzlers und die Intervention Wilsons geschaffen worden ist 7 des
internationalen Zus am menhanges der.Parteien des
proletarischen Sozialismus, der beruf enen Vorkampfer des
Friedens. Mag die Kundgebung dieses Zusammenhanges heute durch aufzere
Gewalten oder durch die Haltung mancher Mehrheiten noch gehemmt
werden, um so notwendiger ist es r dafz diejenigen, die den internationalen
Zusammenhang geistig nie aufgegeben haben und bisher schon — wie
es auch in Zimmerwald und Kienthal geschah — jede Gelegenheit be-
nutzten, ihn zu betonen, ihre innere Uebereinstimmung auf das unzwei-
deutigste bekunden. '
Wir halten dafur, dalz in alien kriegfuhrenden Landern fur die so-
zialistischen Parteien die Zeit gekommen ist, von ihren
Regierungen eindringlich die genaue Mitteilung der Ziele zu fordern, fur
die sie den Krieg fuhren; zu fordenv dalz diese Ziele derart sind, dafz
sie fur keines der betreffenden VSlker eine Demiitigung oder eine
Schadigung ihrer Existenzbedingungen bedeuten, dalz die Sozialisten
iiberall den Kampf gegen alle Parteien aufnehmen, die den Krieg uber
diese Ziele hinaus fortsetzen wolleru
Als demokratische und internationale Partei steht die Sozialdemkratie
auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechts der Volker. Aber die Op-
position innerhalb der deutschen Sozialdemokratie hat zukeiner der
biirgerlichen Regierungen geniigendes Vertrauen, um
einer von ihnen die Mission der Befreiung der NationalitSten durch den
Krieg zuzuerkennen. Diese Aufgabe allseitig zu losen, kann nur das
W e r k des siegreichen Proletariats sein.
Doch stehen wir der Freiheit und Selbstbestirnmung der Nationen in
der burgerlidhen Gesellsdhalt kelneswegs gleichgultisr gegeniiber. Wir
mussen uns entschieden dagegen wehren, dafz der Zustand, wie er vor
dem Kriege bestand r durch diesen noch verschlechtert wird. Wir leh«
nen jede Gebietsver&nderung a b , die nicht die Zustimmung
der betreffenden Bevolkerung hat. Was die Internationale vor allem
gem&fz den Beschlussen ihrer Kongresse zu fordern hat r sind internatio-
nale Abkommen uber die Entscheidung aller Konflikte zwischeh. den
Staaten durch Schiedsgerichte und \iber eine allseitige E i n -
schrankungderKriegsrustungen.
Im Wettrusten liegt eine der st&rksten Wurzeln des jetzigen Krieges.
Sie auszurotten, ist die erste Vorbedingung dafur, kimftigen Kriegen vor-
zubeugen. Hier ist die Moglichkeit vorhahden, iiber den Status quo vor
dem Kriege hinauszugehen, einen Fortschritt zu erzielen fur alle, ohne
Benachteiligung irgendeines der kriegfuhrenden Teile. Hier wird in bes-
serer Form an materiellen Vorteilen das gegeben, was man vergeblich
128
durch Kriegsentsch&digungen zu erreicKen sucht: jede Miliiarde im Jahrey
die durch eine Verrninderung der Rtistungskosten erspart wird, ent~
spriclit der Verzinsung einer Kriegsentschadigung von 20 Milliarden.
Mit dem Abkommen \iber Abriistung und Schiedsgerichte wird auch das
Maximum an materiellen Garantien gegen kiinftige UeberfSlle gegeben,
das in der kapitalislischen Gesellschaft durch bestimmte Friedens-
bedingungen iiberhaupt erreichbar ist.
Den sichersten Schutzwall des Friedens bildet freilich nur ein p o 1 i *
tisch machtvolles, geistigi selbst&ncfci ges Proleta-
riat, bildet dessen intensivste Teilnahme an der auizeren Politik, die im
vollsten Lichte der Oeffentlichkeit zu fuhren ist.
Macht und Selbstandigkeit des Proletariats, Of f en*
heit und Klarheit in der Politik, Binheit im Innern, internationale Soli-
daritat nach aulzen bringen den Frieden, sichem den Frieden/'
Es ist, geschichtlich gesehen, besonders bemericenswert, dalz Karl
Kautsky damals noch die einmutige Zustimmung der ganzen Kon-
ferenz fand. Auch die Spartakusanhanger erklarten sich riickhaltlos
mit seinen Anschauungen einverstanden. Erst einige Zeit spater ist
ihnen die Erleuchtung gekommen, dalz Kautsky eigentlich ein
„KonterrevolutionaV', ein „verkappter Bourgeois" sei, urn ihre
Terminologie zu gebrauchen.
Die Besprechung der Opposition gab den Instanzenmehrheiten die
gewunschte Gelegenheit, die Z e r r e i fz u ng der Parted durch-
zufuhren. Zwar boten die Beschliisse der Konferenz keinen eigent-
lichen Anlaiz dazu, aber schon die Tatsache, dalz die Opposition
sich gegen die Gewaltstreiche des Parteivorstandes iiberhaupt zur
Wehr zu setzen wagte, mufzte dazu herhalten, urn die Spaltung der
Partei durchzufuhren. In der sozialpatriotischen Presse wurden
dem Parteivorstand die Stichworte dazu geliefert Es wurde von ihm
verlangt, dafz er die Teilnehmer an der Konferenz als der Partei-
zugehorigkeit verlustig erklaren solle. Dazwischen fiel die Ablehnung
des deutschen Friedensangebots durch die Entente, was die Mehrheit
veranlalzte, sich von neuem an den Burgfrieden der Bourgeoisie m
ketten.
Am 16. Januar trat der Part eiauss chulz im Reichstags-
gebaude zu einer Sitzung zusammen. Sie war dazu bestimmt, mit der
Opposition abzurechnen. E b e r t hielt wieder eine seiner bekannten
Reden; e** behauptete, dalz die Opposition den Bruch mit der Gesamt-
partei bereits voHzogen habe, jetzt seien nur die Folgerungen daraus
zu ziehen. Auf Antxag von Sindermann (Dresden) und Lobe
(Breslau) wurde mit 29 gegen 10 Stimmen eine Resolution an-
genommen, in der es hielz:
„Jetzt haben die Leiter der Arbeitsgemeinschaft ihr parteizerstorendes
Werk gekront durch die Einberufung einer Reichskonferenz der
Opposition. Ihr Vorgeben, sie wirkten fur die Einheit der Partei
und im Rahmen der Partei, ist damit in seiner ganzen Unehrlichkeit
enthullt. Sie haben sich als Parteileitung aufgetan und zum 7. Januar d. J.
Parteiorganisationen und Sonderorganisationen nach Berlin zusammen-
berufen.
Das ist die Grundung einer Sonderorganisation gegen die
Partei, und die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wie ihre Anh&nger
haben sich numehr auch von der Partei selbst getrennt Die
• 129
Schaffung dieser Sonderorganisation und die Zugehorigkeit zu ihr ist un-
vereinbar mit der Mitgliedschaft in der Gesamtpartei. Daher ist es nun
Aufgabe aller treu zur Partei stehenden Organisationen, dem unehrlichen
Doppelspiel aller Parteizerstorer ein Ende zu machen und die durch die
Absplitterung der Sonderorganisationen erforderlichen organisato-
rischen Malznahmen zu ergreifen.
Die Einheit und Geschlossenheit der Partei zu festigen, damit sie den
gewaltigen Aufgaben gewachsen ist, die sie noch wahrend des schreck-
lichen Weltkrieges und nach seiner Beendigung zum Wohle der Arbeiter-
klasse und der weitesten Volkskreise im Geiste sozialistischer Welt-
anschauung zu erftillen hat, ist Aufgabe aller Parteigenossen."
Das war das Losungswort fur den Hinauswurf der Opposi-
tion aus der Partei, flir die endgliltige Spaltung der Sozialden\o-
kratie. Der Parteivorstand veroffentlichte im Anschlulz daran einen
Aufruf, der den Inhalt der Resolution Lobe-Sindermann wiederholte
und von den Organisationen veriangte, dafz sie die mifcliebigen
Blemente ausschlielzen sollen. Robert Wengels und L u i s e
Zietz, die zur Minderheit des Parteivorstandes gehorten, gaben
dazu im „Vorwarts" folgende Erklarung ab:
„Der heutige Aufruf des Parteivorstandes bedeutet einen entscheiden-
den Schritt in der Geschichte der Partei. Die Einheit der Partei,
fur die wir unser ganzes politisches Leben hindurch gekampft haben,
wird zerrissen, wenn die vorgeschlagenen Mafznahmen zur Ausfuh-
rung gelangen. In dieser Situation fiihlen wir uns in Abweichung von
unserer Gepflogenheit verpflichtet, auszusprechen, dafz wir die Ver-
antwortung fur diesen Schritt ablehne n."
Die Opposition veroffentlichte eine Erklarung, in der die entschei-
denden Stellen lauteten:
,J)er Opposition ist ihre Aufgabe vorgezeichnet durch unser gutes
Recht und das Gesamtinteresse der Arbeiterbewegung.
Mit den gemalzregelten Parteiorganisationen und Parteigenossen werden
sich alle unsere den gleichen Anschauungen huldigenden Freunde soli-
darisch erklaren. Wie die oppositionell gerichteten Parteiorganisationen
und Parteigenossen spater ihre Rechte zu wahren und die Vertretung
unserer Anschauungen im offentlichen Leben sicherzustellen haben, mulz
kimftigen Entschliefzungen vorbehalten bleiben. Jetzt ist kein Tag
zu verlieren! Deshalb, Parteigenossen, schliefzt euch zusammen zur
Wahrung unserer Rechte in den Parteiorganisationen!
Der Kampf, den wir in der Partei durchzufechten haben, ist nur die
Folgeerscheinung des grofzen grundsatzlichen Widerstreits zweier Welt-
anschauungen. Der Vorstand und seine Anhanger haben sich durch-
gemausert zu nationalsozialen Anschauungen und sind so zu einer G e -
folgschaft der Regierung und der imperialist schen
burgerlichen Parteien geworden. Wir blieben und bleiben
auch wahrend des Weltkrieges: Vorkampfer fur den Weltfrie-
den und die Befreiung des Prole t a r i a t s !"
Die Losungen der Instanzenmehrheiten wurden im Reioh bald
zur Ausifiihrung gebracht. Wo sich in den Organisationen die
Opposition in der Minderheit befand, wurde sie einfach fiir „aulzer-
halb der Partei stehend" erklart Wo sich die Mehrheiten der
Organisationen fiir die Opposition erklarten, wurden sie vom Partei-
vorstand und von den einzelnen LandesvorstSnden auf die Aechtungs-
130
liste gesetzt In Berlin, in Leipzig, in Bremen, in Braunschweig, in
einer grofzen Anzahl anderer Orte wurden neue Organisationen
gegrtindet
Die Zerreifeung war mit den Beschlirssen der Instanzenmehrheiten
vollbracht; die Binheit der Sozialdemokratischen Partei, dieses stolze
Werk der deutschen Arbeiterklasse und des internationalen Proleta-
riats, war dahin. Wollte nun die Opposition nicht auf jede politische
Betatigung verzichten, so mulzte sie sich einen eigenen Parteikorper
schaffen. Das war die UnabhMngige Sozialdemokra-
tische Partei Deutschlands.
9* 131
Die Grundung der Unabhangigen Sozial-
demokraiischen Parki Deutschlands.
Die Spaltungsarbeit wird fortgesetzt. — Zwei Nachwahlen in Berlin. —
Ablehnung des deutschen Friedensvorschlags. — Verscharfter U~Boot~
Krieg. — Die Vereinigten Staaten von Amerika werden in den Kriegs~
strudel gerissen. ^— Neue Steuern und vermehrtes Elend. — Die
M&rzrevolution in Rufziand. — Das Aktionsprogramm der Sozialdemo^
kratischen Arbeitsgemeinschaft. — Der Griindungsparteitag der
U. S. P. D. i
Der weitere Ablauf der Spaltungstragodie der deutschen Sozial-
demokratie war durch nichts mehr aufzuhalten. Bureaukratische
Engherzigkeit und beschrankter Organisationsfanatismus, der in
blinder Verkennung der Verhaltnisse den Kadavergehorsam des
preulzischen Militarismus auf die Parte! verpflanzen wollte, hat die
politische Binheit der deutschen Anbeiiterklasse zerschlagen. In
einigen Bezirken bemiihte man sich noch urn eine Vermittlung
zwischen den beiden Richtungen; so in Thuringen, wo noeh langere
Zeit die Vorstandsanhanger mit den Genossen von der Opposition
zusammenarbeiteten, oder in Nordbayern, wo Adolf Braun die
GegensStze zu uberbrucken suchte. Aber die Instanzenmehrheiten
liefzen sich von der rucksichtslosen Ausniitzung der ihnen mit dem
Parteiapparat in die Hande gegebenen Macht nicht mehr zuriick«
halten.
Es ist nicht moglich, in alien Einzelheiten die damaligen Vor«
gange wiederzugeben; es gentigt zu sagen, dalz die Parteiinstanzen
kein Mittel unversucht lielzen, um die oppositionellen Genossen aus
ihren Parteistellungen zu drangen, die Upposition ihrer Organe zu
berauben und alle Parteimitglieder, die ihre Auffassungen liber die
Kriegspolitik nicht teilten, der Parteirechte flir verlustig zu erklSren.
Der Bruderkampf wurde so heftig gefuhrt, wie es in der Geschichte
der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung wohl kaum ein
zweites Mai erhort ist. Die Mehrheit des Parteivorstandes erklarte,
dalz sie mit den Genossen W e n g e 1 s und Luise Zietz nicht
langer zusammenarbeiten wollte. Den Anlalz dazu suchten sie in
ihrer von der Mehrheit abweichenden Auffassung iiber den „Vor~
w8rts"raub und aufzerdein behauptete sie, dalz die beiden Genossen,
weil sie auf dem Boden der Arbeitsgemeinschaft standen, Organi-
sationen angehorten, die der sozialdemokratischen Partei nicht an-
geschlossen seien. Als Antwort darauf veroffentlichten die Genossen
Wengels und Luise Zietz eine Erklarung, worin sie fest$tellten r dafe
132
ihr Ami auf dem Willen des Parteitages berime und dafz es ihnen
von niemand anderem als dem Partedtag wieder entzogen warden
konne. Es ware ein Gewissensziwang schlimmster Art gewesen, wenn
sie sich der Unterdruckung der Meinungsfreiheit und Ueberzeu-
gomgstreue beim „Vorwarts raube angeschlossen hatten. Bis zum
letzten Augenblick hatten sie fur die Binheit der Partei und fur die
Geschlossenheit der Gewerkschaften gewirkt und sich dabei von den
alten Parteigrundsatzen leiten lassen. „Dalz die Partei zerrissen und
die Arbeiterbewegung in ein durchaus anderes Fahrwasser gelenkt
wird, konnen war nicht stillschweigend mil ansehen. Gegen diese
verderbliche Politik nach wie vor mit unserer ganzen Kraft anzu-
kampfen, halten wir fur unsere Pflicht." So schlofz die Erklarung.
Am 19. Januar kam es zum offenen Bruch in der sozialdemokrati-
schen Fraktion des Preulzischen Landtages. Den
Anlalz dazu gab die Rede des Abgeordneten Hirsch zum Etat.
Hirsch hatte zuerst Sympathien fur die Opposition gezeigt, aber seine
Haltung wurde immer schwankender und zweideutiger und schlieiz-
lich ging er ganz in das Lager der Mehrheit iiber. Seine Rede war
geradezu ein Hohn auf jedes proletarische und sozialdemokratische
Empfinden. Im Namen der Abgeordneten Adolf und Paul Hoffmann,
Hofer und Strobe! protestierte danach Adolf Hoffmann gegen ihren
Inhalt Es war nicht moglich, ausfuhrlich darauf zu antworten, da
nach der alten, ubelbewHhrten Methode des preulzischen Junker-
parlaments die Debatte hinter Hirsch abgeschndtten wurde. Die
eine HMlfte der Fraktion, funf Mann, die hinter der Instanzenpolitik
stand, niitzte die Gelegenheit, die ihnen die Entziehung des Man-
dats zum Fall Liebknecht durch das krieffsgerichtliche Urtedl gab,
dazu aus, um die anderen vier Genossen kurzerhand aus der Frak-
tion auszuschlielzen. Diesen blieb jetzt nichts anderes iibrig, als eine
besondere Fraktion zu bilden. Aehnliche VorgSnge spielten sich
in den Parlamenten Sachsens und Wiirttembergs ab.
Die Opposition mufete nunmehr zu A b w ehrmafenahmen
greifen. Am 9. Februar 1917 wurde folgender A u f r u f ver5ffent-
licht:
^arteigenossen!
Die Stunde der Entscheidung ist fur uns alle gekommenl
Seit Kriegsbeginn sind Parteivorstand und Fraktionsmehrheit in eine
antisozialistische Politik hineingeraten, die, stetig sich verschlimmernd,
die offizielle Sozialdemokratie zu einer nationalsozialen Regie*
rungspartei gemacht hat.
Diese Neuorientierung begann mit der Zustimmung zu den Kriegs-
krediten; sie steigerte sich zur Bewilligung- des Budgets. So trieb die Mehr«
heit der Reichstagsfraktion durch die burgfriedliche Verbriiderung mit
den btirgerlichen Parteien in die Unterstutzung imperialistic
" scher Kriegsziele hinein. Durch beharrliche Ablehnung der
Minderheitsforderung, daiz die Regierung zur Proklamierung eines
annexionslosen Friedensangebots gedrangt werden solle, wirkte die
Fraktionsmehrheit kriegsverlangernd, nicht aber, wie sie jetzt
vorgibt, friedensfSrdernd. Den steigenden Einflulz der Opposition suchte
die Fraktionsmehrheit, als die Minderheit das Recht der selbst&ndigen
183
Meinungsaulzerung fur sich in Anspruch nahm, dadurch zu brechen,
daiz sie ihr widerrechtlich nnd den rarieitagsbeschltzssen entgegen, die
Fraktionsrechte entzog. Sie notigte dadurch die Minderheit,
sich nunmehr als selbstandige Fraktion zu konstituieren. Der tief-
gehende sachliche Gegensatz zwischen den beiden Fraktionen trat dann
fortgesetzt im Reichstag in der Behandlung aller politischen Fragen
zutage — zuletzt noch bei dem Hilfsdienstgesetz, das von der „Fraktion"
angenommen, von der Arbeitsgemeinschaft abgelehnt wurde.
Gleichzeitig hatte der Parteivorstand den Kampf gegen die oppo-
sitionelle Press e durch Absetzung von Redakteuren und durch
Besitzergreifung von Zeitungen begonnen. Diese Politik der Gewalt*
tatigkeiten gipfelte in der Ausnutzung des Belagerungszustandes zum
Raube des „Vorw&rts'\
Auch in der BekampfungoppositionellerOrganisatio-
nen schritt der Parteivorstand von Rechtsbruch zu Rechtsbruch. An
verschiedenen Orten veranlalzte er die Griindung von Sonderorga-
nisationenl Das Signal zu allgemeiner Parteispaltung lielz er sich
dann am 18. Januar d. J. durch ein Gutachten des Parteiausschusses
geben, das er am 22. Januar zu einer eigenen Kundgebung verwertete.
Er drohte darin, diejenigen Parteigenossen, die sich zu oppositionellen
Anschauungen bekannt haben, aus den von ihm selbst beherrschten Or«
ganisationen auszustolzen und zur Bek&mpfung der oppositionellen
Organisationen iiberall durch seine Handlanger Gegenorganisatio-
nen grunden zu lassen.
Dieser Drohung sind jetzt die Taten gefolgt.
Im Kreise Potsdam-Osthavelland wurde am 28. Januar auf
Anstiften des Parteivorstandes gegen die rechtmafzige Wahlkreisorgani-
sation ein Gegenverein gegriindet. Diese Sonderorganisation tat dann
gleich einen weiteren Schritt auf der Bahn der Parteizerriittung, indem
sie fur die bevorstehende Reichstagsersatzwahl ihren Vorsitzenden als
Gegenkandidaten gegen den rechtmalzig aufg-estellten oppositionellen
Kandidaten aufstelltef Das geschah, um mit Hilfe der burgerlichen Par**
teien ein Mandat an sich zu reilzen, das dem Genossen Liebknecht durch
ein Zuchthausurteil entrissen wurde. — In Berlin wurde die Grundung
von Gegenorganisationen gegen die rechtmalzigen Wahlvereine durch
einen offenbar abgekarteten Briefwechsel zwischen dem Vorsitzenden des
JCtfskutierklubs Vorw&rts" und dem Parteivorsitzenden Ebert eingeleitet
Ebert gab in seiner Antwort eine ausfuhrliche Anleitung zur Partei-
spaltung in Berlin. Sie wurde bereits in mehreren Wahlkreisen
befolgt. Das Vorbild des Parteivorstandes wurde auch bereits von den
Leitern der Landesorganisation in Sachsen sowie der Bezirksorgani-
sation in Dresden und Zwickau nachgeahmt Die ganze Bezirks-
organisation Leipzig sowie die Vertreter mehrerer Wahlkreisorgani-
sationen wurden durch Mehrheitsbeschlulz kurzerhand der Rechte be**
raubt, die ihnen von den organisierten Genossen ubertragen waren!
So vollzieht sich jetzt die Parteispaltung, weil ein
Dutzend zur Besorgung zentraler Parteigeschafte angestellter Parted
beamten wider alles Parteirecht sich anmafzen, nach eigenem Gutdiinken
den Ausschlufe einzelner Parteigenossen und ganzer Organisationen aus
der Partei zu dekretieren.
Alle diese Uebergriffe sind nach dem Parteirecht zwar null
und nichtig, die Machtmittel, die der Parteivorstand als zentrale
VerwaltungsbehSrde in Handen hat, und die Unterstutzung seitens einer
grorzen Zahl von Genossen in leitender Stellung ermoglichen es ihm
jedoch, im Rahmen der von ihm beherrschten Organisationen unsern
134
Freunden uierall die Parteitaligkeit immoglich zu machen. Gegenuber
der planmafzigen Schaffung von Sonderorganisationen durch den Partei-
vorstand geniigt nicht mehr ein Protest I
Es miissen sich nunmehr auch die oppositionellen Genosn
sen u b e r a 1 1 zusammenschlielzen. Denn was den Genossen
in Potsdam, in Berlin, in Sachen usw. angetan wird, ist ein Schlag, der
uns alle trifft. Wiirde die Opposition nicht tatkraftig vorgehen, so
hatte der Parteivorstand gewonnenes Spiel. Er wiirde die State einzeln
zerbrechen, gegen die er ohnmachtig bleibt, wenn sie festverbunden ihm
Widerstand leisten. Solidaritatspflicht ist es jetzt fixr alle grundsatz*
treuen Genossen, sich organisatorisch zu vereinen zu gemeinsamer Ar«
beit fin* die Gesundung der sozialdemokratischen Be-
wegung, fur die Durchfuhrung des sozialdemokratischen Programms
sowie der Beschlusse der Parteitage und der internationalen Sozialisten*
kongressel
Im Einverstandnis mit einer grolzen Anzahl von Genossen aus alien
Teilen Deutschlands richten wir deshalb an alle Organisationen und Par*
teigenossen, die gewiilt sind, mit der Fraktion der Sozialdemokratischen
Arbeitsgemeinschaft zusammenzuwirken, die Aufforderung, sich an einer
Oppositionskonferenz zu beteiligen, in der die erf orderlichen
Malznahmen zum Zusammenschlulz der Opposition zu treffen sind!
Zu dem Zweck bitten wir diejenigen Wahlkreisorganisationen, die sich
bereits auf den Boden der Opposition gestellt haben oder die einen
solchen Beschluiz noch fassen werden, sich unverziiglich bei der unter-
zeichneten Adresse anzumelden. In Wahlkreisen, in denen nach der An-
stachelung des Parteivorstandes die oppositionellen Parteigenossen durch
Wahlkreisbeschluiz ihrer Parteirechte beraubt werden, erwarten wir, dafz
sie sofort eine eigene Organisation griinden und uns hiervon sowie
von ihrem Anschlulz an unsere Bewegung gleichfalls in Kenntnis setzen.
Nahere Mitteilungen ixber den Zusammentritt der Konferenz werden
demnachst erfolgen, doch bitten wir, die organisatorischen Vorarbeitea
dafiir bis Mitte Marz zu beendenr
Und nun frisch ans WerkI Kein Tag ist zu verlieren!
Mit sozialdemokratischem Parteigrulz
L A.: Der Vorstand der Soz. Arbeitsgemeinschaft
des Reichstags.
Haase. Ledebour. Vogther r."
Von den Mitgliedern der Opposition wurde sofort in diesem Sinne
die Arbeit aufgenommen. Xm 11. Februar tagte eine General-
versarwnlung des Verbandes der Wahlvereine Grofz-Berlin.
Hugo Haase zeigte dort, wie der Parteivorstand Gewalttat auf Ge-
walttat haufte, so skandaloser Art, wie sie in der Geschichte der
Parteien, wie im politischen Leben bisher nicht erhort gewesen
seien. Was demgegenuber von oppositioneller Seite an Abwehr-
malznahmen geschah, sei schon dadurch allein vollkommen gerecht-
fertigt Das gelte auch fur die Oppositionskonferenz, da sie inner-
halb des Rahmens der Partei sich ihre Agitations- und Aufklarungs-
arbeit gesteckt hStte, mit dem Ziel, den Kampf der Geister auf dem
Parteitage auszutragen. Jetzt gSbe es keine andere Wahl mehr, als
den engen Zusammenschlufe aller oppositionellen Elemente gegen
Nationalismus und Imperialismus fur Sozialismus und Demokratie.
Ohne Diskussion nahm die Versammlung einstimmig folgende Re-
solution an:
r7 Bie Verbands^Generalversammlung von Grolz^Berlin erklart die
Griindung von Gegenorganisationen gegen die rechtmafzigen Wahlkreis**
organisationen als Malznahmen, "die die organisatorische Besiegelung der
antisozialistischen und imperialistischen Politik des Vorstandes und der
Fraktion darstellen und die Zertrtimmerungstatigkeit des Parteivorstandes
krSnen. Durch dieses Vorgehen hat sich der Parteivorstand und seine
Gefolgschaft in gleiche Kampfesfront gestellt, in der die Gegner des
Sozialismus und der Demokratie stehen.
Aus diesen Griinden erklart sich die Verbands^Generalversammlung
einverstanden mit der im Aufrufe des Vorstandes der Sozialdemokrati*
schen Arbeitsgemeinschaft vom 8. Februar d. J. enthaltenen Aufforderung
zu einem organ isatori schen Zusammenschlufz aller
vom Parteivorstand v erge w altig t en Or g anisa tionen
und Genossen und beauftragt die Verbandsleitung, die notwendigen
Schritte zu tun, damit die Berliner Wahlkreisorganisationen dieser Auf«
forderung nach jeder Richtung hin entsprechen.
Ueber die organisatorische Form des Zusammenschlusses der Oppo-
sition und die Art der einheitlich^politischen Tatigkeit hat die aus Ver-
tretern aller vom Parteivorstand entrechteten Kreise bestehende Kon«
ferenz nach den Grundsatzen der Demokratie zu entscheiden."
Aehnliche Beschlusse wurden in einer garden Reihe von Organi-
sationen im Reiche gefalzt, so in Leipzig, in Braunschweig, in Bre«
men, in Halle, urn einige von den wichtigsten Punkten der Opposition
zu nennen.
Die Instarizenmehrheiten begniigten sich aber nicht damit, die
Organisationen zu zerreilzen und die Partei zu spalten, sie trugen
den Bruderkampf auch auf offenem Markte aus. Durch das Urteil
des Kriegsgerichts waren Karl Liebknecht das Mandat fur
den Landtag im elften Berliner Wahlkreis und das Mandat fur den
Reichstag in Potsdam-Osthavelland aberkannt worden. Ange-
sichts der schmachvollen Behandlung, die Liebknecht erduldet hatte,
angesichts der Tatsache, das durch J is Urteil eines solchen Gerichts
die Neuwahlen herbeigefuhrt worden waren, hatte es fur die Instanzen
zum mindesten ein Gebot des einfaohsten politischen Anstandes sein
mussen, die freteewordenen Sitze so besetzen zu lassen, wie es den
Anschauungen Liebknechts entsprach. Aber was politischer An-
stand, was proletarisches Rechtsgefiihl: die Mehrheit ging dariiber
mit einem Lacheln hinweg und stellte dem Kandidaten der Oppo-
sition Franz Mehring in beiden Kreisen, besondere Kandidaten
ihrer Richtung entgegeru
Bei der Landtagswahl gKickte dieses frivole Spiel nicht Von
268 Wahlmannsstimmen, die von den Urwahlem neu zu behennen
waren, Helen 218 der Opposition zu. Der rechteFlugel hatte gefade
sechs seiner Wahlmanner durchgebracht. Dieses Ereignis wurde ohne
Schlepparbeit, fiir die die Krafte fehlten, erreicht Aus eigenem An-
triebe batten die Arbeiterwahler in diesem proletarischen Viertel
Berlins ihre Stimme fiir Liebknecht abgegeben und damit offentlich
gegen die Kriegspolitik der Regierung und der Fraktionsmehrheit
protestiert. Die Anhanger des Parteivorstandes dagegen hatten sich
mit den Fortschrittlern verbunden und glaubten mit burgerlicher
Hilfe uber die Arbeiter triumphieren zu k5nnen* Die Fortschrittler
sollten in der dritten und zweiten Abteilung fiir ihre WahlmSnner
m
stimmen; als Gegenleistung dafiir veroffentlichte das „Sozialdemo~
kratische Wahlkomitee I. A. Pattloch" in der „Berliner Volkszeitung"
am Abend vor der Wahl einen Aufruf, worin unter Bezugnahme auf
„die Wahlparole der fortschrittlichen Volkspartei alle sozialdemokra-
tischen WShler der ersten Abteilung ersucht werden, geschlossen die
Wahlmanner der fortschrittlichen Volkspartei zu wahlen". Es war be-
greiflich, daiz der „Vorwarts" sich htitete, die genauen Abstimmungs-
ziffern, die ein Volksurteil liber seine Richtung enthielt, den Lesern
mitzuteilen. .
Nicht anders trieben es die Vorstandsanhanger bei der R e i c h s -
t a g s w a h 1 in Potsdam-Osthavelland. Es geniigt, den Aufruf des
liberalen Wahlvereins Potsdam wiederzugeben, den er kurz vor der
Wahl veroffentlich:
„Der nationalliberale Verein Potsdam hat im Verein mit den ubrigen
burgerlichen Parteien beschlossen, bei der Reichstagswahl am 14. Marz
den Burgfrieden zu wahren. Es wird also kein biirgerlicher
Bewerber aufgestellt. Nur zwei sozialistische Bewerber stehen sich
gegeniiber, namlich der Gewerkschaftsbeamte Stahl, der ais Vertreter
der sozialdemokratischen Partei Scheidemannscher Richtung das Vater~
land in der Stunde der Not nicht verlassen wird, und der Schriftsteller
Mehringr der als Vertreter der ra<Jikalen Liebknechtschen Richtung
durch die Verweigerung der Kriegskredite und Stellungnahme gegen den
U~Boot~Krieg die erfolgreiche Durchfuhrung des Krieges gefahrdet Die
Wahl Mehrings wurde den Eindruck hervorrufen, als ob das deutsche
Volk kleinmiitig und verzagt gewesen ware. Deshalb ist es die
vaterlandische Pflicht jedes Reichstagswahlers, die Wahl
Mehrings unter allen.Umstanden zu verhindem. Keiner
bleibe der Wahlurne fern."
Auch die fortschrittliche Volkspartei hatte ihre Anhanger ermahnt,
fur Stahl und gegen Mehring zu stimmen, und seihst der Reichsver-
band zur , Bekampfung der Sozialdemokratie reihte sdch in diese
Phalanx ein. So war es erklMrlich, daiz der Vertreter der Opposition
ins Hintertreffen geriet und die Wahl mit einem Siege des Vor-
standskandidatens endete. Mehring erhielt rund 5000, Stahl etwa
15 000 Stimmen. Auf diesen Ausgang der Wahl konnte aber die
Opposition, wenn er sie auch nicht zufriedenstellte, doch mit grolze-
rem Stolze zuriickblicken, als die Anhanger der sozialdemokratischen
Kriegspolitik.
Inzwischen war der Kriegswagen un;aufhaltsam weitergerollt. Das
F r i e d e n s a n g e b o t der deutschen Regierung hatte, wie nicht
anders zu erwarten war, eine glatte Ablehnung erfahren. Die
Alliierten erklarten, daiz auch sie den Krieg zu beendigen wixnsch-
ten; bevor aber nicht der Kriegswille Deutschlands beseitigt und
seine Eroberungsabsichten zuriickgezogen seien, konne an die An-
bahnung von Friedensverhandlungen nicht gedacht werden. Wilhelm
veroffentlichte einen Aufruf, worin er an die „glorreichen Siege und
die eherne Willenskraft" des deutschen Volkes erinnerte, die dafiir
biirgten, daiz es auch fiirderhin nichts zu furchten habe. Der Gott,
„der diesen herrlichen Geist der Freiheit in unseres tapferen Volkes
Herz gepflanzt hat", werde ihm den vollen Sieg iiber alle Feinde
geben. Anderthalb Jahre spater hat sich freilich gezeigt, daiz auch
137
dieses Mai, urn mit Wilhelms Vorfahren zu reden, Gott bei den star-
keren Bataillonen, in unserem Falle also bei der Entente, war. Damals
aber glaubte die Regierung noch an solchen Sieg oder sie tat wenig-
stens so. Aus spateren Veroffentlichungen hat man erfahren, dalz
schon zu dieser Zeit die einsichtigeren Elemente des Btirgertums
von der unabwendbaren Niederlage Deutschlands liberzeugt waren.
Auf dem rechten Fliigel der Sozialdemokratie wollte man aber von
solcher Einsicht nichts wissen. Er stimmte in den Chorus mit ein,
der das Verdammungsurteil iiber die Feinde Deutschlands aussprach.
Die Opposition dage^en erkannte, dalz ohne sofortige Bekannt-
gaben der deutschen Kriegsziele die Anbahnung des Fnedens nicht
moglich sei und dalz an der Verlangerung des Krieges die Regie-
rungen der Mittelmachte zum minde&ten dieselbe Schuld trugen,
wie die Regierungen der Alliierten.
Eine neue Hoffnung am Friedenshimmel tauchte auf, als Wilson
am 22. Januar eine Botschaft in der Friedensfrage veroffent-
lichte. Es war vom burgerlichen Standpunkt aus ein ideales Pro-
gramm, das in dieser Botschaft enthalten war, aber wir wissen, dalz
starker als der Wilsonsche Idealismus die Intetessem des siegreichen
Imperialismus waren. Dalz der Opposition der Sinn der amerikani-
schen Botschaft damals schon ganz klar war, das geht aus den Aus-
fuhrungen hervor, die die „ L e i p z i g e r V o 1 k s z e 1 1 u n g " dazu
machte. Das Blatt fiihrte aus, es sei auch unsure Hoffnung, dalz sich
die Entwicklung der Menschheit in der Richtung bewegen werde f
die Wilsons Note vorzeichne:
f7 Aber wir miilzten schlechte Marxisten sein, wenn wir vor den un«
feheuren Schwierigkeiten die Augen verschliefzen wollten, die jedem
leinsten Schritt auf dieser Bahn entgegenstehen in einer Staats~ und
Gesellschaftsordnung, die soeben erst den Weltkrieg geboren hat und
deren Trager ihn vorerst nicht zu beenden vermogen. Die Zukunft der
Volker ist der ewige Friede und die internationale Organisation, die
sich iiber den Staaten erhebt, sich auf ihnen aufbaut. Aber ob die
Volker diesen Zustand erreichen konnen, ehe die kapitalistische Ordnung
durch die sozialistische abgelost ist, ob sie auch nur wesentliche Schritte
zu diesem Ziel zu tun vermSgen, solange nicht die offentliche Ge-
meinwirtschaft an die Stelle der auf das Privateigen*
turn, auf das Profitstreben gebauten Wirtschafts-
weise getreten ist, das ist die Frage . . . Mit Worten, mit
diplomatischen Noten ist der ewige Friede nicht zu schaffen. Dim wird
ein granitner Unterbau gegeben werden nuissen, und ihn kann a 1 1 e i n
die Arbeiterschaft STiinden, die heute in ihrer Zersplitterung fur
diese Aufgabe nur wenig Kraft hat"
Die deutsche Kriegsr^egierung gab die Antwort auf diese Friedens-
botschaft durch die Erofinung des verscharften
U-Boot-Kriegs. Die Militarists hatten schon langst dazu ge-
drangt, aber es waren ihnen doch bis dahin einige Schwierigkeiten
gemacht worden, die besonders aus der Erwagung heraus geboren
waren, dafz Amerika sich sofort an die Seite der Alliierten stellen
wurde, sobald Deutschland den U-Boot-nKrieg ohne die geringste Riick-
sicht auf die Neutralen fiihren werde. Nach der Ablehnung des
Friedensangebotes vom Dezember 1916 war es aber gelungen, die
Zweifler aus den burgerlichen Parteien dafiir zu gewinnen, und die
138
tmentschlossene Haltung der sozialdemokratischen Reichstagslraktion
trug nicht wenig dazu bei, dalz die Regierung Bethmann Hollweg sich
zu diesem folgenschweren Schritte, der den Krieg endgiiltig zu
Deutschlands Ungunsten entschieden hat, drangen liefz. Die Mehr-
heitsfraktion und ihre Presse hatten ganz offen erklart, dalz unter
den jetzigen Umstanden die scharfste Durchfuhrung des Krieges eine
unbedingte Notwendigkeit sei. Die Mehrheitspartei aber glaubte die
Verantwortung flir den verscharften \I~Boot~Krieg mit der Begrimdung
ablehnen zu konnen, dafz Deutschland kein parlamentarisches System
habe und dalz die Frage des U-Boot-Krieges eine Angelegenheit der
Kriegfuhrung sei, in die der Laie nicht hineinzureden habe. Der
„Vorwarts" insbesondere meinte, dalz die Fragen der Kriegsfuhrung
nicht durch Diskussionen, in Versammlungen und in der Presse,
sondern nur in einem engen Personenkreis entschieden werden konne.
Damit gab das Blatt den alldeutschen Kriegstreibern das Stichwort,
mit dem sie ihre Politik ungehemmt durch die Binwirkung einer
scharfen Opposition fortfiihren konnten. Die unausbleibliche Folge
des ungehemmten lI~Boot-J\rieges war der Eintritt Amerikas
in den Krieg.
Die erste Gelegenheii zu dieser Situation einige offene Worte zu
sprechen, bot sich in der Reichstagssitzung vom 28. Fe-
bruar. Scheidemann als Sprecher der sozialdemokratischen
Fraktion wulzte aber nichts anderes zu tun, als seine alten Beteuerun-
gen zu wiederholen, dalz die sozialdemokratische Partei die baldige
Herbeifiihrung des Friedens wiinsche. Nachher aber erklMrte er, dalz
das deutsche Volk jetzt alle seine Krafte anstrengen musse, urn den
Kriegswillen der Gegner zu brechen. Erst Ledebour als Redner
der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft mufete am nachst-
folgenden Tage aussprechen, was flir einen Sozialisten in dieser
Stunde Pflicht war. Er sagte, dalz die Moglichkeit eines baldigen
Fried-ens nur dann gegeben sei, wenn die deutsche Regierung sich
bereit erklare zu einem Frieden, der keine volksfrernden Gefciete
annektiere. Wir miilzteri alles aufhieten, urn auch die auswartigen
Sozialisten darin weiter zu treiben, dalz auch sie im Sinne der Volker-
versohnung, der Volkerverstandigung wirkten. Der riicksichtslose
U~Boot-Krieg miisse grundsatzlich beHrnpft werden. Erstaunlich aber
sei der Mangel an Verantwortlichkeit, den die Parteien in dieser
Frage zeigten. Nur die Rechte wolle die Konsequenzen auf sich
nehmen, alle anderen Parteien aber beriefen sich auf die Oberste
Heeresleitung. Was die Redner, die bisher fur den Frieden ge-
sprochen hatten, wollten, sei nur ein Waffenstillstand. Wenn wir
den anderen einen Vergewaltigungsfrieden aufnotigten, so wiirde sich
der Krieg sehr bald wiederholen. Urn eine Wiederholung des Krie-
ges zu verhindern, miisse die Entscheidung dariiber den Kabinetten
aus den Handen genommen werden. Unsere Auf gab e sei, so lange
der kapitalistische Imperialisms noch eine Macht sei, ihm entgegen-
zutreten und die Vorarbeit fur den Weltbund der sozialistisch orga-
nisierten Volker zu leisten.
Der Friede war also in immer fernere Weiten geriickt. Dafur stieg
die Not des arbeitenden Volkes immer hoher. Immer
grSlzere Massen Helen der Verelendung anheim. Eine Reihe von
139
wichtigen Lebensbeekirfnissen war uberhaupt nicht mehr aufzu-
treiben, andere konnten nur noch zu wahren Wucherpreisen er-
standen werden. Die blasse Not wandelte durch die Quartiere des
Proletariats, nur in den Kreisen derer, die nach immer weiterer Ver-
lSngerung des Krieges schrien, hatte sich die Lebensweise nicht
merklich geSndert. Dazu kam jetzt eine neue Bedrohung des Volfces
durch die indirektenSteuern, die eine bis daher fiir unerreich-
bar gehaltene Hohe erklimmen sollten. Die englische Bourgeoisie hatte
sich immerhin dazu verstanden, einen Teil der Kriegskosten schon
jetzt auf ihre Schultern zu nehmen und nicht alles auf die Karte
eines glucklichen Kriegsausgangs zu setzen. Das deutsche Burger-
turn dagegen, beschrankt, wie es von je war, glaubte auch jetzt noch
am besten damit zu fahren, dafe es die Lasten des Krieges auf die
besitzlose Bevolkerung abwalzte. I>er Mann der Bourgeoisie war
Helfferich. Er legte dem Reichstag eine Reihe von Steuerplanen
vor, die auch nicht das geringste von den Versprechungen enthielten,
die dutzendweise dem Volke gemacht worden waren. Bisher waren
die Kosten des Krieges durch Anleihen aufgebracht worden, die den
kapitalistischen Kreisen eine gute Verzinsung versprachen; jetzt
schuf man dazu noch indirekte Steuern, wie die Kohlenabgabe und
die Verkehrssteuer, oder man griff zu Besitzsteuern, die entweder den
Besitz uberhaupt nicht belasteten oder die eine leichte AbwMlzbar-
keit ermoglichten. Die sozialdemokratische Partei hatte bisher alle
indirekten Steuern abgelehnt. Auch von diesem Grundsatz ging die
Mehrheitsfraktion jetzt ab. So wurde in der , 7 Magdeburger
Volksstimme" erklart, man durfe sich jetzt nicht tauschen,
dafe der gesamte Bedarf des Reiches auf dem wege der Vermdgens-
und Einkommensteuer uberhaupt nicht mehr aufzubringen sei. Auch
Wilhelm Kolb erklMrte im Karlsruher „Volksfreund", „dalz die
ins Riesenhafte wachsenden Staatskosten ganz unmoglich nuf auf
dem Wege der direkten Steuern aufgebracht werden k6nnten".
^Also'V so folgerte er daraus, „mussen auch indirekte Steuern
bewilligt werden". Die theoretische Begrundung fur diese Preisgata
der alten Grundsatze in der Steuerfrage gab dann noch H e i n r i c h
C u n o w im „Harmburger Echo", indem er erklgrte, die Sozialdemo-
kratie diirfte sich bei dfeser Gelegenheit nicht ausschalten lassen, was
soviel bedeutete, dafz die Sozialdemokratie das Helfferichsche Steuer-
bukett schlucken sollte.
In diese fast hoffnungslose Stimmung fiel wie ein Ruf der Eriosung
die Nachricht von der Revolution in Rutland, von der Al>
dankung des Zaren an die Vertreter des Burgertums. Die Erregung
gegen das Zarenregiment war von Monat zu Monat gewachsen; sie
beschrankte sich nicht auf die Kreise der Bourgeoisie und der In-
telligenz, sondern sie hatte das ganze Volk erfalzt Nur so ist es
zu erklaren, dalz die Urmwalzung sich ohne besondere Zusammen-
stofze vollzog. In Deutschland wurde die russische Revolution mit
allgemeiner Preude begriilzt. Im Burgertum glaubte man, daiz nun-
mehr einer der starksten Gegner gefallen sei und dalz der Krieg
mit urn so gr5fzerer Kraft gegen den Westen gefuhrt werden konne,
wenn man den Arm gegen Osten frei bekomme. Die Monarchisten
allerdings hatten einige Bedenken; denn iiber die augenblicklichen
Differenzen hinweg verband sie mit dem Zarismus eine alte Freund-
140
schaft und Gefiihle inniger Sympathie. Das Proletariat allein er-
kannte die weltgeschichtliche bedeutung der sich jetzt in Rulzland
vollziehenden UmwHlzung. Wenn freilich Ebert eiligst ein Tele-
gramm nach Petersburg schickte, urn die russische Revolution der
Sympathie des deutschen Volkes zu versichern, so wufzte man, dafz
dahinter der Wunsch der Regierung stand, durch einen Sonderfrieden
mit Rutland giinstigere Bedingungen fur die Weiterifuhrung des
Krieges mit der Entente zu erlangen. Mit dieser platonischen Liebes-
erklarung hatte das klassenbewufzte Proletariat in Deutschland nichts
zu schaffen. Wenn eine Zusammenarbeit mit der russischen Re-
volution uberhaupt notwendig und moglich war, so konnte sie doch
nur dem einen Zwecke dienen, ihr den burgerlichen Charakter zu
nehmen und sie in eine proletarische Revolution umzugestalten.
Aber gerade das wollten die deutschen Rechtssozialisten nicht. Der
„Vorw&rts", der jetzt das Parteivorstandsorgan war, brachte unter
der Ueberschrift „Zur Aufklarung nach Rulzland — Republik und
Monarchie" einen Artikel, der an Behauptungen franzosisoher BlStter
anknupfte, wonach der russische Genosse Tscheidse erklart habe,
das russische Proletariat konne erst nach der Absetzung der Hohen-
zollern mit Deutschland gehen. Der „Vorwarts" sagte dazu, dalz die
F o r d e r u n'g nach der deutschen Republik nur von
den Deutschen selbst, nicht aber von den Angehorigen anderer
V51ker erhoben werden konne. Bei den Reichstagswahlen im Jahre
1912 seien 12 188 000 Stimmen fur die burgerlichen Parteien ab-
gege'ben worden, davon seien aber nur 4 238 000 sozialdemokra-
tische gewesen. Im Reichstag seien von 397 Abgeordneten 286
entschiedene Monarchisten. Man solle also die Starke der Monarchie
in Deutschland nicht unterschatzen. Das deutsche Volk sei in
seiner Mehrheit nicht antimonarchistisch, sondern es wolie ledig-
lich das gleiche Wahlrecht zu alien Vertretungskorperschaften. Und
schlielzlich erklarte der „Vorwarts":
; „Sobald die Monarchie die Wtxnsche des Volkes erfullt, 1st aller
republikanischen Agitation der Boden unter den Ftilzen weggezogen. Die
Frage, ob Monarchie oder Republik, wiirde dann noch viel wenigfer Dis-
kussionsthema sein, als wie es jetzt schon ist. Und alle Wahr-
scheinlichkeit spricht d a f ti r , dafe es so kommt. Wenn
^auch noch Schwierigkeiten zu iiberwinden sand, so werden sie — voraus-
sichtlich sogar in kiirzester Zeit — iiberwunden werden, ohne eine Spur
von gewaltsamein Umturz und ohne Sturz der Monarchi e."
Die biirgerliche Presse begruizte diesen Artikel ah ein Bekennt-
nis des „Vorwarts" zur Monarchie. Die „Kolnische
Zeitung" meinte, das Gestandnis von dieser Seite sei wertvoll, dalz
in Preulzen unter dem Hohenzollernzepter ganz gut wohnen sei. In
der deutschen Arbeiterklasse und beim russischen Proletariat hat
man allerdings ganz anders iiber dieses Bekenntnis gedacht.
Im Laufe des Krieges waren dem Volke unzahlige Versprechungen
gemacht worden, von denen bisher so gut wie nichts in Erfullung
gegangen war. Es wurde deshalb notwendig, dalz in der bestimmten
Form von Forderungen die Regierung an die Erfullung ihrer Ver-
sprechungen erinnert wurde. Die Fraktion der Sozialdemokratischen
Arbeitsgemeinschaft hatte zu diesem Zweck zum Etat des Reichs-
141
kanzlers eine Resolution eingebracht, die zugleich das A k t i o n s -
programm fur die social demokralisc he Opposi-
tion darstellte. Die Resolution lautete:
JDer Reichstag- wolle beschlielzen: den Herrn Reichskanzler zu er«
suchen,
a) schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Bin-
holung der Zustimmung des Reichstages bei der Einleitung
und beim Abschlulz von Biindnissen, sowie bei Kriegserklarungen
und Friedensvertragen sichergestellt und die verfassungsmalzige
Verantwortlichkeit des Reichskanzlers durch die Bestimmung prazisiert
wird r daiz der Reichskanzler zu entlassen ist, wenn der Reichstag es
fordert; I
b) auf den schleunigen Abschlulz eines Friedens auf-
der Grundlage des Verzichts auf Annexionen jeder Art durch alie krieg-
fuhrenden Staaten hinzuwirken;
c) dem Reichstage schleunigst einen Gesetzentwurf zu unterbreiten,
durch den bestimmt wird, daiz
1. die Reichstagswahlen kunftig nicht innerhalb abgegrenzter
Wahlkreise fur je einen Abgeordneten, sondern nach dem V e r h a 1 1 -
niswahlsystem stattfinden,
2. das Recht, zu wahlen oder gewahlt zu werden, mit dem v o 1 1 e n -
deten 20. Lebensjahre eintritt,
3. den F r a u e n unter den gleichen Bedingungen das aktive und
passive Wahlrecht gewahrt wird, wie den Mannern,
4. der W a h 1 1 a g entweder ein S o n n t a g oder ein Feiertag sein mulz;
d) dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch
den Artikel 3 der Verfassung des Deutschen Reiches einen Zusatz folgen-
den Inhalts erhalt:
In jedem Bundesstaat mulz eine auf Grund des allgemeinen,
gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts nach
dem Verhaltniswahlsystem gewahlte Vertretung bestehen. Das Recht
zu wahlen und gewahlt zu werden, haben alle uber 20 Jahre alten
Reichsangeh6rigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem Bundes-
staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben.
Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und
zur Feststellung des Staatshaushaltsetats erforderlich.
Noch bestehende Erste Kammein (Herrenhauser) werden aufgehoben;
e) dafur Sorge zu tragen r daiz schleunigst alle zur Zeit bestehenden,
gegen einzelne Parteien, Schichten oder Klassen der BevSlkerung ge-
richteten Ausnahmebestimmungen aufgehoben werden,
insbesondere:
alle aus einem bestimmten religiosen oder religionslosen
Bekenntnis abgeleiteten tatsachlich bestehenden Beschrankungen der
Gleichberechtigung,
das Gesetz, betref f end den Orden der Gesellschaft Jesu r
die gegen den Gebrauch einer nichtdeutschen Mutter-
s p r a c h e gerichteten Ausnahmegesetze und -Vorschriften.,
die preuizischen, gegen die polnisch sprechenden Teile der preufzi-
schen Bevolkerung gerichteten Enteignungs- und A n s i e d -
lungsgesetze,
^ die gegen landliche Arbeiter und das Gesinde in Einzelstaaten ge-
richteten Strafvorschriften sowie die Gesindeordnungen,
die gegen die Arbeiter gerichteten Beschrankungen in der Verwertung
ihrer Arbeitskraft ? insbesondere gegen die Ausubimg ihres Koaiitions-
142
rechtes gerichteten Strafvorschriften des § 153 der Gewerbeord-
nung und die Anwendung der StrafvorscKriften der NStigtmg, der Er~
pressung und des groben Unfugs gegen die Ausubung des Koalitions-
rechts der Arbeiter;
f) dafttr Sorge zu tragen, dalz schleuntefst eine Sicherstellung
des Vereinsrechts, des Versammlungsrechts, des Rechts der
freien Meinungsaufzerung in Wort oder Schrift, des Briefgeheimnisses
und der Wahlfreiheit gegen militarische und polizeiliche Eingriffe untec
dem Belagerungszustande erfolgt;
g) ^ daf iir Sorge zu tragen, dalz schleunigst die samtlichen w e g e n
politischer Delikte ergangenen Strafen aufgehoben
werden."
Dieses Programm enthielt nur die Forderungen, die im Augerv-
blick aufgestellt werden mulzten. Die Ziele, die sich eine sozialistische
Partei stellen mufzte, brauchten bei dieser Gelegenheit nicht beson-
ders genannt werden. Es handelte sich nur darum, dem Begriff der
Neuorientierung, von dem gerade in dieser Zeit viel die
Rede war, einen bestimmten Inhalt zu geben und die Regierung zu
zwingen, iiber allgemeine Redensarten hinauszugehen. Die Folge
hat ergefben, dafz selbst zu den bescheidenen Zugestandnissen dieser
Art Regierung und burgerliche Parteien nicht bereit waren.
Die Konferenz der Opposition war auf die Ostertage,
vom 6. April I9T7 ab, nach dem Voikshaus in Gotha, einberufen
worden. Ernst Daumig hatte ihr in Form eines Artikels ein Vor-
wort vorausgeschickt, in dem er die Aufgaben der Zusammenkunft
umschrieb. Es handele sich nicht allein um die Abwehr der Ge~
waltstreiche des Parteivorstandes, es solle der erste Schritt auf dem
Wege sein, der zu einer Gesundung der proletarischen Bewegung
fiihre. D&umig stellte drei Gesichtspunkte auf: 1. der Arbeiterklasse
miisse das Vertrauen auf Demokratie und Sozialismus wiedergegeben
werden; 2. die Neuorganisation imisse die hochste politische Ak~
tionsfahigkeit im alt en, sozialdemokratischen Geiste erzielen; 3. die
Organisation der deutschen Sozialdemokratie musse in der Inter-
nationale wieder zu Bedeutung und Ansehen gelangen und dadurch
dem Frieden dienen. Der aus dem alten Parteiprogramm lebendig
fortwirkende Geist solle die neue Organisation der Opposition durch-
wehen. Der Zusammenschlufz der Opposition sei notwendig, welche
weiteren Formen er annehmen solle, das werde davon abhan^en,
welche Gefolgschaft die Opposition in den Massen finden werde.
Es sei kein leichter Schritt, der in Gotha getan werden solle, aber
es bleibe nur die Wahl, entweder inmitten eines gewaltigen Welt-
gesohehens als politisch Heimatloser zur Ohnmacht verurteilt sein,
oder aus den Trummern der gewaltsam auseinandergesprengten Par-
te! ein neues Heim zu bauen und darin fur den proletarischen Be-
freiungskampf zu wirken.
Die Militarbehftrde hatte fiir die Konferenz einschrankende Be-
dingungen gestellt. Sie mulzte hinter geschlossenen Tiiren tagen,
es durfte keine Werbetatigkeit fur sie entfaltet werden, und der Be-
richt iiber die Verhandlungen mufzte vor der Veroffentlichung dem
stellvertretenden Generalkommando in Cassel zur Zensur vorgelegt
werden. Diese Bedingungen haben zwar die Arbeiten der Kon-
ferenz nicht geschadigt, alber sie hatten doch zur Folge, dalz die
143
Berichtersiattung nur unvollkommen war, und dalz ein stenographi-
sches Protokoll w&hrend des Krieges iiberhaupt nicht herausgegeben
werden konnte.
Es waren 143 Teilnehm^r anwesend. 124 waren von Wahl-
kreisen delegiert, dazu kamen 15 Reichstagsabgeordnete und vier
sonstige Teilnehmer. Auf der Tagesordnu ng stand en nur drei
Punkte: 1. Die Kampfe innerhalb der Partei. 2. Beschlulzfassung
iiber die Organisation der Opposition. 3. Unsere Aufgaben. Die
Diskussion iiber die ersten beiden Punkte wurde zusainmen-
gefalzt und ein Vertreter der Gruppe ^Internationale" als Korreferent
zugelassen.
Haase, der die Erschienenen begriilzte, und Bock, der neben
Dittmann sum Vorsitzenden gewahlt wurde y wie&en darauf hin,
dalz die Konferenz auf historiscbem Boden stattfinde. Vor 42 Jahren
sei in Gotha dem Bruderkampfe zwisehen Eisenachern und
Lassalleanern ein Ende bereitet worden. Eine einheitliche, geschlossene
Sozialdemokratie sei damals aus der Konferenz hervorgegangen;
i'etzt sei sie gespalten und die Aufgabe dieser Versammlung sei, die
^rtei zu neuem Leben zu erwecken, die Mass^n fiir die Opposition
zu gewinnen. Die Spaltung sei nur scheinbar, nun gelte es, die
Wiediergeburt der Sozialdemokratie vorzubereiten.
(Referent iiber den Punkt: Die Situation in der Partei
war Haase. Er sprach zuerst aus, dalz es sich auf dieser Konferenz
nicht um die Erorterung theoretischer Probleme handeln konne,
sondern dalz praktische Arbeit geleistet werden musse. Die gemein-
same Organisation aller oppositionellen Elemente habe das Ziel, die
Sozialdemokratie wieder zu grundsatzlicber Politik zuriickzufuhren.
Die alte Partei sei moralisch vollig zusammengebrochen, aber der
Krieg habe die heute in der Arbeiterbewegung bestehenden Gegen-
sfitze nicht erst geschaffen, er habe sie nur offenbart und ver-
schSrft. Wie kam es zu dieser Politik? Da sei zunachst die Haltung
der Gewerkschaften, die von einer engbriistigen Bureaukratie be-
herrscht wiirden, die nach kleinen Vorteilen hasche und eine Rechnung
mit Pfennigen fiihre. Gemeinsam mit ihr anbeite eine andere Gruppe,
die aus dem entgegengesetzten Lager stamme. Es seien das die
iiberradikalen Lensch, Haenisch, Winnig usw., die jetzt die Kolonial-
politik, wie die imperialistische Politik iiberhaupt, verteidigen. Diese
rolitik habe dazu gefiihrt, dalz jetzt auch Amerika in den Weltkrieg
eingetreten sei und damit in Zukunft unsere wirtschaftliche Bnt«
wicklung noch mehr gehemmt wurde. Nun sage der Parteivorstand,
dalz er von Anfang an fiir den Frieden gewirkt habe, fest stehe aber,
dalz eine Reihe von Mehrheitsfixhrern sich seit Jahr und Tag iiber
das „Friedensgeflenne" lustig gemacht habe, und dalz unter still-
schweigender Billigung des Parteivorstandes in unzahligen Artikeln
geschrieben worden sei, das deutsche Volk habe ganz anderes zu
tun, als nach Frieden zu rufen. Der Parteivorstand habe gewilz
viel von Frieden geredet, aber es waren nur Friedensdeklamationen.
Die Politik der Regierungssozialisten bringe nicht den Frieden und
bringe nicht die innere Preiheit Unter sturmischem Beifall schlolz
Haase mit der Aufforderung an die gesamte Opposition, sich zu-
sammenzuschlielzen und den Kampf fiir Freiheit und Frieden zu
fiihren.
144
Daraui ' sprach Dittmann iS>er die Organisation der
Opposition. Der von ihm vorgelegte Organisationsentwurf
wollte die gesamte Opposition in einem einheitlichen Rshmen zu«
sainmenfassen. Einig sei sich die Opposition darin, die Beendigung
des Krieges und die Aufriittelung der "Massen durchzufiihren. Hierin
sei auch der Gegensatz m den Regierungssozialisten am starksten.
Der Entwurf beschranke sich darauf, die am alten Parteistatut
dringend notwendigen Aenderungen vorzuschlagen. Eine umfass-ende
Ausgestaltung der Organisationsform und des Organisationslebens
konne erst nach dem Kriege erfolgen. Der Entwurf bedeute also
ein Provisorium, keine endgiiltige Festlegung. Als Grundlage fur
die Organisation sollten die Wahlkreise geiten, die zu Bezirken zu~
sammenzufassen seien. Die Leitung solle einer Zentralleitung irber«
tragen werden, die aus einem Aktionskomitee und einem Beirat be«
stehe. Das Beamtentum diirfe in der neuen Organisation nicht vor-
herrschen, fur die Erhaitung der demokratischen Grundsatze mufzten
die weitgehendsten Garantien geschaffen werden. Ein Kontrollaus-
schulz werde der Kontrollkommission der alten Partei entsprechen.
Als Hochstinstanz sei die Reichskonferenz vorgesehen. Die Wahl
der Mitglieder zu den einzelnen Korperschaften mufzten, soweit es
wahrend des Krieges iiberhaupt moglich sei r in demokratischem
Sinne erfolgen. Die Hauptsache aber sei, die Massen fiir die Oppo~
sition zu gewinnen und den Boden fur den sozialistischen Klassen-
kampf vorzubereiten.
Riick (Stuttgart) als Korref erent fiir die G r u p p e ^Inter-
nationale" legte das Hauptrewicht nicht auf das, was die Gruppen
der Opposition einigte, sondern was sie voneinander schied, und
von dies em Gesichtspunkt aus verlangte er, dalz seiner Gruppe die
gTofztmogliche Bewegungsfreiheit eingeraumt werde. Es konne sich
immer nur urn ein KartellverhSltnis handeln, und wenn die Politik
der Arbeitsgemeinschaft der Gruppe ^Internationale" nicht mehr
gefalle, so werde sie sich von ihr wieder trennen. Die Arbeits-
gemeinschaft sch&tze den Parlamentarismus zu hoch ein. Sie muizte
im Reichstag revolution^ auftreten und fiir die Aufriittelung der
Mass en miiMen die richtigen Parolen ausgegeben werden. Die
Kreditverweigerung geniige nicht mehr, es miisse revolutionare Po-
litik getrieben werden. Den lokalen Organisationen mulzte die
weitestgehende Aktionsfreiheit gewahrt wer3en, das Schwergewicht
der Aktionen solle man in die Massen veriegen, uber schwer-
wiegende Fragen miifete eine, Urabstimmung herbeigefiihrt werden.
In aer neuen Organisation diirften nicht die Instanzen entscheiden,
sondern den Arbeitern selbst miisse Gelegenheit gegeben werden,
eine revolutionSre T&ktik einzuschlagen.
In der Diskussion zeigte sich bald, dalz die Gruppe ,,Inter«
nationale" nur mit halbem Herzen bei dem Zusammenschlufe der ge-
samten Opposition war. So erki&rte Rosi Wolff stein aus
Duisburg, dalz sie von dem Zusammenschlufz (xberhaupt nicht be-
geistert sei, und dalz sie zur Arbeitsgemeinschaft nur geringes V>r-
trauen habe. Haase hatte in seinem Referat mitgeteilt, dalz in
einem Flugblatt der Spartakusrichtung von der Arbeitsgemeinschaft
verlangt wurde, sie solle ihnen ^ein sicheres Schutzdach" gegen den
Belagerungszustand gewfihren. Das wollten nun die Spartakus-
ia 145 .
anhanger nur. In dem Slnne ausgelegt wissen, dafz die Mehrheit der
Opposition der Minderheit in alien entscheidenden Fragen Gefolg-
schaft leiste. Kurt Eisner wies mit Recht daratif hin, dafz das
Programm der Gruppe ^Internationale" nur dazu diene, die Arbeiter
noch mehr zu zersplittern. Die Arbeitsgemednschaft sei bei der
Partei solange es ging geblieben, nur um inn Interesse der Arbeiter
die Einigikeit aufrechtzuerhalten. Von diesem Gesichtspunkte aus
h&tte die Opposition in Bayern gear! eitet. Luise Zietz sprach
fib* die Frauen, die in grolzer Zahi hinter der Opposition standen.
Es war Haase in seinem Schlulzwort ein Leichtes r die Anwiirfe der
Spartakusanhanger zuxiickzuweisen. Die Aufgabe der Arbeiterklasse
sei es, die Beendigung des Krieges zu -erzwingen, und das allein
rechtfertige schon die Notwendigkeit der Einheitlichkeit. Immer
ein Satzchen zu suchen, wo man einhaken konnte, oder gar die
Redensart r7 die Arbeitsgemeinschaft mit der Hundepeitsche vorwarts-
zuhetzen" zu getrauchen, das fordere die Einheitlichkeit nicht An
der Grofze unserer Aufgabe miifzten wir uns erheben.
Wahrend der Verhandlungen (iber diesen Punkt hatte eine Kom-
mission getagt, um eine Einigung auf gemeinsame Grundlinien fiir
die Organisation herzustellen. Im allgemeinen ergaben sich auch
keine Gegensatze mehr, nur noch daruber, welchen N a m e n die
neue Organisation bekommen solle, entspann sich noch eine leb-
hafte Diskussion. Der Entwurf hatte vorgeschlagen, die Partei zu
nennen ^Opposition der Sodaldemokratischen Partei Deutschlands".
Andere Antrage schlugen die Namen vor ^Internationale Sozial-
demokratische Partei Deutschlands" und , r Sozialdemokratische
Partei Deutschlands, Opposition". Haase, Henke, Ledebour, Herz~
f eld und andere traten fiir den Namen „ U n a b h a n g i g e Sozial-
demokratische Partei Deutschlands" ein. Die Ab-
stimm-ung ergab mit 77 gegen 42 Stimmen die Annahme des Namen
, 7 Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutschlands'".
Ueber „ II n s e r e Aufgabe n" sprach dann Ledebour.
Wir alle iwiifzten, dafz der Kampf durch Massenaktionen und durch
die parlamentarische Vertretung zu fuhren sei. Es komme auf die
Zeitverhaltnisse und auf die Entwicklung der Dinge an, welche For-
men der Kampf annehme. Irrtiimlich sei die Auffassung, dafz
Massenaktionen kunstlich erzeugt oder durch Fiihrer gemacht werden
konnten. In den vor-ereitenden Zeiten sei ernes der wichtigsten
Mittel des politischen Kampf es die parlamentarische Betatigung. Wir
miifzten die Demokratie in Staat und Gesellschaft herbeifiihren, und
zu diesem Zwecke brauchten wir ein Vertretungssystem. Wenn wir
aus irgendeinem Grunde den Parlamentarismus heute abschafften, so
miilzten wir ihn mo r gen wieder ein fuhren. Ruck habe word gemeint,
man m/iisse mehr Krach macheru Ledebour sei gewifz kein Gegner
des Krachrnachens; es hange aber von der Wichtigkeit des Anlasses
ab, ob Krach zu machen sei. Unsere Aufgabe sei vor allem, auch
von der Reichstagstrifoune aus zum Volke zu reden. Das sei jetzt
der einzige Piatz, wo man noch ein freies Wort spreohen konne.
Ledebour wandte sich dann gegen den Verteidigungs~
n i h i 1 i s m u s , der in der Gruppe Spartakus Anhanger gefunden
habe. Die intemationalen Kongresse hatten die Richtschnur fur unser
148
Verhalten im Kriege festgelegt Man solle nicht von Landesverteidi-
gung oder Vaterlandsverteiddgung reden, sondern von der Selbst-
bestimmung der Volker. Der sogenannte Verteidigungsnihilismus
sei gar nicht sozialdemokratisch. Ledebour wies auf die russische
Revolution hin; glaubte man, dalz die russischen Arbeiter die Waffen
niederlegen wiirden, wenn sie mit der Gefahr rechnen miifzten, dalz
ihr Land von den kapitalistischen Regierungen der gegnerischen
Lander annektiert werden wiirde? Unter Umstanden also, wenn
eine Regierung da ist, die in unserem Sinne die Geschafte fiihrt, sei
eine Selbstverteidigung auch mit den Waffen in der Hand notwendig.
Ledebour besprach schliefzlich das Aktionsprogramm, das
von der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft in Form einer
Resolution im Reichstag eingebracht worden war. Wir wollten die
Gelegenheit beniitzen, urn die biirgerlichen Parteien und die Re-
gierung darauf hinzuweisen 7 dalz es die hochste Zeit sei, Beiehrung
anzunehmen, nicht nur aus den geschichtlichen Vorgangen der Ver-
gangenheit, sondern aus der brennendsten Gegenwart. Wir haben
angekiindigt, dafz, wenn es nur bei schonen Reden bleibe, es auch
bei uns in Deutschland zu Ereignissen wie in Rufzland kommen
werde. Es habe sich bereits eine Wandlung in der Auffassung im
Biirgertum in Deutschland vollzogen. Aber die Geschichte lehre,
dafz das Proletariat in der Hauptsache seinen Kampf allein durch-
fuhren, und dafz es auch nach dem Siege standig fcereitstehen
miisse, die plotzlichen Errungenschaften zu verteidigen. Erst wenn
die sozialistische Gesellschaftsordnung und die Demokratisierung der
Gesellschaft durchgefuhrt sei, sei die Welt sicher r dafz keine Ge-
waltherrschaft mehr bestehen werde. Dann erst werde die Welt
den Frieden geniefzen. Wir aber hatten die Pflicht, uns bereitzu-
halten und jedes Mittel der Propaganda fur unsere Ziele anzuwenden.
In seinem Korreferat legte Heckert (Chemnitz) dar, dalz
nicht mehr das Programm der alten Partei und die Beschlusse der
Parteitagungen mafzgebend sein diirften, sondern dafz eine neue
Grundlage ftir die Arbeit gesucht werden miisse. Er richtete heftige
Angriffe gegen Kautsky, der an der Irrefiihrung der Mass en genau
so schuld sei, wie Scheidemann. Radek habe sohon vor dem Kriege
die Richtung gewiesen, in der sich das imperialistische Machtstreben
bewege. Der Imperialismus konne sich nicht friedlich entwickeln,
daher sei alles Gerede iiber Schiedsgerichte, Abriistung usw. uto«
pische Mache, mit der die Gehirne der Arbeiter verkleistert werden,
Besonders ausfuhriich verweilte der Redner bei seiner Auffassung
(iber die Land es vert eidigung. Jetzt komme es darauf an, das Ver-
trauen der Massen zu erringen, und zu diesem Zwecke miifzten nicht
nur die Sozialpatrioten, sondern auch die Sozialpazifisten bekampft
werden.
In der Diskussion wurde Heckert entgegengehalten, dafz man
Massenaktionen ohne Massen iiberhaupt nicht machen konne, und
dalz man nicht nach dem Gefiihl handeln durfe, sondern mit den
tatsachlichen Verhaltnissen rechnen musse. H a a s e fragte Heckert,
ob er nicht wisse, dalz Kautsky der erste war, der auf den Imperialis-
mus hingewiesen habe, und dalz Hilferding, von dem alle lernen,
sich heute noch auf ihn beziehe. Es gebe keine grolzere Torheit
10* 147
als auf Tag und Stirnde Aktionen an^tfkundigerL Wir wurden zu
leeren Formeln k6mmen f wenn wir nicht bei alien Erdgnissen die
jeweilige Ursache beriicksichtigen wollten. Kant sky stellte fest,
dafe er niemals von einer friedlichen Bntwicklung des Kapitalismus
gespr6chen habe. Die ganse Frage sei nicht eine Frage der okono
mischen Notwendigkeit, sondern eine Frage der Macht Die v£r~
einigten Staaten von Europa konnten nur verwirklicht werden durch
eine proletarische Revolution. Es ware verderblich, jetzt die Pa«
role fr Alles oder nichts" aus^ugeben. Ohne gewaltige soziale und
politische Umwalzungen wurden wir den Frieden nicht erlangen,
wir miifeten uns jetzt reif machen zu den grofeen Kampfen, die uns
fur die nachste Zukunft bevorstanden.
Damit waren die Verhandlungen der Konf erenz im wesent-
lichen beendet. Ge^en eine Stimme wurde ein Manifest
angenommen, das von K a u t s k y verfaizt war und folgenden Work
laut hatte:
Genossen und GenossinnenI
Das Sehnen vieler Tausender von KSmpfern in den Reihen des Prole-
tariats ist erfiillt Die auf dem Boden der Opposition stehenden Kreis-
vereine und Gruppen der Deutschen Sozialdemokratie haben sich Ostern
1917 in Gotha eine einheitliche Organisation geschaffen, um
ihre Kr&fte nicht zu verzetteln, sondern sie zu wuchtiger Beteiligung im
Dienste des proletarischen Befreiungskampfes zusammenzufasseiu
Dieser Kampf ist durch die Politik der Regierungssozia-
listen, des Parteivorstandes, der Generalkommission der Gewerk-
schaften und der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstags aufs
schwerste gesch&digt worden.
Schon vordemKriege waren in unserer Partei scharfe G e g e n-
satze aufgetaucht zwischen den Genossen, die an dem alten Charakter
der Sozialdemokratie festhielten, und neu auftretenden Elementen, die
dem Gedanken der internationalen Solidaritat der Proletarier national^
soziale Zwecke und die der Taktik unversShnlicher Opposition die Taktik
des Nationalliberalismus entgegenzusetzen suchten. Der Weltkrieg
hat diese^ Gegensfitze ungemein vertieft und die nationalsozialen und
nationalliberalen Bestrebungen in den offiziellen Vertretungen und Or-
ganen der deutschen Sozialdemokratie zur Herrschaft gebracht.
Als Lohn fur das Aufgeben der sozialdemokratischen Politik wurden
den Massen grolze materielle Errungenschaften in Aus-
sicht gestellt. Alle diese vorgegaukelten Hof fnungen enden in
grausamer Enttauschung.
Die neue Politik sollte wachsenden Einflulz der Sozialdemokratie auf
die Reichsregierung und damit Abkiirzung des Krieges bringen. Sie hat
in Wirklichkeit in der au&eren Politik nichts ge&ndert und die Ver-
schlechterung der inneren Politik nicht verhindert
Die neue Aera wird gekennzeichnet durch die ungeheuerlichsten
und ungerechtesten Steuerlasten, deren Druck am h&rtesten
die breiten Massen trifft? durch politische Beschrankungen
und Verfolgungen, unter denen die zielbewufzten Arbeiter und ihre
Vertretungen leiden.
Die elementarsten Rechte, das Recht auf Freizugigkeit und Freiheit der
Berufswahl haben die Regierungssozialisten unter Vorantritt der General-
kommission der Gewerkschaften selbst . preisgegeben, indem sie dem
Hilfsdienstgesetz ihre Zustimmung gaben und bei seiner Durch-
fuhrung ihre Untersttitzung gew&hrten,
148
Sie tauschten die Massen, als sie nach Einberufung" ihrer Vertrauens-
manner in das Regierungsamt den Glauben zu erwecken suchten, dalz
die Emahrung von da ab besser geregelt werden wiirde. Wie sie
sich in Wirklichkeit gestaltete, haben wir alle nur zu sehr am eigenen
Leibe erfahren.
Den Ruf nach dem allgemeinen Wahlrecht in Preufeen
beantwortete der Reichskanzler von Bethmann-Hollweg mit der Weige«
rung, irgend etwas zur Demokratisierung Deutschlands und insbesondere
Preu&ens vor Beendigung des Krieges zu tun.
Das ist der Lohn fur, die nicht mehr zu ubertreffende Dienstbeflissen-
heit des Parteivorstandes und der Generalkommission.
Das Proletariat kann aber nicht warten. Der Krieg
bringt rascheste Konzentration des Kapitals, rapides Schwinden des
Mittelstandes, ungeheure Vermehrung des Proletariats, das nach dem
Kriege einen Kampf gegen Teuerung und Arbeits-
losigkeit, gegen iibermachtige Unternehmerverbande und erdriickende
Steuerlasten aufs scharfste zu fiihren haben wird Einen Kampf, der
heute schon einsetzt
Es gilt sich zu wappnen fiir die grolzen KSmpfe der Z u «
k u n f t , es gilt Kraft zu gewinnen, urn der Not der Gegenwart zu steuern.
Das erheischt griindliche Umgestaltung des herrschenden Regierungs«
systems. Sache der Massen ist es, nicht nachzulassen, bis sie das
erreicht haben.
Der Volkswille muiz oberstes Gesetz werden.
Dringend geboten ist eine Amnestie fur alle aus politischen
Griinden Verhafteten und Verurteilten. Erforderlich ist die Auf«
hebung der Zensur, unbeschrankte Freiheit des Vereins- und
Versammlungsrechtes sowie der Presse, Sicherung des Koali-
tionsrechtes, Aufhebung aller Ausnahmegesetze, insbesondere
gegenuber den Landarbeitern, den Staatsarbeitern und dem Gesinde,
weitgehender Arbeiterschutz, namentlich Achtstundentag.
Unaufschiebbar ist ferner die Einfiihrung des allgemeinen,
g 1 e i c h e n , geheimen und direkten Wahlrechts aller Er-
wachsenen vom 20. Jahre an fur den Reichstag, die Parlamente der
Einzelstaaten, der Gemeindevertretungen und fiir die sonstigen Kdrper-
schaften der Selbstverwaltung.
Wir fordern das Wahlrecht fur die Frauen ebensowohl wie fur
die Manner. Der Krieg hat den Frauen die Hauptarbeit an der Pro-
duktion aufgebiirdet, die Not der Zeit zwingt jetzt die Frauen hinein
in die Vorderreihen des politischen Kampfes, in den Kampf um Schutz-
bestimmungen, aber auch um politische Rechte und um die Neugestaltung
von Staat und Gesellschaft. Die Frauen des Proletariats, der en Herzen
als Gattinnen und Mutter von dem Massenelend doppelt zerrissen werden,
die sozialistischen Frauen sind es denn auch, die das Gebot der Zeit
untxuglich erkennend, sich mit Leidenschaft hineinstiirzen in den Kampf
fiir Recht, fiir Freiheit, fiir Brot und fiir den Frieden.
Fiir Frauen und Manner in gleicher Weise gilt heute mehr als je der
Satz, daiz die Befreiung derArbeiterklasse nur durch
die Ar beiterklasse selbst errungen werden kann.
Genossinen und Genossen, ans WerkI Ihr habt grolze Aufgaben zu
erfiillenl
Die oppositionellen Abgeordneten in den Parlamenten,
namentlich die der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft im Reichs-
tag, haben zunachst innerhalb ihrer ^Fraktion, dann offentlich im Parla-
ment selbst eine selbstandige sozialdemokratische Politik getrieben.
149
Wenn audi viele Berichte uber ihre Tatigkeit nur verstiimmelt und
entstellt in die Oejffentlichkeit gekommen sind, so werdet ihr doch ge-
fiihlt haben, dalz hier der a 1 1 e Geist lebt, auf den ihr stolz wart,
dei Geist des internationalen Sozialismus, der aliein eure Befreiung von
den Fesseln der wirtschaftlichen Ausbeutung und der politischen Unter-
driickung bringen kann.
Eure oppositionellen Abgeordneten werden nach wie vor ihre sozial*
demokratische Pflicht tun. Aber nur dann, wenn sie sich auf die
sozialdemokratischen Massen stixtzen konnen, vermogen
sie ihre voile Kraft zu entfalten. Gegeniiber den Erschwerungen des
Belagerungszustandes miiizt ihr eure Kraft verdoppeln.
Von den Regierungssozialisten ist nichts Durchgreifendes zu erwarten.
Wahrend heute in R u iz 1 a n d selbst sich das Burgertum fur die demo«
kratische Republik erklart, hat der „Vorwarts", das Organ des Parte!"
vorstandes, diesen Zeitpunkt fur den geeigneten erachtet, einBekennt-
nis zur Monarchic abzulegen.
Nicht Starkung und Anfeuerung des Proletariats, sondern Schw&chung
seiner Akticnskraft und Minderung seines Einflusses miissen die Folgen
dieser Politik sein, die von Miizerfolg zu Miizerfolg schreitet.
Demgegenuber haben jetzt dieArbeiterRuIzlands einleuch*
tendes Beispiel der entgegengesetzten Politik gegeben.
Die sozialistischen Arbeiter Ruizlands, die Trager der gewaltigsten Re«
volution Ru&lands, haben, durchdrungen von ihrer gro&en geschicmN
lichen Aufgabe, selbstandige sozialistische und demo«
kratische Politik getrieben. Ihnen danken wir es, dalz das st&rkste
Bollwerk der Reaktion, der Zarismus, zusammengebrochen ist. Jedem
von uns mufz ihr machtvolles Auftreten stolze Zuversicht einfldfzen. Wir
bringen ihnen unsere begeisterte Huldigung dar.
Die Proletarier Ruizlands haben fur die Demokratie gekampft,
fiir die Eroffnung der Bahn zum Sozialismus, aber auch
fur den Frieden, fiir die baldige Beendigung des furchtbarsten aller
Kriege durch einen Friedensschlulz auf der Grundlage unserer gemein*
samen sozialdemokratischen Grundsatze.
Kein Zweifel, die Arbeiter Ruizlands werden auch in dieser Hinsicht
ihre Pflicht erfiillen. Aber der Erfolg ihrer Friedensarbeit hangt nicht
von ihnen aliein ab. Er hat zur Vorbedingung das Zusammen-
wirken der Arbeiter aller Lander in gleichem Sinne, das
erneute Aufleben der Internationale und die Betatigung der Arbeiter in
ihrem Rahmen.
Fiir die oppositionellen Sozialdemokraten Deutschlands ist die Ver«
standigung iiber den Frieden mit den Sozialdemokraten der anderen
Nationen Tceine uniiberwindliche Schwierigkeit. Das bezeugen die Konfe~
renzen von Zimmerwald und Kienthal, auf denen Vertreter der
deutschen Opposition mit franzosischen und russischen Sozialdemokraten
zusammengewirkt haben.
Wir konnen uns nicht damit zufriedenstellen, wie der Parteivorstand
und seine Richtung, dalz die Regierung ihre Friedensbereitschaft kund
gibt r dabei aber die Bedingungen nicht nennt, unter denen sie bereit ist,
Frieden zu schliefzen. — Wir verlangen einen Frieden durch Ver-
standigung der Volker, ohne direkte oder versteckte Annexionen,
auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Nationen mit internationaler
Beschrankung der Riistungen und obligatorischen Schiedsgerichten. Wir
sehen in diesen Einrichtungen nicht Zaubermittel, den ewigen Frieden
zu sichern, wohl aber die kraftigsten Stiitzpunkte fiir den proletarischen
Kampf um Erhaltung des Friedens, unsere wichtigste Aufgabe nach dem
Kriege. Nicht auf die Regierungen bauen wir, weder in bezug auf
150
Herbeifiihrung noch auf Erhaltung des Friedens. Auch hier vertraueti
wir bios auf die Kraft des Proletariats, das am starksten ist
in seiner internationalen Zusammenfassung.
Der nationalen Solidaritat der Klassen setzen wir entgegen die inter-
nationale Solidaritat des Proletariats, deri internatio-
nalen Kampf der Arbeiterklasse.
Im Sinne dieser Grundsatze haben wir den Kampf weiterzufixhren.
Ohne Ruhe, ohne Rast miissen wir der Verscharfung der Verfolgung-en
die Verdoppelung unserer Anstrengungen entgegensetzeny bis unser Ziel
erreicht ist
Brot und Wissen fur allef
Prieden und Freiheit alien Vdlkernf
Der Grundungsparteitag der UnabMngigen Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands hat keinen Ausgleich der GegensStze innerhalb
der Opposition herbeigeRihrt, aber er hat doch Klarheit dariiber
geschaffen, welche Aufgaben sofort zn erfullen waxen. Die Opposition
gegen die Kriegspolitik der alten Parteimehrheit hatte einen gesicher-
ten Boden bekommeru Das Proletariat fand eine StMtte, an der es
sich fur seine revolutionaren Aufgaben sammeln und schulen konnte.
Nunmehr erst war es moglich, frei von den bisherigen organisato-
rischen Hemmungen die Auffassungen zxi vertreten, die sich aus der
Entwicklung der Verhaltnisse ergaben. Wenn auch die neue Parte!
zahlenmafeig noch in den Anf&ngen steckte, so bildete sie doch den
Kern fur die Bewegung, die das Proletariat wieder ^uf den Boden des
Klassenkampfes und der sozialen Revolution aurUck^uluhren hatte.
151
<SJ»S?)©B^)<3ei ^><S&H5XS2iiB«%@i
Der Kampf um den Frieden.
Die Zeit der Sammlung und des Zusammenschlusses. — Der Raub der
„Gleichheit" und der „Neuen Zeit". — Die Osterbotschaft Wilhelm II. —
Vergebiiche Friedensbestrebungen der Russen. — Das Manifest der
ULS. P. D. fur die Stockholmer Konferenz. — Die Friihjahrsstreikbewegung.
— - Die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917. — Sturz Bethmann HoLU
' wegs. — Gliick und Ende von Dr. Michaelis.
Uns ist nicht die Aufgabe gestellt, eine Geschichte (iber Krieg und
Frieden zu schreiben; wir haben jetzt nur noch notig, nachdem wir
die Ursachen fur die Spaltung der alten Partei und fur das Ent«
stehen der Unabhangigen Sozialdemokratie aufgezeigt haben y die
Bntwicklung der neuen Organisation der deutschen Arbeiter-
klasse und ihren Anteil an den weiteren Ereighissen der Kriegs- und
Nachkriegsjahre darzustelien. Wir miissen uns dabei auf das aufzerste
M&Iz beschranken, damit nicht die Fiille der Ereignisse den uns
festeckten Rahmen sprenge. Die Aufgabe, alle Binzelheiten dieser
eit zu schildern, mulz spaterer Geschichtsforschung Ciberlassen
bleiberu
Die deutsche Kriegspolitik war schon zusarmnengebrochen, kaurn
dalz sie begonnen hatte. Der Beginn ihres endgiiltlgen Bankerotts
datiert vom Friihjahr 1917, und der versoharfte iT-Bootkrieg war nur
ein letzter verzweifeiter Versuch r den Zusammenbruch noch einige
Zeit hinauszuschieben. Auch die russische Revolution, die die
deutsche Ostfront zu erleichtern versprach, konnte der deutschen
Kriegfuhrung keine Rettung mehr bringen. Es ist des'halb kein
Zufall, dalz das Jahr 1917 mit dem Kampf um den Frieden ausgefullt
ist, an dem schliefzlich auch solche Politiker teilnehmen muizten, die
zweieinhalb Jahre lang an den Sieg der deutschen Waffen geglaubt
hatten. Wir erleben die Zeit der Auflosung der inneren
Front, der der Zusammenbruch der auizeren Front im nachsten
Jahre folgen mulzte.
Die folgenden Monate standen fiir die Unabhangige Sozialde-mo-
kratie im Zeichen der Sammlung und des Zusammenschlusses. Am
13. April erliefz die Zentralleitung der U. S.P.D. folgenden Aufruf:
^Genossen! GenossinenI
Die Opposition innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
hat sich Ostern 1917 in Gotha zu einer einheitlichen Organisation zu«
sammengeschlossen unter dem Namen: Unabhangige Sozial*
demokratiscbe Partei Deutschlands. Unabhangig gegen«
152
uber der Regierungspolitik, unabhangig gegeniiber den Bestrebungen der
biirgerlichen Parteien, unabhangig gegenuber den Regierungssozialisten
wird die neugeschaffene Organisation zielbewuizt eine selbstandige
sozialdemokratische Politik treiben.
In einer Zeit der tiefsten wirtschaftlichen, politischen und gesellschaft*
lichen Umwalzungen wird sie die Massen des deutschen Proletariats
sammeln im Geiste der Internationale zur Beschleunigung des Friedens.
Es gilt, die Volksmassen zuruckzuftihren auf den W eg. den
tms Marx, Engels und Lassalle gewiesen, auf dem uns August Bebei,
Wilhelm Liebknecht und Paul Singer jahrzehntelarg ruhnw und siegreich
gefuhrt haben. Ihr Werk mit Hingebung und Tatkraft nicht nur fortzu-
fuhxen, sondern auch fortzubilden zur Verwirklichung der Demokratie und
des Sozialismus, zur endgiiltigen Befreiung der Menschheit von Kriegs«
schrecken und Kriegsgreuel — das ist unsere Aufgabe.
In dem erhebenden Bewufctsein, dalz in Gotha die alteSozial*
demokratie neu erstanden ist, werden Hunderttausende be*
geistert den unabhangigen Organisationen zustrdmen, die schon bestehen
oder jetzt in alien Kreisen zur Bildung gelangen werden.
Alle, die den Glauben an die Sozialdemokratie verloren haben, als sie
voll Schmerz sahen, wie die Partei die alten Grundsatze preisgab und
zu einer nationalsozialen Regierungspartei wurde, werden mit Hoffnungs-
freudigkeit und Zuversicht Mitglieder der neuen Organisation werden,
urn den Kampf fur das aufzunehmen und weiterzufiihren, wofiir sie fruher
ihre besten Krafte eingesetzt, wofur sie gelebt haben — fur die
hehren Ziele des Sozialismus.
Genossen und Genossinnen! Wir, die Unterzeichneten, sind von der
Konferenz in Gotha mit der Leitung der Unabhangigen Sozialdemo-
kratischen Partei Deutschlands betraut worden. In dieser schicksals*
schweren Zeit, in der wir unser verantwortungsvolles Amt ubernehmen,
konnen wir es nur dann mit Erfolg ausuben, wenn wir der freudigen,
entschlossenen zahen Mitarbeit der Genossen und Genossinnen sicher sind.
Werbt Anhanger fiir unsere Sache in unablassiger ArbeitI Griindet
Organisationen fur die Verbreitung und Durchiuhrung unserer Grund-
satze in jedem Wahlkreise, in dem sie noch nicht bestehen, und baut
die bestehenden mit Eifer aus! Schwierigkeiten, die sich hie und da
euch entgegenstellen, werdet ihr unerschrocken uberwindenr Wir sind
iiberzeugt: wir appellieren nicht vergeblich an den Mut und die Ausdauer
der erprobten Kampfer fiir die Wiedergeburt der deutschen Sozial*
demokratie.
Auf dem Frauentage, der in der Zeit vom 5. bis 12. Mai statt*
findet, werden die Frauen die Forderung erheben fiir ihre Gleichberechti«
gung, fiir ihren und ihrer Kinder Schutz, fiir die Beendigung des entsetz*
Echen Kriegsgemetzelsl
Genossen und Genossinnenf "Wir wissen es: wir appellieren auch nicht
vergeblich an eure oft bewahrte OpferwilligkeitI Trage jeder
nach seiner Leistungsfahigkeit dazu bei, dalz wir nicht aus Mangel an
Mitteln einen Teil der gewaltigen Auf gab en, die uns gestellt sind,
unerfiillt lassen miissen. Die regelmalzige Beitragsleistung geniigt nicht.
Sorgt fiir die Aufbringung aufzerordentlicher Mittel durch Marken, Bons,
Sammellisten.
Ihr wilzt, dalz die gesammelten Gelder nicht, wie es in den letzten
Jahren seitens der Regierungssozialisten geschehen, dazu verwendet
werden, um eine euch schadliche Politik zu treiben, sondem in eurem
Interesse zur Forderung einer unabhangigen und selbstandigen sozia-
listischen PolitikI
153
Genossen und GenossinnenI Das Eisen giuht, frisch ans Werk, es zu
Schmieden.
Berlin, den 12. April 1917.
Die Zentralleitung der Unabhangigfen Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands.
Das Zentralkomitee:
Wilhelm Dittmanrv Hugo Haase, Adolf Hofer, Gustav Laukant^ Georg
Ledebour, Robert Wengels, Luise Zietz.
Der Beirats
Rob. Dissmann, Frankhirt a. M.; Paxil Dittmann, Hamburg? Hermann
Fleissner, Dresden; Willi Grixtz, Remscheid; Alfred Henke, Bremen;
Sepp Oerter, Braunschweig; Fritz Schnellbacher, Hanau.
Trotz der BeschrMnkungen der Kriegszeit entwickelten sich die
Organisationen recht giinstig. Ein Vierteljahr spater konnte be-
richtet werden, dalz 62 wahlkreisvereine geschlossen oder mit
grofzer Mehrheit aus der alten in die neue Organisation libergetreten
waren. Darunter befanden sich ganze Bezirke, wie Berlin, Leipzig,.
Halle, und Wahlkreise aus den starksten Industriegebieten r z.B.
Essen, Niederrhein, Frankfurt a. M. In 19 Wahlkreisen wurden neue
Organisationen mit gutem Erfolg und steter Weiterentwicklung
gegrtindet Ferner bestanden 4© Ortsvereine und Gruppeb, die zum
Teil libergetreten oder neu ins Leben gerufen waren,
Inzwischen war auch der Parteivorstand der alten Partei nicht
miilzig gewesen, um auch noch die letzten Reste der Opposition aus
seinen Reihen zu entfemen. Mitte Mai enthob er Klara Zetkin
ihrer Redaktionstatigkeit an der „G 1 e i c h h e i f\ Dieser Zsitungs-
raub stellte einen viel schlimmeren Gewalfcakt dar, als es sohon der
„Vorwarts"-Raub gewesen war. Die „Gleichheit" war von Klara
Zetkin gegnindet und jahrzehntelang von ihr geleitet worden. Sie
war kein eigentliches Parteiorgan in dem iiblichen Sinne, sondern
in der Zeitschrift steckte das individuelle Le^enswerk einer einzelnen
Frau, „sie war ihr geistiges Eigentum, der Inbegriff, die Verkorpe-
rung einer Jahrzehnte hindurch miihselig und bedeutsam geleisteten
Arbeit", wie die „Leipziger Volkszeitung" damals zutreffend schrieb.
Das alles gab dem Parteivorstand zu Bedenken keinerlei Anlaiz, und
es fanden sich auch zwei Leute, Heinrich Schulz und Marie Juchacz,
die das Henkerwerk an dem Lebenswerk Klara Zetkins vollbrachten.
Einen notdlirftigen Ersatz fur die „Gleichheit" schuf die Unabhangige
Sozialdemokratie, indem sie eine Frauenbeilage der „Leipziger
Volkszeitung" herausgab, deren Leitung Klara Zetkin iibertragen
wurde. Klara Zetkin hat das in sie gesetzte Vertrauen freilich iibel
gelohnt. In einer auf dem Kongrefz der Moskauer Internationale im
Jahre 1Q21 abgegebenen Erklarung behauptete sie, sie habe sich als
Redakteurin der Frauenbeilage der „Leipziger Volkszeitung" als auf
einem vorgeschobenen Posten in Feindesland betrachtet, in der Er-
wartung, der Vorstand der U.S. P. D. werde die gleiche politische
Dummheit begehen wie der Vorstand der S. P. D. mit der „Gleich«
heit" und sie malzregeln. Sie wiirde dann ihren Austritt aus der
U. S. P. D. erklart und einen Teil ihrer Gesinnungsgenossen in den
154
Spartakusbund hiniibergezogen haben. Diese nachtragliche Erklarung
hat die Sympathien sicherlich nicht vermehrfc, die man bisher fur
Klara Zetkin hegen mochte.
Einen noch schamloseren Diebstahl an geistigem Eigentum beging
der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei, als er im Herbst 1917
Karl K a u t s k y die „N e u e Z e i t" raubte. Die wissenschaftliche
Zeitschrift der deutschen Sozialdemokratie war noch weniger ein
Organ der Partei als die „Gleichheit". Die „Neue Zeit" war das
geistige Eigentum, war das grolzte Stuck der Lebensarbeit von Karl
Kautsky. Der Parteivorstand hatte also nicht das mindeste moralische
Recht, iiber die Zeitschrift zu verfiigen, noch viel weniger seinen Her-
ausg^eber aus der Redaktion zu drMngen. In einem Abschiedswort
schrieb Kautsky dariiher:
Die „Neue Zeit" wurde nicht von der Parte! gegrundet.
Den Plan zu dieser Zeitschrift fafcte ich im Sommer 1882. Sie sollte dem
Marasmus dienen, seiner Verfechtung, Anwendung, Weiterentwicklung.
Ich gewann Bebel und Liebknecht fiir die Idee, sowie Dietz 7 der das Wag-
nis unternahm, inmitten des wildesten Tobens des Sozialistengesetzes mit
den damals noch sehr schwachen Kraften seines jungen Verlages eine
wissenschaftliche Zeitschrift herauszugeben, deren Redakteur nur in engem
Parteikreise bekannt war, und in der eine Methcde und Weltanschauung
vertreten werden sollte, die erst sehr wenig begriffen wurde, und die sich
ihre allgemeine Anerkennung erst zu ercbern hatte.
Es kostete uns grofee Miihe, erheischte schwere Opfer von uns, unter
diesen widrigen Umstanden uns zu behaupten, , durchzuhalten", bis wir
soweit kamen, die besten Kopfe des internationalen Sozialismus zu unsern
Mitarbeitern zu zahlen.
Was die „Neue Zeit" geleistet, daruber zu berichten oder ein Urteil zu
fallen, steht mir natixrlich nicht zu. Fur den jetzigen Moment bemer-
kenswert ist nur eines: die „Neue Zeit" war von ihrem Beginn an Partei-
organ insofern, als Verleger und Redakteur wie die Mitarbeiter Partei-
genossen waren, mit ganzer Kraft der Partei dienten und so auch die
„Neue Zeit" selbst dem Parteiinteresse dienstbar machten. Aber dabei
war die „Neue Zeit" Parteiorgan insof em, als sie von k e i n e r Partei-
instanz abhangig war, keine fiir sie irgend eine Verantwortung
trug, keine sie okonomisch oder sonstwie unterstiitzte. . . .
Freiligrath schrieb 1849, zur Zeit des unaufhaltsamen Niederganges der
Revolution, die in ihren entscheidenden Zentren iiberall besiegt war.
Heute dagegen gehen die politischen Kampfe nicht einem Zustand der
Apathie una Erstarrung, sondern aulzerster Verscharfung entgegen. Was
Freiligrath damals rief, ich darf es mit noch grofzerer Zuversicht den bis-
herigen Lesern der „Neuen Zeit" zurufen:
Nun ade — doch nicht fiir immer Adel
Derm sie toten den Geist nicht, ihr Bruderl
So alt ich bin, ich gedenke noch die Zeit zu erleben, in der die Sache
siegt, der die „Neue Zeit" 35 Jahre lang treu gedient hat. Und ich hoffe,
es wird mir beschieden sein, dazu noch mein Scherflein Arbeit beitragen
zu k6nnen.
Wenn wir wieder zum Friihjahr dieses Jahres zuruckkehren, so
haben wir einen Augenblick bei der Osterkundgebung W i 1 -
h e 1 m II. zu verweilen, die endlich die „Neuorientierung" einleiten
sollte. Es wurden darin eine Reihe sehr schoner Dinge versprochen,
155
aber bald stellte es sich heraus f dafe dieses Osterei uberfaul
war. Die Umbildung des preuizischen Landtags sollte kommen, fur das.
Klassenwahlrecht in Preulzen sei kein Raum mehr, wurde in dem
Erlalz erklart, die Abgeordneten sollten durch unmittelbare und
geheime W&hl bestimmt, dem Herrenbaus durch Vertreter des Volkes
neues Blut zugefiihrt werden. Von diesen Versprechungen ist nichts
in Erfullung gegangen. Viele Monate lang ist zwar in Preulzen urn
die Reform des Landtags geschachert worden, aber die Junker und
die Scbwerindustriellen wollten hochstens ein Pluralstimmrecht zu-
gestehen, das ihre Macht unberuhrt lielz. Erst die November-
revolution des nachsten Jahres hat mit dem elendesten aller Wahl-
systeme endgiiltig aufgeraumt. Die deutsche Bourgeoisie, dumm und
kurzsichtig wie sie nun einmal in politischen Angelegenheiten ist f
hat in der Frage de$ preuizischen Wahlrechts mit besonderer Deut-
lichkeit gezeigt, dafe sie lieber das ganze „Vaterland" in Triimmer
gehen laizt, als zur rechten Zeit auch nur auf einen Teil ihrer Privi-
legien zu verzichten.
Als nicht minder kurzsiohtkf erwies sich auch die Bourgeoisie in
R u lz 1 a n d. Die Revolution hatte zwar das zaristische Regime zer-
brochen, aber an seine Stelle waren die Vertreter der kapitalistischen
Klassen getreten, die bisher schon die hemmungslosen Bestrebungen
des russischen Imperialisms gefordert hatten und nunmehr glaubten,
mit vermehrter T&tkraft ihre Absichten verwirkliehen zu konnen. , Sie
mulzten den kriegsmiiden Massen Friede und Land versprechen,
beides aber konnten sie ihnen nicht geben, wenn sie sich nicht als
Klasse selbst aufgeben wollten. Die russische Revolution blieb daher
an dem bisher erreichten Punkte nicht stehen; da aber die als Klasse
noch nicht organisierten Kleinhauern ihre Geschafte nicht selbst
besorgen konnten, so mulzten schlielzlich die Bolschewiki, die
allein den negativen Mut aufbrachten, vor dem deutschen Imperialis-
mus zu kapitulieren, die Erbschaft der russischen Bourgeoisie
antreten.
An der Behandlung der Friedensfrage konnte man besonders
deutlich die weitere Entwicklung der russischen Revolution studieren.
Der Aufzenminister des ersten blirgerlichen Kabinetts Rufzlands,
Miljukow, veroffentlichte am 10. April eine Erklarung, worin auf die
en^e Gemeinschaft mit den Alliierten hingewiesen und gesagt wurde,
dafe das russische Volk „einen dauerbaften Frieden auf Grund des
Rechts der Volker, ihr Schicksal selbst zu bestimmen", herbeifiihren
wolle. Das Vaterland sei in Gefahr, alle Krafte mulzten angespannt
werden, urn es zu retten. Das Hauptgewicht legte diese Erklarung
also auf die Gemeinschaft mit den Alliierten, der Gedanke eines
Sonderfriedens mit den Mittelmachten wurde damals noch nicht
erortert. Viel entschiedener war die Erklarung, die der Kongrefz der
Arbeiter- und Soldatenrate in Petersburg Ende Juni veroffentlichte,
Hier wurde als die wichtigste Aufgabe der revolutionSren Demokratie
der Kampf fur die schnellste Beendigung des Krieges bezeichnet
Es solle zwar kein Sonderfriede geschlossen werden, aber man musse
sofort Abordnungen in die alliierten und neutralen LSnder schicken
und alle sozialistischen Parteien dieser Lander nach Rufzland ein-
laden, damit die Friedensfrage endlich gelost werde. Die deutsche
15B
Regierung hat es nicht verstanden, die durch die russische Revolution
geschaffene Situation dazu auszunutzen, um eine Verstandigung iiber
den Frieden herbeizufiihreru Sie erklarte ganz kiihl, dalz sie tiber
ihre Kriegsziele nichts zu sagen und keine neuen Erklarungen ab~
zugeben habe. Die deutsohe Regierung werde sich auch nicht dazu
drangen lassen, sich fur einen Frieden ohne Annexionen und Kriegs-
entschadigung auszusprechen. Das konnte von der ganzen Welt nur
so aufgefafet werden, dafz die deutsche Regierung auch kunftighin
den Krieg mit dem Ziele fiihren wolle, Deutschland die Beherrschung
der iibrigen Welt zu siohern.
Eine Forderung der von der russischen Revolution ausstrahlenden
Friedenstestrebungen konnte man sich von der internatio«
nalen sozialistischen Konferenz versprechen, die auf
den Sommer 1917 nach Stockholm einberufen worden war. Die
Initiative dazu war von den hollandischen Mitgliedern der alten Inter-
nationale ausgegangen. Es sollten daran alle sozialistischen Parteien
der kriegfiihrenden wie der neutralen Lander teilnehmen. Zuerst
schien es zweifelhaft, ob die alliierten Sozialisten sich an diesen
Besprechungen beteiligen wiirden. Nachdem aber von der russischen
Revolution ein neuer Impuls fiir die Ziele der Konferenz ausgegsangen
war, konnten auch sie sich ihr nicht entziehen. Die Schwierigkeiten
der Kriegszeit haben die Durchfiihrung des Planes verhindert, eine
gemeinschaftliche Besprechung der sozialistischen Vertretungen aller
L&nder ist nicht zustande gekommen. Das eine aber wurde erreicht,
dalz die Parteien ihre Auffassungen zu Protokoll gaben, und dafz man
daraus ein Gesamtbild uber ihre Kriegspolitik gewinnen konnte. Die
Soziialdemokratische Partei lielz durch Eduard David in
Stockholm einen mehrstundigen Vortrag halten, der dann als
Broschiire verbreitet worden ist Ihr Inhalt wird dadurch gekenn-
zeichnet, dalz es sich auch die deutsche Kriegsfuhrung nicht nehmen
liefz, sie in Massenauflagen unter den Soldaten zu verteilen.^ David
wiederholte in seinem Vortrag alle die Griinde 7 die die rechtssozia-
listischen Parteifuhrer unzShligemal fiir die Bewilligung der Kriegs-
kredite angefuhrt hatten; ihm war noch immer der Krieg ein Mittel,
um das deutsche Vaterland vor den Anschlagen der Feinde zu retteru
Die deutsche Delegation der Unabhangigen Sozialdemo-
kratie fafzte ihren Standpunkt fiir die Stockholmer Konferenz in
einem Manifest zusammen, das wHhrend des Krieges nur einmal
durch Hugo Haase von der Tribune des Reichstags aus verlesen
wurde, sonst aber nicht ver5ffentlicht werden konnte. Es moge
desh&lb hier seinen Platz finden:
Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht in
ihrer Friedenspolitik wie in ihrer gesamten Politik aus von den G e «
sarntint er essen des int ernationalen Proletariats und
dersozialen Entwicklung.
Diese Interessen erheischen den sofortigen Frieden. Wir for-
dem beim Friedensschlufz ein Internationales Uebereinkojjimen iiber
allgemeine Abrtistung. Dies ist das wichtigste Mittel, den ge~
schwachten Volkskdrper tiberall wieder zu starkeiydem niedergetretenen
Skonomischen LeBen der V6lker in absehbarer Zeit wieder zum Auf-
schwung zu verhelfen. Nur so kann die Herrschaft des Militarismus
167
g e b r o c h e n , konnen die Beziehungen der Volker zuein&nder fur die
Dauer friedlicK gestaltet werden.
Wir f ordern die vollste Freiheit des international eh
Handels und Verkehrs sowie die unbeschrankte inter-
nationale Freiziigigkeit zur Entf altung der Produktivkrafte
der Welt und zur Annaherung und Verbindung der Volker.
Wir verwerfen die wirtschaftliche Absonderung oder gar den Wirt-
schaftskampf der Staaten. Zur Schlichtung aller Streitigkeiten zwischen
den einzelnen Staaten 1st das Internationale Schiedsgericht
obligatorisch zu machen.
Wir fordern internationale Vertrage zum Schutz der Arbeiter
vor Ausbeutung, insbesondere zum Schutz der Kinder und Frauen, gemafz
den Grundsatzen der internationalen Sozialdemokratie. Mit der gewaltig
gesteigerten Verwertung der Frauenkraft im gesellschaftlichen Pro-
duktionsprozelz ist die Zuerkennung voller politischer Rechte
an die Frauen eine soziale Notwendigkeit geworden. Unerlalzlich ist
die Anerkennung der Gleichberechtigung fur alle E i n -
wohner eines Staates, ohne Rvicksicht auf Staatszugehorigkeit, Sprache,
Rasse, Religion. Das schliefzt ein den Schutz der nationalen
Minderheiten zur Betatigung ihres nationalen Lebens.
Die nationale wie die soziale Befreiung der V61ker
kann nicht das Werk eines Krieges der Regierungen, sondern nur das
Werk der Demokratie sein, fiir deren voile Durchfuhrung die Volker
unablassig den nachdriicklichsten Kampf zu fiihren haben. Die lleber-
wachung der auswartigen Politik der Regierungen durch die
Demokratie eines jeden Staates wird zur Verhiitung aggressiver Schritte
fiihren. Die Geheimyertrage sind abzuschaffen. Alle Staatsver-
trage sind fortan von der Zustimmung der Volksvertretungen abhangig
zu machen.
Die Aera groizer innerer llmwalzungen, vor der wir stehen,
wird die Losung der vielen Probleme zeitigen r die der Krieg aufgeworfen
oder verscharft hat. Diese Fragen sollen aber nicht durch Krieg und
Kriegsgliick entschieden werden. Das Uebel des Weltkrieges ist viel
groizer als die Uebel, die er nach der Meinung der Kriegspolitiker
heilen soil.
Ohne die Staatsgrenzen, die das Ergebnis von Eroberungen sind
und vielfach im Widerspruch zu den Bediirfnissen der Volker stehen 7 als
unantastbar zu betrachten, lehnen wir den Krieg iiberhaupt und also auch
seine Verl&ngerung als Mittel zur Regelung der Staatsgrenzen ab.
Grenzanderungen miissen an die Zustimmung der davon betroffenen Be-
volkerung gebunden werden r diirfen nicht aufgezwungene Gewaltakte
sein.
Jeden Versuch, irgend ein Volk in irgend einer Form zu vergewaltigen,
weisen wir mit aller Entschiedenheit zuriick.
Seit Beginn des Krieges fordern wir konsequent einen F r i e d e n
ohne Annexionen und Kontributionen auf Grund des
Selbstbestimmungsrechts der Volker. Unvereinbar mit
den sozialdemokratischen Grundsatzen ist jene Auffassung, die, aus
militarischem Denken und nationalistischer Machtpolitik entsprungen, die
Stellung zu einem Problem von der jeweiligen Kriegslage abhangig
raacht und deshalb in den verschiedenen Stadien des Krieges zu einer
verschiedenen Beurteilung einer und derselben Frage gelangt.
Unsere Aufgabe ist es nicht, fiir alle Einzelfragen, die beim Friedens«
schlufz eine Rolle spielen werden, hier ein Programm aufzustellen.
Ueber die Fragen jedoch 7 die im Mittelpunkt der Erorterungen stehen,
erklaren wir schon heute folgendes:
158
Die Wiederherstellung Serbians als eines selbstan-
dig en und unabhangigenStaates istein unbedingtes Erf order-
nis. Wir verkennen nicht,, dafz der Drang der Serben nach yereinigimg
in einem Nationalstaat wohl begriindet ist. Die Bildung eines solchen
Staates und eine Zusammenfassung mit den iibrigen Balkanstaaten zu
einer republikanischen Balkanfoderation sind das sicherste Mittel, dauernd
befriedigende Zustande auf dem Balkan zu schaffen, Intervention en des
Auslandes auszuschlielzen und die Crientfr8ge als Kriegsursache zu be«
seitigen. Dieses Ziel durch den Krieg zu verfolgen, bedeutet aber nur
dessen nutzlose Verlangerung.
Wir verstehen das tiefe Sehnen des polnischen Volkes nach
nationaler Vereinigung. Der Standpunkt, das Recht der P o 1 e n auf
national e Selbstandigkeit durch die Kriegslage zu bestimmen,
dieses Recht den Polen in Russisch-Polen zuzubilligen, dagegen fur
Preufzisch- und Gesterreichisch-Polen zu leugnen, ist im Widerspruch zu
dem Selbstbestimmungsrecht Wir lehnen aber auch hier die Fortfuhrung
des Krieges als Mittel zur Durchsetzung dieses Rechts ab.
In gleicher Weise verwerfen wir dieses Mittel zur Losung der E 1 s a lz«
Lothringischen F rage und befinden uns dabei in Ueberein-
stimmung mit Engels und Jaures. Die Verlangerung des Krieges um
Elsaiz~Lothringens willen bedeutet heute, dalz die ganze Welt, Elsafz-
Lothringen einbegriffen, wegen der Streitfrage des nationalen Bedurfnisses
dieser Bevolkerung verwixstet, und dalz mehr Menschen auf den Schlacht-
feldern vernichtet werden, als Elsalz~Lothringen Einwohner zahlt.
Aber wie Engels 1892, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Frank*
furter Frieden, so konnen wir uns heute erst recht nicht der Erkenntnis
verschliefzen, dalz die elsalz«lothringische Bevolkerung, die 1871 gegen
ihren Willen annektiert wurde, solange nicht zur Ruhe kommen wird,
bis ihr die Gelegenheit gegeben ist 7 sich in direkter, unbeeinflulzter Ab-
stimmung uber Sire StaatsangehSrigkeit selbst zu aufzern.
Wird die Abstimmung in voller Freiheit in Ruhe, vielleicht nach einer
im Friedensvertrag festzusetzenden Zeit vollzogen und ihr Ergebnis von
vornherein als bestimmend flir die endgiiltige Regelung der Streit-
frage anerkannt, dann wird der unheilvolle Gegensatz begrahen, der
Deutschland und Frankreich fast schon ein halbes Jahrhundert trennt,
den Militarismus hiiben und driiben f6rdert r heide Staaten okonomisch
schwer belastet und der Demokratie groize Hemmnisse in den Weg legt.
Ein schwerer Alp ware von ganz Europa, nicht zum mindesten von
Deutschland selbst gewalzt; das deutsche Volk wiirde okonomisch, poli«
tisch und moralisch dabei weit mehr gewinnen, als es verlieren konnte,
selbst wenn die Entscheidung anders ausfiele, als es sie voraussetzt.
Die voile IXnabhangigkeit und Selbstandigkeit Bel-
g i e n s ist unabweisbar. In Erfullung des feierlichen Versprechens, das
die deutsche Regierung bei Kriegsbeginn gegeben hat, sind dem belgischen
Volke auch die durch den Krieg verursachten SchMden,
insbesondere die weggenommenen wirtschaftlichen Werte r zu ersetzen.
Ein derartiger Ersatz hat nichts zu tun mit jener Art von Kriegsent-
schadigungen, die eine Plimderung des Besiegten durch den Sieger be«
deuten und die wir deshalb verworfen.
Als Gegner jeder Eroberungspolitik und Fremdherrschaft lehnen wir
auch nach wie vor die Politik kolonialer Eroberungen ab.
Der Besitz einer jeden Kolonie ohne Selbstverwaltung der eingeborenen
Bevolkerung ist nichts anderes, als der Besitz unfreier Menschen, und
ebenso wie die Sklaverei unvereinbar mit unseren Grundsatzen. Weder
bei der Erwerbung noch bei dem Besitzwechsel von Kolonien wird in
159
Wahrheit das SelBstbestimmtmgsrecht der Einwohner respektiert t)er
Besitz von Kolonien ist iiberdies fur die industrielle Entwicklung nicht
erforderlich. Also weder Griinde des Rechts noch das okoriomische
Interesse der arbeitenden Klassen, sondern allein politische Einsicht er«
fordern es, dalz auf kolonialem Gebiet durch den Friedensvertrag nicht
Verschiebungen vorgenommen warden, die einen neuen Kriegsgnmd
bilden konnten.
Der Friedensvertrag wird nur gesichert sein, wenn eine inters
nationale Kraft iiber ihn wacht.
Diese Kraft erblicken wir nicht in einer internationalen Regierungs-
behorde, sondern in dem internationalen sozialistischen
Proletariat. Nur wenn die Internationale selbstandig und kraftvoll
aufgebaut wird, wenn das Proletariat ihr iiberall seine voile Macht fiir die
Kontrolle iiber die Regierungen und fiir die Erhaltung des Friedens leiht,
wird in Zukunft an Stelle des verhangnisvollen Wettriistens ein Zustand
des gegenseitigen Vertrauens der Volker treten.
Zunachst hat das Proletariat in jedem Lande alles zu tun, urn den Ab-
schlulz des Weltkrieges herbeizufiihren, den Frieden zu erringen.
Die Vorbedingung fiir die Erreichung dieses Zieles ist die Unab«
hangigkeit der sozialdemokratischen Parteien gegen«
iiber den imperialistischen Regierungen.
Die Aufstellung eines gemeinsamen Friedensprogramms ist wichtig.
Aber dieses Programm ist wesentlich Schall und Rauch, wenn es nicht
von einer energischen internationalen Aktion der V o 1 k $ «
m a s s e n getragen wird.
Von jeder Regierung ist die unbedingte Annahme des internationalen
Friedensprogramras zu fordern. Die Kredite sind jeder Regies
rung zu verweigem, die dieses Programm ablehnt oder auch nur
ausweichend beantwortet, oder die sich nicht bereit erkl&rt, in sofortfcre
Friedensverhandlungen auf Grundlage dieses Programms einzutreten, oie
ist auf das entschiedenste zu bekampfen.
Eine solche gemeinsame Friedensaktion einzuleiten und zu fdrdern,
wird die erste Aufgabe der geplanten internationalen Friedenskonferenz
sein. Sie hat alle wahrhaft sozialistischen Elemente zusammenzufassen,
die entschlossen sind, in diesem Sinne mit aller Kraft fiir den Frieden
zu wirken.
Eine proletarische Organisation, die sich dieser Aktion entzieht, verwirkt
damit das Anrecht, hinfort als Organisation des internationalen Sozia*
lismus zu gelten.
Diese Stimme der Vernunft ist im Toben des Krieges ver«
hallt; aber sie behMlt ihren Wert iiber die Zeit hinaus, in der sie
geboren wurde. Urn wieviel besser wiirde es heute urn die deutsche
Anbeiterklasse, urn das international Proletariat, urn die ganze Welt
stehen, wenn man damals auf sie gehort h&ttel
W&hrend an der Oberflache noch eitel Sonnenglanz herrschte,
grollte es immer vernehmlicher in den Massen des arbeitenden
Volkes. Wiederholt schon war es hier und da zu Oberraschenden
Arbeitsniederlegungen gekommen, so im Sommer 1916
nach der Verurteilung Liebknechts oder im Januar besonders in
Leipzig und Braunschweig. Im April 1917 brach nun eine grolze
Streikbewegung aus, die Hunderttausende von Arbeitern in ihren
Bann zog. Die Mufzere llrsache war die immer schlechter werdende
Versorgung mit Lebensmiteln, worunter vor allem die schwer
schaffenden Arbeiter in den Munitionsindustrien zu ieiden batten.
Der tiefere Grund fur diese rebellische Stimmung aber war in dem
stMndig stMrker werdenden Verlangen nach Beendigung des VSlker-
mordens zu suchen. In fast alien grofzen Stadten bnaoh die Bewegung
gleichzeitig aus, trotzdem es nicht leicht war, die Verbindungen
zwischen den Streikorten aufrechtzuerhalten. Die rechtssozialistische
Partei wandte sich ebenso gegen sie wie die Fiihrerschaft der
Gewerkschaften. In L e i p z i g bildete sich zum erstenmal in Deutsch-
land ein Arbeiterrat zur Leitung der Bewegung, und dieser
Name deutete schon darauf bin, daiz die russische Revolution ihren
Widerhall bereits in Deutschland Hand. Der Leipziger Arbeiterrat
stellte folgendes Programm auf:
7r Sof ortige hinreichende Versorgung der Bevolkerung mit Lebens«
m it t e 1 n und Kohlen; Erklarung sofortiger Bereitschaft zum
F r i e d e n ohne jede Annexionen; Beseitigung des Belagerungs~
zustandes und der Zensur; Abschaffung des Hilfsdienst~
Gesetzes; freies und gleiches Wahlrecht in alien Bundesstaaten.
Der Deputation, die aus Lieberasch, Liebmann und Lipinski besteht, bleibt
es vorbehalten, beim ReicKskanzler weitere Forderungen aufzustellen. Die
Arbeit soil in Leipzig erst wieder aufgenommen werden, wenn der Reichs«
kanzler der Deputaion befriedigende Antwort gegeben hat. Geschieht
das nicht, dann soil iiberall sofort ein Arbeiterrat eingesetzt werden.
Es war nun gar nicht nach dem Sinn der Regierung und der
Kriegsfuhrung, daiz dieses Programm auch politisdhe Forderungen
enthielt. Und der General Groener drohte den Arbeitern mit den
Landesverratsparagraphen, wenn sie nicht sofort den Streik abbrechen
wiirden. Schliefzlich mulzte man den Arbeitern aber doch eine Reihe
von Zugestandnissen machen, und wenn auch nicht alles erreicht
wurde, was damals gefordert worden ist, so hat diese Bewegung doch
dazu beigetragen, daiz sich die revolutionare Stimmung in der
Arbeiterschaft immer weiter verbreitete. Es verdient hervorgehoben
zu werden, daiz trotz der gefahrdrohenden Situation die Fiihrer der
Unabhangigen Sozialdemokratie sich selbstverstandlich an die Spitze
der Bewegung gestellt hatten, so Laukant in Berlin, so Lipinski und
Liebmann in Leipzig.
Im Mai gab es wieder einmal eine Fried ensdebatte im
Reichstag. Der sozialdemokratische Parteiausschufz hatte sich in
einer Resolution fiir einen Frieden ohne Annexionen und ohne
Kriegsentschadigungen ausgesprochen. Die Konservativen w r ollten
nun von der Regierung wissen, was sie dazu zu sagen habe, und die
Rechtssozialisten fragten an, ob die Regierung im Sinne ihrer Resolu-
tion handeln wolle. Scheidemann drohte ein wenig mit der
Revolution, % er fiigte ab^r als vorsichtiger Mann hinzu: glucklicher-
weise wissen wir, daiz die Dinge gar nicht so liegen. Bethmann
Hollweg blieb bei seiner alten Methode, weder von den Annexio-
nisten abzuriicken, noch sich zu einem Verstandigungsfrieden zu
bekennen. Ledebour wies in der Deibatte darauf hin, daiz von
Deutschland noch niemals ein wirkliches Friedensangebot aus-
gegangen sei, und daiz man jetzt den russischen Sozialisten die Auf-
gabe erschwere, sich von den Ententeforderungen unabhansrig zu
machen. Es stande besser um die Arbeiterklasse, wenn die Rechts-
sozialisten sich schon zwei Jahre friiher gegen die Annexionen .aus-
gesprochen hatten. Die Erkenntnis bei ihnen sei reichlich spat
\% 16.1
gekomrheru Wenn nicht bald bei uns mit dem Gewaltregiment auf-
geraumt werde, so wiirden die Massen ihre Sache selbst in die Hand
nehmen.
Die hinhaltende und hinterhaltige Politik der deutscben Regierung
in der Friedensfrage hatte dazu gefuhrt, dafz in Ruizland die imperia-
listischen Elemente die Oberhand gewannen, die am Boindnis mit der
Entente festhalten woilten. Seit der Revolution batten sich die
russischen Armeen passiv verhalten, an einzelnen Stellen der Front
war es sogar zu Verbruderungskundgebungen zwischen russiscben
und deutscben Soldaten gekommen. Den Einfliissen Englands und
Frankreicbs gelang es nun, die russische Regierung fur eine n e u e
Offensive zu gewinnen. Sie errang im Anfang unter Brussilows
Fubrung einige Vorteile, besonders gegen die Oesterreicher, mufzte
aber schliefzlich zusammenbrechen. Neue Zebntausende von Men-
scben waren nutzlos geopfert worden. Die Rlickwirkung auf die
inneren Verhaltnisse Ruizlands blieb nicht aus.
Die ieichten Erfolge iiber die Russen. batten die Stimmung in
Deutschland keineswegs zu beben vermocbt Erzberger war urn
diese Zeit von einer seiner Auslandsreisen zuruckgekehrt. Glaubte
er bis dabin blindlings an den deutscben Sieg, so wechselte nunmebr
vollig seine Stimmung. In einer Sitzung des Hauptausschusses des
Reicbstages bielt er zu aller Ueberraschung eine grolze Rede, worin
er zu verstehen gab, dafz nur nodb ein Friede derVerstandi-
gung Deutschland retten konne. Von Annexionen und ahnlichen
Dingen durfe nicht mehr gesprochen werden, eine schnelle Demo-
kratisierung und ein Wechsel in den leitenden Stellen miisse das
Ausland davon uberzeugen, dafz es Deutschland mit seinen Friedens-
absichten ernst sei. Erzbergers Rede gab den Anstolz zur Bildung
eines Blocks zwischen Zentrum, Fortschrittlern und Rechtssozialisten f
der en Fraktionen gemeinschaftliche Sitzungen abhielten und die
Veroiffentlichung einer Resolution, der berubmten Reichstags-
resolution vom 19. Juli 1917, beschlossen. Zuerst v/aren auch die
Nationalliberalen an den interfraktionellen Sitzungen beteiligt. Sie
schieden aber bald aus der Gemeinschaft aus, da sie damals noch
nicht genau wufzten, auf welche Seite sie sich schlagen sollten. In
der Resolution des Mittelblocks wurde gesagt, dafz Deutschland nicht
Broberungssucht treibe, sondern nur zur Verteidigung seiner Freiheit
die Waffen ergriffen habe. Der Reichstag erstretbe einen Frieden
der Verstandigung und der dauernden Versohnung der Volker. Die
Schaffung einer internationalen Recbtsorganisation werde er tatkraflig
fordern. Solange aber die feindlioben Regierungen einen solchen
Frieden zuriickwiesen, sei das deutsche Volk entschloss#n, zur Ver-
teidigung seines Recbtes auf Leben und Entwicklung unerschuttert
zusammenzustehen. Selbst diese zahme Resolution stiefz bei der
Regierung auf Widerspruch. Und es hat sich weiter gezeigt, dalz
sie gar nicht daran dachte, im Sinne dieser Resolution zu handeln.
Die Bemuhungen des Mittelblocks galten eigentlich gar nicht der
Person Bethmann Hollwegs. Denn trotz seiner inneren Zu-
neigung zu den Annexionisten hatte er doch aufzerlich eine Haltung
bewahrt, die selbst von den Rechtssozialisten nicht beanstandet
worden war. Die Alldeutschen freilich batten ihn schon langst aufs
162
Korn genommen, well er nicht entschieden genug ihre Plane unter-
stiitzte. Alber zum damaligen Zeitpunkt h&tte es auch sie nicht reizen
konnen, einen Kanzlerwechsel zu provozieren. Es wirkte daher
ziemlich uberraschend, daiz Bethmann Hollweg pl&tzlich seinen
Rlicktritt erkl&rte; er fiel f ohne dafz er eigentlich gestiirzt worden
war. An seine Stelle trat Herr Dr. M i c h a e 1 i s , ein biirgeriicher
Mann zwar, aber ein Reaktion&r von reinste<m Wasser und eine
herzlich unbedeutende Personlichkeit dazu. In der Reichstagssitzung
vom 19. Jul! trug er die Meinung der Regierung zu der Priedens-
resolution vor, und bei dieser Gelegenheit fiel sein beriihmt
gewordenes Wort: Wie ich sie auffassel Trotzdem also jetzt der
letzte Schleier von den Absichten der Regierung gefallen war,
erklarte Scheidemann, daiz seine Fraktion auch dieses Mai die Kriegs-
kredite bewilligen werde. Urn so deutlicher kennzeichnete H a a s e
fur die unabhangige Fraktion die politische Lage. Zunachst verlangte
er, daiz in einer Zeit, wo in der ganzen Welt die grofeten Umwalzun-
gen vor sich gehen, auch in Deutschland eine Demokratisierung des
Reichs und der Einzelstaaten vorgenommen werden miisse, die aus-
zumiinden habe in die soziale Republik. Das Volk sei jetzt
aus dem Kriegstaumel allmahlich erwacht. Die Rechnung, die man
vor dem U-Boot-Kriege aufgestellt babe, habe sich langst als Tau-
schung herausgestellt. Der programmatische Teil der Resolution des
Mittdblocks lasse es an Klarheit und Bestiirvmtheit fehlen, und zum
Schlusse ende sie in schmetternde Kriegsfanfaren. Man wiirde sich
nur neuen Tauschungen hingeben, wenn man an eine giinstige
Wirkung dieser Resolution in der Welt glaube. Demgegenuber stellte
Haase das von der deutschen Delegation der Unabhangigen Sozial-
demokratie fur die Stockholmer Internationale Konferenz be-
schlossene Manifest, dessen Veroffentlichung bis dahin von der
Zensur untefbunden worden war. Von RuMand sei der Ruf aus-
gegangen: Genosse, beeile didhl Und dieser Ruf habe lebhaften
Widerhall bei den deutschen Arbeitern gefunden. Haase legte dann
eine Resolution der Unabhangigen Sozialdemokraten vor, worin ein
Friede ohne Annexionen und ohne Kriegsentschadigungen und die
Wiederherstellung Belgiens verlangt wurde. Es miilzten sofort
Friedensverhandlungen auf dieser Grundlage eingeleitet werden, die
dringendste Vorbedingung dazu sei aber die sofortige Aufhebung des
Belagerungszustandes und die vollige Demokratisierung des Deut-
schen Reichs. Diese Resolution wurde abgelehnt, nur vier Mitglieder
der Mehrheitsfraktion stimmten fur sie.
Es kam so, wie es die Unabhangige Sozialdemokratie vorausgesagt
hatte. Der Block der Reichstagsmitte hatte weder eine Beschleuni-
gung der Friedensfrage, noch die Durchfuhrung des parlamentarischen
Regierungssystems erreicht. Wilhelm II. bequemte sich iediglich zu
einer neuen Wahlreformbotschaft, und die Regierung berief einige
Konzessionsschulzen aus den Reichstagsparteien in ihre Aernter, wie
den Rechtssozialisten Dr. August Mliller, der aber gleich erklarte,
dafz er mit der Uebernahme seines Amtes an die Pflichten eines
Parteigenossen nicht mehr gebunden sei. Was liber diese Dinge zu
sagen war, das hat Ledebour im Hauptausschulz am 28. August
ausgefiihrt: Das bureaukratische System sei nicht im geringsten
geandert worden. Der freie Ausschulz, der aus Vertretern der Par-
n* m
teien gebildet worden war und mit dem sich die Regierung in alien
aulzenpolitischen Angelegenheiten verst&ndigen sollte, sei nichts
anderes als Schaumschlagerei, seine Mitglieder seien nicht die Ver-
trauensleute ihrer Parteien, sondern der Regierung, denn man habe
sie gegenuber ihren eigenen Fraktionskollegen zum Schweigen ver-
pflichtet
Der Reichskanziler Michaelis war eigentlich politisch bereits
tot, als er sein Amt angetreten hatte. Und es kennzeichnet die
damaligen Verhciltnisse, dalz er als ein lebender Leichnam noch
Monate hindurch den hochsten Posten des Reiches bekleiden durfte.
Was ihm aber an Fahigkeit abging, das suchte er durch Frechheit
zu ersetzen. Er wufzte, dalz er von den burgerlichen Parteien und
auch von den Rechtssozialisten nicht viel zu furdhten hatte. Urn so
grimmiger aber hafzte er die Unabhangige Sozialdemc&ratie. Bndlich
glaubte er die Gelegenheit gekommen, um sie unschadlich zu
machen. In der Reichstagssitzung vom 9. Oktober ,,entbuilte" er,
dafz unsere Partei in Venbindung mit den Mannschaften der K r i e g s-
f 1 o 1 1 e stande und unter ihnen eine hochverraterische
Verschworung angezettelt habe. Die Unabhangige Sozial-
demokratie stehe fiir ihn jenseits der Linie, auf die er alle anderen
Parteien gestellt habe. Und er werde sie dementsprechend behandeln.
Es stehe aktenmafzig fest, dalz der Hauptagitator bei der Flotte im
Fraktionszimmer der Unabhangigen Sozialdemokraten gewesen sei
und den Abgeordneten Dittmann, Haase und Vogtherr seine Plane
vorgetragen habe, die von ihnen gebilligt worden seien. Dieser
Angriff auf unsere Partei ist dem Reichskanzler schlecht bekommen.
Er verlielz die Sitzung als ein GestMupter.
Haase, Vogtherr und Dittmann zeigten auf, was hinter dem Ge-
rede des Reichskanzlers und seiner Gehilfen stand. Bei der unab-
hangigen Fraktion sei ein Matrose erschienen, der sich daruber
beklagte, dalz die Matrosen so wenig geistige Anregungen h&tten
und um Ueberlassun^ von Literatur bat Etwas sp&ter wurde be-
kannt, dalz dieser Matrose wegen Verfolgung seiner politisdhen
Ideale von einem Kriegsgericht hingerichtet worden war und dalz
eine Anzahl seiner Gesinnungsgenossen zu den furchtbarsten Zucht-
hausstrafen verurteilt worden waren. Die Redner der unabhMngigen
Fraktion wiesen dann nach, wie bei der Marine systematise)! jede
Bekundung des Friedenswillens unterdriickt werde, wahrend man
den Annexionisten den weitesten Spielraum lasse. Selbst die Redner
der Mittelparteien konnten nicht umhin, der Regierung vorzuwerfen,
dalz sie in ganz rnverantwortlicher Weise gegen unsere Partei vorge-
gangen sei und insbesondere Ebert erklarte, dalz seine Partei jeden
Tag begriifzen werde, der das deutsche Volke friiher von dieser Re-
gierung befreie. So endete der Angriff des Kanzlers auf die Unab-
hSngige Sozialdemokratie mit seiner vollstandigen Niederlage, und
es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, wann dieser Kanzler
endlich verschwinden werde. Die Unabhangige Sozialdemokratie
aber hat sich gerade in dieser Zeit die Sporen verdient; wenn die
Erorterungen iiber die Friedensmoglichkeiten jetzt in schnelleren
Flulz kamen, so hatte sie durch ihre konsequente Politik ein nicht
geringes Verdienst daran.
1S4
09S»(^^)<e^^QS^^2«a^^(^?^(e^^^&«>QQ^^^^^^^
Der Zusammenbruch.
Sozialdemokratischer Parteitag- in Wiirzburg. — Die bolschewistische
Herrschaft in RuizlancL — Die Gewaltfriedensschliisse von Brest-Litowsk
und Bukarest. — Streikbewegungen in Oesterreich und Deutschland. —
Dittmann wird auf die Festung geschickt. -r- Der Zusammenbruch der
Mittelmachte. — Die revolutionaren Fcrderungen der Unabhangigen
1 Sozialdemokratie.
Die Fiihrung der RechtssozialistischenPartei hatte es
fiir geraten gehalten, auf Mitte Oktober des Jahres 1917 einen
Parteitag nach Wiirzburg einzuberufen. Sie brauchte sich nicht
darum zu sorgen, dafz dort ihre Politik heftige Anfeindungen er-
fahren wurde. Was noch an Opposition zuruckgeblieben war, hatte
jeden Einflufz verloran, Scheidemann und Ebert, Kolb und Lensch
beherrschten die Situation. So nahm denn der Parteitag den vor-
schriftsmalzigen Verlauf, die Politik vom 4. August wurde gebilligt,
die heftigsten Angriffe auf die UnabhSngige Sozialdemokratie und
auf die „marxistische Scholastik" erfuhren kaum Widerspruch. Man
schlug zwar auch einige kraftige Tc5ne gegen die Regierung an,
weil bisher von der versproohenen Neuorientierung so gut wie nichts
in Brfullung gegangen war; aber dieser Vorstofz konnte schon des-
halb keine wirkung auslosen, weil die rechtssozialistische Partei in
alien entscheidenden Fragen mit dieser gleichen Regierung* durch
Gedeih und Verdenb ging. Auch iiber die Moglichkeit einer Wieder-
vereinigung wurde g^esprochen. Aber der Parteitag verstand sie so,
dafz alle von ihm hinausgeworfenen Genossen reumiitig in den alten
Parteipferch zuriickkehren und die Instanzenpolitik nunmehr ruck-
haltlos anerkencnen sollten. Dem Wiirzburger Parteitag wurde von
der hurgerlichen Presse das Zeugnis ausgestellt, dafz er brave Arbeit
geleistet babe; was vom Standpunkt des Sozialismus und der Arbeiter-
klasse dazu zu sagen war, das wurde in einem A u f r u f ausgefuhrt,
den das Zentralkomitee der Unabhangigen Sozialdemokratie bald
dartach veroffentlichte. lleber die Frage der Einigung hiefe es dort:
„Niemand 1st mehr als wir von der Notwendigkeit durchdrungen,
die sozialdemokratischen Massen zu einer einheitlichen Front
zusammenzuschweifzen. Aber es mulz eine Front gegen den g e «
meinsamen Feind sein, nicht eine Front, die sich anschickt zura
Abmarsch ins feindliche Lager.
Heute gibt es nur eine wahrhaft sozialdemokratische Partei in Deutsche
land: die llnabhangige Sozialdemokratische Partei!
Im Zusammenschlulz aller Manner und Frauen, die sozialdemokratisch
fuhlen und denken, auch wenn sie heute noch aus Unkenntnis cder
fakchen Riicksichten im andern Lager stehen, gewinnt sie die Kraft, in
165
Ueberemstimmung imt cfer Internationale den Priedensscfiluiz xix
beschleunigerv die Demokratie und den Sozialismus zu vcr~
wirklichen.
Im Anschlulz an die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutsch-
lands und unter ihrem Banner vollzieht sich heute praktisch die Einigung
der deutschen Sozialdemokraten.
Inzwiscben vollendeten sich au£ der Weltenbuhne die Schicksale
der Volker. Micbaelis wurde durch H e r 1 1 i n g abgelost, einen
muden Orafen aus dem Zentrum, der nur noch die eine FShigkeit
auLrachte, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Von der Demokrati-
sierung und vom Parlamentarismus, den der interfraktionelle Block
herbeifuhren wollte, war nicht viel mehr die Rede; Ludendorff
regierte die Stunde, und lediglioh in der Handhabung der Zensur
trat eine geringfiigige Erleichterung ein. Der P a p s t leitete eine
Friedensaktion ein, und in England schien es eine Zeitlang, als
ob sich unter Fixhrung von Lansdowne eine starkere Bewegung fiir
den Frieden sammeln wollte. Beides blieb ergebnislos, ebenso wie
ein Versuch des am Ende seiner Kraft angelangten Oesterreich?
durch Benutzung seiner dynastischen Beziehungen zu den royali-
stischen Kreisen Frankreichs einen billigen Frieden zu erlangen.
In Deutschland blieben die regierenden Kreise, die nach wie vor
von den Military beherrscht wurden, harthorig; sie glaubten nach der
Weiterentwicklung der russischen Revolution noch immer nicht die
Hoffnung aufgeben zu miissen, an das Ziel ihrer Wiinsche zu
kommen.
In Ruiz land war Anfang November die Regierung Kerenski
gestiirzt und durch die Herrschaft der Bolschewilci abgelost
worden. Das Kleiribiirgertum, das bisher am Staatsruder salz, konnte
seine Versprechungen, Frieden und Land dem Volk zu geben, nicht
einlosen. Und es war nur logisch, dalz die Bolschewiki, die die
gieichen Losungen aufnahmen, nunmehr zu Vollstreckern der Revo-
lution wurden. In der Beurteilung der Vorgange in RuMand be-
stand in den Reihen der Unabhangigen Sozialdemokratie keine Ein-
heitlichkeit. Die Spartakusanhanger sa'hen in der Machtergreifung
der Bolschewiki nur die „Aktion". Die Kenner der Verhaltnisse
a-:er r und diejenigen, denen auch in aufgewiihlter Zeit der wissen-
schaftliche Sozialismus, wie ihn Marx und Engels gelehrt haben, der
sichere Kompalz bleibt, erkannten sofort die wahre Natur der neuen
Umwalzung. Es handelte sich in Rufzland nicht um eine proletarische
Revolution in dem Sinne, dafz die kapitalistische Wirtschaft durch
eine hohere, die sozialistische, abgelost wurde, sondern um eine
Agrarrevolution, deren Exekutive in den HSnden des Pro-
letariats lag. Den Bolschewiki war also die historische Aufgabe zu-
gefallen, die Vorkampfer des Kleinbauerntums zu werden, die
feudalen, vorkapitalistischen Produktionsverhaltnisse in der Land-
wirtschaft aufzulosen, das Privateigentum an Grund und Bod-en den
Grofzgrundbesitzern zu entreifzen und in die Hande der Bauem zu
leg-en r und so erst die Grundlage dafur zu schaffen, dafz der moderns
Kapitalismus sich entwickeln konnte. Indem aiber die Bolschewiki
die okonomischen Verhaltnisse ihres Landes mifzachteten und das
wahre Wesen der dem Proletariat zugefallenen Aufgabe nicht er-
166
kannten, schufen sie In Rufzland erne K a r i k a t u r auf den
Sozialismus und trugen damit zugleich Verwirrung und Auf-
losung in die Reihen des westeuropaischen Proletariats.
Die bolschewistische Regierung fiihrte die Losungen der Kerenski-
Regierung aus, freilich auf negative Art. Sie riefen den in Soldaten-
rocken steckenden Bauern zu, sie sollten den Groizgrundbesitz ent-
eignen. Und die Soldatenbauern verstanden das so, dafz sie die
Front verlie&en und in ihre Dorfer eilten, urn bei der Teilung des
Landes nicht zu spat und nicht zu kurz zu kommen. So zerfiel das
russische Heer, zuriick blieb in der Hauptsache nur der Teil des
Proletariats, der keine Verbindung mehr mit dem Lande hatte. Damit
war auch die Erfiillung der zweiten Parole gesichert: die Herstellung
des Friedens. Was a!ber in dies-em Falie soviel hieiz, dafz die
bolschewistische Regierung sich voilig dem Diktat der deutschen
Sieger fugen mufzte. Die Bolschewisten hatten den demokrati-
schen rrieden, die Anerkennung des unbedingten Selbst-
bestimmungsrechtes der Volker, gefordert. Sie erboten sich, alle
friiher von RuMand okkupierten Gebiete bedingungslos wieder her-
auszugeben, sie wollten auch alien fremdstammigen Volkern das
Selbstbestircimungsrecht uber ihre kiinftige Staatsangehorigkeit zu-
gestehen. Die deutsche Regierung lehnte das rundweg ab; denn das
hatte die weitere Konsequenz haben miissen, dalz auch den fremd-
sprac'higen Volksstammen, die zu den Zentralmachten bisher ge~
horten, die gleichen Rechte eingeraumt werden mu&ten. Die
deutsche Regierung verweigerte sogar den Bewohnern der balti-
schen Gebiete das Recht, selbst liber ihr kimftiges Schicksal zu be-
stimmen, und mit aller Offenheit forderte sie die Annexion
ehemaliger russischer Gebie t e. Die deutsche Regie-
rung rechnete mit der militarischen Ohnmacht der Bolschewisten,
und sie glaubte, ihnen alles bieten zu durfen. Darin hat sie sich
denn auch nicht getauscht.
Die deutschen Unterhandler provozierten die Bolschewisten so
lange, bis es zum Abbruch der Verhandlungen kam.
Nunmehr glaubten sie freie Hand zu haben. Sie unterstiitzten die
Loslosungsibestrebungen einiger ukrainischer Nationalisten, erklarten,
dalz die Ukraine gar nicht zu Rufzland gehore, und schlossen mit
den von ihnen herausgesuchten Vertretern dieses Landes einen
Sonderfriedensvertrag ab. Die Alldeutschen hatten auf der ganzen
Linie gesiegt. Weite Gebiete des ehemaligen Kongrefepolens sollten
an Deutschland angegliedert werden, fur die baltischen Provinzen
hatte man schon Fiirsten und Herzoge aus den verschiedenen deut-
schen Dynastien hereit, und auch Oesterreich-Ungarn wollte sich
ein gehoriges Stiiak aus dem russischen Kuchen herausschneiden.
Der wahre Sinn des Krieges hatte sich nun so deutlich ge-
zeigt, dafz keinerlei Zweifel irber die Absichten der deutschen Krieg-
fiihrung mehr bestehen konnten. Nur der rechte FJugel der rechts-
sozialistischen Partei glaubte immer noch an den Verteidigungskrieg,
und man schamte sich dort nicht, selbst die Gewaltpolitik gegeniiber
dem wehrlosen Rufeiand mit nationalen Floskeln zu beschonigen.
Die Bolschewisten erklarten nunmehr, dafz sie unter diesen Um-
standen auf die Unterzeichnung eines formellen Friedensvertrages
167
mit den Mittelmachten verzichten wollten und den Kriegszustand fur
beendet erklaren wiirden. Die deutsche Regierung ging aber darauf
nicht ein, sie verlangte die Unterzeichnung des von ihr vorgelegten
Vertrages. Urn ihrer Forderung grofzeren Nachdruck zu verleihen,
kundigte sie den Waffenstillstand mit Ruizland und lielz ihre
He ere weitermarschieren. Den Bolschewisten blieb nichts
anderes ixbrig, als sich nunmehr damit einverstanden zu erklaren,
den Frieden unter den Bedingungen zu unterzeichnen, die von den
Delegationen des Vierbundes in nrest-Litowsk gestellt worden waren.
Der deutsche Vormarsch in Ruizland wurde trotzdeim nicht einge-
stellt; das geschah erst, als die Truppen der Mittelmachte sich alle
Sicherungen verschafft hatten, deren die deutschen und die oster-
reichischen Annexionisten bedurften.
Trotzdem also der G e w a 1 1 c h a r a k t e r der Friedensvertrage
mit dem Osten feststand, konnten es die Rechtssozialisten nicht iiber
sich bringen, ihnen ihre Zustimmuno- zu versagen. Ja, sie haben
sogar dem Vertrag mit der Ukraine ihre Zustknmung gegeben. Sie
begrundetn das damit, dalz es sich dabei doch immerhin um einen
VerstMndigungsfrieden handele, und dafz ihre Partei, die doch immer
fur den Frieden gearbeitet habe, sich jetzt nicht gegen ihn efklSren
k6nne, auch wenn der Vertrag nicht alien ihren Wunschen ent*
spreche. Mit aller Scharfe ging dagegen L e d e b o u r mit der
Annexionspolitik der Regierung im Reichstage ins Gericht. Den
Rechtssozialisten sagte er, dalz selbstverstandlich jeder Mensch den
Abschlulz irgendeines Friedens wtinsche. Es komme nur darauf an,
welchen Frieden man abschliefee. Die Bolschewisten hatten die Ver«
handlungen eingeleitet, um einen Frieden auf Grand des freien
Selbstbestimmungsrechtes der Volker abzuschlieizen, und Herr von
Kuhlmann, der Aulzenminister, habe seine Bereitwilligkeit zu Ver-
handlungen auf dieser Grundlage erklSrt. Hinter den Kulissen sei
dann aber auf Annexionen hingearbeitet worden, und diesen Ein«
fliissen sei Kiihlmann gefolgt. Mit der Ukraine kSnne gar kein selb-
stSndiger Vertrag abgeschlossen werden, da es sich hier nicht um
einen selbstandigen Staat handele, sondern um einen Bestandteil der
russischen Republik. Im iibrigen wisse man noch gar nicht, wie sich
die VerhMltnisse in Ruizland weiter gestalten wurden; es stehe aber
jetzt schon fest, dalz die ukrainischen Unterhandler nicht im Namen
des ukrainischen Volkes auftreten konnten. Der Vertrag mjt der
Ukraine solle der deutschen Heeresleitung nur den Vorwand liefern,
um weitere Eroberungsztige vorzunehmen. Das Allerbedenklichste
bei dem ukrainischen Friedensvertrag aber sei, dalz er dem Selbst-
bestimmungsrecht der Volker vollkommen widerspreche, denn er be-
ziehe sich auch auf Gebiete mit rein polnischer Bevolkerung. Die
Vertreter der Polen hatten denn auch bereits erklart, dafz sie den
Vertrag als eine Beraubung des polnischen Volkes empfanden. Der
Sondervertrag mit der Ukraine sei (iberhaupt nur zu dem Zweck ab«
geschlossen worden, um aus dem Lande Getreide herauszuholen.
Und nur aus diesem Grunde treibe man das ganze polnische Volk
zur Feindschaft gegen das Deutsche Reich. In weiten Kreisen des
deutschen Volkes sei jetzt die Erkenntnis aufgedammert, dalz diese
Vergewaltfeungs- und Annexionspolitik zum Verderhen des Volkes
fiihren musse. Die gro&e Streikbewegung, an der sich uber eine
168
haibe Million Arbeiter beteiligt batten, sollte der Regierung endlich
die Augen iiber die Lage offnen. Aber die Arfbeiterschaft erwarte
weder von der deutscben Regierung, nocb von den Regierungen der
anderen Lander einen wirklich dauernden Frieden, sondern der
Weltfriede werde erst kommen, wenn das Proletariat die politiscbe
Macht erobert babe.
Einige Tage spater, am 27. Februar, rechnete auch Haase mit
der Annexionspolitik der Regierung ab. Er wies nach, dafz RuMand
ein Gewaltfrieden aufgezwungen werden solle, wie er schlimmer
nicbt gedacht werden konne. In Polen und in den balrischen Pro-
vinzen babe der deutscbe Militarisnuis ein Schreckensregiment auf-
gericbtet. Tausende von webrlosen Arbeitern seien niedergemetzelt
worden, weil sie das ibnen zugfestandene Selbstbestimmungsrecht fiir
sich in Anspruch nebmen women. Die revolutionare Befwegung in
Ruizland solle mit deutschen Truppen unterdrixckt werden. Mit der
Ukraine sei zwar ein Vertrag abgeschloss-en worden, das binders
das deutsche MilitSr aber nicht, das ganze Land zu besetzen und die
Bevolkerung zu drangsalieren. Nach den Anschauungen, die in mat-
gebenden Kreisen Deutschlands herrschten, sei es sicher, dalz wir
zu einem Frieden in der nachsten Zeit nicbt kommen wiirden. Und
dieselbe Gewaltpolitik, die die auswMrtige Politik beherrsche, wende
man aucb im Inlande an. Den Januarstreik babe man mit den bru-
talsten Mitteln zu unterdriicken gesucht. Aber erreicht word-en sei
dadurcb nur, daiz der Groll und die Erbitterurtg in den Aitbeiter-
kreisen aufs bocbste gestiegen seien. Die streikenden Arbeiter seien
vom General Groener als „Hundsfotte" b-escbimpft word-en, dieselben
Arbeiter, deren man sich zur Herstellung des Kriegsmaterials be-
diene. Der politiscbe Streik sei aber eine Waffe, die sich das Pro-
letariat nicht entwinden lassen werde. Die unabhangige Fraktion ins-
besondere erklMre, dafz sie mit den streikenden Arbeitern in engster
Fuhlung gestanden babe, und dalz sie die Gedanken und Gefiihle,
die sie zum Streik getrieben hatte, durchaus telle. Die Arbeiter
wiirden unablassig dafiir eintreten, dafz aucb Deutschland demokra-
tisiert und der Boden fur eine sozialistische Gesellschaftsordnung ge-
schaffen werde.
Auch R u m a n i e n mufzte sich bald dem Diktat der Mittelmacbte
beugen und den Zwangsfrieden von Bukarest annehmen. Die
deutsche Regierung hatte den Wiener Annexionisten vollig freie
Hand gelassen und unter dem Vorwand der Beschaffung von Siche-
rungen fur die Donaumonarchie wurden Rumanien erhebliche
Stucke des Landes entrissen.
Als diese Friedensvertrage vor den Reichstag kamen, konnten
die Annexionisten ihre voile Befriedigung dazu aufzern, wenn sie
freilich auch nicht verscbwiegen, dalz sie eigentlich nocb mehr er-
wartet und besonders erhebliche KriegsentschMdigungen
erhofft hatten. Die Koalitionsparteien war en ein wenig verstimmt,
denn weder die Vertrage von Brest-Litowsk noch der von Bukarest
stimmten mit der Juli-Resolution des vorigen Jahres ixberein, die sie
mit so schoner Geste der Welt gezeigt hatten. Trotzdem aber
stimmten sie diesen Gewaltfriedensschliissen zu, oder sie enthielten
sich zum mindesten der Abstimmung, mit der oberflSchlicheri Aus-
169
rede, dalz es doch Immerhin Friedensschliisse seien. Indem sie aber
kurz danach wieder einmai Kriegskredite in der von der Regierung
gewiinschten Hohe bewilligten, ubernahmen sie die voile Verant-
wortung auch dafiir. Das stellte L e d e b o u r im Reichstag am
19. Marz fest. Er sagte ganz richtig voraus, dalz diese Friedens-
schliisse auf die Dauer die schaversten Gefahren fur den Weltfrieden,
fur das Deutsche Reich, fur das deutsche Volk in ihrem Scholze ent-
hielten. Er enthullte bei dieser Gelegenheit auch die Bestrebungen
der Monarchisten, aus den haltischen Provinzen deutsche Vasallen-
staaten mit Prinzen aus regierenden H&usern Deutschlands an der
Spitze zu machen. '^>
Aber das arbeitende Volk wollte sich nicht langer tSuschen lessen.
Im Januar war ein grofzer Streik der osterreichischen Ar-
beit e r ausgebrochen, dem bald auch eine neue grolze Streik-
bewegung in Deutschland folgte. Den aulzeren Anlafz
dazu gab diesmal nicht die Forderung nach Verbesserung der Er-
nahrung, sondern mit besonderer Scharfe wurden jetzt politische
Ziele aufgestellt. So lauteten die Forderungen der Berliner Arbeiter:
1. Schleunige Herbeifiihrung des Friedens ohne Annexionen
und Kriegsentschadigungen auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der
Volker, entsprechend den Ausfuhrungsbestimmungen, die dafiir von den
russischen Volksbeauftragten in Brest-Litowsk formuliert wordeii sind;
2. Hinzuziehung der Arbeitervertreter aller Lander zu den
Friedensverhandlungen;
3. ausgiebige Nahrungsmittelversorgung durch Erf assung
der Lebensmittelbestande in den Produktionsbetrieben wie in den Handels*
lagern zur gleichmafzigen Zufuhrung an alle Bevolkerungskreise;
4. der Belagerungszustand ist , sofort aufzuheben, das Vereins*
recht tritt vollstandig wieder in Kraft, ebenso das Recht der freien Mei-
nungsaulzerung in der Presse und in Versammlungen; die S c h u t z -
gesetze fiir Arbeiterinnen und Jugendliche sind sofort wieder in
Kraft zu setzen, alle Eingriffe der Militarverwaltung in die Gewerk-
schaftstatigkeit sind riickgangig zu machen und neue zu ver-
hindern;
5. die Militarisierung der Betriebe ist gleichfalls aufzuheben;
6. alle wegen politischer Handlungen Verurteilten und Ver-
hafteten sind sofort wieder freizulassen;
7. durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatsein-
richtungen Deutschlands und zwar zunachst die Einfuhrung des gleichen,
direkten und geheimen Wahlrechts fiir alle Manner und Frauen im Alter
von mehr als 20 Jahren fiir den preu&ischen Landtag.
Der Streik nahm besonders in Berlin grofzen Umfang an. Die Re-
gierung weigerte sich, mit den Vertreter der streikenden Arbeiter
zu verhandeln, weil diese durch ihr Verhalten die Fortsetzung des
Krieges beeintrachtigt hatten. Der Name Arbeiterrat, den sich
die Streikleitung beigelegt hatte, war den Militars besonders zuwider;
erinnerte er doch zu sehr an die russische Revolution, und darum
wurde er kurzerhand verboten. Besonders heftig wurde die Unab-
hangiee Sozialdemokratie angepriffen, weil man ihr nicht mit Unrecht
zum Vorwurf machte, dafz sie die Streikbewegung begiinstige. Ende
Januar nahm die Bewegung verscbarftenCharakter an r und die Streiks
breiteten sich liber das ganze Reich aus. In Berlin kam es zu
Straizendemonstrationen, b$i denen auch Blut flofe. Die
170
Militars glaubfen der Bewegung dadurch ihre Wirkung zu rau&en,
dafz sie den verscharften Belagerungszustand verhangten und Stand-
gerichte gegen die Streikenden errichteten. Ein Teil der rechtssozia-
listischen Presse, so die JDresdener Volkszeitung" des nachmaligen
Ministers Gradnauer, beeilte sich zu erklaren, daiz sie fur den Streik
keinerlei Verantwortung trage. Die Schuldigen an seinem Ausbruch
seien an anderen Stellen zu suchen.
Bei solch loyaler Haltung konnte den Rechtssozialisten freilich
nights geschehen, uin so schlechter aber ging es den „Hetzern" von
der U. S. P. Grofz war die Freude, als man den Reichstagsabgeord~
neten Dittmann auf fdscher Tat, namlich nach einer Ansprache
im Treptower Park fassen und vor ein KriegsgerichJ^ schleppen
konnte. Er wurde auch prompt wegen Landesverrats oder ahnlicher
Dinge zufiinf JahrenFestungshaft verurteilt, nachdem der
Staatsanwalt gar sechs Jahre Zuchthaus heantragt hatte. Erst der
Zusammenbrudh im Herbst gab ihm die Freiheit wieder.
Im Westen bereitete sich nun das letzte Auffiackern des
K r i e g e s vbr. Alle Welt wu&te, daiz die Deutschen eine gro&e,
Offensive durchfuhren wollten, urn die Franzosen und Englander
schnell noch niederzuwerfen, bevor noch die Amerikaner, die nach
den Ausspruchen deutschnationaler Parteifuhrer „weder fliegen noch
schwimmen" konnten, auf den Kriegsschauplatzen den Ausschlag
gaben. Die Juliresolution war ein wertloses rapier geworden, selbst
die Rechtssozialisten muizten, wie Hermann Wendel in der
^Frankfurter Volksstimme", bekennen, dafz sie vor einern Scher-
benhaufen ihrer Politik standen, oder wie man im „Vorwarts"
im Mai lesen konnte: „Freiheit, nicht Eroberung wurde uns im
August 1914 verheilzen, und diese Verheifzung wurde im Juli 1917
wiederholt Eroberung, nicht Freiheit spricht die harte Sprache der
Tatsachen zu uns im Mai 1918." Nichtsdestoweniger hahen die
Rechtssozialisten bis zum bitteren Ende bei der Regierungsstange
gehalten, sie waren zu Gefangenen ihrer eigenen Illusionen geworden.
Unsere Genossen brauchten weder einen Scherbenhaufen zu be-
weinen, noch geplatzten Seifenblasen nachzutrauern. Im Juni war
auch Herr von Kiihlmann, der Leiter des Auswartigen Amts, zum
Teufel gejagt worden, trotzdem er sich bei den Friedensschliissen
im Osten nach Kraft en bemliht hatte, die Wunsche der Annexionisten
zu befriedigen. Immerhin hatte er sich in der Oeffentlichkeit einer
gemalzigten Sprache befleifzigt, um nicht die Hoffnungen auf einen
Friedensschlufe mit dem Westen noch grundlicher zu zerstoren. Um
so deutlicher war aber die Sprache, die die deutschen Militars in den
eroherten Gebieten des Ostens fuhrten. Es wird eine ewige Schmach
bleiben, wie das Volk in Finnland, im Baltikum, in Polen, in der
Ukraine damals von den deutschen Behorden behandelt worden ist.
Und die Redner der Unabhangigen Sozialdemokratie, H a a s e und
Ledebour, erwarben sich ein besonderes Verdienst dadurch, dafz
sie diese Dinge unverhiillt und ungeschminkt im Reichstag zur
Sprache brachten.
Wahrend Ludendorff an der Westfront die letzte Karte seines
Vabanquespieles einsetzte, wahrend immer neue Menschenmassen
dem Kriegswahnsinn geopfert wurden, machte bei den Mittelmachten
171
die innere Auflosung reiizende Fortschritte. Oesterreich tau-
melte von einer Krise in die andere, die regierungstreuen Truppen
mulzten von der Front zuriickgerufen werden, damit sie die rebellisch
gewordenen Nationen, besonders die Tschechen, zur Raison brMchten.
Nicht viel besser ging es Deutschland, wenngleich hier die
Flamme der Bmporung mehr rauchte als leuchtete. Das Gemauer
in dem Kriegsgebaude der Mittelmachte war morsch geworden, es
muizte zusammenfallen, wenn auch nur eine Lucke darin entstand.
B u 1 g a r i e n fiel zuerst, es mufzte bedingungslos kapitulieren,
Deutschland konnte keine Rettung mehr bringen. Oesterreich
und die T u r k e i folgten bald nach. Die Donaumonarchie suchte
im letzten Augenblick noch durch die Loslosung von Deutschland
einen Sonderfrieden zu erlangen, der das bisherige Staatsgebilde
im wesentlichen erhalten sollte. Es war zu spat, die Schdpfung der
Habsburger fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Als die Hiobsposten immer schneller einander folgten, da hatte
fiir das alte Regime auch in Deutschland die Stunde geschlagen.
Noch bis zuletzt suchten die Alldeutschen in ihrem Kriegswahn zu
verharren. Als die „Hindenfcurgfront" unter den Schlagen der
Fochschen Reservearm.ee, die nach den verlogenen Meldungen der
Obersten Heeresleitung gar nicht mehr bestehen sollte, zertrummert
war, als die Italiener schon in den Alpen, die mazedonische Armee
der Alliierten vor Ungarn standen, wollten sie noch immer nicht ein-
sehen, daiz ihr Spiel endgiiltig verloren war. Aber auch fur
Deutschland blieb nur noch der we g der Kapitulation Cibrig,
und damit fiel auch das bisherige politische und militarische System.
Die Monarchisten suchten noch das letzte zu retten. Sie mulzten
sich notgedrungen dazu bequemen, dem Parlamentarismus gewisse
Zugest&ndnisse zu machen, aber sie glaubten genug damit getan zu
hanen, daiz sie den Prinzen Max von Baden an die Spitze
der neu sich gestaltenden Dinge beriefen und einige Liberale und
Rechtssozialisten in das Kabinett nahmen. Wilhelm II. und seine
Dynastie sollten auch kiinftig die Dekoration des Reichs bilden. In
dieser Situation erlielz der rarteivorstand der UnabhMngigen
Sozialdemokratie folgenden Aufruf:
An das werktatige Volk Deutschland sf
Das System des Militarismus hat einen Schlag erhalten, von dem es
sich nicht mehr erfrolen wird. Der Imperialismus ist bei uns zu«
sammengebrochen. Die Idee des Sozialismus und der Demokratie
ist siegreich auf dem Marsche. Die deutsche Regierung hat ein Waffen-
stillstandsangebot gemacht und das Programm des amerikanischen Prasi~
denten Wilson als Grundlage fur Friedensverhandlungen angenommen.
Dieser Schritt war beschlossen, bevor die neue Regierung ans Ruder kam.
Das Friedensangebot kommt unsem unausgesetzten Friedensbestrebun-
gen entg-eg-en.
Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei hat von Anfang an
die Katastrophe des Imperialismus vorausgesehen. Sie ist
den Grundsatzen des Sozialismus und der Demokratie treu geblieben.
Sie hat als einzige Partei gegen die Vertrage von Brest«Litowsk
und den Vertrag von Bukarest gestimmt, die jetzt auch die anderen Par-
teien nicht mehr zu verteidigen wagen. Getreu unserer Ueberzeugung
als internationale Sozialisten haben wir in jeder Kriegslage
172
gegen die Vergewaltigung irgendeines Volkes gekampft Diese gibt uns
das moralische Recht, auch jeden Versuch der Unterdruckung des deut-
schen Volkes zuriickzuweisen.
Alle anderen Parteien sind durch den ehernen Gang der Ereignisse ge~
zwungen, ihre Kriegsziele ahzu&ndern. Sie miissen abermals U m -
lernen, und sie haben bereits umgelernt. Nur die Unabhangige Sozial-
demokratische Partei braucht nichts von ihrem Friedensprogramm auf-
zugeben. Das von ihr im Juli 1917 in Stockholm verfafzte Memorandum,
das die Zensur damals imterdrtickte und das von den ubrigen Parteien,
auch von der Sozialdemokratischen Partei angegriffen wurde, kommt
jetzt zur Geltung. '
Die Politik der Sozialdemokratischen Partei, der
Scheidemann und Ebert, der David und Lensch, ist ebenso z usammen-
gebrochen wie die der herrschenden Klassen. Die Sozialdemokrati-
sche Partei war ohnmachtig und einfluizlos, solange das Kriegsgliick
den Imperialisten giinstig war, obwohl sie, oder richtiger: weil sie jede
kapitalistische Regierung in ihrer Kriegspolitik unterstutzte und ihr die
Kriegskredite bewilligte. Nicht das geringste hat sie wahrend der langen
Kriegszeit fin* den Frieden, fur die Freiheit, fiir den Schutz der Arbeiter
und Arbeiterinnen gegen Ausbeutung erreicht.
In dem Moment, da die burgerliche Gesellschaft in alien Fugen kracht,
sind mehrere Sozialdemokraten, so Scheidemann und Bauer, zu Ministern
gemacht worden. Die Sozialdemokraten sind damit auch offiziell zu
Regierungssozialisten gestempelt.
Die Sozialdemokratische Partei ist in die Regierung berufen, um nach
dem Zusammenbruch des Imperialismus die burgerliche Gesell-
schaft zu stutzen. Sie hat die Aufgabe ubernommen, die Rationale
Verteidigung" zu organisieren und die burgerliche „Ordnung" zu
schiitzen. Sie hat die Forderung der internationalen Kongresse preis-
gegeben, dalz die Katastrophe des Weltkrieges von der Sozialdemokratie
ausgeniitzt werden miisse, an Stelle des kapitalistischen
Systems das sozialistische zu setzen.
Das Programm, das die Sozialdemokratische Partei als Bedingung fiir
ihren Eintritt in die Regierung aufstellte, war so bescheiden, dalz es sogar
verschiedenen biirgerlichen Zeitungen nicht weit genug ging. Nicht die
Amnestie fur politische Delikte, nicht einmal die Aufhebung des Belage-
rungszustandes werden verlangt, nicht die geringste sozialpolitische For-
derung ist in ihm enthalten. Und obwohl die Sozialdemokratische Partei
ihr Programm als Mindestprogramm bezeichnete, von dem sie nicht ab-
handeln lassen werde, hat sie den biirgerlichen Parteien und der Regierung
doch in mehreren Punkten noch nachgegeben.
So schwachlich zeigt sich die Sozialdemokratische Partei schon bei
ihrem Eintritt in die Regierung. Selbst eine vorgeschrittene burgerliche
Regierung miifzte mindestens folgende Forderungen ohne Auf-
schub verwirklichen:
„Sofortige Raumung der von den deutschen Truppen besetzten
G e b i e t e des ehemaligen russischen Reichs, Finnlands, der Qstsee-
provinzen, Polens, der Ukraine, ferner Rumaniens und Bulgariens.
Abanderung der bereits geschlossenen Friedensvertrage
nach den Grundsatzen der Demokratie.
Amnestie fiir alle wegen politischer Vergehen und Verbrechen ver-
urteilter Zivilpersonen, Soldaten und Matrosen, Oeffnung der Gefangnisse
und Zuchthauser, namentlich fiir alle aus Anlafz von S t r e i k s wegen
angeblichen Landesverrats Verurteilier, Niederschlagung der wegen poli-
tischer Vergehen und Verbrechen schwebenden Strafverfahren, Sofortige
A>£H
Entlassung aller wegen poiitischer Vergehen zum Heere Eingezogenen.
Loschung aller politischen Vermerke in den militarischen und polizeilichen
Akten, insbescndere des Vermerks r ,B 18". Aufhebung der S c h u t z •«
haft und Entlassung aller Internierten,
Aufhebung des Belagerungszustandes. Freies Vereins* und
Versammlungsrecht. Freiheit der Presse. Beseitigung aller Schranken
fur die Herausgabe neuer Zeittmgen. Strenge Durchfiihrung des Post**
geheimnisses^ Beseitigung der selbst nach dem bestehenden Rechts-
zustande vollig unzulassigen ftffentlichen und geheimen Briefkontrolle.
Einftihrung des Proportionalwahlrechts. Ausdehnung des
Wahirechts auf die Frauen. Uebertragung des gleichen 7 allgemeinen
und direkten Wahlrechts durch Reichsgesetz auf alle Bundesstaaten.
Aufhebung des Hilfsdienstgesetzes. Wiederherstellung
und Ausbau der Schutzbestimmungen fiir Frauen und Jugendliche. Ein«
f iihrung des achtstiindigen Maximalarbeitstages.
Sofortige Abanderung der Verfassung in folgenden Punkten:
Staatsvertrage sind nur mit Zustimmung der Volksvertretung giiltig. Ohne
solche Zustimmung darf kein Krieg erklart, kein Friede geschlossen
werden. Jeder Minister ist zu entlassen, wenn dieses durch einen Mehr*
heitsbeschlufz der Volksvertretung verlangt wird."
Als internationale Sozialisten erheben wir viel weitgehendere
Forderungen. Unser Ziel ist die sozialistische Republik.
Sie allein ermoglicht es, die Welt von den Verwiistungen des Krieges zu
erldsen.
Tiefe Umwalzungen gehen in alien Staaten vor sich. Die "Welt erhalt ein
vollig anderes Antlitz. Aber es sieht nicht so aus, wie Cunow und Lensch,
wie David und Renner jahrelang mit Selbstsicherheit gepredigt haben.
Bei diesem Umgestaltungsprozefe eine ftihrende Rolle
zu ubernehmen, ist die historische Auf gabe des intemationalen Proletariats.
Begeisterung, Opferfreudigkeit und Geschlossenheit sind unbedingt zu
ihrer Losung erforderlich. Die Methoden des Regierungssozialismus
fuhren nur zur Lahmung der selbstandigen Betatigung der Arbeiterklassen
und zur Starkung der burgerlichen Gesellschaft.
Die Einigkeit des Proletariats kann sich aber ebensowenig
unter dem Banner des Zentrums, der Fortschrittlichen Volkspartei, der
Nationalliberalen wie der Regierungssozialisten vollziehen.
Einigkeit unter dem unbefleckten Banner der Unab*
hangigen Sozialdemokratischen P a r t e i r des internatio*
nalen Sozialismus, mufz die Parole des deutschen Proletariats sein.
Nur dann ist auch der Friede gesichert, nur dann ist die Zu«
kunft des Proletariats und der Menschheit verbiirgt.
Auff Sammelt euchl Schlielzt die Reihen. Das HSchste gilt es zu
erringen. Die Befreiung der Menschheit! '
Berlin, den 5. Oktober 1918.
Die Par teilei t ung und die Reichs t agsf r ak tion
der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands.
Aber selbst in dieser Situation brachte das Biirgertum noch nicht
die Erkenntnis fiir das unbedingt Notwendige auf. Nur zogernd
ging die Regierung des Prinzen Max von Baden an die Amnestie-
rung der politischen Gefangenen heran, nur langsam begannen die
Zuchthauser und Gefangnisse sich zu entleeren. Erst die November-
tage gaben dem alten Regime den letzten Stofz. Immerhin kehrten
Ditimann, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, viele
174
andere Ka'mpfer des Proletariats in die Freiheit zuruck, stiirmisch
von der Arbeiterschaft willkommen geheiizen.
Die letzten Tage des Oktober brachten v 6 1 1 i g e Klarheit
uber die Lage. Nun erst wurde dem Volke bewiifzt, wie sehr es
viereinhalb Jahre lang belogen und betrogen worden war. Am
24. Oktober hielt Hugo Haase im Reichstag grtindliche Ab-
rechnung mit der bisherigen Politik. Er stellte fest, dafz der deutsche
Imperialismus das blutige Spiel im vollen Umfang verloren habe.
Wir empfinden, so rief er aus, iiber einen Frieden, der zwar den
deutschen Kapitalismus in seiner Entwicklung stort, der aber den
Kapitalismus der Entente starkt, ihm andere Lander zur Ausbeutung
(iberliefert, keine Befriedigung. Es ware verbrecherisch, wenn man in
Deutschland auch jetzt noch versuchen wiirde, die Lage zu ver-
schleiern. Das deutsche Volk begreife nicht, dafz nach den unzahligen
Siegesmeldungen der vergangenen Jahre die deutsche Regierung
jetzt bedingungslos kapitulieren miisse. Jetzt werde auch in den
anderen Parteien erkannt r dalz die Unabhangige Sozialdemokratie
die wahre Sachlage am fruhesten erkannt und das Volk (iber den
Tatbestand aufzuklaren versucht habe.
Es ware anders um Deutschland bestellt, w>enn nicht schon im
Fruhjahr 1915 die ersten Friedensf&den, die sich zwischen England
und Deutschland anspannen, zerrissen worden waren. Damals habe
aber sekst Dr. David, einer der Fiihrer der Rechtssozialisten, be-
hauptet, dafz Haase die Interessen des Auslandes vertrete. Auch
im Jahre 1916 bestand die Moglichkeit, einen Frieden der Ver-
standigung zu schlielzen. Die Regierung habe damals die Be-
miihungen des Prasidenten Wilson abenso durchkreuzt, wie sie im
Herbst 1917 die Anstrengungen des Papstes um einen Frieden ver-
nichtet hat. An dem Ergebnis dieser Entwicklung batten alle Par-
teien mit Ausnahme der unabhSngigen Fraktion schuld. Man diirfe
nicht vergessen, dafz die erste U-Boot~Resolution von Graf Westarp
und Heydebrand bis zu Scheidemann und Ebert gefaizt und unter-
schrieben worden sei. Die Parteien, die hinter ihnen standen,
seien schon deshalb mitverantwortlich, weil sie bis zum letzten
Augenblick dem alten System die Mittel zum Krieg bewilligt hatten.
Wenn die Mehrheitsparteien sich jetzt auf ihre Friedensresolution
vom 19. Juli 1917 beriefen, so miisse man sie daran erinnern, wie
diese bei den Friedensvertragen von Brest-Litowsk und von Bukarest
angewendet worden sei. Dalz diese Friedensvertrage einen Ge<walt-
frieden und nicht einen Rechtsfrieden bedeuten, das bestreite heute
niemand. Jetzt aber gelte es, jede Zweideutigkeit unter alien Um-
standen zu vermeiden, weil Unaufrichtigkeit das starkste Friedens-
hindernis bilde. Diese Klarheit lasse jedoch das Friedensangebot der
jetzigen Regierung noch immer vermissen. Selbst Hindenburg und
Ludendorff, die in diesem Kriege die politischen Beschliisse bestimmt
hatten, hatten jetzt zum Abschlufz des Friedens geraten. Aber es
gebe selbst jetzt noch Leute, wie den Grafen Westarp, die zur
nationalen Verteidigung aufrufen und das Blutvergielzen fortsetzen
wollen. 1st aber einer unter Ihnen, so rief Haase der Reichstags-
mehrheit zu, der daran glaubt, dalz es moglich sei, nach einigen
Monaten in besserer militarischer Lage dazustehn und dann einen
gunstigeren Frieden zu erlangen?
175
Haase erinnerte bei dieser Geleg-enheit an das, was F r i € d r i c h
E n g e 1 s vorausgesagt hatte: es sei fiir Preufzen-Deutschland kein
anderer Krieg moglich als ein Weltkrieg, bei dem ganz Europa ka'hl*
gefressen werden wixrde. „Die V-erwtiistungen des 30jahrigen
Krieges zusammengedrHngt in drei bis vier Jahren und ub^r den
ganzen Kontinent verbreitet, Hungersnot, Seuche, allgemeine, durch
akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volks-
massen, rettungslose Verwirrung unseres kiinsflichen Betriebes in
Handel, Industrie und Kredit und am Ende ein allgemeiner
Bankrott, Zusammenbruch der alten Staaten und
ihrer tradition ellen Staatsweisheit derart, dalz die Kronen z u
Dutzenden iiiber die Strafeenpfl, aster rollen und
niemand sich finder, der sie aufhebt, absolute Unmoglichkeit, vorher-
zusehen wie das alles enden wird und wer als Sieger aus diesem
Kampfe hervorgehen wird. Nur e i n Resultat absolut sicher: d i e
allgemeine Erschopfung und die Herstellung der Bedin-
gungen des schlieizlichen Sieges der Arbeit er«
k 1 a s s e." Jedes Wort ist zur Wahrheit geworden, so konnte Haase
jetzt feststellen, aber dennoch erklaren wir:
Das deutsche Volk wird nicht untergehen — wird nicht unter«
fehen, wie auch dieser Friede aussieht. Aber freilich, die Errettung
ann dera deutschen Volke aus seiner Not, aus dem unerhorten Druck
nicht kommen in der gegenw&rtig bestehenden Gesellschaftsordnung.
Die Produktivitat der Landwirtschaft und der Industrie kann aufs hochste
gesteigert werden, wenn an Stelle der Wirtschaftsordnung, deren einzige
Triebfeder der Profit ist r die sozialistische Wirtschafts*
ordnung tritt. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist not«
wendig. Auf Rulzland konnen Sie nicht hinweisen, weil die Zustande in
Deutschland okonomisch viel reifer sind als in Rulzland. In Deutschland
und in England — das gestehen auch bxirgerliche Professoren, National*
Skonomen zu, — hat die Produktion einen solchen Reifegrad erreicht,
dalz es mftglich ist, ohne starke Erschutterung die kapitalistische
Ordnung in eine sozialistische W irtschaf tso rdn un g
ii b e -r z u f \i h r e n,
Wie der Kapitalismus zusammengebrochen ist, wird dem Kapitalismus
auch bald seine Sterbestunde lauten. Die G6tzendammerung fur das alte
System sehen wir. Aber schon zeigt sich die MorgenrSte einer
neuen Zeit. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen
wird aufhoren; nur Freie und Gleiche wird es dann geben. Von der
Kuhnheit und Entschlossenheit der Arbeiter, namentlich auch der
deutschen Arbeiter, wie freilich der Arbeiter aller Lander, wird es ab~
hangen, ob diese die Menschheit befreiende Umwalzung bald kommt,
oder ob wir noch schwere Zeiten bis dahin durchzumachen haben.
Wir haben Vertrauen zu den Arbeitern; wir sind uberzeugt,
dalz aus all dem El end am letzten Ende doch hervorgehen wird die
voile Befreiung der MenschenI
Einen Tag daruf hielt es die rechtssozialistische Fraktion fiir ange-
bracht, Herrn N o s k e als Redner vorzuschicken, der die Gelegenheit
wahrnahm, um die Kriegspolitik seiner Partei zu verteidigen und die
Unabhangige Sozialdemokatie aufs heftigste anzugreifen. Er behaup-
tete, dalz auch die Unabhangige Sozialdemokratie an dem traurigen
Ergebnis des Krieges mit schuld sei, denn sie habe ja am 4. August
1914 die Kriegskredite ebenso bewilligt, wie die Vertreter der rechts-
sozialistischen Partei. Es war deshalb notwendig, dalz Ledebour,
176,
der nunmehr zu Worte kam, noch einmal klarstellte, dafz die damalige
Minderheit in der Fraktion sich nur dem disziplinarischen Zwange
beugte, als sie im Plenum fur die Kriegskredite stimmte. Im librigen
aber zeigte Ledebour, wie windig es um den neuen Parlamentarismus
stehe, wie er bis jetzt in Deutschland durchgefuhrt sei. Nicht die
Regierung sei parlamentarisiert worden, sondern man habe einige
Abgeordnete bureaukratisiert. Jetzt komme es darauf an r dafz mit
kraftigem Besen ausgefegt werde. Es sei absolut notwendig, dafz an die
Spitze der Staaten nicht nur andere Personen, sondern ganz andere
Einrichtungen gesetzt wurden. Das monarchische System, in dem
das bureaukratisch-militarische Regierungssystem gipfelte r habe voli-
kommen abgewirtschaftet Die Unabhangige Sozialdeimokratie sei der
Ansicht, dafz das deutsche Volk aus dem furchtbaren Zusammen-
bruch sich nur dann eine gluckliche Zukunft sichern konne, wenn
es sich republikanisc he Einrichtungen schaff e r die die
verderbliche kapitalistische Produktionsweise durch die sozialistische
ersetzen. Aus dem furchtbaren Ungluck, das dieser Weltkrieg (iber
alle Volker heraufbeschworen habe, erwachse fiir die Arbeiterschaft
aller Welt die Notwendigkeit, ube-rall die Macht zu er-
greif en, um den Sozialismus zur Durchfuhrung zu bringen:
Denn solange die kapitalistischen Einrichtungen bestehen r ist es ganz
unmofflich, da£s die furchtbaren Nachteile wettgemacht, dafz sie aus-
geglichen werden konnen. Allein die finanzielle Zerriittung aller euro-
paischen Lander, die der Krieg notwendigerweise zur Folge haben muiz,
und die sich in Friedenszeiten durchsetzen wird, drangt geradezu
zum Sozialismus hin. Dafe die burfferlichen Klassen, die dabei
ihre Sonderrechte verlieren wiirden, nicht aaf iir zu haben sind, ist mir
nicht zweifelhaft. Aber die Proletarier aller Lander, nicht nur die
Proletarier Deutschlands, nicht nur die bisherigen Proletarier, sondern
alle diejenigen Manner und Frauen, die durch das Elend des Weltkrieges
in das rroletariat hinabgestoizen wurden, werden sehr bald zu dieser Er-
kenntnis kommen und dann werden sie zu dem schreiten, was mit dem
Sozialismus auch endgiiltig der Welt den Frieden bringen wird.
Wieder <einen Tag darauf rechnete Genosse Oscar Cohn mit
dem Militarismus ab. Erst hatten namlich Hindenburg und Luden-
dorff zum schleunigen Abschlufz eines Friedens geraten, inzwischen
besannen sie sich aber wieder eines anderen, und sie behaupteten,
daiz Heer und Flotte lieber bis zum letzten kampfen wurden, als den
Waffenstillstands Wilsons, der die bedingungslose Unterwerfung ver-
langte, anzunehmen. Die Konservativen hatten bereits einen Aufruf
erlassen, worin sie erklarten, dalz unter Umstanden Heer und Flotte
auch gegen die Krone fiir die nationale Verteidigung sich etablieren
wiirden. In diesem Augenblick iwar es notig, die Schuld des mon-
archischen Systems fiir den grauenvollen gesellschaftlichen Zustand,
wie es dieser Krieg war, festzustellen. Die burgerlichen Parteien
allerdings, so sagte Cohn dazu, hatten Monarchic und Militarismus
gehatschelt aus Angst vor der Sozialdemokratie. In dieser histo-
rischen Situation gebe es aber kein Ausweichen mehr vor der Frage:
Krieg mit den Hohenzollern oder Friede ohne die
Hohenzollern? Das starkste Friedenshindernis in diesem
Augenblick seien die Krafte, die zwar die militarische Lage richtig
sahen, aber, um ihre soziale Existenz und um das monarchisch-auto-
kratische System aufrechtzuerhalten, nicht die Konsequenzen daraus
12 177
z8gen 7 sondern dazu bereit seien, den Rest unserer Volkskraft in den
grolzen Schmelzkessel zu werfen, in der Hoffnung, sich noch ein paar
Monate fristen zu konnen. Jetzt imisse die Bevolkerung aufgerufen
werden, damit sie sich imit aller Kraft, die ihr zur Verfugung stehe,
gegen die eigene Vernichtung zur Wehr setze. Der Hauptfeind des
deutschen Volkes stehe i in Lande und nicht aulzerhalfo des
Landes. Gegen diesen Hauptfeind wiirden sich Soldaten und Arbeiter
zur Wehr setzen.
In diesem Gedanken bin ich und sind meine Freunde vereinigt mil
der gesamten Internationale der Arbeiter und
B a u e r n. Wir sehen den Krieg nicht als nationales Problem an r wir
vergessen auch in dem jetzigen Stadium der Losung des Krieges nicht
seinen Ausgangspunkt. Wie die Menschheit hineingetrieben worden ist
in diesen Krieg durch die Machte des Kapitalismus und Militarismus,
Machte, die internationaler Art r wenn auch national verschieden in ihrem
Wirkungsgrade waren, so wird sich auch die Internationale Menschheit
— das ist ihre Pflicht — zusammentun gegen diese Machte und auf den
Weltimperialismus und Weltmilitarismus wird folgen und ihn uber«
winden die Weltrevolution. Indem die deutschen Arbeiter sich
der Pflicht zur Revolution bewulzt werden, werden es auch die
Arbeiter anderer Lender. Diesen unseren Freunden jenseits der fran«
zosischen, jenseits der italienischen, jenseits der iibrigen Landesgrenzen
reichen wir heute im Geiste die Hand. Wir stehen zu einander, mit«
einander, Qfegen den gemeinsamen F e i n d , den inter-
national en Kapitalismus!
Die Tragodie war zu Ende. Sie schlofz mit einer Komodie ab.
Wilhelm und sein Sohn flohen nach Holland, Ludendorff entwich
nach Scbweden, die Bourgeoisie verkroch sich feige vor dem Zorn
des Volkes. Es kamen die Novembertage, die der Arbeiterklasse die
Erfullung ihrer Sehnsuchte zu bringen schienen.
178
<&%!Mi$gt@i®gtt<iG&SQ^^
Die Tage des November.
Der Zusammenbruch. — Unterschiede zwischen Deutschland imd
Rufzland. — Schwierigkeiten rechts und links. — Die Antwort der
Gegenre volution. — Die 1. Konferenz der A.« und S.«Rate. — Austritt
der Unabhangigen aus der Regierung. — Die Warden zur National*
versammlung. — Ermordung Kurt Eisners. — Der M&rzparteitag der
IIS.P.D.
Wenn wir heute, drei Jahre nach den Ereignissen, auf die
Novembertage des Jahres 1918 zuriickblicken, so wissen wir, aus
welchen Griinden der Zusammenbruch des alten politischen
und militarischen Systems nicht in die vollstandige UrnwHlzung
der kapitalistischen Wirtschafts- und Staatsverfassung ausmunden
konnte. Die Arbeiterbewegung stellte kein geschlossenes Ganzes
dar. Sie war wohl nach dem Betruge der Kriegsjahre endlich er«
wacht, aber sie war nicht von dem klassengemaizen Bewufetsein
durchdrungen, dafz es nur durch die Zusammenfassung aller Krafte
moglich ware, die sozialistischen Ziele zu erreichen. Auf dem linken
Flugel stand der Spartakusbund r der wie hypnotisiert auf das russische
Vorbild hinstarrte und sich auch fur Deutschland den Ablauf der
Revolution nur so vorstellen konnte, wie wir es an RuMand erlebt
hatten: die Besitzergreifung der politischen und milit&rischen Macht
durch einen kiihnen Vorstolz, ausgefiihrt von einer kieinen Schar
entschlossener Kampfer und die rucksichtslose Auslibung der Diktatur
auch gegen den Willen der Mehrheit des Volkes, selbst gegen den
Willen der Mehrheit der Arbeiterklasse. Er erkannte nicht das
Wesen der Revolution, sondern sah nur deren Begieiterscheinungen.
{ Zwischen Deutschland und RuMand bestanden aber gewaltige
Unterschiede. In Rulzland eine vollkommene Desorgani-
sation des wirtschaftlichen, militarischen und staatlichen Apparats;
weder das Biirgertum noch die Bauernschaft war als Klasse organi-
siert, denn weder die wirtschaftliche noch die politische Verfassung
des Landes unter der Herrschaft des Zaren hatte die Moglichkeit zur
Bildung von Parteien gegeben, die nach dem Zusammenbruch des
alten Regimes als Vertreterinnen bestimmter Klassen die politische
Macht an sich reilzen und erh alten konnten. Den Bolschewiki kam
nun zu Hilfe, dafz sie durch die Uebernahme der biirgerlichen Parolen
„Frieden und Land" sowohl die Bauern als auch die politisch noch im
Urzustande sich befindenden Arbeiter fur sich gewinnen konnten.
Nur aus solchen Umstanden ist es zu erklaren, dafz der Handstreich
der Bolschewiki im November 1917 gelang und dafz sie durch die
Eroberung des Regierungs apparats in den beiden Hauptstadten
12 179
Petersburg und Moskau sich sofort die Herrschaft iiber ganz Rulz-
land sichern konnten. Die Bolschewiki folgten nicht Karl Marx,
sondern Michael Bakunin; und seitdem sind es auch anarchistische
Prinzipien, von denen ihre Herrschgewalt durchdrungen 1st. Sie
konnen sich darin nur so lange behaupten, als sie unter dem Deck-
mantel kommunistischer Theorien die Entwicklung der vorkapitali-
stischen Epoche des Landes zu der Periode des Kapitalismus fordern.
Die Gegensatze zwischen kommunistischen Thesen und wirtschaft-
lichen Tatsachen miissen die bolschewistische Herrschaft verschlingen,
sobald das Bauerntum sich als Klasse organisiert hat und die Grund-
lagen der bauerlichen Wirtschaft, das Privateigentum an Grund urid
Boden, von den Bolschewiki ernstlich bedroht wird. Die Hauptstiitze
der bolschewistischen Herrschaft ist denn auch nicht die organisierte
Macht und die sozialistische Erkenntnis des Proletariats, sondern die
dem Bauer und dem Arbeiter gemeinsame Abneigung gegen die
friiheren Trager der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft
Besteht diese Gemeinsamkeit der Interessen nicht mehr, miissen die
Bauern befurchten, durch die Verwirklichung der kommunistischen
Theorien ihres Privateigentums beraubt zu fwerden r so hat die Sterbe-
glocke der bolschewistischen Herrschaft geschlagen. Darum sehen
wir r wie die Kommunisten r urn sich an der Herrschaft zu halten,
gerade das Gegenteil von dem tun, was die Grundsatze des Sozia-
lismus und was ihre eigenen Grundsatze von ihnen verlangen. Sie
sichern den Bauern das Privateigentum an Grund und Boden, sie
schaffen durch die Freigabe des Handels die Vorbedingungen fiir
neue kapitalistische Entwicklungen, sie rufen das auslandische
.Kapital zur Ausbeutung der natiirlichen Schatze ins Land. Die wirt-
schaftlichen Tatsachen erweisen sich eben als stacker, als alle anarchi-
stisch-kommunistischen Glaubenssatze.
D e u t s c h 1 a n d ist okonomisch reif fiir die Verwirklichung des
Sozialismus. Aber die politischen Verhaltnisse lagen hier 1918 noch
weit ungiinstiger als 1Q17 fiir Rufzland. Das Land war wehrlos den
Anspriichen der Entente preisgegeben. Das Biirgertum r wenn es
sich auch im ersten Schreck der Novembertage feige verkroch r
besalz doch starke wirtschaftliche und politische Organisationen.
Die Bauern waren konterrevolutionar gesinnt r die Proletarier 'im
Waffenrock hatten die geistverwiistenden Kriegsjahre hinter sich r sie
wollten zumeist nur wieder nach Hause und endlich zur Ruhe
kommen. Die Eroberung der politischen Macht in Berlin bedeutete
noch langst nicht die Beherrschung des ganzen politischen Apparats
des Reichs. Die Ausrufung der Rateherrschaft in der Reichshaupt-
stadt ware noch lange nicht die Feststellung der Tatsache gewesen,
dalz die Herrschaft an das Proletariat libergegangen war. Die Parole:
Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenraten, konnte nicht verwirk«
licht werden, solange ihr selbst in Berlin nur eine Minderheit folgte,
Millionen von Arbeitern aber teilnahmslos oder gar widerstrebend
beiseite standen. Nur die Zusammenfassung aller proletarischen
Krafte auf ein Ziel r die Verwirklichung der sozialen Demokratie,
konnte damals die Herrschaft der Arbeiterklasse sichern; nicht durch
die Zertrummerung der Produktivkrafte, wie in Rulzland, sondern nur
durch ihre Erhaltung und ihre Sozialisierung konnten die unend-
lichen Schwierigkeiten uberwunden werden.
180
Hier ebev tiirmten sich die Hindernisse von der anderen Seite auf.
Die rechtssozialistische Ftihrung war wahrend der Kriegszeit eine zu
•enge Bindung mit der Bourgeoisie eingegangen, als dalz sie sich
jetzt so schnell harte darauf besinnen konnen, dalz die Urkraft des
Proletariats nur in seiner Selbstandigkeit als Klasse liege/ Ihr erster
Gedanke wahrend des Zusammenbruchs war nicht die Verwirk-
lichung des Sozialismus, sondern sie sann nur darauf, wie sie durch
das Festhalten an der Koalition mit Liberalen und Klerikalen wenig-
stens einige Konzessionen aus dem Bankrott retten konnte. Bis zum
9. November reichen ihre Bemuhungen, den offenen Ausbruch der
Revolution zu verhindern und die Errichtung einer vom sozialisti-
schen Geist beherrschten Gemeinschaft unmoglich zu machen.
Heinrich Strobel, den man gewiiz als unparteiischen Zeugen
ansprechen darf, da er ein Jahr spater den Weg zu der rechts-
sozialistischen Partei wieder zuriickfand r hat in seiner Schrift: rr Die
Kriegsschuld der Rechtssozialisten" die Situation des November
folgendermalzen geschildert:
Vier Jahre lang hatten die Mehrheitssozialisten alle Kriegskredite
b e w i 1 1 i g t r die Legende des Verteidigungskrieges verbreitet, jede deut«
sche Kriegsbarbarei besch5nigt und nur da zielbewulzte Rucksichtslosigkeit
betatigt, wo es gait, den Burgfrieden gegen die Auflehnung unabhangiger
Parlamentarier, Redakteure und streikender Arbeitermassen zu schtitzen.
Noch in den letzten Tagen vor der Berliner Revolution, als sich bereits die
gesamte Marine erhoben und ganz Nordwestdeutschland die Republik
groklamiert hatte, warnte das Zentralorgan der Mehrheitler die Ber«
aer Proletarier noch immer vor jeder Strafeendemonstration.
Als freilich die Berliner Arbeiter und Soldaten unbekiimmert urn die War^
nungen des „Vor warts" am 9. November in einem Anlauf den ganzen
Ordnungsplunder uber den Haufen geworfen und im Schloiz und auf dem
Reichstag die rote Fahne gehilzt hatten, verstanden sich die Scheidemanner
der veranderten Situation ebenso plotzlich anzupassen wie in den ersten
Augusttagen des Jahres 1914. Wie sie damals militarfromme Patrioten
geworden waren, so wurden sie jetzt innerhalb weniger Stunden martia«
Bstische Revolutionare. Die Geschwindigkeit war freilich keine Hexerei,
denn diesmal wenigstens handelte sichs wirklich nur urn einen Kostiim«
w e c h s e 1.
Die Unabhangige Sozialdemoikratie brauchte diesen Kostumiwechsel
nicht mitzumachen. Sie blieb, was sie von Anfang an gewesen war,
die Partei des proletarischen Klassenkampfes und der sozialistischen
Erkenntnis. Sie wurde weder von der Novemb err evolution tiber-
rascht, noch durfte sie sich einer Selbsttauschung uber deren Grund-
lage hingeben. Freilich hat auch sie Irrungen und Wirrungen durch-
zumachen gehabt, bis zwei Jahre danach die Spaltung von Halle
auch die letzten Reste anarchistischen Denkens aus ihren
Reihen entfernte. Aber was ihre offiziellen Kundgebungen in der
damaligen kritischen Zeit offenbaren, den Geist marxistischen Wissens
und Verstehens der Verhaltnisse, das wird in der Geschichte der
Arbeiterbewegung als ihr dauerndes Ruhmesblatt bestehen bleiben.
Am 12. November erliefz die Partei diesen A u f r u f :
ParteigenossenI
Mit Freude und Stolz sprechen wir zu EuchI
Das scheinbar gegen alle Sturme festverankerte Gebaude des preuMsch«
deutschen Militarismus ist zusammengebrochen.
181
Die Kronen der deutschen Furstenhauser, die Krone des deutschen Kaiser*
turns sind wie Glas zerschellt.
Verheilzungsvoll tritt an Stelle der Monarchie die sozialistische
R e p u b 1 i k.
Das revolutionare Volk hat kurzen Prozelz gemacht mit den Tragern der
alten Regierungsgewalt, den Generalen und Bureaukraten. Es hat die
Macht der Offiziere in der Armee, die Herrschaft der Junkerkaste in der
Verwaltung, die Herrschaft des kapitalistischen Klungels im dffentlichen
Leben gebrochen und die Regierungsgewalt an sich gerissen.
Die Trager dieser Gewalt sind heute die Arbeiter* und
S oldat en~Rate.
In derselben Stunde, in der die Mauern der alten Verwaltung zertrummert
sind, ist der Grund gelegt fur den gewaltigen Bau der neuen s o z i a «
listischen Ordnung. Jetzt gut es mit dem Aufgebot aller schopfe*
rischen Krafte den Frieden zu sichem, die revolutionaren Errungenschaften
zu festigen, um mit der politischen auch die okonomische Betreiung der
Arbeiterklasse zu vollenden.
Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat vom ersten
Tage ihres Bestehens an das bevorstehende Ende des Militarismus und des
Imperialisms verkiindet und alles getan, um die revolutionaren
Krafte der Arbeiterklasse zu entf esseln. Heftig bekampft von
der Sozialdemokratischen Partei, die noch beim Ausbruch der Revolution
verstandnislos diesen Ereignissen gegenuberstand und die Vorkampfer der
Revolution schmahte.
Die Not der Stunde verlangte gebieterisch die Herstellung einer Re«
gierung, die dem blutigen Gemetzel ein Ende machen, die begonnenen
Waff enstillstandsverhandlung-en zum Abschlulz bringen und den Frieden
sicherstellen sollte. Erne Regierung, die mit Nachdruck an die V e r *
wirklichung der sozialistischen Grundsatze herantritt.
Dafur war aber eine Gewahr nur gegeben, wenn unsere Partei entschei*
denden Einflulz auf die Regierung bekam, deshalb verlangten wir, das
neue politischeKabinett musse ein rein sozialistisches
sein, in dem beide sozialdemokratischen Parteien zu gleichen Teilen mit
gleichen Rechten vertreten sind.
Diese Regierung konnte die Gewalt nur aus den Handen der Arbeiter*
und Soldaten»Rate empfangen. Die Regierunsf wurde deshalb auch erst in
dem Augenblick konstituiert, als die erste Vollversammlung des Berliner
Arbeiter- und Soldaten«Rats die Bildung eines provisorischen Kabinetts in
dieser Zusammensetzung billigte.
Durchdrung-en von dem f esten Glauben an die Durchfuhrbarkeit
unseres Endzieles gehen wir an die schwere Arbeit der Be-s~itigung
der Kriegsiibel und des Kriegselends, an den Wiederaufbau der i storten
Volkswirtschaft, an die durchgreifende Umg-estaltung aller Gebiete nseres
offentlichen Lebens, an die Ausmerzung aller Machtpositionen dei bisher
herrschenden, besitzenden Minderheit.
Wirksam kann dieses nur geschehen, wenn die Arbeiter in Massen zu
uns stehen und unsere Arbeit fordern.
Sobald die Parteigenossen von den revolutionaren Posten, auf denen sie
jetzt Wache halten, sich entfernen konnen, werden wir einen Parteitag em-
berufen. Dort sollen unsere Genossen entscheiden uber die Schritte, die
wir unternommen haben.
Und nun auf zu ra^stloser Arbeit! Sammelt das Proletariat unter
dem Banner der Parte\ die kuhn und klar sehend die Massen zu dem
revolutionaren Ziel gefuhrt hat, das nun erreicht ist.
182
Es lebe die grundsatztreue, revolutioriare Sozialdemokratie, die Unab«
hangige Sozialdemokratische rartei Deutschlandsl
1 Es lebe die sozialistische Internationalel
Der Vorstand der Unabhangigen Sozialdemokrati*
schen Partei Deutschlands.
Die Unabhangige Sozialdemokratie war also, auf das Drang-en der
Soldaten- und Arbeiterrate, die stiirmisch nach der Einigung
des Proletariats rief en, in die Regierung der Volksbeauftragten
eingetreten; aber sie hatte dort von Anfang an mit den grofzten
Schwierigkeiten zu kampfen. Links von ihr standen die Spartakus-
leute, die mit ihrer „Vorhut" die Revolution durchfuhren wollten
und denen die tatsachlichen wirtschaftlichen und politischen Ver-
hSltnisse nur dazu dienten, urn sie zu milzachten; rechts stand die
Sozialdemokratische Partei, die nur widerwillig sich vom Biirgertum
gelost und an das Proletariat angeschlossen hatte. Hinter sich aber
hatte sie kaum 100 000 organisierte Mitglieder; sie war noch keine
Landespartei, weite Gebiete des Reichs waren bisher von der unab-
hangigen Be<wegung noch gar nicht beriihrt worden. Zu Anfang
besalz sie erst wenige Blatter, nur mit der groizten Anstrengung
gelang es, bis zum Dezember ihre Zahl auf etwa zwanzig zu erhohen.
Die Volksbeauftragten regierten nicht miteinander, sondern gegen-
einander und es stand schon nach wenigen Tagen fest, dalz es
bald wieder zum Bruche kommen wiirde.
Die Geister schieden sich vor allem in der Frage, wie der neue
Staat aufgebaut werden solle. Die Rechtssozialisten wollten die
alten Organe des Staates erhalten wissen und sie hochstens mit
Hilfe der formalen Demokratie umgestalten. Ihnen war die Revo-
lution nur eine vorii'bergehende und dazu noch hochst unerfreuliche
Erscheinung; deshalb verlangten sie, dafz die Arbeiter- und Soldaten-
rSte wieder verschwinden sollten, sobald sie ihre Aufgaie, die alte
burgerliche Ordnung wieder herzustellen, erfiillt hatten, und daiz die
Nationalversammlung iiber die endgultige Gestaltung des
Staats entscheiden sollte. Die Unabhangigen Sozialdemokraten da-
gegen f orderten die Anerkennung der Rate als der Organe
der Revolution; Demokratie und Ratesystem sollte nicht als Gegen-
satz aufgefaizt werden, sondern das Ratesystem als die Organisation
der werktMtigen und produzierenden Bevolkerung wiirde die wahre
demokratische Verfassung des Landes sein. Kaum, dalz das alte
Regime gestiirzt war, so riefen die Rechtssozialisten schon nach der
Nationalversammlung; die Unabhangigen aber wollten der Arbeiter-
klasse erst Zeit lassen, von den Forderungen des Sozialismus soviel
wie nur immer moglich durchzusetzen. Die Regierung der Volks-
beauftragten sollte durch Taten das Proletariat iiberzeugen, dalz es
kein Zuriick mehr gabe. Die Demokratie, so formulierte das
Hi If erding in einer der ersten Nummer des neuen Organs der
Berliner Parteigenossen, der JPreiheit", miisse so.verankert werden,
dafe eine Reaktion unmoglich werde. Vor allem aber mlifzten wir
beweisen, dalz wir nicht nur Demokraten, sondern auch Sozialisten
seien. Die Durchfiihrung einer Reihe wichtiger sozialistischer
Uebergangsmalznahmen sei ohne weiteres moglich, es miilzten Stel-
lungen geschaffen werden, die jedem kapitalistischen Gegenangriff
183
unangreifbar seien. Unsere Taten miiizten jetzt unsere Propaganda
sein. In aieser Situation erlieiz die UnabhMngige Sozialdemokratie
folgenden Aufruf:
Parteigenossen, ParteigenossinnenI
Die Ketten der politischen Unterdruckung sind zerbrochen, die Fesseln
okonomischer Ausbeutung nur gelockert. Auch sie miissen fallen. Die
Arbeit er und Soldaten sind die Werkmeister der Um«
walzung. In alien Arbeiter- und Soldaten«Raten liegt Kraft des Rechts
der Revolution die politische Gewalt. Die Regierung ubt sie aus, weil und
solange sie das Vertrauen der Arbeiter* und Soldaten~Rate hat. Die Orga*
nisation der Arbeiter« und Soldaten~Rate erweitert und befestigt sich.
Bezirksrate bilden sich an manchen Stellen. Bald wird ein Zentralrat fur
das ganze Deutsche Reich geschaffen werden.
Eine Zusammenfassung aller Krafte ist erforderlich, damit aus den Ruinen
neues Leben bluhen kann, damit die deutsche Republik mit
s'ozialistischem Inhalt erfullt wird.
Die Bourgeoisie ruft mit verdachtiger Eile, nachdem sie sich vom ersten
Schrecken der Revolution erholt hatte, tagein, tagaus nach der s o f o r t i «
gen Einberufung der Konstituante. Am lautesten gebarden
sich dabei die alten Vertreter des Scharfmachertums, die wiitendsten Feinde
der Arbeiterklasse. Die Verrater des Volkswillens berufen sich jetzt, mit
einem Mai auf das Volk, aber sie wollen nicht den Ausdruck der Volks*
meinung. Eine sofortige Zusammenberufung der Konstituante bedeutet
Raub des Wahlrechts fiir Millionen, die seit Jahren taglich unter den grdlz-
ten Entbehrungen dem Tod ins Auge geschaut haben.
Ist das der Dank an die Soldaten, dafz uber die kixnftige Gestaltung, uber
das kiinftige Schicksal Deutschlands durch eine Wahl entschieden werden
soil, von der ein grolzer Teil der Soldaten ausgeschlossen ist? Von einer
konstituierenden Versammlung kann erst die Rede sein, wenn die Soldaten
wieder in ihrer Heimat bodenstandig geworden sind, wenn die Arbeiter erst
eine feste Arbeitsstatte, ein Heim gefunden haben.
Von einer konstituierenden Versammlung kann erst die Rede sein, wenn
es feststeht, dafz die Bevolkerung der auf Grund des Waffenstillstandes
besetzten Gebiete frei und unbeeinflufzt wahlen kann. Oder wird es jemand
wagen, diesen das Wahlrecht zu entziehen?
Jeder Politiker weifz, dafz die technischen Vorbereitungen einer Wahl
schon friiher langere Zeit erforderten. Jetzt sind iiberall neue Listen fiir
alle uber 20 Jahre alten Frauen und Manner anzulegen. Es darf nicht vor-
kommen, dafz bei einem solch wichtigen Akte infolge Uebersturzung Wahl*,
berechtigte unregistriert bleiben und ihres Wahlrechts beraubt werden.
Eine Wahl hat nur dann Wert, wenn die Wahler auch uber die ihr zu«
grunde gelegten politischen Fragen aufgeklart werden. Millionen von Sol«
daten sind durch den sogenannten vaterlandischen Aufklarungsdienst uber
die politischen Vorgange dauernd belogen worden. Sie zu unterrichten,
mufz Zeit bleiben.
Konstituante — ja, sie wird kommen, aber sie kann erst kommen,
wenn alle technischen und politischen Voraus«
setzungen erfullt sind, wenn in ihr wirklich derWille
des aufgeklarten Volkes ausgepragt ist.
Die Scharfmacher im Lande wissen sehr gut, daiz die Wahl, wenn sie
nicht zur Komodie gemacht werden soil, nicht in kurzester Zeit vorgenom*
men werden kann. Sie suchen die sozialistische Regierung zu diskreditieren
und scheuen sich nicht, selbst das Ausland aufzupeitschen, daiz es nicht
eher Frieden gewahren soil, bis die Konstituante zusammentritt. Sie werden
so in der Zeit der grofzten Not Friedensverhinderer.
184
Mitschuidig an diesem verbrecherischen Tun sind alle, die es still-
schweigend oder ausdrucklich unterstiitzen. Merken die Rechtssozialisten
noch immer nicht, dalz sie die Geschafte der Reaktion betreiben, .wenn sie
in das Geschrei der Arbeiterfeinde einstimmen?
Die Bourgeoisie verfolgt mit ihrem Kampfgeschrei noch einen anderen
Zweck. Sie will alle tiefergreifenden sozialen Umgestal*
tungen aufhalten, indem sie glauben machen will, dalz die sozia-
listische Regierung kein Recht habe, vor Zusammentritt der Konstituante
Gesetze zu erlassen oder gar an die Sozialisierung" der Betriebe vorher zu
gehen. Die Regierung hat das Recht dazu, weil sich in ihr die gesetz-
gebende Macht des souveranen Volkes verkorpert, und sie hat die Pflicht
dazu, wenn sie die Massen, die die Trager der Revolution sind, nicht im
Stich lassen will. Diese Pflicht gilt es nunmehr zu erfullen.
Parteigenossen, Parteigenossinnenl
Seid auf dem PostenI Werbt mit dem groizten Eifer neue Anhanger fur
unsere Partei. Je starker unsere Partei ist, desto sicherer ist es, dalz d i e
Forderungen des Sozialismus verwirklicht werden.
Urn die Errungenschaften der Revolution festzuhalten und auszubauen,
gibt es kein wirksameres Mittel, als die Starkung unserer Organisation, der
Hnabhangigen Sozialdemokratischen Partei. Wahrend des ganzen Krieges
hat unsere Partei die Kriegspolitik bekampft, ihre Anhanger mit dem Geist
des Sozialismus erfullt. Ihre geschichtliche Aufgabe istes, das
Proletariat zu sammeln, zur Beseitigung jeder Klassenherrschaft, zur Auf «
richtung der sozialistischen Gesellschaft.
Die Parteileitung der Unabhangigen Sozialdemo«
kratischen Partei Deutschlands.
Die Bourgeoisie hatte zuerst als mit einer Selbstverstandlichkeit
damit gerechnet, dalz es mit ihren Privilegien nunmehr fiir immer
voruber war. Kannte sie doch von alien biblischen Spriichen den
am besten, der da heilzt „Auge um Auge, Zafin um Zahn", und wie
sie bisher das Proletariat niedergetreten hatte, so erwartete sie jetzt
umgekehrt, dafz die Arbeiterklasse ihre bisherigen AJnterdnicker ohne
Gnade niederwerfen wiirde. Als nun aber gar nichts von dieser Art
geschah, da sammelten sich nach den ersten Tagen der Verwirrung
wieder jene Krafte, die auf die Revolution mit der Gegenrevo-
1 u t i o n zu antworten gedachten. In Berlin wurde der Versuch
unternommen, Herrn Ebert zum Reichsprasidenten zu machen, damit
er als Platzhalter fiir den zuriickzuhdlenden Monarchen diene. W<ar
bis jetzt die Umwalzung fast friedlich vor sich gegangen, so kam es
nunmehr zu grofzeren Blutvergiefzen. Und als ob nichts geschehen
sei, versuchte Herr Fehrenbach, der bisherige Reichstags-
prasident, im Dezember den Reichstag einzuberufen, damit er die
Ordnung vollig wieder herstelle.
Das Starkeverhaltnis der revolutionaren Krafte
zeigte sich auf der ersten Konferenz der Arbeiter~ und
Sold'atenrate Deutschlands, die Mitte Dezember in Berlin
zusammentrat. Die Una'bhangige Sozialdemokratie bildete nur eine
Minderheit, der Spartakusanhang war auf eine lacherlich geringe
Vertreterzahl angewiesen, die aber einen um so grofzeren Larm
machte. Die Masse der politisch ununterrichteten Soldatenrate hing
dem Kongrelz wie ein Bleigewicht an. Gerade wegen dieser unzu-
verlassigen und unberechenbaren Zusammensetzung des Kongresses
hatte man versuchen miissen, ihn, so gut es ging, fiir die noch zu
185
losenden Hauptaufgaben der llmwalzung zu verwenden. Man konnte
unmoglich die Forderung aufstellen: alle Macht den Raten, diese
Forderung aber nur in dem Falle anerkennen, wenn sie dem
Willen einer Minderheit entsprach. Unter dem Einfluiz der Bralz,
Koenen und Kurt Geyer stellte sich aber die Unabhangige Fraktion
schmollend beiseite, als die Konferenz die Einsetzung eines Zentral-
rats beschlofz, der den Berliner Vollzugsrat in seinen Machtbefug-
nissen ablosen sollte. Beide Korperschaften haben von da an nur
noch ein Schattendasein gefiihrt: der Vollzugsrat, indem ihm
keine neuen revolutionaren Krafte mehr zuflossen, und der Z e n t r a 1-
rat, indem sich ihm die Mitarbeit der revolutionaren Krafte ent-
zog. Das Feld blieb im Zentralrat ganz den Rechtssozialisten
liberlassen, ihre Tatigkeit erschopfte sich darin, die Episode der
Soldaten- und Arbeiterrate fur Deutschland zu Ende zu bringen.
Die Konferenz hatte den Beschlulz gefalzt, die Nationalversammlung
einzuberufen, die Volksbeauftragten setzten dann den W a h 1 «
termin auf den 21. Februar fest. Die Parteileitung der Unab-
hSngigen Sozialdemokratie erlielz am 27. Dezember dazu einen Auf-
ruf, in dem es hieiz:
Die Tage seit der Revolution haben gezeigt, dalz die historische
Aufgabe der Partei damit nicht e r f u 1 1 1 ist. Die Massen in
Stadt und Land haben zwar erkannt, dafz nur im vollstSndigen politischen
und wirtschaftlichen Neuaufbau die Rettung fur die ungeheuren Kriegs*
schaden zu finden ist. Aber die rechtssoziaGstische Fuhrerschaft geht nur
allzu zaudernd und zogernd ans Werk. Sie ftirchtet den Bruch mit den
burgerlichen Parteien, mit denen sie solange in enger Gemeinschaft gelebt
hat. Sie schreckt zuriick vor der ktihnen Fortfuhrung der Revolution, vor
den notwendigen Maiznahmen ihrer Sicherung und der Niederhaltung der
Gegenrevolution.
Der Verlauf der Reichskonferenz der Arbeiter* und Soldaten-R&te hat
erneut den Beweis erbracht, dalz alle energischen und durchgreifenden Mafz«
nahmen auf den Widerstand der Rechtssozialisten stolzen. Die wichtigen
und unumganglich notwendigen Forderungen der Soldaten begegneten ihrem
Widerstreben, und die Ausfiihrung der Beschlusse ist bei dem Widerstand
der Heeresleitung nicht gesichert. Die Antrage der Unabhangigen Sozial*
demokratie auf Wahrung der Rechte des Zentralrates wurden von ihren
Anhangern niedergestimmt. Die revolutionare Energie wurde nicht ge«
starkt, sondern geschwacht. Die USPD. erhalt so die Aufgabe, als Tra*
gerin einer prinzipiellen sozialistischen Politik fur
die Verwirklichung des Sozialismus in der revolutionaren Epoche bis zum
endgiiltigen Siege zu kampfen. Die Partei verkennt nicht, dalz die Haupt-
schlacht geschlagen werden mulz zwischen dem vereinigten Biirgertum auf
der einen Seite und dem Proletariat auf der andern Seite. Denn in diesem
Wahikampf handelt es sich nicht mehr um einzelne politische oder wirt«
schaftliche Forderungen der Arbeiterklasse, sondern es geht um die Auf*
hebung der Klassenherrschaft iiberhaupt, um die Ersetzung
der kapitalistischen Ausbeutung durch die sozialistische Gesellschaft, der in
Freiheit und Gleichheit verbundenen Menschheit. Soil aber dieses hSchste
Ziel, um das je gerungen worden ist, erreicht werden, so bedarf es der Vor*
kampfer, die unbehindert um jede Riicksicht auf die Gegner, unbelastet von
einer schuldbeladenen Vergangenheit die Wegbereiter des Neuen sein konnen.
Um ungehindert diese Aufgabe erfiillen zu konnen, mufz die USPD. in
v oiler Geschloss enheit und Selbstandigkeit in den
Wahikampf eintreten.
186
Die Partei erwartet von alien ihren Genossen, dafz sie mit ganzer Kraft
die Zeit ausniitzen zur Werbung fur die sozialistischen Ideen, zur Aufriitte«
lung- der Massen, zur Gewinnung neuer Kampfer.
Inzwischen ging die Gegenrevolution zum Angriff auf das
Proletariat ixber. Die rechtssozialistische Fiihrung hatte mit
dazu beigetragen, dafz im alten Heere, das von den Fronten zuriick-
stromte, und nun wieder im Innern erschien, die Kommandogewalt
bei den bisherigen Inhabern verblieb. Und diese saumten nicht, die
giinstige Situation in ihrem Sinne auszubeuten. Die Spartakus-
anhanger gaben ihnen bald Gelegenheit dazu, um unter dem Vor-
wande, die republikanische Regierung vor dem Terror der Straize
zu schiitzen, den eigenen Terror gegeniiber der Arbeiterklasse aufzu-
richten. Wir konnen auch an dieser Stelle wiedergeben, was
Strobel in seiner Schrift (iber die nun folgende Periode der deutschen
Revolution ausgefiihrt hat:
Mit der Wiederherstellung des alten Militarismus
begannen die bisher so unblutig verlauf enen Kampf e der Revolution sof ort
einen mafzlos brutalen Charakter anzunehmen. Ohne die Ben
drohung der Revolution durch den neuerstandenen Militarismus, ohne die
g-egenrevolutionaren Putschversuche der Offiziers* und Unteroffiziersgarden
xm Dezember hatte der Spartakismus niemals eine Bedeutung gewonnen.
Und ohne das Massaker in der Chausseestralze, ohne die Niederschieizung
unbewaffneter Demonstranten, ohne die eifersiichtigen Intrigen gegen
Eichhorn w&re die blutige Januarwoche unmdglich gewesen. Aber fur den
neuen Militarismus war dieser Burgerkrieg ja das „moralische Stahl«
bad", der einzige Nachweis seiner Existenzberechtigung. Er konnte nur
grolz werden und sich uber das ganze Reich ausdehnen, wenn es an mog«
Echst vielen Orten „Putsche*' und „Aufstande" zu unterdriicken gab. Je
brutaler man auftrat, desto eher konnte man mit neuen Ausbruchen der
Volkserbitterung rechnen. So verfuhr man denn nach diesem Rezept. Die
sogenannte Spartakus~Woche, die Ermordung von Liebknecht, Rosa
Luxemburg, Jogiches, der 82 Mariner, die Exekution gegen Bremen, Dussel^
dorf, Braunschweig, Magdeburg, die Bluttaten im Berliner Csten, in Mim*
chen, kurz, all die Taten des Noske-Militarismus haben sich ja
so tief in die Seele aller ehrlichen Demokraten und Sozialisten eingebrannt,
dafz eine liickenlose Auflosung der endlos langen Kette dieser Greuel wahr*
haftig nicht vonnoten ist.
Fiir die Unabhangige Sozialdemokratie war nunmehr die Zeit ge-
kommen, wo sie den Bruch mit den Rechtssozialisten
vollziehen und aus der Regierung ausscheiden mufzte.
Man hat damals den unabhangigen Volksbeauftragten zum Vorwurf
gemacht, dafz sie rnit diesem Schritte zu lange gezogert hatten.
ieser Vorwurf war nicht berechtigt; sie mufzten solange in der
Regierung bleiben, als noch die Moglichkeit bestand, die Revolution
zu schiitzen. Erst als die Beteiligung an der Regierung eine offene
Parteinahme fiir die Gegenrevolution bedeutet hatte, schlug die
Stunde, in der der Bruch vollzogen werden mufzte. Hugo Haase
hat liber die damit abgeschlossene erste Phase der Revolution in der
Neujahrsnummer der „Freiheit" ausgefiihrt, dafz die Arbeit der unab-
hangigen Volksbeauftragten nicht nur bei den Rechtssozialisten
Schwierigkeiten fand, sondern dafz sie sich auch der Angriffe zu
erwehren hatten, die von den eigenen Parteigenossen ausgegangen
waren. Dadurch erschwerten sie deren Tatigkeit und trugen eine
unheilvolle Verwirrung in die Reihen der Partei. Es werde auch
187
kunftig unbegreiitich erscheinen, dalz namhafte Mitglieder der Parte!
dariiber diskutieren konnten, ob die Beteiligung der Wahlen an der
Nationalversammlung geboten sei. Hatte die U. S. P. auf dem Ron-
greiz der Arbeiter- und Soldatenrate nicht trotz aller Warnungen
den schweren taktischen Fehler begangen, den Zentralrat allein
den Mehrheitssozialisten zu ttberlassen, so ware jetzt eine andere
politische Situation. Die Rechtssozialisten hatten aus der Regierung
ausscheiden miissen, da selbst deren eigene Anhanger im Zentralrat
keineswegs durchweg auf ihrer Seite standen. Dann erst hatte die
IL S. P. die Moglichkeit gehabt, die sozialistischen Forderungen zu
erfiillen und sich damit das Vertrauen der groizen Massen r die bis
dahin noch den Rechtssozialisten folgten, zu erwerben. Trotz der
bisher begangenen Fehler aber ha'be die U. S. P. keinen Anlalz zurn
Verzagen, die Revolution sei noch nicht abgeschlossen und der
Partei harrten noch grolze Aufgaben.
Urn die Jahreswende traten die Spartakusanhanger
aus der Unabhangigen Sozialdemokratie aus. Sie
hatten damit wahr gemacht r was sie schon vor dem Grundungs-
parteitag in Gotha angekundigt hatten r daiz sie namlich die U. S. P. D.
nur als schiitzendes Dach fur sich benutzen wollten 7 das sie wieder
verlassen wurden, sobald die politische Situation fur sie nicht mehr
gefahrdrohend sei. Sie betrieben schon langst innerhalb der
II. S. P. D. eine vollig selbstandige Politik, ihre Wortfuhrer wulzten
nichts Besseres zu tun r als die Politik der Partei standig zu durch-
kreuzen. Mit dem Ausscheiden der Spartakusanhanger aus der
Partei waren jedoch noch langst nicht alle halbsozialistischen und
anarchistischen Elemente davongegangen; sie belasteten die Partei
noch anderthalb Jahre lang, weniger mit dem Gewicht ihrer Griinde,
<als mit dem Schwall ihrer Phrasen. Erst im Oktober 1920 kam die
•endgultige Trennung auch von diesen Schichten, und damit die Her-
stellung einer einheitlichen und klaren Linie in Grundsatzen und
Taktik.
Die Wahlen zur Nationalversammlung hatten der
U. S.P.D. 2186 305 Stimmen und 22 Mandate gebracht. Wenn
sie damit auch weit hinter der rechtssozialistischen Partei zurlxck-
geblieben war, die 11 112 450 Stimmen und 165 Mandate musterte,
so konnte dieses Ergebnis doch nicht als ein ungiinstiges Zeichen
bewertet werden. ;Nur in wenigen Wahlbezirken besafz damals die
Partei eine eigene Presse und eine schlagfertige Organisation. In
vielen industriellen Bezirken, in manchen Grofzstadten waren nur
wenige Stimmen abgegeben worden, denn dort bestand bisher nicht
die Moglichkeit, aufklarend unter den Massen zu wirken. Wo da~
gegen Organisationen und Presse gearbeitet hatten, da stand die
Mehrzahl der Arbeiterschaft zur Unabhangigen Partei; so in Berlin,
in Mitteldeutschland, in Leipzig, in Thiiringen und am Niederrhein.
Immerhin hatten die beiden sozialistischen Parteien 47 Prozent
aller Wahler fur sich gewonnen. Erwagt man, dafz der Spartakus-
bund zur Wahlenthaltung aufgefordert hatte, dalz viele Tausende von
Proletariern im Soldatenrock noch nicht in die Heimat zuriickgekehrt
waren, so kann man wohl sagen, dalz sich bei den Wahlen zur
Nationalversammlung die Mehrheit des Volkes fiir die
188
Parteiender Arbeiterklasse erklart hatte. Welche Auf-
gabe war nunmehr von diesen Parteien zu erfullen? Sie mulzten den
Willen der Massen vollstrecken, die Front gegen die Bourgeoisie,
gegen den Klassenstaat, gegen die kapitalistische Ordnung nehrnen
und sofort an die Verwirklichung der sozialistischen Forderungen
gehen. Die rechtssozialistische Partei versagte auch diesmal wieder.
Sie st elite ein Rechenexempel auf, bei dessen Losung sich ergeben
mtisse, dalz nur eine Koalitionsregierung mit biirgerlichen Parteien
in Frage komme. Sie muteten dem Proletariat von vornherein zu,
auf die Weitertfiihrung der sozialen Revolution zu verzichten. Die
Zeit bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung nutzten denn
auch die rechtssozialistischen Volksbeauftragten, die die Regierung
inzwischen allein weiterfiihrten, nach Kraften dahin aus, urn die
Revolution zu liquidieren und die Arbeit erschaft zu „Ruhe und Ord-
nung", will sagen, zur Anerkennung der alten wirtschaftlichen und
staatlichen Verhaltnisse zu zwingen. Sie wirkten in dieser Richtung
positiv durch die llnterdruckung der Arbeiter- und Soldatenrate, der
typischen Organisation des revolutionaren Kampfes, und negativ
dadurch, dafz sie die Inangriffnahme der von der Konferenz der
Arbeiter- und Soldatenrate geforderten Soziaiisierung verschleppten
und schliefzlich ganz verhinderten. Dieser Periode hat Noske,
dieser wildgewordene Unteroffizier und Spielzburger, seinen Stempel
aufgedriickt. Es ist nicht notwendig, alle Schandtaten gegen die
Arbeiterklasse aufzuzahlen, die mit dem Namen dieses Mannes ge-
deckt sind. Es geniigt zu sagen, dalz seine Ministerkollegen, dafz die
rechtssozialistische Parteileitung und schliefzlich auch die ganze
Partei ihm oft genug ihr Vertrauen ausgesprochen und damit vor der
Geschichte die voile Verantwortung fiir die bemchtigte Noskepolitik
mit ubernommen haben. Mit vollem Recht ist in einem Aufruf, den
die Parteileitung der II. S. P. D. und die Unabhangige Fraktion der
Nationalversammlung am 8. Februar veroffentlicht haben, gesagt
warden, dalz die VerfalschungderRevolution nur moglich
geworden sei, weil die Fixhrer der Rechtssozialisten niemals den Mut
zu einer sozialistischen Politik besessen hatten.
Die vollige Niederwerfung des Militarismus, so heilzt es in dem Aufruf,
war das erste Gebot der Revolution; die Rechtssozialisten haben es preis*
gegeben. Die Forderung des Kongresses der A.« und S.-Rate nach A b «
schaffung der alten Kommandogewalt und nach sofor*
tigem Beginn der Soziaiisierung haben sie mifzachtet. Wie
die Regierenden im alten Staate stiitzten sich die Ebert r Scheidemann,
Noske, Landsberg in der ^sozialistischen Volksrepublik" nur auf die Gewalt
der Waffen. Gewalt war ihr einziges Mittel, streikende Arbeiter und
revolutionare Kampfer zur Ruhe zu bringen. Im Namen von „Ordnung,
Ruhe und Sicherheit" verweigerten sie Verhandlungen und giitlichen Aus«
gleich, be waff net en sie Offiziere und Studenten, be waff net en sie das Burger*
turn gegen die Arbeiter und fuhrten in Berlin und Bremen die schrecklichen
Tage des Brudermordes herauf, den sie auch anderen Orten androhten.
Die Regierung der „Sozialistischen Volksrepublik" ist die Gefangene des
von ihr ins Leben zuruckgerufenen Militarismus. Sie mulz es daher dulden,
dafz die personliche Freiheit, das Hausrecht, die Gesundheit, das Leben der
revolutionar gesinnten Arbeiter angetastet werden, schlimmer und frecher
als jemals unter dem Belagerungszustand des alten Staates. Sie mulzte es
dulden, dafz Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die ver«
haftet und deshalb im Schutz der Regierung waren, von entarteten Sold*
189
knechten des neuen Militarismus ermordet, dafe wehrlose Gefangene
in grofzerer Zahl feige und hinterlistig erschossen wurden. Die Morder
gehen frei herum, gedeckt von den Generalen, den Herren der Regierung.
>ie revolutionaren Kampfer dagegen ubergibt die sozialistische Regierung
nicht einem revolutionaren Tribunal, sondern den bur^erlichen Gerichten,
die im Namen von „Ruhe 7 Ordnung und Sicherheit ' Schreckens«
urteile aussprechen.
Wie der Militarismus, so triumphiert wieder der Kapitalismus. Wer
immer geglaubt hat, dalz nocK vor dem Zusammentritt der National-
versammlung die Grundlage fiir die Sozialisierung der Betriebe geschaffen
wurde, er ist bitter enttauscht worden. Starkung des Kapitalis-
mus ist die Losung der Bourgeoisie, deren Diktat die rechtssozialistischen
Fuhrer auch hier gehorchen. Sie planen die Einfuhrung des Arbeits-
zwanges und der Auirechterhaltung des kapitalistischen Systems. Sie ver«
dachtigen die Arbeiter, die durch Unterernanrung, Ueberarteit, Kriegsleiden
korperlich geschwacht und erschopft sind, der Tragheit und der Arbeits*
scheu. Aber sie dulden es, daiz Kapitalisten trotz vorhandener Bestellungen
und Rohstoffe die Produktion einschranken.
Wenn die Unabhangige Sozialdemokratie lediglich auf die Wahrung
der Interessen der eigenen Partei bedacht gewesen ware, so hatte
sie mit dieser Entwicklung der Dinge durchaus zufrieden sein konnen.
Ununterbrochen stromten ihr S char en neuer Anhanger zu, unauf-
horlich stieg die Mitgliederziffer ihrer Organisationen, der Leser-
kreis ihrer Presse. Es waren, wenn auch nicht die schlechtesten, so
auch nicht immer die geschultesten Krafte aus dem Proletariat, die
zu ihr stielzen. Neben sehr wertvollen Elementen dr&ngte sich auch
manche Spreu in die Reihen der Partei, die spater, als die hoch«
gespannten Brwartungen nicht in Erfullung gingen und die Wogen
der politischen Bewegung nicht mehr so hoch rollten, wieder von
ihr ging, entweder, urn in dem anarchistisch-kommunistischen
Hexenkessel von links das neue Heil zu suchen oder wieder in die
fruhere Gleichgultigkeit zu versinken. Der Parteileitung erwuchs die
Aufg<abe, die neuen Krafte zu schulen, agitatorische und journali-
stische Befahigungen zu entwickeln, aus den mancherlei, sich oft
widerstrebenden Ideen eine einheitliche Linie der Taktik
zu bilden. Zugleich aber mufzten die Mittel beschafft werden, mit
denen der Karnpf zu fiihren war. Die Partei verfugte nicht iiber
den alten Organisationsapparaf, der bei den Rechtssozialisten zu
linden war, es muizte fast alles von Grund auf neu geschaffen werden.
Schon bei den wenige Wochen nach den Wahlen zu der National-
versammlung vorgenommenen Wahlen fiir die Gemeinden
zeigte sich, wie das Vertrauen der Arbeitermassen zu der Una'b-
hangigen Sozialdemokratie wuchs. Die rechtssozialistischen Stimmen
gingen rapide zuriick, dagegen wuchs die Stimmenzahl, die auf die
Kandidaten der Unabhangigen Sozialdemokratie entfiel. In Berlin,
wo die U. S. P. D. noch bei derWahl zur Nationalversammlung hinter
den Rechtssozialisten marschierte und an zweiter Stelle der Parteien
stand, riickte sie jetzt an die Spitze vor. Auch bei den Wahlen in
den Einzelstaaten zeigte sich das gleiche Bild.
Einen schweren Verlust erlitt die Unabhangige Sozialdemokratie
am 21. Februar 1919 durch die Ermordung Kurt Eisners,
des bayerischen Ministerprasid'enten. Kurt Eisner mag kein Politiker
von grofzem Wurf gewesen sein; aber er war ein wahrhaf tiger und
190
darum grolzer Mensch, einer der Edelsten und Reinsten, die je an
der Spitze der deutschen Arbeiterbewegung gestanden hatten, ein
Gegner der Luge und der Gewalt. Sein Leben hatte der Arbeiter-
klasse gehort, und sein erstes Wort, als er in Miinchen die Revolution
zum Siege gefiihrt hatte, war: Einigung des Proletariats. Er war ein
Prophet des neuen Geistes, der die Menschheit aus dem Dunkel
unserer Tage hinfiihren sollte zu einer neuen hoheren Gemeinschaft.
So wurde er vom Miinchener Proletariat geliebt, und so empfand das
bayerische Proletariat die Ermordung Eisners als einen Schlag, der
die ganze Arbeiteriklasse treffen sollte. Nur so ist es zu erklaren,
dalz die Tat des graflichen Meuchelmorders eine Erregung ausloste,
die in dem Versuche ausmiindete, eine Raterepublik fur Bayern zu
begriinden.
In den Sturmen dieser Zeit, die im einzelnen zu schildern an dieser
Stelle zu weit fiihren wiirde, tagte in Berlin vom 2. bis zum 6. Marz
1919 der zweiteParteitagderllnabhMngigen Sozial-
d e m o k r a t i e. Die Partei sollte sich selbst Rechenschaft ablegen
iiber ihre bisherige Tatigkeit, sie sollte sich neues Riistzeug schaffen
fur die in der kommenden Zeit zu erwartenden schweren Kampfe.
Es waren 180 Delegierte anwesend, dazu eine Reihe von Mitgliedern
der Parteileitungen und auch mehrere auslandische Gaste. Im Ruhr-
revier und in Mitteldeutschland waren gerade um diese Zeit grolze
Streiks ausgebrochen und auch die Berliner Arbeiterschaft riistete
sich zum Generalstreik. In vielen Fallen war der Eisenbahnverkehr
lahmgelegt, zeitw-eise blieb die Nationalversammlung, die sich nach
Weimar verzogen hatte, ohne jede Verbindung mit der Aufeenwelt.
In Berlin tobte der letzte Kampf zwischen den Ueberresten der
Arbeiterwehren und der Soldlinge des Noske-Militarismus. Das alles
wirkte auch hemmend auf den Parteitag ein, eine Anzahl Delegierte
konnten entweder nicht erscheinen, oder sie mufzten vorzeitig wieder
abreisen, die Verhandlungen selbst verliefen in nervoser Spannung.
Zwei Stromungen rangen auf dem Parteitage um die Oberhand,
Die eine Auffassung ging von den realen wirtschaftlichen und poli-
tischen Tatsachen aus; ihr Hauptsprecher war Hugo Haas e. Er
verlangte, dalz klare Trennungslinien gezogen werden sollten, sowohl
gegen die reformistische Politik von rechts, wie gegen die putschi-
stische Taktik von links. Ebenso wie es eine Illusion sei, dalz man
durch die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie die Forderungen des
Sozialismus erfiillen konne, so sei es unmoglich, wie es der Spartakus-
bund glaube, dalz eine kleine entschlossene Schar die politische
Macht erobern und dauernd sichern konne. Die Unabhangige
Sozialdemokratie mtisse auf Grund der sozialistischen Erkenntnis die
Massen des Proletariats fiir sich gewinnen und sie in den Kampf
um den Sozialismus fiihren. Dann werde die Herrschaft des Prole-
tariats, seine Diktatur kommen.
Ernst Daumig, der als Wortfiihrer der anderen Auffassung
das Korreferat hielt, verlangte, dalz die Partei zugunsten des Rate-
systems abdanke. Er baute fiir diesen Zweck ein sehr kiinstliches
Gedankengebaude auf, das nur an dem einen, allerdings entschei-
denden Fehler litt, dafz es die tatsachlichen wirtschaftlichen und
politischen Verhaltnisse unberticksichtigt lielz. Das Ratesystem kann
191
nie das Z i e 1 des Sozialismus sein, sondern es darf nur ein M i 1 1 e I
zur Umwalzung der kapitalistischen Produktionsweise in die soziali-
stische bilden. Daumigs Ausfiihrungen gipfelten aber darin, dafe
er dieses Mittel zum Zwecfce machen wollte, und von diesem Stand-
punkt aus zur Verneinung des Parlamentarismus, zur Absage an die
politische Partei r zur Verachtung der muhevollen agitatorischen Klein-
arbeit in der Arbeiterschaft kam. Viel ware der Unabhangigen
Sozialdemokratie und der Arbeit erbewegung im ganzen erspart ge-
blieben, wenn Ernst Daumig und seine Freunde damals schon den
Mut der Konsequenz gehabt und sich dem Spartakusbunde ange-
schlossen hatten. Dort war aber nur eine kleiner Haufe von
Arbeitern zu finden, wahrend in der unabhangigen Sozialdemokratie
die Mass en des revolutionaren Proletariats sich vereinigten. Und so
blieben denn Daumig und seine Gesinnungsgenossen so lange in der
Partei, bis im Herbst 1920 der Machtspruch von Moskau ihrem
zweideutigen Spiek ein Ende setzte.
lleber den Stand der Organisation konnten L u i s e
Z i e t z und W i 1 h e 1 m Dittmann giinstiges berichten. Vor der
Revolution zahlte die Parte! ungefahr 100 000 Mitglieder, in den
wenigen Monaten seitdem war ihre Zahl auf iiber 300 000 gestiegen,
unter denen sich ungefahr 70 000 Frauen befanden. An Parted
zeitungen zahlte die U. S. P. D. 45 r Rudolf Breitscheid gab als unab-
hangige Wochenschrift den rr Sozialist" heraus. Das Fundament der
Partei war also gegeben, die organisatorische Voraussetzung fur die
Ausbreitung der Bewegung geschaffen.
Die Gegensatze zwischen den beiden in der Partei herrschenden
Auffassungen kamen noch bei einer anderen Frage r bei der Stellung
zu den Gewerkschaften, zum Ausdruck. Robert Difz-
m a n n verlangte r dafz die oppositionellen Krafte r die die Gewerk-
schaften wieder auf den Boden des Klassenkampfes zuruckfuhren
wollten und die die von den Gewerkschaftsleitungen mit den Unter-
nehmern abgeschlossene Arbeitsgemeinschaft ablehnten r in den
Organisationen bleiben und an deren Revolutionierung arbeiten
sollten. Richard Miiller dagegen, von dem man bei jeder Ge-
legenheit eine neue, sich bald als falsch erweisende Prophezeiung
horen konnte, sagte diesmal voraus, dafz die Gewerkschaften nicht
bestehen bleiben, sondern dalz sie vom Ratesystem aufgesaugt werden
wiirden, Wer also das Ratesystem wolle r der miisse die Gewerk-
schaften ablehnen. Diese Auffassung hat Richard Miiller und seine
Freunde spater r als sie schon bei den Kommunisten waren und die
Spaltungsarbeit auch in den Gewerkschaften mit dem grofzten Eifer
betrieben r nicht daran gehindert, zu behaupten, dafz sie die bewahr-
testen Freunde der Gewerkschaften seien.
Das Ergebnis der Beratungen des Parteitages wurde in folgende
p r o g r a m m a t i s c h e K u n d g e b u n g zusammengefafzt:
Unter Aufrechterhaltung der leitenden Gedanken des gnmdsatzlichen
Teils des Erfurter Programms erklart der Partei tag:
Im November 1918 haben die revolutionaren Arbeiter und Soldaten
Deutschlands die Staatsg-ewalt erobert. Sie haben aber ihre Macht nicht
befestigt und die kapitalistische Klassenherrschaft nicht uberwunden. Die
192
Fiihrer der Rechtssozialisten haben den Pakt mit den bitrgerlichen Klassen
erneuert und die Interessen des Proletariats preisgegeben. Sie treiben eine
Verwirrungspolitik mit den Worten „Demokratie" und „Sozialismus'\
In der kapitalistischen GeseUschaftsordnung sind demokratische Rechts*
formen Truggebilde. Solange der politischen Befreiung nicht auch die wirt«
schaftliche Befreiung und Unabhangigkeit gefolgt ist, besteht kerne waKre
Demokratie. Die Sozialisierung, wie die Rechtssozialisten sie be*
treiben, ist ein Gaukelspiel. Sie begniigen sich, unter Schonung der kapi*
talistischen Interessen, mit einer ,,gemischt*wirtschaftlichen" Bewirtschaf*
tung und sogar nur mit der „6ffentlichen Kontrolle" der nach ihrem eigenen
Urteil fur die sofortige Vergesellschaftung reifen Betriebe.
Das klassenbewufzte Proletariat hat erkannt, dafe sein Befreiungskampf
nur von iron allein und nicht nur mit den bisherigen Organisationen durch*
gefuhrt werden kann, sondern dafz dazu auch eine neue proleta*
rische Kampforganisation erf orderlich ist.
Im Ratesystem hat sich die proletarische Revolution diese Kampf*
organisation geschaffen. Sie fafzt die Arbeit ermassen in den Betrieben zu
revolutionarem Handeln zusammen. Sie schafft dem Proletariat das Recht
der Selbstverwaltung in den Betrieben, in den Gemeinden und im Staate.
Sie fuhrt die Umwandlung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in die
sozialistische durch.
In alien kapitalistischen Landern entwickelt sich das Ratesystem aus den
gleichen wirtschaftlichen Bedingungen und wird zum Trager der proleta*
rischen Weltrevolution.
Die geschichtliche Aufgabe der U. S. P. ist es r die Banner*
tragerin des klassenbewuizten Proletariats in seinem revolutionaren Be*
freiungskampf zu sein. Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei stellt
sich auf den Boden des Ratesystems. Sie unterstiitzt die Rate in ihrem
Ringen um die wirtschaftliche und politische Macht. Sie erstrebt die
Diktatur des Proletariats, des Vertreters der grolzen Volks*
mehrheit, als notwendige Vorbedingung fiir die Verwirklichung des
Sozialismus. Erst der Sozialismus bringt die Beseitigung jeder Klassen*
herrschaft, die Beseitigung jeder Diktatur, die wahre Demokratie.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedient sich die U.S. P. aller politischen
und wirtschaftlichen Kampfmittel, einschliefzlich der P a r 1 a *
m e n t e. Sie verwirft planlose Gewalttatigkeiten. Ihr Ziel ist nicht die Ver*
nichtung von Personen, sondern die Beseitigung des kapitalistischen
Systems.
Die n&chsten Forderungen der U. S. P. D. sind:
1. Einordnung des Ratesystems in die Verfassung. Entscheidende
Mitwirkung der Rate bei der Gesetzgebung, Staats* und Gemeindeverwal*
tung und in den Betrieben.
2. Vollige Auflosung des alten Heeres. Sofortige Auflosung
des durch Freiwilligenkorps gebildeten Soldnerheeres. Entwaffnung des
Burgertums. Errichtung einer Volkswehr aus den Reihen der klassen*
bewuizten Arbeiterschaft. Selbstverwaltung der Volkswehr und Wahl der
Fiihrer durch die Mannschaft. Aufhebung der Militargerichtsbarkeit.
3. Die Vergesellschaftung der kapitalistischen U n *
ternehmungen ist sofort zu beginnen, Sie ist unverziiglich durchzu*
fuhren auf den Gebieten des Bergbaues und der Energie*Erzeugung (Kohle;
Wasser, Kraft, Elektrizitat), der konzentrierten Eisen* und Stahlproduktion,
sowie anderer hochentwickelter Industrien und des Bank* und Versiche*
rungswesens. Groizgrundbesitz und grofze Forste sind sofort in gesell*
schaftliches Eigentum zu iiberfuhren. Die Gesellschaft hat die Aufgabe, die
gesamten wirtschaftlichen Betriebe durch Bereitstellung aller technischen
Und wirtschaftlichen Hilfsmittel, sowie Forderung der Genossenschaft zur
hSchsten Leistungsfahigkeit zu bringen. In den Stadten ist das private
Eigentum an Grand und Boden in Gemeindeeigentum zu uberfuhren und
ausreichende Wohnungen sind von der Gemeinde auf eigene Rechnung
herzustellen.
4. Wahl der Behorden und der R i c h t e r durch das Volk. So-
fortige Einsetzung eines Staatsgerichtshofes, der die Schuldigen am Welt-
kriege und an der Verhinderung eines zeitigeren Friedens zur Verantwor*
tung zu ziehen hat.
5. Der wahrend des Krieges geschaff ene Verm5genszuwachs ist
voll wegzusteuern. Von alien grofzeren Vermdgen ist ein Teil an den
Staat abzufixhren. Im tibrigen sind die Sffentlichen Ausgaben durch stufen-
weis steigende Einkommens*v Vermogens* und Erbschaftssteuern zu decken.
Die Kriegsanleihen sind zu annullieren unter Entsch&digung
der Beduntigerv der gemeinnutzigen Vereine, Anstalten und der Ge-
meinden.
6. Ausbau der sozialen Gesetzgebung. Schutz und Fursorge
fur Mutter und Kind. Den Kriegerwitwen und -waisen und den Verletzten
ist eine sorgenfreie Existenz sicherzustellen. Den Wohnungsbedurftigen
sind uberflussige Raume der Besitzenden zur Benutzung zu tfbergeben.
Grundlegende Neuordnung des offentlichen Gesundheitswesens.
7. Trennung von Staat und Kirche und Trennung von Kirche
und Schule. Oeffentliche Einheitsschule mit weltlichem Charakter, die nach
sozialistisch-npadagogischen Grundsatzen auszugestalten ist. Anspruch jedes
Kindes auf die seinen Fahigkeiten entsprechende Ausbildung und die Be«
reitstellung der hierzu erforderlichen Mittel.
8. Einfuhrung eines 6ffentlich«rechtlichen Monopols fiir
Inserate und Uebertragung an die Kommunalverbande.
9. Herstellung freundschaftlicherBeziehungen zu alien
N a t i o n e n. Sofortige Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur
russischen Raterepublik und zu Polen. wiederherstellung der Arbeiter*
Internationale auf dem Boden der revolutionaren sozialistischen Politik im
Geiste der internationalen Konferenzen von Zimmerwald und Kiental.
Die II. S. P. D. ist der Ueberzeugung, dalz durch die Zusammen-
fassung aller proletaris c n en Krafte, die sie erstrebt, der
vollstandige und dauernde Sieg des Proletariats beschleunigt und gesichert
wird. Das Bekenntnis in Wort und Tat zu den Grunds&tzen una Forde-
rungen dieser Kundgebung ist aber die notwendige Voraussetzung der
Einigung der Arbeiterklasse.
Diese Kundgebung spiegelt die zwiespSltigenTendenzen,
von denen die Parte! noch erfiillt war, deutlich wieder. Sie lehnt sich
an das alte Erfurter Programm an, versucht jedoch auch den in der
Revolution aufgetauchten Forderungen Rechnung zu tragen, indern
sie das Ratesystem und die Diktatur des Proletariats als die von der
Partei zu erstrebenden Ziele nennt. Insofern haben die spateren
Kritiker dieser Kundgebung recht gehabt, als sie darauf hinwiesen,
dalz man entweder das eine oder das andere fordern musse. Sie
haben aber darin unrecht gehabt, dafz sie das Ratesystem und die
Diktatur des Proletariats als die letzten Errungenschaften des Prole-
tariats verkiindeten, wahrend doch auch diese beiden Forderungen,
wie der Parlamentarismus und die Gewerkschaftsbewegung, nur
Mittel zu dem Zwecke sein diirfen, den Sozialismus zu verwirklichen.
Grundsatzliche und taktische Fragen wirbelten noch durcheinander;
diese Unklarheit bildete den eigentlichen Grund fiir die Streitigkeiten,
mit denen sich die Partei bis zum Oktober nSchsten Jahres noch
befassen mufzte.
194
Die GegensStze prallten noch elnmal bei der Wahid erPartei-
vorsitzenden aufeinander. Haase hatte 154, Daumig 109 Stim-
men erhalten. Da aber Daumig bei der Wahl zur Nationalversawim-
lung erklart hatte, dalz er es aHehne, mit Haase auf einer Liste zu
kandidieren und weil er auch wahrend der Verhandlungen des Partei-
tages immer wieder betonte, dalz er in seinen Auffassungen ganzlich
von denen Haases abweiche, so lehnte dieser die Wahl ab. Es
folgten langere Verhandlungen in den Landsmannschaften, bis man
eine neue Regelung fand. Nunmehr lehnte Daumig seine Auf-
stellung zur Kandidatur des Parteivorsitzenden ab und es wurden
schlieizlich Haase und C r i s p i e n gewahlt.
13* 195
03&^<S8^Q98^<S8^Q9^
Das Leipziger Akiionsprogramm.
Der Hohepunkt der Entwicklung. — Ungarn und Bayern. — Der zweite
Ratekongrelz. — Erfolgreicher Kampf fiir Abschluiz des Friedens. —
Moskauer Spaltungsrezepte. — Die Frage der Internationale. — Die
Reichskonferenz der II. S. P. D. — Ermordung von Hugo Haase. —
Der Parteitag von Leipzig.
Vor ungeheure Aufgaben war das internationale Proletariat ge«
stellt. Der Krieg hatte die Weltwirtschaft in einen Triimmerhaufen
verwandelt und beide Telle, die Sieger wie die Besiegten, zu Leid-
tragenden gemacht Die Hauptlasten des Krieges wurden nun auf
die Arbeiterklasse gewalzt, sie konnte sich dagegen nur wehren, indem
sie das Banner des Sozialismus aufpflanzte und den Kampf um die
Umgestaltung der Produktionsverhaltnisse aufnahm. Eine wahrhaft
tragische vSituation wurde nun fiir das Proletariat dadurch geschaffen,
dafc es weder die Einheitlichkeit der Front wiederfand, noch sich
selbst in semen fortgeschrittensten Teilen iiber dte nun einzuschla-
genden Wege klar war. Der Streit r der bald in der Unafbhangigen
Sozialdemokratie einsetzte, drehte sich aufzerlich um die Frage, ob
Ratesystem oder Parlamentarismus, ob Diktatur oder Demokratie, ob
Revolution oder Reform. Der tiefere Gegensatz war aber begrundet
in der verschiedenartigen Auffassung dariiber, ob der Kampf mit
russischen oder mit westeuropaischen Methoden zu
fuhren sei, oder genauer: ob fiir alle Lander, gleichviel welche
staatlichen und wirtschaftlichen Verfassungen sie aufwiesen, die
Taktik von einem einzigen Schema bestimmt werden solle, oder ob sie
sich nach den jeweils gegebenen politischen und okonomischen Ver«
haltnissen richten musse. Diese gegensatzlichen Auffassungen haben
am Ende der Periode, die wir jetzt schildern miissen, den weiteren
Aufstieg der IX. S. P. D. gehemmt und sie schliefzlich durch die
Spaltung im Herbst 1920 dazu gezwungen, die Organisierungs- und
Aufklarungsarbeit von einem schwacheren Punkte aus von neuem
zu beginnen.
Noch aber, im Fruhjahr 1919, eilte die Partei dem Hohepunkt
ihrer Entwicklung zu. Von Woche zu Woche steigerte sich
die Zahl ihrer Mitglieder, vermehrte sich die Leserschar ihrer Presse.
Die burgerliche Welt furchtete nicht die kleine kommunistische Sekte,
wenn sie auch noch so trotzige Gebarden machte, sondern die Unab-
hangige Sozialdemokratie war es mit ihrer unermudlichen sozialisti-
schen Erziehungsarbeit, die die bange Sorge der Bourgeoisie erregte.
Einen besonderen Schlag glaubten ihre militarischen und juristischen
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Werkzeuge dadurch zu flihren 7 dalz sie Ledebour wahrend der
Januarkampfe verhaften und ihn dann monatelang im Gefangnis
schmachten liefzen. Wenn es nach den Wlxnschen der biirgerlichen
Henkersknechte gegangen ware, so hatte man Ledebour dasselbe
Schicksal bereitet 7 das Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Jogiches
und unzahlige andere revolutionare Kampfer getroffen hatte. Der
Prozefz, der sich an diese Verhaftung anschloiz und der im Mai und
Juni vier Wochen lang vor einem Schwurgericht gefiihrt wurde 7
endete mit der Freisprechung Ledebours von der Anklage der Bil-
dung eines bewaffneten Haufens 7 des Landfriedensbruchs und eines
Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz. Der Bericht liber den
Verlauf dieser Gerichtsverhandlung ist stenographisch festgehalten
und dann besonders veroffentlicht worden. Es geniigt deshalb, wenn
wir zusammenfassend feststellen 7 dafz der Prozelz aus einer Anklage
gegen Ledebour zu einer Anklage gegen die Regierung Ebert-
Scheidemann, gegen die von ihr geforderte Gegenrevolution, gegen
den neuen Militarismus und das eng mit ihm verbundene politische
Spitezelsystem wurde. Das eine verdient noch besonders hervor-
gehoberi zu werden r dafz Ledebour vor den Geschworenen trotz seines
hohen Alters und der vorausgegangenen monatelangen Unter-
suchungshaft seine Sache als Mann und wahrhafter Revolutionar
fiihrte.
Holten sich die reaktionaren Elemente bei dieser Gelegenheit eine
griindliche Niederlage, so fielen ihnen an zwei anderen Punkten
grolzere Erfolge zu. Das war in II n g a r n und in B a y e r n. Unter
Verkennung der objektiven wirtschaftlichen und politischen Verhalt-
nisse liefz sich ein Teil des ungarischen Proletariats dazu verleiten,
als Protest gegen den dem Lande drohenden Gewaltfrieden die Rate-
republik auszurufen. Ihre Herrschaft dauerte nur so lange, als das
den alliierten Machthabern gefiel. Von der rumanischen Soldateska
auf der einen 7 von den nationalistischen Mordbanden auf der anderen
Seite angegriffen 7 aller wirtschaftlichen Hilfsmittel entblofzt 7 mulzte
die Raterepublik nach wenigen Wochen kapitulieren und einer Herr-
schaft des weifzen Schreckens Platz machen. In Bayern hatte sich
der Arbeiterschaft aller Richtungen nach der Ermordung Kurt Eis-
ners eine mafzlose Erregung bemachtigt 7 die nach politischer Aktion
drangte. Was Eisner bis dahin gelungen war 7 die proletarischen
Krafte auf einen Punkt zu konzentrieren 7 und sie den gegebenen
wirtschaftlichen und politischen Verhaltnissen anzupassen, das war
nun auf einmal vergessen. Unverantwortlicher Putschismus 7 unklare
Schwarmgeisterei und anarchistische Ideologie gewannen liber einen
Teil der Arbeiterschaft die Oberhand. Bald gesellten sich auch poli-
tische Geschaftemacher und politische Ignoranten dazu r um die Be-
wegung vollig zu diskreditieren. Noch schneller als in Ungarn brach
das Rateexperiment in Bayern zusammen v Unter dem Oberbefehl
von Noske sammelten sich die Weifzen Garden ganz Deutschlands 7
um einen Generalsturm auf Mlinchen zu unternehmen. Mit alien
Mitteln der modernen Kriegskunst, aber auch mit alien ihren
Schrecken und mit ihrer ganzen Barbarei wurde die Rateherrschaft
niedergeworfen, Tausende von Arbeitern wurden massakriert 7 Lan-
dauer 7 Levin£ 7 noch andere von den Besten des revolutionaren Prole-
tariats dahingemordet. Bald schlug in Bayern der Pendel. von der
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extremsten Linken nach der extremsten Rechten aus; die Rateherr-
schaft wurde abgelost dirrch das Kahr-Poehner-Regiment, das noch
jahrelang fede freie Bewegung der Arbeiter mit den brutalsten Mit>
teln unterdriickte.
Aehnliches wiederholte sich in diesen Monaten in zahlreichen
anderen Orten und bei vielen ahnlichen Gelegenheiten ohne Unter-
laiz. Die Noskegarden waren ununterbrochen in Bewegung, urn jede
selbstandige Regung der Arbeiterklasse niederzuwerfen. Bald war
es Hamburg, bald Braunschweig, wo die „Ordnung" wiederherzu-
stellen war, in dieser Woche bot Leipzig, in der andern Hannover
oder Breslau den Noskegeneralen die Gelegenheit, den Belagerungs-
zustand zu verhangen und die grauenvollsten Szenen in der Verf olgung
der Arbeiterschaft aufzufvihren. Mit unbeschrankter Machtvollkom-
menheit, so stellte damals ein Aufruf der Unabhangigen Sozialdemo-
kratie fest, herrschte die Gardekavallerie-Schvitzendivision unter der
Leitung des Noskefreundes General Liittwitz. Tausende von Per-
sonen, zum groizten Teil Arbeiter und Arbeiterinnen, wurden ver-
haftet, hunderte grausam hingemordet, wehrlose Gefangene roh miiz-
handelt
Streikende Arbeiter, so wird in dem Aufruf festgestellt, werden mit
Maschinengewehren unter Entziehung der Lebensmittel bedroht. Streik-
brechergarden werden von der Regierung gebildet, um das Streikrecht, das
elementarste Recht der Arbeiter, fur das sie ohne Unterschied der Partei*
anschauungen seit Jahrzehnten gekampft haben, niederzuknutteln. Der
Boden des Gesetzes wird mit vollem Bewulztsein verlassen. Der Belage*
rungszustand wird iiber immer weitere Gebiete verhangt. Die Klassen der
Bevolkerung werden mit verschiedenem Maize gemessen. Den Biirgerlichen
und Offizieren wurde in Berlin erlaubt, auf den Stralzen Demonstrationen
zu veranstalten. Die Arbeiter dagegen werden in der Ausubung ihres Ver*
sammlungsrechts verhindert. Noch niemals im Deutschen
Reiche, selbst unter dem reaktionarsten Regime des alten Kaisertums
nicht, sind die Arbeiter so verachtlich be handelt
w o r d e n.
Im Zeichen dieser fortschreitenden Reaktion trat am 8. April 1919
der Zweite Ratekongreiz zusammen. Es waren auf ihm
130 Rechtssozialisten, 55 llnabhangige, denen sich auch eine neun
Kopfe starke osterreichische Delegation anschlolz, 20 Soldatenrate
und einzelne Vertreter anderer Parteigruppen, darunter ein Kommu-
nist, anwesend. Wie gering der Einflulz der Rate geworden war,
stellte sich heraus, als er das Verlangen stellte, Genossen Ledebour
aus der Haft zu entlassen. Die Regierung ebensowenig wie die Justiz
kiimmerte sich um diese Forderung. Die Beratungen befalzten sich
in der Hauptsache mit der Frage, wie das Ratesystem weiter auszu-
bauen sei. Die Rechtssozialisten vertraten lediglich die Forderung der
Schaffung einer zweiten Kammer, die aus den Raten gebildet werden
sollte. Die Alleinherrschaft der Rate, die Ratediktatur, lehnten sie ab.
Die Unabhangigen, fur die Daumig sprach, verlangten dagegen, dalz
die Rate die hochste Macht im Staate ausiiben sollten und daiz die
Regierung ihre Direktiven vom Ratekongreiz zu empfangen habe. Der
Kongrelz machte sich, wie nicht anders zu erwarten war, die Auf-
fassungen der rechtssozialistischen Fraktion zu eigen, und das be-
deutete nichts anderes f als daiz der Rategedanke fiir Deutschland vor«
laufig begraben war,
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Anf ang Mai gaben endlich die Alliierten ihre F r i e d e n s b e d in-
gungen fiir Deutschland bekannt. Sie machten auf die
burgerlichen Parteien und auch auf die Rechtssozialisten einen nieder-
schmetternden Eindruck. Hatte man sich nicht auf die beruhmten
14 Punkte des amerikanischen Prasidenten Wilson berufen, als man
vor einem halben Jahre urn Frieden bat? Und nun enthielten die Be-
dingungen der Entente so gar nichts vom Selbstbestimmungsrecht
der VoBcer, von der Versohnung der Nationen und von all den andern
schonen Dingen, die in den 14 Punkten versprochen waren. Fiir die
Unabhangige Sozialdemokratie kam das Diktat der Alliierten nicht
iiberraschend. Sie hatte immer vorausgesagt, dak der Krieg, wenn
er nicht mit einer Verstandigung enden wiirde, nur in einen Frieden
der Gewalt und der Niederwerfung ausgehen konne. Sie hatte da-
mals, als die deutsche Regierung den Russen und den Rumanen ihre
Gewaltfrieden aufzwang, angekiindigt, dalz die Entente, wenn das
Spiel zugunsten Deutschlands umschlagen sollte, sich diese Ge-
waltfriedenschliisse zum Beispiel nehmen wiirde. Und so war es
jetzt gekommen. Die biirgerlichen Parteien allerdings, und mit ihnen
die Rechtssozialisten, die die voile Verantwortung fur diese Entwick-
lung zu tragen hatten, sie jammerten jetzt dariiber, dalz ihr Glaube
enttauscht, dalz ihr Vertrauen auf Wilson verraten worden sei. Die
Deutschnationalen forderten, dalz der Krieg von frischem beginnen
sollte und die Militaristen wetzten schon das Schwert, um neues Ent-
setzen iiber die Welt zu verbreiten. Die Demokraten glaubten kluger
zu handeln, wenn sie die passive Resistenz gegeniiber den Entente-
forderungen vorschlugen; sie meinten, wenn man die alliierten Heere
das Ruhrgebiet, Berlin, Hamburg, Mitteldeutschland, alle Statten der
Arbeit und des Handels besetzen lasse, dann werde die Entente schon
einsehen, dalz von Deutschland nichts zu holen sei, und erst dann
wiirden sie billigere Bedingungen zu stellen bereit sein.
Die UnabhMngige Sozialdemokratie wandte sich sofort gegen diese
Politik der Torheit und des Verbrechens, und ihrem Einflufz, der da-
mals unbestritten war, ist es zu danken, dalz das Burgertum, das die
Verantwortung fiir den Krieg trug, nunmehr auch die Verantwortung
far den Frieden iibernehmen muizte. Die Partei rief sofort das Prole-
tariat zum Kampfe fiir den Frieden auf. Sie stellte fest, dalz sie unab-
lassig den Abbruch des Krieges schon gefordert hatte, als noch keine
der kriegfuhrenden Gruppen das Uebergewicht iiber die andere er-
langt hatte. Damals aber hatte das alte Regime, unterstiitzt von alien
Parteien mit alleiniger Ausnahme der USPD. die Gewaltfrieden von
Brest-Litowsk und Bukarest abgeschlossen und dadurch den Halz
gegen Deutschland vermehrt. In dem Aufruf hieiz es weiter:
Wir haben keine Hoffnungv dalz die Entente-Imperialisten, die auf die
Friedensverhandlungen den malzgebenden Einflulz haben, die Bedingungen
wesentlich erleichtem werden, zumal die Zusammensetzung der Regierung
und der Friedensdelegation den anderen Regierungen kein Vertrauen ein«
flolzen kann. Selbst wenn bei den eingeleiteten Verhandlungen erhebliche
Veranderungen nicht erreicht werden sollten, so bleibt doch letzten Endes
nichts anderes \ibrig r als sich dem Zwange zu fiigen
und den Vertrag zu unterzeichnen. Nichtunterzeichnung be«
deutet die Zuruckhaltung unserer Kriegsgefangenen r die Besetzung unserer
Rohstoffgebiete, die Verscharfung der Blockade, bedeutet ArbeitSosigkeit,
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Hungersnot, Massensterben, bedeutet eine entsetzliche Katastrophe, die erst
recht den Zwang zur Unterzeichnung herbeifiihrt. Es sind die Proletaries
die am fiirchterSchsten unter den Folgen zu leiden hatten.
Der Frieden, so hart und driickend er auch immer sein mag, ist die not-
wendige Voraussetzung fur die Lebensmoglichkeit sowie fur den Aufbau
unseres Gesellschafts- und Wirtschaftslebens, im Geiste des revolutionaren
Proletariats. '
Wie der Friede von Brest-Litowsk und Bukarest nur von kurzer Dauer
gewesen ist, so wird nach unserer Ueberzeugung auch. der Friede von
Versailles durch die revolutionare Entwicklung zunichte gemacht werden.
Die Unabhangige Sozialdemokratie lieiz es nicht bei Worten be-
wenden, sondern sie rief das Proletariat zur Tat auf. Und sie hatte
die Genugtuung, da(z die Arbeiterklasse ihren Ruf verstand und in
gewaltigen Kundgebungen von der Regierung die Unterzeichnung des
Friedens verlangte. In der Nationalversammlung gebrauchte
Scheidemann das Wort von der Hand, die verdorren solle, die
diesen Vertrag unterschreibe. H a a s e dagegen stellte als Ver-
pflichtung derjenigen Parteien, die die Kriegspolitik unterstiitzt hatten,
auch den Abschluiz des Krieges herbeizufvihren fest. Durch sechs
Wochen zog sich der Kampf um den Friedensvertrag hin. Scheide-
mann mufzte zuriicktreten, denn mit einer verdorrten Hand hatte er
nicht langer regieren konnen. Eine andere Regierung wurde gebildet,
nachdem sich auch die Rechtssozialisten und ein Teil des Burger-
turns zu der Ueberzeugung durchgerungen hatten, dafz die Unter«
zeichnung des Friedensvertrages eine absolute Notwendigkeit sei. In
einem Aufruf konnte die USPEX feststellen, dalz es nur der Wachsam-
keit und Entschlossenheit der revolutionaren Arbeitermassen, die sich
in wachsender Zahl um die Unabhangige Sozialdemokratie scharten,
zu danken sei r wenn das FurcMtbare verhlitet wurde, das die Verant-
wortlichen fiir den Krieg iiber das deutsche Volk zu verhangen ge~
dachten.
Befestigte sich durch diese erfolgreiche Arbeit das Vertrauen der
Arbeiterschaft in die Unabhangige Sozialdemokratie in standig zu-
nehmendem Mafze, so mufzte die rechtssozialistische
P a r t e i die Wirkungen ihrer Politik bald am eigenen
Leibe spiiren. In der Pfingstwoche hielt sie ihren Parteitag in Weimar
ab. Schon in den Mitgliederversammlungen, die sich mit den Be-
ratungsgegenstanden des Parteitags beschaftigten, machte sich eine
tiefe Unzufriedenheit bemerkbar, besonders mit dem Kurse, der unter
dem Namen der Noske und Heine gesteuert wurde. Wiederholt wurde
dort geaufzert, man miisse sich schamen, mit Leuten von dieser Gat-
tung in einer Parte! zu sitzen. Zahlreich waren die Antrage an den
Parteitag, die heftige Kritik an der bisherigen Politik tibten. Freilich
wurde die Kritik nicht von grolzen und schopferischen Gedanken be-
wegt r sondern sie hangte sich mehr an einzelne und aufzere Erschei-
nungen, ohne den Mut zu finden, die Riickkehr zum Klassenkampf,
das Aufsagen des Biindnisses mit der Bourgeoisie zu fordern. Auf
dem Parteitag selbst setzte sich diese verdrossene Stimmung in hoff-
nungslose geistige Versumpfung und Teilnahmslosigkeit um. Die
grofzen Probleme, die die Revolution aufgeworfen hatte und die die
Arbeiterbewegung in ihren Tiefen aufwuhlten, weekten dort nur ein
schwaches Echo. Die wenigen Leute, die, wie Cohen fiir die Rate-
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iYage, oder wie Wissell mit seinem Plan einer Gemeinwirtschaft,
immerhin noch etwas Neues zu sagen hatten, stieizen auf allgemeine
Verstandnislosigkeit. Der Parteitag hatte im Hause der National-
versammlung getagt, und diese aufzerliche Gemeinschaft driickte sich
auch in der beiden Korperschaften gemeinsamen Ideenlosigkeit aus.
Kein Wunder, dalz sich der Parteitag mit der Gewaltpolitik Noskes
solidarisch erklarte und ihn dadurch aufmunterte, die bisherigen Ge-
leise weiter zu benutzen.
Noske und die Seinen liefzen sich das denn auch nicht zweimal
sagen. So hatte die llnabhangige Sozialdemokratie auf den 21. Juli
grofee offentlicheKundgebungen veranstaltet, gemein-
sam mit den Sozialisten Frankreichs, Italiens und anderer Lander, um
fur den Willen der Arbeiterklasse zum Weltfrieden, zur Volker-
versohnung zu zeugen. Noske verbot diese Kundgebungen 7 womit er
freilich nicht die deutsche Arbeiterschaft schadigte, sondern die Ge-
waltpolitik der deutschen Rechtssozialisten vor der ganzen Welt aufs
neue blolzstellte. Die Versammlungen wurden dann in die Sale ver-
legt, wo sie unter ungeheurer Beteiligung der Arbeiterschaft Berlins
in voller Ruhe, aber auch in fester Entschlossenheit, den einmal ge-
wahlten Weg weiterzugehen, verlaufen konnten.
Ein anderer Gewaltstreich Noskes richtete sich gegen den V o 1 1 -
zugsrat der Berliner A.- und S. -Rate. Kurz vorher waren
die Rechtssozialisten aus dieser Korperschaft ausgetreten und hatten
sich einen besonderen Vollzugsrat beigelegt Noske glaubte die Ge«
legenheit nicht vonibergehen lassen zu sollen, um jetzt den entschei-
denden Streich gegen die Arbeiterrate, das letzte Bollwerk aus der
Revolution, zu f iihren. Er liefz den Vollzugsrat aus den Raumen In
den Zelten, die ihm von der Regierung selbst zugewiesen worden
waren, gewaltsam vertreiben und die Lokalitaten militarisch besetzen.
Aulzerdem untersagte er ihm die Ausschreibung von Neuwahlen zu
den Arbeit errat en im Wirtschaftsgebiet Grolz-Berlins. An der Stel-
lung, die der Vollzugsrat im offentlichen Leben noch einnahm, hat
dieser Streich Noskes nicht viel geandert. Es waren andere Krafte,
die sie untergruben, es war nicht zuletzt die eigene Schuld des Voll-
zugsrats, dalz er schlielzlich ganz aus dem Gesichtskreise der Arbeit er-
bewegung ausscheiden mulzte.
Andere Krafte als die Gewaltpolitik Noskes und die erstarkende
gegenrevolutionare Bewegung waren es auch, die das stolze
Gebaude der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei unterminier-
ten und zum Einsturz zu bringen suchten. Die Kommunistische
Partei, die Nachf olgerin des Spartakusbundes, befand sich in voller
Zersetzung und Auflosung. Aus dem offentlichen Leben war sie fast
ganzlich ausgeschieden, und selbst der Spartakusschreck vermochte
keine Wirkung mehr auszmiben. Die russische Sowjetregierung
brauchte aber fur ihre aufzenpolitischen Zwecke starke Parteien im
Auslande, und da mit den bisherigen Methoden keine grolzere An-
hangerschaft fur die kommunistisch-anarchistischen Ideen zu ge-
winnen war, so schlug man jetzt andere Wege ein. Diese Wege
sollten iiber die Spaltung derjenigen revolutionaren Parteien gehen,
die sich bisher der kommunistischen Internationale nicht ange-
schlossen hatten. Das erste Ziel ihres Angriffs war die llnabhangige
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Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Einem Kurier der Konv
munistischen Partei Deutschlands wurde auf einer Reise nach RuMand
an der litauischen Grenze ein Brief abgenommen, der mit W. Ma-
chowski unterzeichnet und an Bucharin und Tschitscherin, zwei der
bekanntesten Bolschewisten, gerichtet war. Die wichtigsten Stellen
daraus mogen als historisches Zeugnis dafiir, von welcher Seite die
spatere Spaltung der Unabhangigen Sozialdemokratie eingeleitet
wurde, hier ihren Platz finden. In dem Brief e hielz es:
Jrlierbei lenke ich nodimals mre Aufmerksamkeit auf den Umstand, dalz
bei der Beurteilung und den Verhandlungen mit den Unabhangigen eine
scharf e lYennuno- zwischen den Anhangern Hilferding~Haase und
Daumig-Muller zu machen ist. Letztere Stromung kann man
fehlerlos^ kommunistisch bezeichnen, und wenn sie irgendwie
mit den offiziellen Fuhrern der Kommunisten auseinandergeht, so nur in der
Taktik und Methode der Erlangung ihrer Ziele — der Diktatur des Prole*
tariats mit Hilfe der Ratemacht. Nach dem Ausscheiden der Scheidemanner
und Demokraten aus dem Berliner Vollzugsrat hat ein offener Kampf
zwischen den Kommunisten und Unabhangigen begonnen. Ich fuge hinzu,
dafz im Berliner Rat die Unabhangigen aile zur Stromung Muller«Daumig
fehoren und von irgendeinem Einfhxlz Haase-Hilferding keine Rede sein
ann. Viele Mitglieder der Kommunistischen Partei und ebenso die Mehr«
zahl der Mitglieder der Fraktion der Kommunistischen Partei des Berliner
Rats haben ihre Unzufriedenheit mit der Taktik der Z. K. (Kommunistischen)
Partei zum Ausdruck gebracht, die mit der gesamten Unabhangigen Partei
Kampf fuhrt, ohne zwischen Haase und Daumig zu unterscheiden . . . Mir
personlich scheint es r dafz die Bewegung in Deutschland durch eine Ueber*
einstimmung der Tatigkeit der Kommunisten mit den linken Un-
abhangigen und eine Beilegung des Kampf es mit der Unabhangigen
Partei nur gewinnen kann. Das schliefzt naturlich nicht den Kampfgegen
die Stromung Haase«Hilferding aus. Dieser muiz fort-
gesetzt werden. Daumig und Muller, die selbst gegen sie kampfen,
schaffen dadurch eine Plattform, auf der eine Verstandig-ung herbeigefuhrt
werden kann. Die zu Ihnen kommenden Genossen wollen sich mit Ihnen
beraten, ehe sie einen Beschlufz fasseii."
Diese Anweisung deckte sich allerdings mit der Losung, die der
Kongreiz der Moskauerlnternationale im Marz 19IQ
ausgegeben hatte. Dort hielz es in einer Resolution iiber die II. Inter-
nationale:
„Das „Zentrum" (Sozial-Pazifisten, Kautskyaner, Unabhangige) besteht vom
Beginn des Krieges an auf JEinheit" mit den Sozial-Chauvinisten. Nach der
Ermordung von Liebknecht und Luxemburg" predigt das /r Zentrum" weiter-
hin die gleiche „Einheit" r d. h. die Einheit der Arbeiterkommunisten mit den
Mordern der kommunistischen Fuhrer Liebknecht und Luxemburg . . .
Es ist unbedingt notwendig, die revolutionary ten Ele~
mente vom rr Zentru m" abzuspalten, was nur durch schonungs*
lose Kritdk und Blofzstellung der Fuhrer des 77 Zentrums" zu erreichen ist"
Nach diesem Rezept haben dann die Moskauer Diktatpren und ihre
deutschen Stipendiaten gearbeitet, bis das Werk vollbracht und die
Unabhangige Sozialdemokratie gespalten war. Es hatte sich in der
Tat in der Partei ein sogenannter linker Fliigel gebildet, dessen Haup-
ter Daumig, Richard Miiller, Kurt Geyer und Walter Stoecker waren.
Er nahm Fuhlung mit den kommunistischen Hauptlingen und aribei-
tete unausgesetzt an der „Diskreditierung" der bisherigen Fuhrer der
Partei. Man mag annehmen, dalz sie ihr Spiel zwar mit Hinterlist und
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Heimtiicke, aber doch aus Ueberzeugung getrieben haben; zum min-
desten kam ihnen selbst nicht zum Bewulztsein, dalz sie damit gegen-
revolutionare Arbeit leisteten. Vor der Geschichte werden sie jedoch
als diejenigen dastehen, die der Arbeiterklasse hundertfach grolzeren
Schaden zufiigten, als es den Noskes und Heines, den Generalen
Liittwitz und Marcker ie gelungen war. Wenn die revolutionare Be-
wegung, nachdem sie durch das stolze Anwachsen der Unabhangigen
Sozialdemokratie und deren Konsolidierung einen prachtigen Auf-
schwung genommen hatte, wieder zum Versumpfen verurteilt war, so
tragt die Schuld daran jene von Moskau ausgegangene Unduldsam-
keit, die das geistige Leben der Arbeiterbewegung nur in die eine
Schablone pressen wollte, die von ihnen selbst ausgegeben worden
war.
Die erste Phase der Revolution war in Deutschland
zum Abschlulz gekommen. Was aus der Novemberzeit an Errungen-
schaften noch libriggeblieben war, mulzte von der Arbeiterschaft mit
Zahnen und Klauen verteidigt werden. Die veranderte Situation er-
forderte auch eine veranderte Taktik der Unabhangigen Sozialdemo-
kratie. Das wollte aber der sogenannte linke Flugel nicht einsehen,
der sich unter Revolution nur gewaltsame Erhebungen, bewaffnete
Zusammenstolze, offenen Biirgerkrieg und ahnliche Dinge vorstellen
konnte, die von jeher das geistige Arsenal aller Revolutionsroman«
tiker gebildet hatten. Die politischen Arbeiterrate hatten ihre Be-
deutung vollstandig verloren; die Muller und Daumig aber beschimpf-
ten jeden als Verrater, der nicht unbedingt an dem „reinen Rate-
gedanken" als den alleinseligmachenden Glauben der Revolution fest-
hielt. Die Kampfe um den Einflufz auf den Staat wurden langst wieder
in den Parlamenten ausgefochten; das hatte selbst die Kommunisti-
sche Partei veranlalzt, ihre bei der Griindung der Partei ausgegebene
Parole der Wahlenthaltung wieder aufzugeben. Der , r linke Fliiger'
dagegen hoffte von Monat zu Monat auf einen neuen revolutionaren
Ausbruch, und darum uberschuttete er jeden mit Hohn und Spott,
der dafur eintrat, da^ die Arbeiterklasse sich auch des Parlamentaris-
mus als einer Waffe in ihrem Kampfe bediente. Die Gewerkschaften
waren wieder zu den Haupttragern der wirtschaftlichen Bewegung der
Arbeiterschaft geworden; die Richtung Muller aber verlangte, dalz
man ihnen fernbleibe und abseits der grolzen Organisationen der
Arbeiterschaft im luftleeren Raum eine wirtschaftliche Rateverfassung
aufstelle.
Der Hauptgegenstand des Streits war aber die Frage der Inter-
nationale. Seit der Beendigung des Krieges waren wiederholt
Versuche gemacht worden, die internationalen Beziehungen der
Arbeiterklasse wieder herzustellen. Es mulzte jetzt alles darauf an-
kommen, das revolutionar gesinnte Proletariat der ganzen Welt auf
einem einheitlichen Boden zu versammeln und die reformistischen
und nationalistischen Elemente zu isolieren. Die Bolschewiki hatten
aber aus innen- und aulzenpolitischen Griinden keine Zeit, um den
Ablauf dieses Prozesses abzuwarten. Sie griindeten eine n e u e
Internationale, die sie die dritte nannten und die schon durch
ihren Sitz in Moskau zeigte, dalz sie einen starren dogmatischen, auf
die kommunistischen Heilslehren eingeschworenen Charakter tragen
sollte. Die Unabhangige Sozialdemokratie hatte dagegen an zwei
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Konferenzen in Genf und Luzern teilgenommen, und es war ihr
gelungen, eine wertvolle Vorarbeit fiir den Wiederaufbau der
Internationale in wahrhaft revolutionarem und sozialistischem
Sinne zu leisten. Worauf es ankam, das hatte Hilferding in
Luzern ausgefiihrt Der kiinftige Kongrelz der Internationale sollte
dariiber entscheiden, ob sie sich auf den Boden der revolutionaren
sozialistischen Entwicklung stellen wolle. Bis dahin sollte die Unab«
hangige Partei ihre Stellungnahme offenlassen:
Wenn die Internationale auf einer Grundlage errichtet wird, die tatsach-
lich die revolutionaren Krafte des Proletariats zusammenfaJzt und sie zu
gemeinsamen Aktionen steigert, dann wird diese neue Inter-
nationale das sein, was wir immer gehofft haben,
dann wird wahr werden konnen, weil die Situation sich unterdessen revolu-
tionar gestaltet hat, was wir von der 2. Internationale immer gesungen
haben 7 dann wird es moglich sein 7 dalz die Internationale die Menschheit
sein wird. Die Befreiung der Menschheit ist aber eine Sache des Kampfes.
Die Internationale mufz Kampfesorganisation werden, und sie kann nicht in
ihren Reihen Glieder haben, die in diesem Kampfe nicht auf der Seite des
Proletariats, sondern auf der Seite der Bourgeoisie, gegen das Proletariat
stehen.
Von dieser Zusammenfassung des gesamten revolutionaren Prole-
tariats zu einer geschlossenen Kampfesfront gegen die Bourgeoisie
wollten nun allerdings weder die Gotter in Moskau noch ihre Nach-
beter in Deutschland etwas wissen. Kurt Geyer lehrte, dalz Re-
volutionen nur durch „entschlossene Minderheiten" gemacht werden
konnten, und er verlangte, dalz das in dem neuen Programm der
Partei dadurch zum Ausdruck komme, dafz die hinter der Forderung
der Diktatur des Proletariats stehenden Worte: „des Vertreters der
grofzen Volksmehrheit" gestrichen werden sollen. Im Parlament durfe
keine Kleinarbeit geleistet werden, denn das wlirde nur Kraftevergeu-
dung bedeuten. Ueberhaupt sei die Beteiligung an Wahlen nur eine
Schwachung der revolutionaren Stofzkraft Die Situation in Deutsche
land sei „vorrevolutionar". Die USP. mlisse also im Ratesystem die
Hauptwaffe im Kampf um den Sozialismus erblicken, wahrend sie die
anderen Kampf mitt el einschliefzlich der Parlamente als Hilfsmittel
dieses Kampfes betrachte. Das Ziel miisse sein, die rechtssozialisti-
sche Partei niederzukampfen und eine Vereinigung mit den Kom-
munisten zu suchen, Es sei hotwendig, dafz der kommende Parteitag
offen ausspreche, dafz die II. Internationale fiir die USPD. erledigt sei.
Die USP. miisse den Anschlufz an Moskau suchen, denn grundsatz-
lich trenne sie nichts mehr von der III. Internationale.
Geyers Angriff e kamen kurz vor der Reichskonferenz, die
die USPD. im September 1919 veranstaltete. H a a s e stellte dort
in seinem Referat iiber die politische Lage fest, dafz im Proletariat
eine gewisse Ermiidung eingetreten sei, und dalz selbst die Kommu-
nisten mit der Moglichkeit rechneten, dafz die revolutionare Stimmung
noch weiter abflaue. Es sei daher ganz falsch, dafz Geyer einen neuen
Ausbruch der Revolution schon fiir die nachsten Monate als ganz
sicher ankiindige und von der Partei verlange, sie moge ihre Taktik
darauf einstellen. Man durfe nicht alles auf eine Karte setzen, sondern
mit alien Moglichkeit en rechnen. Sei die Zeit vor den Wahlen noch
nicht reif fiir die Diktatur des Proletariats, so diirfen wir keinesfalls
die Wahlen boykottieren. Die Massen wurden eine antiparlamenta-
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rische Taktik auch gar nicht begreif en. Die Aufgabe der Parte! miisse
es sein, das revolutionare Bewulztsein zu st&rken, die Situation rich-
tig zu erkennen, sie aber auch auszunutzen. Geyer r der als Kor-
referent zu Worte kam, milderte jetzt seine Angriffe wesentlich. Er
wolle lediglich verhindern, daiz ein Kompromilz zwischen Ratesystem
und Parlamentarismus beschlossen und der Kampf fiir die Revolution
abgeschwacht werde. In der Diskussion stellte sich heraus, daiz die
Anschauungen Geyers bei den Vertretern der Partei keine Gegen-
liebe fanden, und daiz die iiberwiegende Mehrheit der Reichskonfe-
renz dazu entschlossen war, alle Mittel, auch den Parlamentarismus,
im Kampfe fiir die Ziele des Proletariats anzuwenden.
Der zweite Gegenstand der Beratungen der Reichskonferenz war
das Problem der Internationale. Hilferding, der liber
die Luzerner Konferenz berichtete, verlangte, daiz die USP. sich nicht
von der Arbeiterbewegung des Westens, wo im Kampfe mit dem ent-
wickelten Kapitalismus sich das Schicksal des Sozialismus entscheiden
werde, leichthin isoliere. Er erwartete von der sozialrevolutionaren
Entwicklung eine Umgestaltung der nationalen Parteien, die die Er-
richtung einer von wahrhaft sozialistischem Geiste erfiillten Inter-
nationale ermoglichen wurde. Stoecker dagegen verlangte r daiz
die Trennung von den sozialreformistischen Parteien in der zweiten
Internationale sofort vollzogen und der Anschlulz an die III. Inter-
nationale vorgenommen werde. Der Hinzutritt anderer Parteien zu
Moskau, wie der norwegischen und schweizerischen, st^nde bevor r
deshalb sei zu erwarten, daiz die III. Internationale ihres rein bolsche-
wistischen Charakters bald entkleidet werde. Ueber diese Frage
wurde nicht diskutiert, und da die Reichskonferenz auch keine Be-
schlusse fassen konnte, so mulzte die Entscheidung darliber auf den
fiir die nachste Zeit einzuberufenden Parteitag verschoben werden.
In der Konferenz konnte D i 1 1 m a n n berichten, daiz das Wachs-
tumderBewegung in den vorauf gegangenen Monaten geradezu
sprunghaft gewesen sei. Es habe aber einen Mangel an Schulung
bewiesen, daiz dort r wo die Hinzugekommenen sich vornehmlich aus
friiheren Unorganisierten rekrutierten, das Verlangen nach Aktionen
vielfach am starksten gewesen sei. Es sei versucht worden, die Rate
mit der Parteiorganisation in engere Beziehungen zu bringen. Ueber
erste Anfange sei man dabei nicht hinausgekommen. Eine grolze
Anzahl von Zeitungen war neu gegriindet worden. Die Zentrale der
Partei mulzte erweitert werden, da die Anspriiche, die an sie gestellt
wurden, standig wuchsen.
Einen unersetzlichen Verlust erlitt die Partei durch die Ermor-
dung ihres Fiihrers Hugo Ha'ase. Am 8. Oktober 1919
hatte ein wahnsinniger pder irregeleiteter Arbeiter mehrere Revolver-
schiisse auf Haase ^abgegeben, als dieser gerade im Begriffe war, den
Reichstag zu betreten. Zuerst schienen die Verletzungen nicht gefahr-
lich zu sein, aber es trat Blutvergiftung hinzu, und nach wochenlanger
Krankheit wurde Hugo Haase am 6. November, ein Jahr nach dem Zu-
sammenbruch des alten Regimes, aus diesem Leben abberufen. Es
ist bis jetzt noch nicht ermittelt worden, ob der Mordbube aus poli-
tischen Griinden gehandelt hat oder ob er nur den Eingebungen einer
verzerrten Phantasie gefolgt war. Wenn auch das Btirgertum, bei dem
205
auch von seiner Seite anerkannten lauteren Charakter Flaases, nicht
in offene Freude uber den Tod des Fiihrers der Unabhangigen Sozial-
demokratie ausbrechen konnte, so verhehlte die burgerliche Presse
doch nicht ihre Genugtuung daniber, dafz das revolutionare Prole-
tariat eines seiner Besten beraubt war. Die Beisetzung der Ueber-
reste von Hugo Haase gestaltete sich zu einer machtigen und dabei
ergreifenden Kundgebung fur die Gedanken der Unabhangigen
Sozialdemokratie, als deren Verkorperung Hugo Haase in den Vorder-
reihen des Kampfes gestanden hatte. Das Schonste iiber den toten
Fiihrer hat Rudolf Hilferding am Tage seiner Bestattung in der „Frei~
heit" geschrieben; es moge hier seinen Platz finden:
Die tiefste Fahigkeit Haases war die Gabe der Selbstentaulze-
rung. Die Charakteranlage, die den Menschen zum wahrhaft guten
Handeln befahigt, nennt Schopenhauer die Agape, das Mitleid. Es ist
jene Gabe, die den Menschen fremdes Leid als eigenes empfinden lalzt,
die bewirkt, dalz die Kluft zwischen dem Ich und Du iiberbruckt wird
Die Agape" war der Grundcharakter Haases. Fur ihn gab es daher
nicht die Schranke des Engpersonlichen, egoistischen Wirkens. Dieser
Mann konnte nur Befriedigung finden in dem Schaffen fxir die
Allgemeinheit, in der sozialen Arbeit, in der Hilf e fur alle
Leidenden.
Was er als Fiihrer geleistet hat, gehort der Geschichte an und wird
von ihr gewurdigt werden. Sein Ainerschutterlicher Charakter lielz ihn
nie abirren von den Grundsatzen des Sozialismus und bewahrte ihn vor
den Versuchungen eines grundsatzlosen Opportunisms. Jede Demagogic
war diesem wahrhaftigen fremd 7 und fern blieb diesem Ueberlegenen
politische Phantastik. Klug und abw&gfend im Rat, tapfer und ent*
schlossen bei der Tat, war er zum grolzen politischen Fiihrer berufen.
Und als der Krieg kam, als die Kultur zusammensturzte, die Humanit&t
ein Fremdwort wurde, da erhob sich Haase zur Groize des Sprechers
der beleidigten, erniedrigten Menschheit, zu historischer Grofze. Der
Kampf gegen den Krieg, das Morden, die Luge, war ihm nicht
nur Sache des Verstandes, es war ihm Sache des Herzens. Lit! er doch
alle Leiden als eigene, und nie war seine Leidenschaft grofzer, nie seine
Anklage heifzer, nie die Verteidigung der Menschheit gliihender. In
jenen schweren und finsteren Zeiten hat uns alien Haase den Glauben
an die Menschheit, den Glauben an den Sieg des weltbefreienden
Sozialismus erhal^en.
In den schwierigsten Zeiten hat dann Haase, dessen Charakter ihm
in immer steigendem Maize das instinktive Vertrauen der Massen erwarb,
die Partei zusammengehalten, vom Abgrund des Putschismus
wie vom Graben des Opportunisms zuriickgehalten, sicher ^ geleitet von
der marxistischen Einsicht in die historisch«6konomische Bedingtheit aller
und gerade der revolutionaren Politik.
Nun ist er von uns gegangen, der unersetzliche Berater, der
beste und edelste Mensch, der kampferprobte Fiihrer. In schlimmen
Zeiten geht er von uns, in denen die Partei, in denen die Arbeiterklasse,
in denen dieses ungliickliche Deutschland mehr als je des einzigen
Mannes bedurft hatte. Er geht von uns in dem Augenblicke, wo seine
Autoritat grower, sein Wort geachteter als je gewesen ist. Er geht von
uns zu einer Zeit, wo das Proletariat mehr denn je der klugen, sicheren
Fuhrung bedarf und wo es nottut, die Flammen der ^ revolutionaren
Entschlossenheit, des proletarischen Trotzes mit der sozjalistischen Er*
206
kenntnis zii vereinen, bis zti dem Aug-enblick, wo sie zur gwaltigen,
den Sieg verburgenden Kraft wird. Unersetzlich ist dieser
Verlust, der so sinnlos und unfaizbar uns zugefugt worden ist
Die Schatten dieses Verlustes lagen liber den Vorbereitungen zum
Parteitag der Unabhangigen S oziald emo kr atie r
der vom 30. November bis zum 6. Dezember in L e i p z i g zusammen-
trat Es gait diesmal die Resultate aus der bisherigen Entwicklung
zu Ziehen und die Taktik fur die kommende Zeit festzustellen. Es
waren erst neun Monate seit dem Marzparteitag vergangen; aber
seitdem hatte sich die wirtschaftliche und politische Lage Deutsche
lands vollstandig geandert und der Charakter der Revolution ein
anderes Gesicht bekommen. Die Bourgeoisie war wieder in den Be-
sitz ihrer alten Machtmittel gelangt, sie beherrschte den militarischen
und bureaukratischen Apparat, sie verstand es auch, die demokrati-
schen Methoden fiir ihre Zwecke zu gebrauchen. Weiter Kreise der
Arbeiter hatte sich eine gewisse Kampfesmlidigkeit bemachtigt, ihre
Verelendung war zwar fortgeschrirten, aber das vermochte nicht r die
Aktivitat der Arbeiterklasse zu steigern. Das auf dem MMrzparteitag
beschlossene Programm entsprach dem damaligen Stande der revolu-
tionSren Bewegung, die in sich unklar und gespalten war und deshalb
einen entsprecnenden Ausdruck in der Kundgebung der Partei fand.
Jetzt aber mulzte die Partei auch fur ihre programmatischen Be-
schlusse jene Klarheit finden f die sie berechtigte, die Fuhrerin des
Proletariats zu sein.
D i 1 1 m a n n r der auf dem Parteitag den GeschMftsbericht
der Zentralleitung gab, konnte auf das ununterbrochene Wachstum
der Partei hinweisen. Was der Marzparteitag sich zur Aufgabe ge~
stellt habe r sei inzwischen weiter verfolgt worden: die Sammlung des
deutschen revolutionSren Proletariats auf dem Boden des Klassen-
kampfes. Hatte die Partei im M&rz rund 300 000 Kampf er in ihren
Reihen, so zahlte sie jetzt dereh mehr als dreiviertel Millionen. Im
Laufe des Sommers sei eine reiche Broschlirenliteratur entstanden
und eine Anzahl Flugblatter liber aktuelle politische Fragen in Massen
herausgegeben worden. Die Partei zahle jetzt 55 Tageszeitungen im
Reiche r trotzdem infolge der Not an Papier und des Mangels an
Materialien die Schwierigkeiten zur Grundung neuer Blatter aufzer-
ordentlich grofe gewesen waren. Zur Unterstiitzung der Redaktionen
war ein Pressebureau errichtet worden r dem ein eigener Parlaments-
dienst angegliedert wurde. Fiir die Frauen erschien die „Kampferin'\
fiir die jungen Arbeiter die „Freie Jugend". Als Hilfsmittel fiir die
Arbeit in den Kommunen gab die Partei eine besondere Zeitschrift r
die „Sozialistische Gemeinde", heraus. Dieses Jahr war aber nicht
nur mit Erfolgen gefiillt, sondern es war zugleich ein Jahr der Opfer.
Die besten Kampfer des Proletariats waren niedergemetzelt oder in
Zuchthauser geworfen. Die edelsten Fiihrer der Arbeiterklasse waren
durch Morderhand gefallen. Niemals hatte die Klassenjustiz so ge«
wiitet wie in diesem Jahr. Nunmehr miisse die Organisation der
USP. zu einem Bollwerk des proletarischen Klassenkampfes gemacht
werden, denn nur dadurch komme man zu einer Einigung des ge«
samten sozialistischen Proletariats.
Nachdem Diizmann einen Bericht iiber die Arbeiten fiir ein
neues Organisationsstatut gegeben hatte, kam es zu
207
einem Zwischenfall, der die Situation in der Partei scharf beleuchtete.
Es wurde festgestellt, dafz einige Mitglieder der Partei, wie Stoecker
und Geyer, geheime Verhandlungen mit Levi, dem Vor-
sitzenden der Kommunistischen Partei, gefuhrt und sich von ihm
Instruktionen fur ihr Verhalten auf dem Parteitage geholt hatten. Die
Spaitungsabsichten der Kommunistischen Internationale, deren Ver-
treter Paul Levi war, waren also bereits soweit gediehen, dalz sie
ihren Niederschlag schon auf dem Parteitag der Unabhangigen Sozial-
demokratie fanden, Es wurde bei dieser Gelegenheit auch fest-
getellt, dafz sich bereits der „linke Flugel" eine besondere Organic
sation gegeben hatte, der im Sinne der Moskauer Auftraggeber arbei-
tete und im ganzen Reiche Anschluiz zu finden suchte.
Zu einem neuen Zusamenstofz mit der kommunistischen Zelle in
der Partei kam es nach einem kurzen Ref erat Emanuel Wurms
iiber die Steuerfrage. Wurm hatte ein Steuerprogramm auf-
gestellt, das der Arbeiterklasse ermoglichen sollte, innerhalb der
kapitalistischen Wirtschaft sich gegen die Angriffe des Kapitals zur
Wehr zu setzen. Dalz eine Gesundung des Wirtschaftslebens und
damit auch eine gesunde Steuerpolitik erst erreicht werden konnte,
wenn die Arbeiterklasse die politische Macht erobert hatte, dariiber
hatte Wurm keinen Zweifel gelassen. Nichtsdestoweniger fuhlten
sich die Vertreter des „reinen Rategedankens" veranlalzt, eine Re-
vision der Steuertaktik der Partei in der Richtung zu verlangen, dalz
man sich an der Steuergesetzgebung im kapitalistischen Staat iiber-
haupt nicht beteiligen, sondern es ihm selbst iiberlassen solie, wie er
seine Lasten zu decken plane. In welcher Form auch die Steuern
aufgebracht wiirden, immer sei im kapitalistischen Staat die Arbeiter-
klasse der leidtragende TeiL Auch hier zeigten sich also die anarchistic
schen Tendenzen der kommunistischen Auffassungen, nach denen
der Arbeiter iiberhaupt nichts zur Besserung seiner Lage im kapita-
listischen Staate unternehmen brauche, sondern dalz er lediglich auf
den Umsturz der kapitalistischen Ordnung hinarbeiten miisse, um
damit mit einem Schlage aller seiner Sorgen entledigt zu sein. Der
kommunistische Flligel hatte mit seinem Vorstolz immerhin soviel er-
reicht, dalz das griindliche Steuerprogramm Wurms auf dem Partei-
tage nicht beraten wurde; die Kommission, die sich mit dieser Frage
beschaftigen sollte, hat ihre Arbeiten niemals beendet
Den Hohepunkt der Beratungen bildete das Ref erat Crispiens
iiber Programm und Taktik der Partei. Er gab erst eine
Darstellung iiber die weltpolitische Lage, wie sie sich wahrend des
Krieges und nach dessen Beendigung entwickelt hatte. Er schilderte
dann die Geschichte der bisherigen Programme der sozialistischen
Bewegung, deren letztes Ergebnis das Erfurt er Programm von 1891
war. Das Marzprogramm der Unabhangigen Sozialdemokratie konnte
nur eine knappe Darstellung der wichtigsten sozialrevolutionaren
Grundsatze geben, jetzt aber erfordere der Stand des. proletarischen
Klassenkampfes eine grundlichere Arbeit. Fur den grundsStzlichen
Teil des Pro^ramms, das einer spateren Durcharbeitung vorbehalten
blieb, gab Crispien vorlaufig einige Leitgedanken. Die praktische
Anwendung dieser Grunasatze und der sich daraus ergebenden For-
derungen wurde in einem Aktionsprogramm festgelegt, das schliefe^
20S
lich der Parteitag zum Beschlufe erhob. Das Leipziger
Aktionsprogramm hat folgenden Wortlaut:
Die proletarische R e v o lu tion hat zwei grofze Epochen: den
Kampf urn die Eroberung der politischen Macht und ihre Behauptung
fiir die Uebergangszeit vcm Kapitalismus zum Sozialismus.
Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der
Arbeiterklasse selbst sein, weil alle anderen Klassen, trotz der Inter esserw
gegensatze untereinander, auf dem Boden des Privateigen turns an Pro«
duktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der kapha*
listischen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben.
Die Interessen der Arbeiterklasse sind in alien Landern
gleich. Mit der Ausdehnung der kapitalistischen Weltwirtschaft wird
die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhangiger von der
Lage der Arbeiter in den anderen Landern. Die Befreiung der Arbeiter**
klasse erfordert also den internationalen Zusammenschkuz und den ge«
meinsamen Kampf der Arbeiter der ganzen Welt. In dieser Erkenntnis
fiihlt und erklart die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutsche
lands sich eins mit den klassenbewufeten Arbeitern aller Lander. Dem
imperialistischen Kapitalismus setzt das klassenbewulzte Proletariat aller
Lander den internationalen Sozialismus entgegen.
Die Eroberung derpolitischen Macht durch das Proletariat
leitet die Befreiung der Arbeiterklasse ein. Zur Durchfuhrung dieses
Kampfes bedarf die Arbeiterklasse der Unabhangigen Sozialdemokratie,
die rlickhaltlos auf dem Boden des revolutionaren Sozialismus steht,
der Gewerkschaften, die sich zum unverfalschten Klassenkampf bekennen
und zu Kampforganisationen der sozialen Revolution umzugestalten sind,
und des revolutionaren Ratesystems, das die Arbeiter zum revolutionaren
Handeln zusammenfa&t. '
Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei steht auf dem Boden
des Ratesystems. Sie unterstutzt alle Bestrebungen, die Rate*
organisation schon vor der Eroberung der politischen Macht als prole*
tarische Kampf organisation fur den Sozialismus auszubauen und in ihr
alle Hand* und Kopf arbeiter zusammenfassen und sie zu schulen fiir die
Diktatur des Proletariats.
Die politische Herrschaftsorganisation des kapitalistischen Staates
wird mit der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat
zertrummert. An ihre Stelle treten die politischen Arbeiterrate als
Herrschaftsorganisation des Proletariats. Sie vereinigen in sich Gesetz*
gebung und Verwaltung. Ihre Wirksamkeit bedeutet die Umwandlung
und Neugestaltung des kapitalistischen staatlichen Verwaltungsapparates,
einschliefzlich der Gemeinden; sie bedeutet aber auch die Verwirklichung
des Selbstbestimmungsrechtes der Arbeiterklasse und ihren Zusammen*
schlufz zwecks Abschaffung jegHcher Klassenherrschaft. Die Un-
abhangige Sozialdemokratische Partei setzt der Herrschaftsorganisation
des kapitalistischen Staates die proletarische Herrschafts*
organisation auf der Grundlage des politischen Ratesystems ent-
gegen, dem burgerlichen Parlament, als dem Ausdruck des Machtwillens
der Bourgeoisie, den revolutionaren Ratekcngrefz. Die Umwand^ng- der
kapitalistischen Wirtschaftsanarchie in die planmafeige sozialistische Wirt*
schaft erfolgt durch das wirtschaftliche Ratesystem.
Zur Ueberwindung des Kapitalismus und zur Verwirklichung
der sozialistischen Gesellschaft sind f olgende Maiznahmen
zu treffen:
1. Die Auflosung fedes konterrevolutionaren
Soldnerheeres, Auflosung aller militarischen Zivil* und Polizei-
14 209
formationen, Einwohnerwehren in St&dt und Land, Technischen Nothilfe,
Polizeitruppen, Entwafmung des Burgertums und der Grundbesitzer.
Errichtung einer revolutionaren Wehr.
2. Umwandlung des Privateigentums an Pro**
duktionsmittelnin gesellschaftlichesEigentum. Die
Vergeselischaftung ist unverziiglich durchzufuhren auf den Gebieten des
Rank* und Versicherungswesens, des Bergbaues und der Energies
erzeugung — Kohle, Wasser, Kraft, Elektrizitat ~~ r der konzentrierten
Eisen~ und Stahlproduktion des Transport*- und Verkehrswesens sowie
anderer hochentwickelter Industrien.
3. Grofzgrundbesitz und grolze Forste sind sofort in
gesellschaftliches Eigentum zu iiberfuhren. Die gesamten landwirtschaft*
lichen Betriebe sind durch Bereitstellung aller technischen und wirt-
schaftlichen Hilfsmittel, durch Forderung der Genossenschaft zur hochsten
Leistungsfahigkeit zu bringen. Urbarmachung von Gedland.
4. In den S t a d t e n und vorwiegend industriellen Gemeinden ist das
Privateigentum an Grund und Boden in Gemeindeeigentum zu
uberfuhren; ausreichende Wohnungen sind von den Gemeinden her«
zustellen.
5. PlanmaJfcige Regelung des Ern&hrungswesens.
6. Verges ellschaftung des gesamten 6 ffent lichen Gesund**
heitswesens.
7. Vergesellschaftung aller offentlichen Erziehungs- und
Bildungseinrichtungen. Oef f entliche Einheitsschule mit welt-
lichem Charakter. Die Schule ist nach sozialistisch«padagcgischen
Grundsatzen auszugestalten, die Erziehung mit der mateiiellen Produktion
zu verbinden.
8. Erklarung der Religion zurPrivatsache. VSllige Trennung
von Staat und Kirche. Erklarung der kirchlichen und > religiosen Gemein-
schaften zu privaten Vereinigungen, die ihre Angelegenheiten selbstandig
ordnen.
9. Sozialistische Steuerpolitik durch progressive Ein«
kommens", Vermogens« und Erbschaftssteuer zur Bestreitung aller offent-
lichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind. Abschaffung
aller indirekten Steuern, Zolle und sonstigen wirtschaftspolitischen Malz«
nahmen, welche die Interessen des Proletariats den Interesseh einer bevor-
zugten Minderheit ppfern.
10. Abschaffung aller Gesetze r welche die Frau in offentlicher und
privatrechtlicher Beziehung dem Manne gegenuber benachteiligen.
11. Einfuhrung eines offentlich-rechtlichen Monopols fur das An**
zsigen- und Werbewesen und Uebertragung an die Kommunal«
verbande.
12. Umgestaltung des gesamten Sffentlichen Rechtswesens nach
sozialistischen Grundsatzen.
13. A r b e i t s p f 1 i c h t fur alle Arbeitsfahigen. Schutzmalznahmen
zur Erhaltung der Arbeitskraft.
14. Herstellung f,eundschaftlicher Beziehungen zu
alien Volkern. Sofortige Anbahnung von Biindnissen mit sozia-
listischen Republiken.
Die Diktatur des Proletariats ist ein revolutionares Mittel
zur Beseitigung aller Klassen und Aufhebung jeder Klassenherrschaft,
210
zur Erringung der sozialistischen Demokratie. Mit der Sicherung der
sozialistischen Gesellschaft hort die Diktatur des Proletariats auf, und
die sozialistische Demokratie kommt zur vollen Entfaitung.
Die Organisation der sozialistischen Gesellschaft erfolgt nach dem
Ratesystem. In der sozialistischen Gesellschaft kommt audi das
Ratesystem in seinem tiefsten Sinn zur hochsten Geltung. Der tiefste
Sinn des Ratesystems ist, dafz die Arbeiter, die Trager der Wirtschaft,
die Erzeuger des gesellschaftlichen Reichtums, die Forderer der Kultur,
auch die verantwortlichen Trager aller, rechtlichen Einrichtungen und
politischen Gewalten sein mussen.
Urn dieses Ziel zu erreichen, bedient sich dje Unabhangige Sozial-
demokratische Partei planmafcig und systematisch gemeinsam mit den
revolutionaren Gewerkschaften und der proletarischen Reorganisation
aller politischen, parlamentarischen und wirt-
schaftlichen Kampfmittel. Das vornehmste und ent«
scheidende Kampfmittel ist die Aktion der Masse. Die Unabhangige
Sozialdemqkratie verwirft gewaltsames Vorgehen einzelner Gruppen und
Personen. Ihr Ziel ist nicht die Vernichtung von Prcduktionsinstraraenten,
sondern die Beseitigung des kapitalistischen Systems.
Die geschichtliche Aufgabe der Unabhangigen
Sozialdemokratischen Partei ist es r der Arbeiterbewegung
Inhalt, Richtung und Ziel zu geben und dem revolutionaren Proletariat
in seinem Kampfe fur den Sozialismus Fuhrerin und Bannertragerin
zu sein. !
Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei ist der Ueberzeugung,
dafz durch die Zusammenfassung der proletarischen
Massen, die sie erstrebt, der vollstandige und dauernde Sieg des
Proletariats beschleunigt und gesichert wird. In diesem Sinne erstrebt
die Unabhangige Sozialdemokratische Partei auch die Schaffung einer
revolutionaren aktionsfahigen Internationale der Arbeiter aller Lander-
Das Bekenntnis in Wort' und Tat zu den Grundsatzen und Forderungen
dieses Programms ist die Voraussetzung zur Einigung der Arbeiter*
klasse. '
Nur durch die proletarische Revolution kann der Kapitalis*
mus uberwunden, der Sozialismus verwirklicht und damit die Befreiung
der Arbeiterklasse durchgefuhrt werden. '
Zu stiirmischen und zeitweise sehr hafzlichen Szenen kam es, als
man an die Beratung des nachsten Punktes, die Frage der Inter-
nationale, ging. Die Redner der beiden Richtungen waren Hil«
f erding und Stoecker. H i 1 f e r d i n g ging von okonomischen Fest-
stellungen aus und verlangte, daiz die Partei ihren Zusammenhang
mit dem westeuropaischen Proletariat nicht verlieren diirfe. Die Ent«
scheidungskampfe zwischen Kapital und Arbeit wtirden in den hoch«
industriell entwickelten LSndern geschla<?en werden und nicht in dem
wirtschaftlich riickstandigen Rufzland. Bei aller Sympathie mit dem
russischen Proletariat, das in opferreichen Schlachten die Bourgeoisie
niedergeworfen habe, das von der Internationale des Kapitals hart
bedrangt werde, von der Internationale der Arbeit aber noch nicht
die notwendige Unterstutzung gefunden habe, diirfe man doch nicht
die Fuhlung mit dem Proletariat der Weststaaten verlieren, auch
wenn dessen revolutionare Auffassung hinter der des russischen Pro-
letariats zuriickstehe. Stcecker dagegen verlangte den sofortigen
Anschluiz an die Moskauer Internationale und die Loslosung von den
14* 211
Arbeiterparteien der anderen Lander, soweit sie sozialreformerischen
Charakter triigen. Die anderen Parteien, die auf dem St&ndpunkt
der Unabhangigen Sozialdemokratie standen, wurden deren Beispiel
von selbst nachfolgen. Einen vermittelnden Vorschlag machte
Ledebour; man solle die endgiiltige Beschlufzf assung noch hin-
ausschieben, urn mit den revolutionaren Sozialisten und Kcmmu-
nisten aller Lander den Bail einer neuen, wirklich revolutionaren und
aktionsf&higen Internationale zu beginneru Wir durften jetzt nicht
nach Moskau gehen und uns von dem westlandischen Proletariat
isolieren, sondern wir mufzten alles tun, um das Proletariat aller
Lander zur revolutionaren Aktion aufzurufen und zusammenzufassen.
Da es nicht moglich war, in offener Sitzung des Parteitages zu einer
Verstandigung zu gelangen, wurden die Verhandlungen stundenlang
vertagt, um den beiden Gruppen der Delegierten Gelegenheit zur
internen Aussprache zu geben. Es schien fast so, als ob eine weitere
Zusammenarbeit gar nicht mehr moglich sei. Schlieizlich gelang es
aber, fur eine Resolution, die die Unterschrift von Parteileitung und
Kontrollkcmmission trug, die Mehrheit des Parteitages zu gewinnen.
In dieser Resolution wurde mit der II. Internationale
endgiiltig gebrochen und weiter verlangt, dafz durch die
Sammlung der sozialrevolutionMren Parteien aller Lander eine Inter-
nationale der Tat geschaffen werde. Zugleich aber gab sie der Partei
die notwendige Bewegungsfreiheit, um zu verhuten, dalz ihr die Ge-
setze des Handelns von Moskau vorgeschrieben wurden. Damit war
die M6glichkeit zur S chaff ung einer die ganze Welt umfassenden
Internationale des revolutionaren Proletariats gegeben. Wenn es
nicht dazu gekommen ist, so darf die Schuld daran nicht bei der
•Unabhangigen Sozialdemokratie gesucht werden.
Die Spaltung der Partei ist damals noch verhirtet worden. Es zeugte
von der ihr innewohrienden StSrke, dalz sie die heftigen Auseinander-
setzungen ertragen konnte, ohne auseinanderzufallen. Das neue
Aktionsprogramm hatte der Partei eine Plattform gegeben, auf der
sich das ganze Proletariat sammeln konnte. Es hat auch zunachst
seine Wirkung getan, bis durch das Moskauer Diktat der Aufschwung
der Unabhangigen Sozialdemokratie gehemmt und der deutschen
Arbeiterbewegung unsaglicher Schaden zugefiigt wurde.
212
©fe^3Q&^39^
Das Werk von Moskau.
Die Demonstration vor dem Reichstag. — Der Streit urn die Betriebs-
rate. — Der Kapp-Putsch. — Tod von Emanuel Wurm. — Groizer
Erfolg bei den Reichstagswahlen. — Das Antwortschreiben aus
Moskau. — Polnisch-russischer Krieg. — Die 21 Bedingungen. — Die
Reichskonferenz. — Der aufzerordentliche Parteitag von Halle. —
Rededuell Sinowjew~Hilferding. — Die $paltung.
Die Partei hatte einProgramm f u r die A k t i o n , sie hatte
eine Fahne, die der Arbeiterklasse in ihrem Befreiungskampfe vcran-
schweben sollte. Was das Proletariat in jenen Tagen erfullte, wo-
nach es sich sehnte und wofur es stritt, das war im Aktionsprogramm
der Unabhangigen Sozialdemokratie niedergelegt Seine Form und
sein Inhalt entsprachen den Forderungen jener Zeit; es gluhte in
ihm der Trotz der Revolution, es war erfullt von dem Gedanken sozia-
listischer Erkenntnis. Es knupfte an die Bedurfnisse des Tages an,
liefz sich aber nicht zu reformistischen Zugest&ndnissen an die kapi-
talistische Ordnung herbei. Es stellte ein Kampfesziel auf, ohne sich
in utopische Spielereien zu verlieren. Es war das Ergebnis eines
Revolutionsjahres und dessen Erfahrungen berechtigte es, jeder Re-
volutionsromantik Valet zu sagen. . So wurde es einstimmig und unter
sturmischem Beifail der Delegierten vorti Leipziger Parteitage an-
genommen, so wurde es von der Parteipresse, von den geistig reg-
samsten und kampfeslustigsten Teilen des Proletariats begriiizt. Das
Aktionsprogramm war nicht fur die Ewigkeit bestimmt. Aber es gab
die Richtung an, in denen sich die K&mpfe der Arbeiterklasse in der
kommenden Zeit bewegen mulzten, Wenn eine Vereinigung
des Proletariats iiberhaupt moglich war, so konnte sie nur auf der
Grundlage erfolgen, die durch das Leipziger Aktionsprogramm der
Unabhangigen Soziaidemokratie gegeben war.
Die Voraussetzung flir diese Wirkung des Aktionsprogramms
mulzte sein, dalz die drei Organisationen, die alsTrager der
sozialenRevolution anzusprechen waren, gemeinsam, mit Ver-
trauen und in Treue zueinander, an dessen Verwirklichung arbeiteten.
Das waren die Partei, die Gewerkschaften und die Rateorganisationen.
Es zeigte sich aber bald, dalz die Vertreter des „reinen Rate-
gedankens" alles andere im Sinne hatten, als mit den beiden anderen
Organisationen als gleichwertigen Faktoren zu arbeiten. Ihnen war
das Ratesystem zum Fetisch, zum Selbstzweck geworden. Sie hatten
den G 1 a u b e n an den Rategedanken, und diesen Glauben hielten
sie fiir den allein seligmachenden. Ein Glaubensstreiter aber ist
blind fiir jede andere Meinung, er erkennt keine Lehrsatze an,
213
sondern halt sich nur an sein Dogma. So entriistete sich Ernst
Daumig lebhaft daruber, daiz Ledebour in seiner Besprechung
des Parteitags der parlamentarischen Arbeit die ihr gebiihrende Bedeu-
tung beigemessen hatte. Mochte Daumig sich ein halbes Jahr spater
recht gem an der Verteilung der Reichstagsmandate beteiligen, so war
er damals noch recht antiparlamentarisch gesinnt, und er und seine
Freunde waren leicht dazu geneigt, jeden aus der Liste der revolu-
tionaren Kampfer zu streichen, der nicht an den „reinen Rate-
gedanken" als die hochste Potenz in der Arbeiterbewegung glaubte.
Das alles gab aber nur den Suizeren Anlaiz, urn die Kluft in den
Auff assungen in der Frage der Internationale aufs neue
aufzureiizen. Der sogenannte linke Fltigel war verstimmt daruber,
daiz sein Wunsch, den Anschlulz an Moskau sofort zu vollziehen und
damit den westeuropaischen Arbeiterparteien den' Riicken zu kehren,
nicht sofort in Erfulking gegangen war. Seine Verbindung mit den
Moskauern war schon so eng, daiz er den, vom Parteitag zum Beschluiz
erhobenen Antrag Ledebours, erst mit den andern spzialrevolutio-
naren Parteien gemeinsam den Anschlulz an die kommunistische
Internationale vorzunehmen, fast als eine Ehrenkrankung ansah.
Und so wurde Ledebour von Daumig als ein Vertreter jener 77 refor«
mistischen und opportunistischen Tradition" der alten Partei bezeich~
net, die noch nicht vdllig aus den Kopfen vieler Parteigenossen ge«
schwunden sei.
Wohin die deutsche Arbeiterklasse gefuhrt worden ware, wenn sie
sich vorbehaltlos der Fiihrung der Apostel des „reinen Rateglaubens 4 '
anvertraut hatte, das sollte sich bald an einem viberaus traurigen
Ereignis zeigen. Die Regierung hatte das Betriebsrategesetz vor-
bereitet, durch das den revolutionaren Rfiten vollig der Garaus ge-
macht werden sollte. Es verstand sich von selbst, daiz die Arbeiter
sich diesen Rest der Errungenschaften aus den Novembertagen nicht
ohne Widerstand rauben lassen wollte. Als der Reichstag am 13. Ja«
nuar 1920 mit den Beratungen des Betriebsr&tegesetzes beginnen
wollte, wurden die Berliner Arbeiter von der Leitung der Partei und
der Ratebewegung zu einer grclzen Demonstration vcr dem
Parlamentsgebaude aufgerufen. Die Fiihrung bei dieser Kundgebung
und damit auch die Verantwortung fur ihren Verlauf batten die
Spitzen der R&teorr anisationen. Es erpab sich aber bald, dafz sie
wohl auf dem Papier recht schone Tabellen fur den Aufbau des
Ratesystems aufstellen konnten, daiz sie aber unfahig warerv, eine
wirkliche Organisation der Massen vorzubereiten. Zu Hunderttausen*
den waren die Berliner Arbeiter vor dem Reichstagsgebllude er«
schienen. In musterhafter Ordnung batten sie die Betrlebe^ vorlassen
und waren demonstrierend durch die Stralzen gezogen. Die Leiter
der Kundgebung aber hatten nicht dafiir gesorgt, daiz sie ein Ziel
und einen wirkungsvollen Abschlulz fand. Stundenlang standen die
Massen vor dem Reichstag; bald hatten sich provozierende Elemente
in ihre vcrdersten Reihen gedrangt, und nun fand die Polizei Ge-
legenheit, wieder einmai ein furchtbares Blutbad unter den
Arbeit ern anzurichten. Zahllos waren die Opfer, die den Schiissen
der Militarpclizei zum Opfer fielen. Mit Maschinengewehren hatte
die burgerliche Ordnung einen neuen Sieg iiber das Proletariat er-'
rungen.
214
Die Blutschuld, die seit diesem Tage besonders an den HSnden
des rechtssozialistischen Polizeimnisters Heine klebt 7 soil gewilz nicht
verkleinert werden. Wir brauchen uns auch das Geschrei der rechts-
sozialistischen Presse aus jenen Tagen nicht zu eigen zu machen, die
aus den Vorgangen des 13. Januar einen Putschversuch konstruieren
zu konnen glaubte und einiges von den 77 intellektuellen llrhebern"
aer greuelvollen Vorgange faselte. Nichtsdestoweniger bietet die
geschichtliche Wahrheit die Feststellung, dalz damals die Vertreter
des 77 reinen Rategedankens" 7 die Klinder der zukiinftigen Orgar\isa«
tion der Arbeiterklasse, einen g&nzlichen Mangel an Organisations-
f&higkeit bewiesen haben. Nur dem Solidaritatsgefiihl des so^enann«
ten rechten Fliigels hatten sie es zu verdanken, dalz diese Tatsache
damals nicht sofort festgestellt wurde.
Mit besonderer Heftigkeit kamen die in der Partei herrschenden
zwei Auffassungen dann wieder bei der Anwendung des Be-
triebsrategesetzes zurn Ausdruck. Wenn die BetriebsrMte
zum Nutzen der Arbeiterschaft wirken soliten r so mufzten sie gemein-
sam mit den Gewerkschaften arbeiten. Nicht allein r dalz mit dem
Abflauen der revolutionaren Stimmung in der Arbeiterklasse die Be~
deutung der Gewerkschaften wieder zunahm, war es doch von vorn«
herein klar 7 dalz die gev/altige Mehrzahl der Betriebsrate den Wei-
sungen folgen wiirden, die ihnen von gewerkschaftlicher Seite ge-
geben wurden. Auch dieser Erkenntnis suchten sich die Vertreter
des 77 reinen RHtegedankens" zu verschlielzen. Sie verfochten die Auf-
fassung 7 dalz fiir die im revolutionaren Proletariat wurzelnden RHte
besondere Organisationen geschaffen werden miilzten 7 die den Kern
fiir spat ere revoluticnare Erhebungen und die Grundlage fiir die
kommende Umwalzung der kapitalistischen Produktionsweise bilden
sollten. Derartige 77 wirtschaftliche" Rateorganisationen sind spater
auch in einigen Bezirken des Reichs gebildet worden 7 so in Mittel-
deutschland und im Ruhrgebiet, ohne dalz es ihnen gelungen ware 7
eine groizere Bedeutung als die einer Spielerei zu erlangen. In Berlin
hat noch einige Monate lang die Betriebsratezentrale in der Miinz-
stralze eine gewise Rolle gespielt, freilich nicht als Tragerin und For-
derin des Rategedankens, sondern als Keimzelle fiir den Spaltungs-
prozelz in der unabh^ngigen Sozialdemokratie.
Als Zwischenspiel sei vermerkt 7 dalz sich im Februar 1920 der
kommunistische Splitter den Luxus einer S p a 1 1 u n g
gestattete. Unter der Fuhrung vcn Paul Levi wurde eine Reihe von
Bezirksorganisationen aus der Kcmmunistischen Partei aus-
geschlossen 7 weil sie deren Mauserung zum Parlamentarismus nicht
mitmachen wollten. Diese Hinausgeworfenen haben sich dann eine
neue Partei geschaffen, die Kommunistische Arbeiter-
partei.
Hatten die bisherigen VorgSnge in der revolutionaren Entwicklung
Deutschlands die Krafte der Arbeiterbewegung zersplittert und sie
dadurch ihrer Aktionsfahigkeit immer mehr beraubt 7 so sollte ein Er-
eignis jetzt die Moglichkeit ihrer Zusammenfassung schaffen. Das
war der K a p p - P u t s c h vom 13. Marz 1920. Noch am Vorabend
dieser militarischen und nationalistischen Revoke safe N ske seelen-
vergnugt mit seinen Offizieren aus der Reichswehr beisammen und
215
iiefe sich von ihnen berichten, dalz ihr Trachten nur darauf eingestellt
sei, die Republik und deren Regierung zu schutzen. Wenige Stunden
spater waren die Mannen des Korvettenkapitans Ehrhardt, die Lands-
knechte aus dem Baltikumabenteuer und ahnliche Elemente, die
durch Noskes Fursorge Zeit und Mittel erhalten hatten, sich auf neue
Taten zu riisten, in den Berliner Regierungsgebauden und die
Herren Ebert, Noske und ihre Kollegen aus der Regierung mufeten
Hals iiber Kopf aus der Reichshauptstadt entfliehen. Die r e c h t s -
sozialistische Politik hatte zum zweitenmal ihren
Bankrott erlitten. Der Noskekurs, der zur Bewaffnung der Gegen-
revolution, zur Wiederaufrichtung des Militarismus gefuhrt hatte,
war schwachlich zusammengebrocnen. Nun stand die ganze Arbeiter-
klasse einmutig und geschlossen auf, urn sich diejenigen Rechte zu
sichern, die zur Durchfuhrung ihrer Ansprixche notwendig waren.
Arbeiter, Angestellte und Beamte, gleichviel welcher Partei sie an-
gehorten, sie alle traten in den Generalstreik ein, ohne dalz
dafiir eine besondere Vorbereitung notwendig gewesen ware. Und
nun gait es, diese Situation fur das Proletariat nutzbar zu machen.
Wenn eine einheitliche politische Fiihrung der Arbeiterklasse da-
gewesen ware, mit einem bestimmten Ziele und mit einem einheit-
lichen Willen, so ware damals manches erreicht worden. Die Kom-
munisten aber gaben zuerst die Parole gegen den Generalstreik aus
und lielzen erst, als sie merkten, dalz kein Mensch auf sie h8rte, von
ihrer Tolpelhaftigkeit ab. Und die Rechtssozialisten glaubten die
Bewegung dahin deuten zu konnen, dalz sie aus der Sorge um die
damalige Regierung entstanden sei. So erkl&rt es sich, dalz die
Leitung des Gewerkschaftsbundes sich an die Spitze der Bewegung
stelien und ihr einen ihr gemafzen Stempel aufdrucken konnte. Sie
stellte eine Reihe von Forderungen auf, ihre beriihrnten acht
Punkte, die ohne Zweifel zur Reinigung des politischen Lebens
gefuhrt und der Arbeiterschaft den ihr gebiihrenden Platz zugewiesen
hatten 7 wenn sie durchgefiihrt wcrden waren. Das scheiterte auf der
einen Seite an der Passivitat der rechtssozialistischen Partei und auf
der anderen Seite ari der von den Kommunisten und dem sogenann-
ten linken Fliigel der Unabhangigen Partei gepredigten Enthaltsam-
keit von allem wirklichen politischen Einflusse. So kam es, dalz die
Bewegung, die so prachtvoll einsetzte und eine so erfreuliche Einheit
zeigte, schliefzlich im Sande verlief, ohne bedeutende Spuren zu
hinterlassen. Der einzige Leidtragende war Noske, dessen Dasein
als Wehrminister mit dem Kapp-Putsch beendet war; das hat seine
Partei nicht daran gehindert, ihn fur seine Verdienste um die Gegen-
revolution mit einer oberprasidialen Pfriinde zu belohnen.
Der Kapp-Putsch zitterte noch einige Wochen lang im Ruhr-
r e v i e r und in Mitteldeutschland nach. Im Westen war
es den Arbeitern aller Richtungen gelungen, die Freikcrps aus dem
Felde zu schlagen und sich mit Waffen zu versehen. Sie hielten
den ganzen Bezirk besetzt und stellten eine ansehnliche Macht vor.
Aber die Bewegung war isoliert, und es war leicht vorauszusehen, dalz
sie in einem Blutbade enden wlirde, wenn sie nicht rechtzeitig abzu-
brechen war. Schon riistete sich die Reichswehr, um mit ihren alten
Methoden noch einmal die Niederwerfung der Arbeiterschaft zu ver-
suchen. In die Bewegung selbst hatten sich anarchistische Elemente
216
feingeschiichen, denen nicht an der Verwirklichimg bestimmter gozia-
listischer Forderungen, sondern mehr an der Befriedigung person-*
licher Bediirfnisse gelegen war. Dem Einflusse der Unabhangigen
Sozialdemokratie ist es zu danken, dalz die Bewegung, wenn auch
nicht mit einem vollen Erfolg der Arbeiterschaft, so doch mit einem
Ergebnis liquidiert wurde, das einen neuen Aderlafe an der Arbeiter-
klasse verhutete.
Einen neuen schmerzlichen Verlust erlitt die Partei, erlitt die
Arbeiterbewegung mit dem Tode von Emanuel Wurm. Ein
Menschenalter hatte er seine Kenntnisse und seine F&higkeiten in
den Dienst des Proletariats gestellt. Auf den Gebieten der Wirt-
schaft und der Steuerges-etzgebung war er eine unbestrittene Autoritfit.
Fruhzeitig schon hatte ihn die alte Partei auf die vordersten Posten
gestellt, und niemals haben die Arbeiter eine EnttSuschung an ihm
erlebt. Er war kein hinreifzender Redner. Aber wenn er sprach,
dann fesselte er seine HSrer durch den Inhalt seiner Ausfiihrungen,
dann gewann er die Aufmerksamkeit durch die Fulle seiner Kennt~
nisse. In der Partei, im Parlament war er ein unermudlicher Arbeiter.
Er besaiz den Willen zur Tat, und er vermochte, wie nur wenige aulzer
ihm, sozialistische Erkenntnis mit der Einsicht in die MSglichkeiten
des Tages zu verbinden. Sein Tod rilz in die Partei eine schmerzlich
empfundene Liicke.
Der Kapp-Putsch und seine Folgen hatten die KrSfte der Partei
aulzerordentlich in Anspruch genommen, sie aber zugleich sammeln
und nutzen gelehrt. Mochten nach dem Abbruch des Kampfes ge«
wisse Mifestimmungen ubriggeblieben sein, well besonders der so«
genannte linke Fliigel der Meinung war, der Kampf hMtte von der
Partei auch isoliert von der iibrigen Arbeiterschaft weitergefiihrt
werden musen, so drangte doch die Nctwendigkeit, auf dem nMchsten
Kampffelde geschlossen aufzutreten, diese Differenzen bald wieder
in den Hintergrund. Die nun zu verrichtende Arbeit gait den Neu-
wahlen fur den Reichstag. Die Partei eroffnete den Wahi-
kampf mit einem Aufruf, in dem sie den Arbeitern sagte, daiz
sie ihre Interessen gemeinsam wahren, dalz sie sich nicht gegen-
einander ausspielen und milzbrauchen lassen durften. Aus dem Zu-
sammenbruch, in den die Welt durch Kapitalismus und Militarismus
§efiihrt worden sei, gebe es nur eine Rettung, den Kampf fiir den
ozialismus. Mit ihrem Programme sammle die Unabhtogige Sozial-
demokratie die Massen des Proletariats, sie vertrete es jetzt auch
im Wahlkampf . Gegen das einheitlich und geschlossen handelnde
Proletariat konne in Deutschland keine Maclvt aufkommen. Als sofort
zu erfiillende Uebergangsmalznahmen wurden dann
gefordert:
1. Entwaffnung und Auflosung aller konterrevolutionaren
Formationen. Mannschaftsersatz aixs den Reihen der organisierten
Arbeiterschaft, politisch zuverlSssige Fiihrer.
2. Aufhebung des Ausnahmezustandes. Freilassung
aller verhafteten Revolutionskampfer und umfassende Anuiestie.
8. Bestrafung aller an dem Kappschen Umsturz beteiligten
Gegenrevolutionare und der fiir das Hinmorden von re^volutionaren
Kampfern Verantwortlichen. '
217
4. Durchf uhrung der Sozialisierung, beginnend auf dem Gebiete
des Bergbaus und der Energieerzeugung — Kohle, Wasser, Kraft,
Elektrizitat — , Weiterfuhrung der Sozialisierung der konzentrierten
Eisen~ und Stahlproduktion, des Transport- und Verkehrswesens sowie
anderer hochentwickelter Industrien, umfassende Kommunalisierung.
5. Ueberfuhrung des Grolzgrundbesitzes und der g r o Jz e n
Forsten in gesellschaftlich.es Eigentum. Die gesamten landwirtschaft*
lichen Betriebe sind durch Bereitstellung aller technischen und wirt*
schaftlichen Hilfsmittel, durch Forderung der Genossenschaft zur
hochsten Leistungsfahigkeit zu bringen.
6. Sicherung der Lebensmittelversorgung der st&dtischen
Bevolkerung. Scharfste Bekampfung des Leber smittelwuchers.
7. Ausbau der Sozialgesetzgebung, Anpassung der LShne,
Gehalter, Renten und Unterstiitzungen an die Kosten der Lebenshaltung.
Wirksame Schutzmalznahmen zur Erhaltung der Arbeitskraft
8. Freundschaf tliche Beziehungen zu alien Vdlkern.
Frieden mit Ru&land. Erfullung der sich aus dem Friedensvertrag
ergebenden Verpflichtungen.
Der Wahltag vom 6. Juni brachte der Partei einen glHnzenden
E r f o 1 g. Sie war mit einem Ruck an die zweite Stelle geriickt, nicht
viel mehr fehlte, dalz sie die rechtssozialistische Partei tiberflugelte.
Die SPD. erhielt 5 614 452 Stimmen und 112 Mandate, die USPD.
4 894 317 Stimmen und 81 Mandate. Die Unabhtingige Sozialdemo
kratie, der man in der ersten Zeit ein so ungiinstiges Prognostikon
gestellt hatte, war zu einer achtunggebietenden Macht geworden,
sie dr&ngte danach, zu der entscheidenden Macht zu werden.
Bald sollte die Partei vor ein neues Problem gestellt werden. Die
bisherige Koalition war aulzerordentlich geschwMcht aus dem Wahl-
kampf hervorgegangen. Den Rechtssozialisten war fiir den Augen-
blick die weitere Lust am Zusammenregieren mit den Biirgerlichen
vergangen 7 und sie glaubten ihre Stellung dadurch verbessern zu
konnen, dalz sie die Unabhangige Sozialdemc kratie zur Teilnahme
an ihrer Koalition einluden. Das Zentralkomitee der USPD.
antwortete darauf, dalz die Partei nicht in eine Regierung eintreten
konne, die sich die Wiederaufrichtung der kapitalistischen Ordnung
zum Ziele gesetzt und zur Niederhaltung des Proletariats den Mili-
tarismus neu belebt habe. Der Eintritt der USPD. in eine solche Re-
gierung wiirde eine Unterstiitzung der konterrevolutionMren Politik
und einen Verrat an den Interessen der Ar eiterschaft bedeuten. Zur
Erkampfung ihres Zieles, der Beseitigung der kapitalistisch-militMri-
schen Klassenherrschaft sei die USPD. zu Beginn der Revolution in
eine gemeinsame Regierung mit der rechtssozialistischen Partei ein-
getreten. Sie habe sich gezwungen gesehen r aus der Regierung aus-
zutreten, um an der von den Rechtssozialisten betriebenen Politik
nicht mitschuldig zu werden. Fiir die USPD. konne also n u r eine
sozialistische Regierung in Betracht kommen 7 in der sie
die Mehrheit habe, den bestimenden Einflulz ausiibe, und in der ihr
Programm die Grundlagen der Politik bilde.
Diese Absage an die Koalitionspolitik fiihrte zu einer aulzerordent-
lich scharfen Kampagne der Rechtssozialisten gegen die Partei, der
sie die Schuld daran gab, dalz nunmehr eine ganz burger liche Re-
218
gierung gebildet werden mttsse. Auch in den eigenen Reihen
herrschte eirdge Mi&stimmung daruber, dalz es nicht wenigstens zu
Verhandlungen ixber die Regierungsbildung gekommen war. Riick-
schauend kdnnen wir sagen, dafe die Taktik des Zentralvorstandes
nicht ganz gliicklich gewesen ist. Sie hatte bestimmte Forderungen
aufstelien miissen, aui deren Durchiiihrung sie bestehen konnte. Die
burgerlichen Parteien waren sicherlich nicht eine Koalition mit einer
Partei eingegangen, die das Leipziger Aktionsprogramm als die
Grundlage ihrer Politik betrachtete. Und wenn auch die Rechts-
sozialisten die Zusammenarbeit auf Grund dieses Programms ab-
gelehnt hatten, so war vor aller Welt festgestellt, dalz sie die Schuld
an dem Nichtzustandekommen einer rein sozialistischen Regierung
trugen.
Ende Juni begab sich eine Abordnung der Partei,
Crispien, Dittmann, Daumig und Stoecker, nach Moskau, urn
an den Beratungen des Kongresses der Internationale teilzunehmen
und "fiber den Anschlulz der USPD. zu verhandeln. Vorher berichtete
das Zentralkomitee daniber, was es zur Ausfuhrung des Leipziger
Beschlusses in der Frage der Internationale getan hatte. Es waren
Verbindungen mit alien Parteien des Auslandes, die sozialrevolutio-
naren Charakter trugen, angekniipft worden, urn mit ihnen gemeinsam
der III. Internationale beizutreten. Es kamen eine Reihe von Ant-
worten, die das Vorgehen der USP. zumeist billigten und die Ab-
haltung einer Konferenz zur Besprechung der weiteren Schritte vor-
schlugen. Nur aus Moskau kam keine Antwort, und um die Ver-
handlungen mit der III. Internationale nicht zu erschweren, lehnte
die Parteileitung die Veranstaltung einer Konferenz ohne Moskau ab.
Der Kapp-Putsch brachte eine Unterbrechung dieser Verhandlungen.
Die Kraite der Partei waren in der inneren Politik so in Anspruch
genommen, dalz die Regelung der international Beziehungen nicht
gefordert werden konnte. Endlich im April kam ein Antwort-
schreiben des Moskauer Exekutivkcmitees, das aber, was das hinter-
haltige Verhalten dieser Exekutive deutlich kennzeichnet, in erster
Linie an „alle Arbeiter Deutschlands", in zweiter Linie an die
77 Reichszentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands" und erst
in dritter Linie an den „Vorstand der Unabhangigen Sozialdemo-
kratischen Partei" gerichtet war.
In diesem Antwortschreiben war im Widerspruch mit den Tat-
sachen behauptet warden, dalz die USPD. die KundgeDungen des
Moskauer Exekutivkcmitees unterschla&en und den Anschlulz an die
III. Internationale sabotiert habe. Das Zentralkomitee der Partei
mu&te erst den Wahikampf vortiDergehen lassen 7 ehe es sich dazu
aulzern konnte. Es steilte nun fest, dalz das Mcskauer Exekutiv-
komitee in ganz unmarxistischer Weise behaupte, die Massen der
Partei lielzen sich von einem Hauflein opportunistischer Fiihrer irre-
fiihren, und es miilzten erst diese Fiihrer beseitigt werden, ehe die
USP. in die III. Internationale aufgenommen werden konne. Durch
solche Methc de werde, statt sachliche Kritik zu iiben, der G e i s t
der Spaltung in eine Partei hineingetragen, die den Anspruch
darauf erheben kenne, als Reprasentantin des revolutionaren Prole-
tariats zu gelt en. Die Partei hate durch ihre ganze bisherige Tatig-
keit bewiesen, dalz sie von revolutionarer Tatkraft erfullt sei, und die
219
Teilnahme an der ersten Revokitionsregierung, die das Exekutlv-
komitee der USP. jetzt zum Vorwurf mache, habe nur den Forde-
rungen des gesamten Proletariats entsprochen. Das Antwortschreiben
des Exekutivkcmitees stelle (iberhaupt eine Sammlung von schiefen
oder ganzlich unwahren Darsteilungen und Anklagen dar. Die Durch-
fiihrung der sozialen Revolution vollziehe sich nicht iiberall nach den
Bedingungen, die die Bolschewisten in Rutland gefunden hStten,
sondern sie hingen ab von den Verhaltnissen jedes einzelnen Landes.
Die USPD. habe durch den Bruch mit der II. Internationale bewiesen,
dalz sie mit deren reformistischen Parteien nichts zu tun haben wolle.
Das Schreiben der Zentraieitung schlieizt mit der Hoffnung, dalz es
der nach Moskau gesandten Komission gelingen werde, mit guten
Ergebnissen fur die Schaffung einer geschlcssenen internationalen
Front des klassenbewulzten revolution&ren Proletariats aller LMnder
heimzukehren.
Diese Hoffnung ist griindlich enttHiischt worden. Was die Kom-
mission mitbrachte, das war nicht die Einigung des revolutionSren
Proletariats der ganzen Welt, sdndern ihre Zersplitterung, nicht die
Starkung der sozialrevolutionMren Parteien in alien Landern 7 sondern
deren Spaltung. Wie kam es aber, dalz die Moskauer Exekutive so
ganzlich alle marxistischen Lehren und jede sozialistische Erkenntnis
beiseite schob und mit anarchistischen Methoden ihre eigene Isolie«
rung von dem kampfentschlossenen Proletariat der Westlander durch«
setzte? Das war begriindet in der innen- wie auizenpoliti-
schen Stellung der Sowjetregierung, deren aus«
fiihrendes Organ die III. Internationale werden sollte.
Im Friihjahr 1920 glaubte die Entente zum letzten entscheidenden
Schlage gegen Sowjetrufzland ausholen zu konnen. Nachdem die
russischen Arbeit er und Bauern die gegenrevolutionSren Bewegungen
der Koltschak, Denikin und Judenitsch niedergeworfen hatten, be-
diente man sich jetzt des polnischen Imperialismus als Werkzeug.
Polen erhob Anspriiche auf weite Gebiete des eigentlichen Rufzlands,
und es fand sich bald ein Vorwand, um einen Krieg vom Zaune zu
brechen. Es gelang den Sowjetarmeen, die Polen zuriickzuschlagen,
im Sommer 1920 standen die bolschewistischen Truppen vor war-
schau und an der ostpreulzischen Grenze. Eine Zeitlang schien es,
als ob Sowjetrufzland den Frieden diktieren, als ob es ihm gelingen
werde r die bolschewistischen Methoden auch in Polen zur Durch-
fiihrung zu bringen und die Revolution getreu nach russischem Vor-
biid nach Deutschland zu tragen. Diese Plane fanden die lebhafteste
Unterstiitzung bei den deutschen Nationalist en; es fanden sich zahl-
reiche Stimmen aus den reaktionaren Parteien, die den Abschlufz eines
Biindnisses mit SowjetruMand verlangten und an dessen Seite den
Revanchekrieg gegen die Entente beginnen wollten. Das war der
Nationalbolschewismus. Fiir ieden einsichtigen Politiker
war es aber klar, dalz eine solche Politik nur zum sicheren Unter-
gange Deutschlands fiihren konnte. Die Entente hatte sofort die
wichtigsten wirtschaftlichen Gebiete besetzt, um sie niemals wieder
herauszugeben, und Deutschland ware zum Kriegsschauplatz ge-
worden. Der Ausgang eines neuen Gemetzels aber wSre nicht
zweifelhaft gewesen.
220
Von dieser Situation wurde die Haltung der Unabhangigen Sozial-
demokratie bestimmt. Sie mulzte alle Anstrengungen machen, urn
zu verhiiten, dafz der Krieg nach Deutschland hineingetragen wurde,
zugleich aber hatte sie dafur zu sorgen r dafe Transprrte von Truppen
oder von Kriegsmaterial zur Unterstutzung der Polen verhindert
wurden. Dieser Pflicht hat sich die Partei mit vollem Erfolge ent-
ledigt, was freilich nicht ' hinderte, dalz die Ententeunterstiitzungen
fur Polen andere Wege als den nachsten durch Deutschland wahlten.
Der pclnisch-russische Krieg endete nicht mit einem Sieg der Roten
Armeen. Die militarischen Ftihrer der Sowjetregierung hatten wohl
zuviel gewagt, als sie in das Herz Polens vorstiefzen. Sie erlitten
eine Reihe von Niederlagen, mufzten den Riickzug antreten, und das
fiihrte schliefzlich zu einem Frieden, der an den politischen Verhalt-
nissen im Osten nicht viel Snderte, insbesondere aber die Sowjeti-
sierung Polens in weite Fernen riickte.
Auf dem Hohepunkt der Erfolge der Sowjet-
regierung wurde das Schreiben des Exekutivkomitees an die
USPD. abgesandt, und im Glanze der kriegerischen Unternehmungen
durfte sich auch der Moskauer Kongrelz abspielen, an dem die Kom-
mission der USPD. teilnahm. Dieser siegessicheren Stimmung ent-
sprachen denn auch die Forderungen, die an den Anschlufe
der Unabhangigen Sozialdemokratie an die III. Internationale gekniipft
wurden. Sei haben den Anlalz zur Spaltung der Partei gegeben, sie
haben es dahin gebracht, dalz die revolutionare Bewegung der deut-
schen Arbeiterklasse auf lange Zeit hinaus geschwacht wurde.
Die Kommission brachte ein ganzes Biindel von Bedingungen r
Statuten, Beschlussen und Thesen mit. Die Haupt-
rolle dabei spielten die 21 Bedingungen zur Aufnahme in die
kommunistische Internationale. Zuerst' waren sich alle vier Dele-
gierten dariiber einig, dalz ein Teil dieser Bedingungen fur deutsche
Verhaltnisse unannehmbar seien. Daumig und Stoecker lielzen sich
aber von den gewiegten Intriganten in Moskau dafiir gewinnen, fur
die Annahme samtlicher Bedingungen in Deutschland einzutreten,
was nichts anderes bedeutete, als den Hinauswurf einer Anzahl sol-
cher Genossen aus der Partei zu verlangen, mit denen sie bis dahin
in vollem Einvernehmen gehandelt hatten. Das war ein Bruch von
Treu und Glauben, wie ihn sich in gleicher Weise hochstens die
Rechtssozialisten wahrend des Krieges gegenuber der Opposition
haben zuschulden kommen lassen. Als die Bedingungen in Deutsch-
land bekannt wurden, rief en sie im grofeten Teile der Partei geradezu
Entsetzen hervor. Was hier verlangt wurde, hatte so wenig mit dem
Wesen der sozialistischen Bewegung zu tun, dalz es die Verleugnung
der bisher so erfolgreichen Arbeit der Partei bedeutet hatte, wollte
man sich ihnen vorbehaltlos unterwerfen.
Die Diktatur einer auserwahlten Fiihrerkaste, die fur russische Ver-
haltnisse passend erscheinen mochte, sollte auch in Deutschland
durchgefiihrt werden. Wer nicht die Moskauer Heilslehren blindlings
und unbedingt anerkannte, der wurde als reformistischer Ketzer und
als Zentrist verschrieen und zum Hinauswurf aus der kcmmunistischen
Kirche verdammt. Die einzige Form der Revolution sollte der be-
waffnete Biirgerkrieg sein, und um ihn durchzuflihren, sollte neben
221
der legalen Organisation noch eine illegale mit alien Hilfsmitteln
einer langst iiberholten Revolutionsromantik ausgestattet werden.
Eine Anzahl der hervorragendsten Fiihrer der internationalen
Arbeiterbewegung, wie Turati in Italien, Kautsky und Hilferding in
Deutschland, Longuet in Frankreich, Hillquith in Amerika sollten
ausgeschlossen werden. Alle Parteien sollten sich zur Zertriimmerung
der Gewerkschaften und zum Kampfe gegen die Amsterdamer Ge-
werkschaftsinternationale verpflichten. Kein Beschlufz sollte durch-
gefuhrt werden, wenn er nicht vcrher von Moskau sanktioniert war.
Wer die Bedingungen und Leitsatze Moskaus jetzt ablehne, miisse
aus der Partei ausgeschlossen werden.
Daumig und Stoeeker traten in der Parteipresse fiir die Annahme
der Bedingungen ein, wobei sie es freilich vermieden, auf Einzel-
heiten einzugehen. Crispien und Dittmann dagegen zeigten auf,
wie nctwendig es sei, sich die Bedingungen genau anzusehen, bevor
man sich fur ihre Annahme entscheide. Dittmann insbesondere hielt
sich fiir verpflichtet, einige nahere Mitteilungen (iber die wahren
Zustande in Rutland zu machen, damit die deutschen Arbeiter sich
selbst ein Urteil dariiber bilden konnten, ob die kritiklcse Nach-
ahmung des russischen Vorbilds auf Deutschland zu empfehlen sei.
Auf Anfang September rief die Parteileitung eine R e i c h s -
konferenz aus den Vertretern der Parteibezirke nach Berlin ein,
die eine Vorberatung iiber die in der Frage der Internationale zu
fassenden Beschlusse vornehmen sollte. Die endgiiltige Entscheidung
dariiber hatte ein Parteitag zu treffen. Auf der Reichskonferenz kam
es bereits zu heftigen Zusammenstoizen zwischen den Freunden und
den Gegnern der Moskauer Bedingungen. Wenn auch auf dieser
Tagung keine Beschlusse gefalzt wurden, so war doch der Eindruck
der Ausfiihrungen von Crispien und Dittmann so stark, dafz man an-
nehmen konnte, dafz die iibergrolze Mehrheit der Vertreter sich gegen
die Annahme der Bedingungen ausgesprochen haben wiirde. Stoeeker
und Daumig fielen dagegen ganzlich ab. Es war klar, dafz bei un«
beeinflufzter Aussprache, bei luckenfreier Unterbreitung des Materials
und bei genauer Darstellung der Verhaltnisse die gewaltige Mehrheit
der Partei sich fiir die Ablehnung der Bedingungen aussprechen und
versuchen wiirde, neue Verhandlungen mit Mcskau anzuknupfen.
Das aber mufzte verhindert werden und nun setzte ein Spiel ein,
das in der Geschichte der Arbeiterbewegung und wahrscheinlich
auch in der Geschichte der politischen Parteien kein Seitenstiick
mehr hat.
Der sogenannte linke Fliigel der Partei stellte sofort die organi-
satorische Verbindung mit der Kommunistischen Partei her. Mit
rursischem Material reichlich unterstiitzt, konnte er sofort die ein-
seitige Beeinflussung der Parteigenossen beginnen. Das ganze Reich
wurde mit Korrespondenzen iiberschwemmt, iiberall entstanden
Sonderorganisationen, keine Parteiversammlung konnte mehr statt-
finden, ohne dalz die Gegner der Bedingungen ven organisierten
Radaumachern mit den grobsten Beleidigungen iiberschiittet und so-
gar tatlich angegriffen wurden. Nur mit Ekel erinnert man sich an
diese Zeit des wiistesten Bruderkampfes, und es sei daher gestattet,
mit diesen wenigen Andeutungen dariiber hinwegzugehen. Das
222
tollste StOck aus diesem Treiben war wohl, dalz vier Mitglieder des
Zentralvorstandes, D&umig, Stoecker, Adolf Hoffmann und Koenen,
in der „Roten Fahne", also in dem Zentralorgan einer immer noch
gegnerischen Partei, einen Aufruf „An die Parteimitglieder" ver-
dffentlichten. Das war, wie sieben andere Mitglieder des Zentral-
komitees sofort feststellten r die stMrkste Belastungsprobe, der die
Partei in dieser Situation ausgesetzt war, die Parteigencssen sollten
die Partei schiitzen und sich ihre Waffen im Befreiungskampfe des
Proletariats nicht zerbrechen lassen.
Der aufeerordentliche Parteitag der Unabhangigen
Sozialdemokratie, der endlich Klarheit schaffen sollte, war auf den
12. Oktober nach Halle einberuf en worden. Den Befurwortern
der Moskauer Bedingungen kam dieser Termin zu friih. Und das
hatte seine guten Griinde. ZunMchst wollten sie Zeit gewinnen, urn
den Verleumdimgs- und Vergiftungsfeldzug in der Partei bis aufs
aulzerste auszudehnen, dann aber hofften sie auf Hilfe von aulzen.
Sie wufzten im voraus, dalz der Parteitag eine ahnliche Stimmung
zeigen wiirde, wie die Reichskonferenz r wenn die Delegierten sich aus
den Ausfiihrungen der vier Kommissionsmitglieder allein ein Urteil
bilden scllten. Darum riefen sie das Mcskauer Exekutivkomitee an r
und da man dort sofort erkannte, welche Bedeutung eine Spaltung
der Unabhangio-en Sozialdemokratie haben miisse r entsandte es deren
Vorsitzenden Sinowjew nach Deutschland.
Die Hallische Organisation^ die zum iiberwiegenden Teil aus
Befurwortern der 21 Bedingungen bestand, hatte dafiir gesorgt, dalz
die Besucher des Parteitages den Eindruck empfingen, als ob man
sich auf einer kommunistischen Veranstaltung befande. Die
Embleme stellten zumeist Verherrlichungen des Sowjet-Regimes vor r
die Kommunistische Partei hatte einen grolzen Schriftenvertrieb
organisiert An den fiir die Presse bestimmten Tischen wimmelte es
von fragwiirdigen Gestalten, die sich als Vertreter kommunistischer
Blatter ausgaben. Im Saale war die Scheidung bereits vollzogen: auf
der einen Seite safeen die Delegierten, die die USP. erhalten wissen
wollten, auf der anderen Seite jene Leute, die ihren Uebergang zu
den Kommunisten bereits vollzogen und hier nur noch ihre formelle
Scheidung von der Partei vorzunehmen hatten. Die Anhanger der
beiden Richtungen hielten gesonderte Besprechungen ab f in denen
die Taktik festgestellt und die zu fassenden Beschllisse vorbereitet
wurden; die offentliche Beratung hatte lediglich noch den einen Zweck f
die durch die Bestimmungen des Organisaticnsstatuts gebotenen
Formen zu wahren.
Es wurde allffemein erwartet, dalz es bereits bei der Eroffnung des
Parteitages una bei der Feststellung der Tagesordnung zu der ent-
scheidenden Kraftprobe kommen wiirde. Aber der sogenannte linke
Fliigel, die Neukommunisten, wie sie jetzt treff end genannt
wurden, hatten sich auf Anraten ihrer Moskauer Auftraggeber dazu
entschlossen, keinen Anlalz zu geben, um die Verhandlungen auf-
fliegen zu lassen, bevor noch die Entscheidung iiber die Frage der
Internationale gefallt war. Dazu kam noch etwas anderes. Die
Neukommunisten erwarteten Herrn Sinowjew, und da er bei Eroff-
223:
hung des Parteitags in Halle noch ,#icht eingetroffen war, so iibten
sie zuerst noch verhaltnismSfcige Z$riickhaltung. Allerdings platzten
sch^n beim ersten Punkt der Tagesordnung, bei dem Bericht der
Zentralleitung, den Luise Zietz gab, die Meinungen heftig auf~
einander. Und wenn es nach den Heifzspornen der Neukommunisten
gegangen wHre, so wSre es schon hierhei zum Brucbe gekommen.
Die Regie von Adolf Hoffmann und Emil Eicbborn verstand es aber
immer rechtzeitig, die Wogen der Erregung bei ihren Anhangern zu
besanftigen.
Der eigentliche Zweck des Parteitags war die Beschluizfassung
tiber Annahme oder Ablehnung der Aufnahmebedingungen fur die
HI. Internationale. Referenten waren wie auf der Reichskonferenz
die vier Mitglieder der nach Moskau entsandten Kommission, also
Crispien, Daumig, Dittmann und Stoecker. Crispien und Dittmann
waren nicht nur rednerisch, scndern auch inhaltlich den beiden
andern weit uberlegen. Und es stand fest, dalz nach diesen Referaten
die Moskauer Richtung in eine ungliickliche Lage geraten war.
Endlich aber erschien Gregor Sinowjew, der dazu bestimmt war r
die Schi-acht fiir Moskau zu retten. Er wurde von seinen Getreuen
wie ein K6nig von seinen Untertanen empfangen.
Das Referat Sinowjews stellte nun ohne Zweifel materiell
gesehen eine gewaltige rednerische Leistung dar. Der Vorsitzende
des Moskauer Exekutivkomitees beherrschte vollkommen den Geist
der deutschen Sprache, wenngleich er zuweilen nach einem Ausdruck
suchen mufzte, was aber nur geeignet erschien, der Rede einen
Eikanten Beigeschmack zu geben. Er ist damals als einer der grolzten
temagogen des Jahrhunderts bezeichnet worden. Und damit ist ihm
sicherlich kein Unrecht geschehen. Er verstand es, eine Reihe von
Allgemeinheiten zu sagen, tiber die es unter Sozialisten keine
Meinungsverschiedenheit gab. Aber indem er sie in eine Urn-
rahmung stellte, die nach Moskauer Eigengewachs aussah, konnte er
bei unkritischen und kenntnislosen Zuhorern den Eindruck erwecken,
als ob in der Tat zutreff e, was die Leiter der Moskauer Internationale
immer wieder behauptet hatten, dalz namlich die „Hilferdinge" Ver«
rater am Proletariat seien. Vier Stunden lang prasselte der Redestrom
auf die Horer nieder. Sinowjew sprach iiber sehr vieles, was die
Arbeiterklasse bewegte. Aber auf die 21 Bedingungen ging er nur
so nebenher ein. Das Wichtigste an der Rede war die Frage an die
USP., welche Aenderungen sie an den Bedingungen wiinsche; damit
hatte Moskau sein Spiel selbst entlarvt, denn wenn es selbst schon
die Hand zu einer Aenderung seiner Bedingungen bieten wollte, wie
konnte es dann noch iemanden zum Hinauswurf aus der III. Inter-
nationale verurteilen, der eben das erreichen wollte, namlich eine
Aenderung der Bedingungen?
Die Rede Sinowjews iibte auf seine AnMnger einen tiefen Eindruck
aus. Sie glaubten schon den Sieg in der Tasche zu haben, sie er-
warteten, dalz der Vorsitzende der Moskauer Exekutive auch manchen
von der anderen Richtung iiberzeugt haben wlirde. Es sind auch
wirklich zwei oder drei Delegierte zu den Kommunisten abgeschwenkt;
dafiir aber erlebte der der USP. treugebliebene Teil des Parteitags r
224
dalz einige der besten und Sltesten Kampfer aus der Arheiter-
bewegung, wie Paul Hennig in Halle, nun erst recht dem
Moskauer System eine Absage erteilten. Der sogenannte rechte
Fliigel verlangte nunmehr, dalz ihm nach dem vierstundigen Referat
von Sinowjew gleichfalls em Referent zugestanden werden solle. Die-
sem Verlangen mulzten die Neukommunisten nachgeben, wenn sie
sich nicht vor aller Welt ins Unrecht setzen woilten. Es sprach also
nach Sinowjew Hilferding. Die Bedeutung dieses Rededuells
lag darin, dalz zum erstenmal in Deutschland sich ein Vertreter des
russischen Bolschewismus, der zu Bakunins Lehren zuruckgekehrt
war, und ein Vertreter des westeurcpaischen Sozialismus, der auf
Marx fufzte, einander gegenUbertraten. Sinowjews Gedankengange
waren ganz auf das Wesen der russischen Revolution eingestelit.
Er wollte mit Absicht nicht sehen, wie verschiedenartig die wirt-
schaftlichen und die politischen Verhaltnisse in den einzelnen LSndern
der Welt sind, und dalz von dieser Verschiedenartigkeit der materiellen
Verhaltnisse auch die Verschiedenheit der politischen Taktik abh&ngig
sein mufz. Die bolschewistische Lehre geht davon aus, ganz wie
es der Anarchismus tut, den Bakunin lehrte r dalz die proletarische
Revolution nur eine gewaltsame UmwSlzung sein konne, mit Burger-
krieg, Stralzenkampf r Barrikadenbau und Terror. Dalz schon Marx
nachgewiesen hat, dalz die scziale Revolution ganz andere Fcrmen
annehmen konne, als sie die burgerlichen Revolutionen gezeigt haben,
und dalz beispielsweise die Durchsetzung des Maximailarbeitstages in
England ein Vorgang von ungeheuerer revolutionarer Bedeutung war,
das war den Kommunisten ganz aus dem GedSchtnis entschwunden.
Hilferding, unbestritten einer der fahigsten Vertreter des wissen-
schaftlichen Sozialismus, wies nach, dafz die Befreiung der Arbeiter-
klasse nicht einfach dadurch sich vollziehen konne, dalz man die Er-
fahrungen eines bestimmten Landes auf andere Lander iibertrage.
Der Prozelz der Revolutionierung der Massen kQnne nur voran-
getrieben werden durch eine Politik, die die Massen nicht spaite um
irgendwelcher Formen willen, scndern die die Massen vor ganz
konkrete Ziele stelle und sie im Kampfe um diese Ziele vorwarts-
treibe. Was die Arbeiterklasse brauche, sei eine Taktik, die auf alle
EventualitSten gefafzt sei, die geistig, organisatorisch und politisch
bereit sei, wenn die revolutionise Situation eintrete, sie auszunutzen
und das Proletariat zum Siege zu fuhren. Und auf die Frage, welche
Aenderungen die USP. an den Bedingungen vorzunehmen wiinsche,
antwortete er: „Wir wollen in der Internationale eine kameradschaft-
liche, vertrauensvolle Zusammenfassung aller Krafte der Arbeiter-
klasse in alien Landern." Habe aber Sinowjew liberhaupt die
Legitimation, ein seiches Angebpt zu machen, nachdem er diejenigen,
mit denen er jetzt verhandeln wclle, bisher als Gauner, als Schurken,
als Verrater beschimpft habe? In Wirklichkeit bedeute dieses An-
gebot nur ein neues Tauschungsmanover, auf das die Vertreter der
USP. nicht eingehen wiirden.
Was nunmehr auf dem Parteitag noch folgte, das war lediglich eine
weitere Verlangerung der Spaltungsqualen. Martow, von der
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rufelands, liefe eine Ansprache
iR* 225,
verlesen, die durch ihre Kennzeichnung des brutalen bolschewisti-
schen Systems einen tiefen Eindruck auf die Zuhorer machte.
Losowsky, der Vertreter der russischen Gewerkschaften, ubte
sich in so kraftigen Beschimpfungen der Amsterdamer Gewerk-
schafts-Internationale, dalz es w&hrend seiner Rede zu stundenlangen
Unterbrechungen kam. Es folgte nunmehr die Abstimmung uber
die von den beiden Flugeln vorgelegten Resclutionen. Fur die An-
nahme der Bedingungen erklarten sich 236 Delegierte, 156 Delegierte
stimmten mit Nein. C r i s p i e n als Vcrsitzender des Zentral-
komitees gab darauf die Erklarung ab r dalz diejenigen Delegierten,
die fur die Aufnahmebedingungen gestimmt batten, dadurch ihren
Uebertritt in eine andere Partei vollzogen und aus
der USPD. aus^etreten seien. Diese Versammlung habe aufgehort,
Parteitag der USPD. zu sein. Trotz des unzweifelhaften Rechts der
Mitglieder der USPD. 7 die die Aufnahmebedingungen abgelehnt
haben, allein in diesem Saale weiter zu tagen, fordere er diese jetzt
noch allein vertretungsberechtigten Delegierten der USPD auf, zur
Vermeidung eines etwaigen Kampfes um das Lokal, diesen Saal zu
verlassen und den Parteitag der USPD. an einem andern Tagungsort
fortzusetzen. Diese Erklarung rief einen Sturm der Entrustung bei
den Neukommunisten hervor. Sie belegten die Delegierten der
USP., die jetzt den Saal verliefzen, mit den unflStigsten Schimpf-
worten; Sinowjew aber, der Vertreter der Mcskauer Internationale,
stand mit breitem LScheln an ihrer Spitze und sah befriedigt der
Vollendung seines Werkes zu. Was fur die deutsche Arbeiterklasse
ein Trauerspiel war, das erschien ihm wie eine Komodie!
Der Parteitag wurde tags darauf in einem andern Lokale fortgesetzt.
Die Resolution Ledebour, die die Ablehnung der 21 Bedingungen
enthielt, wurde einstimmig angenommen. Es wurde weiter be-
schlossen, dak noch die politische Lage und die Aufgaben der USPD.
und au&erdem die Frage der kunftigen Organisation behandelt werden
sollten. Vorher protestierte auf Antrag von Toni Sender der
Parteitag gegen die Beschimpfungen der Amsterdamer Gewerkschafts-
Internationale durch Sinowjew und Losowsky. Nach einem Vor-
trage von C r i s p i e n iiber die politische Lage folgte eine
angeregte Diskussion, die sich mit den Aufgaben befafzte, die von
der Partei nach dem Ausscheiden der Neukommunisten zu I6sen
seien. Ein von Crispien vorgelegtes ,,M a n i f e s t der UnabhSngigen
Sozialdemokratie an das deutsche Proletariat" wurde einstimmig an-
genommen. Es hat folgenden Wortlaut:
Die Entscheidung ist gef alien. Ein Teil der Delegierten zu dem vom
Zentralkomitee der U. S. P. D. einberufenen Parteitag hat seinen Austritt
aus der Partei vollzogen und ist in das kommunistische Lager
ubergegangen. Die revolutionary Arbeiterbewegung ist durch
diese Spaltung fur den Augenblick g-eschw&cht worden. Statt Zu-
sammenfassung aller Krafte im Kampf fur die Eroberung der Macht und
fur die Verwirklichung des Sozialismus haben die Kommunisten unter
dem Druck von aufeen die revolution&re Massenpartei des deutschen
Proletariats zerfetzt und ihre Kraft zersplittert. Die U. S. P.D.
hat stets unerschutterlich und unter grolzen Opf ern den Kampf fur die
Grundsatze des re volution Sr en in t er n ational en So-
zialismus gefuhrt Sie ist entstanden im Kampf e gegen die Preis~
226
fabe der sozialistischen Prinzipien durch die Reformsozialisten, und sie
at schon wahrend des Krieges in Zimmerwald und Kienthal fur eine
Internationale der revolutionaren Tat zur Beendigung des imperialistic
schen Krieges und zur Niederringung des Kapitalismus gewirkt.
Wahrend der Revolution setzte sich die Partei ein fur die D i k t a t u r
des Proletariats bis zur endgultigen Sicherung der proletarischen
Herrschaft und der Beseitigung ailer politischen und okonomischen
Machtpositionen der Bourgeoisie. Die Politik der U.S. P.D. wurde ver«
eitelt durch die Rechtsso2ialisten. Sie hielten an der Ko edition
mit demBiirgertum f est, politisch, indem sie ihnen die Ministerien
uberlieizen, die sofortige Einberufung der Nationalversammlung forderten
und der Ablosung der proletarischen Diktatur durch den burgerlichen
Parlamentarismus die Wege ebneten; okonomisch, indem sie an Stelle
der sofortigen Verwirklichung des Sozialismus in den entscheidensten
Wirtschaftszweigen die Politik der Arbeitsgemeinschaft mit dem kapita«
listischen Unternehmertum fortsetzten,
Auf der anderen Seite haben die Kommunisten in dieser Entwicklungs-
zeit die gemeinsamen Aktionen des revolutionaren Proletariats aus Eigen-
siichtelei durch die sklavische Nachahmung russischer
Methoden durchkreuzt und geschwacht. Die U.S. P.D. hat solchen
sinnlosen Putschereien, hat konfusen syndikalistischen und antiparla-
mentarischen Parolen stets ihre Politik der Sammlung aller Energien der
Arbeit erklasse zum Kampf fur die Erobe runs' der politischen Macht ent«
gegengestellt. Erfullt von dem Bewulztsein, dalz die Krise des Kapitalis-
mus von der Arbeiterklasse zum revolutionaren Vorstofz aus«
genutzt werden muiz, aber auch im Besitz der marxistischen Einsicht in
die okonomischen Bedingungen des Kampf es, vertrat sie in jeder Phase
der revolutionaren Entwicfiung das Gesamtinteresse der Bewegunsr
fegentiber der rechtssozialistischen Kompromiizpolitik wie gegenuber der
ommunistischen Revolutionsmache.
In diesem Kampf e wurde die U. S.P. zur revolutionaren
Massenpartei und die Hoffrtung war begrundet, unter ihrer Fahiie
das gesamte Proletariat zu sammeln, zu einigen, und es so bereit zu
machen fur den Entscheidungskampf gegen den Kapitalismus. In diesem
Augenblick wurde die Partei uDerfallen. Die russischen Kommu«
nisten fordern zu ihrer Unterstiitzunaf die sofortige Entfachung des
Biirgerkrieges und der Revolution in alien Landern, ohne Rucksicht auf
die Verscruedenheit der okonomischen und politischen Voraussetzungen
fur das Proletariat und ohne Rucksicht auf die Folgen. Die deutschen
Kommunisten sind infolge ihrer Politik eine einflulzlose
S ek t e geblieben, zu schwach, um als revoluticnarer Sto&trupp gebraucht
zu werden. Deshalb sollten die Massen der U. S. P. D. unter die kommu-
nistische Diktatur kommen. Damit aber diese Diktatur widerstandslos
ausgeubt werden konne, muizte die U. S. P. gespalten werden.
Alle, die den kommunistischen Wahn erkannt hatten, die russischen Me*
thoden auf Deutschland uneingeschrankt zu ubertragen, mulzten fern-
gehalten werden. Daher die Bedingungen und Thesen der Moskauer
Internationale, die die Spaltung der Arbeiterparteien fordert. um iiber den
verbleibenden Rest uneingeschrankt herrschen zu konnen. Die II. S. P. D.
hatte mit der Annahme der 21 Bedingungen nicht nur ihr Wesen ge«
opfert, sondern auch die Zukunft der revolutionaren Arbeiterbewegung
in Deutschland. Diese ware rettungslos ausgeliefert worden den Bedurf*
nissen der russischen kommunistischen Partei. Die deutsche Arbeiter*
bewegung ware das Obfekt einer Hasardpolitik geworden,
auf die sie keinen selbstandigen Einflulz mehr gehabt hatte.
Das durfte nicht geschehen und das wird nicht geschehen. Die
U.S. P.D. bleibt bestehen als die deutsche revolution
is* 227
n&re r sozialistische Parte! i Si© mufe bestehen bleiben, well
nur sie imstande 1st, die Aufgaben zu Idsen, die die revolution&re Situation
der Arbeiterklasse stellt.
Wir halten fest an unserem Leipziger Aktionsprogramm.
Wir erstreben mit alien Mitteln die Eroberung der politischen Macht und
ihre Behauptung durch die Diktatur des Proletariats. Wir fiihren den
Kampf weiter gegen die rechtssozialistische Politik des Reformismus,. der
Koalition mit den biirgerlichen Parteien und den Arbedtsgemeinschaften
mit dem Unternehmertum.
Wir lehnen es aber ab r die Arbeiterschaft mit t&glich wechselnden
Parolen in neue Putsche hineinzuhetzen und durch T&uschung ttber die
wirklichen Macht verhaltnisse unerfullbare Illusionen zu wecken. Das
Proletariat fuhrt in Deutschland einen harten und schweren Kampf gegen
einen gutgerusteten, gutorganisierten, starken Gegner, der ihm einig
und geschlossen entgegentritt In diesem Kampf kann die deutsche
Arbeiterklasse nur den Sieg in einem zahen Ringen erobern, wenn sie
selbst einig ist. Geeint kann das Proletariat nicht werden durch
Einigungszentralen, voreilige Schafhmg politischer Arbeiterrate und an«
dere Organisationsspielereien oder durcn ausgeklugelte Parolen. Einig
kann das Proletariat nur werden im revolution&ren Kampf um
Ziele, die aus seiner Klassenlage, aus seinem Klassenbewufztsein sich mit
Notwendigkeit ergeben. Deshalb mufe das Proletariat in den Kampf um
konkrete Ziele, die ihm reale Machterweiterung bringen, gefuhrt werden.
Nur in diesen K&mpfen 7 die mit zunehmender Energie, zunehmender Ge-
schlossenheit und Einigkeit gefuhrt werden mussen, werden die Massen
zum Entscheidungskampf um die Eroberung der politischen Macht ge«
sammelt werden, Im Vordergrund dieser Kampfe mulz aber immer die
Verwirklichung des Sozialismus stehen.
Deshalb fordern wir in der gegen wartigen Situation die proleta*
rische Massenaktion zur sof ortigen Inangriffnahme der S o z i a 1 i«
s i e r u n g in den entscheidenden Wirtschaftszweigen, insbesondere den
Kampf um die sofortige Sozialisierung im Bergbau.
Wir fordern angesichts der schweren okonomischen Krise die Arbeiter
und Angestellten auf zum Kampf um die Erweiterungder Rechte
der Betriebsr&te zur Brringung der Produktionskontrolle.
Die wichtigste Aufgabe ist gegenw&rtig der Kampf gegen die
Arbeitslosigkeit. Da die Arbeitslosigkeit die untrennbare Begleit-
erscheinung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist, so ist die Ver«
wirklichung des Sozialismus die wirksamste Hilfe fur die Arbeitslosen.
Wir fordern das Verbot der Stillegungder Betriebe, ihre
Fortfiihrung zur Herstellung von Bedarfsgegenstanden des Massen*
konsums.
Wir fordern zur Linderung der augenblicklichen Not ausreichende
Arbeitsgelegenheit fur die Arbeitslosen und durchgreifende
Erhahune 1 der llntersttitzung bis zur Garantie des Existent
minimums, aas unter Mitwirkung der Gewerkschaften und Betriebsrate
festzusetzen ist.
Unsere , Vertreter in den Gemeinden mussen eine energische
Kommurialisierungspolitik betreiben, insbesondere eine so«
zialistische Wohnungspolitik, unterstiitzt durch eine Soziali*
sierung des Baugewerbes und der Bauhilfsindustrien und der Forsten.
Wir fordern die sofortige rucksichtslose Erhebung der Besitz* und
Vermogenssteuern, die Durchbrechung der burgerlichen Finanz*
politik durch die sofortige Sozialisierung der entscheidenden Produktions-
zweige.
228
Wir fordern ausreiche n d e soziale F ii r s o r g e , insbesondere
fur die Kriegsbeschadigten und Hinterbliebenen, Arbeit sin validen und
Altersrentner.
Die Partei ist sicb bewufzt, daiz die Erfiillung aller ddeser Forderungen des
Proletariats eine Machtfrage ist, die nicht durch parlamentarische Ent-
scheidungen gelost werden kann. Die gesamtepolitischeundoko-
nomische Macht der Arbeiterklasse miilz in diesen K&mpfen
zur Anwendung gelangen. Deshalb miissen auck die okonomischen Or-
ganisationen der Hand- und Kopfarbeiter mit revolutionfirem
Geist erfullt werden. Deshaib verpflichtet die Partei ihre V ertreter
in den Gewerkschaften und Betriebsraten, unablassig die Politik der
Arbeitsgemeinschaften zu bekampfen. Sie lehnt alle paritatischen Selbst-
verwaltungskorper ab und erblickt in einer von diesen getragenen „Plan-
wirtschaft" auf kapitalistischer Grundlage eine schadiiche Illusion, die
die Arbeiterklasse von dem Kampf urn den Sozialismus ablenkt. Ge«
werkscbaften und Betriebsr&te miissen sicb vor allem als
Organisation zur Verwirklicbung des Sozialismus betracbten. Die Ge-
werkscbaften werden diese Aufgabe urn so besser erfiillen, je mehir sie
sicb auch organisatorisch fiir die Kampfe starken. Deshaib unterstdtzen
wir die Umwandlung der Gewerkscbaften in Industrieorganisationen und
lehnen jede ZerspHtterung und Spaltung der Gewerkscbaften auf natio-
naler oder internationaler Basis mit after Entscbiedenbeit ab.
Getreu ibrer bisberigen Haltung ruftdiell. S. P» D. alleArbeiter
auf, sicb im Kampf um sie zu scbarenl
Die Entwicklung seit dem 9. November bat den Bankerott des
Reformsozialismus besiegelt Seine Politik bat der Bourgeoisie
zur Herrscbaf t gebolf en, das Proletariat gelahmt. Die k o m m u ~
nistiscbe Partei aber bat ebenfalls die Politik des wissenschahv
lichen Sozialismus aufgegeben und verfallt immer mebr dem Aben«
teurertum durcb putscbistiscbe Aktionen von Minderheiten, die Re-
volution erzwingen zu wollen. Diese Politik fubrt nur zur neuen ZerspHtte-
rung und zu gefahrlichen Niederlagen.
Die U. S. P. D. ruft die Arbeiterklasse auf gegen den O p p o r t u «
nismus recbts und den Putscbimismus links zur running
einer energischen Politik, die den Kampf um konkrete Ziele der Arbeiter-
klasse steigert bis zur Entscheidung um den Besitz der politiscben Macht
Es lebe die Unabbangige Sozialdemokratie
Deutscblandsl
Es lebe der international revolutionare
Sozialismus!
Schliefzlich wurde nocb durch Bestimmungert Vorsorge dafiir ge«
troffen, daiz die Abspaitung der Neukommunisten mit moglichst ge«
ringen Sohwierigkeiten uberwunden werde. In seinem Schlulzwort
stellte Dittmann unter Zustimmung des Parteitages fest, daiz es
schmerzlich sei, mit einem Teil derjenigen, mit denen man bisher als
Parteigenossen in Reih und Glied gestanden babe, jetzt Kampfe
ausfechten zu mussen. Es bleibe aber nichts anderes iibrig, wenn
man die notwendige Klarung im deutscben Proletariat schaffen wolle.
Jetzt musse alles getan werden, um die innere Zerrissenheit des
deutschen Proletariats, die durch die von Moskau verursachte Spal-
tung der USPD. aufs neue verscharft worden sei, zu iiberwinden. Jeder
Parteigenosse miisse dafiir sorgen, daiz die Sammlung des deutschen
revolutionaren Proletariats unter dem Banner der USPD. so schnell
wie moglich zur Tat werde.
229
<^^i^Q^^<m^&^^^^^^^^&^&^^(m^<m^^^)^Q^^
Ausblick.
Es ist eine Binsenwahrheit, dalz groize Bewegungen nicht von
einzelnen Personen gemacht werden konnen, sondern dalz sie von
historischen Notwendigkeiten getragen sein miissen. So ist auch die
Unabhangige Sozialdemokratie das legitime Kind ihrer
Zeit, nicht der Bastard irgendwelcher Quertreiber und Unzufriedener,
wie es eine Zeitlang von der Rechten her behauptet wurde. Vielleicht
hatte sich die Zerreiizung der deutschen Arbeiterbewegung verhindern
lassen, wenn man den verschiedenen Anschauungen in ihr wahrend
des Krieges einen grolzeren Spielraum gew&hrt hatte. Auch in den
Arbeiterparteien anderer LMnder gingen die Meinungen iiber die
Kniegspolitik auseinander; aber wie in Frankreich und in Oesterreich
gelang es dort doch, die Einheit der politischen Organisation der
Arbeiterklasse zu bewahren und sie bis in die Nachkriegszeit hinein
zu erhalten. Es ware miifzig, danach zu fragen, wie die politische
Entwicklung sich in Deutschland vollzogen haben wurde, wenn die
Spaltung nicht gekommen ware, wie ja uberhaupt die Geschichte nicht
dazu dient, urn iiber ihren Verlauf nachtraglich zu jammern, sondern
um daraus die Lehren fur unsere zukiinftige Arbeit zu schopfen. Aber
ohne Zweifel ware die Stellung der deutschen Arbeiterklasse heute
viel starker, wenn sie eine geschlossene politische Einheit darstellte.
Soil das nun soviel sagen, dalz die Unabhangige Sozialdemokratie
nunmehr ihre historische Aufgabe erfiillt habe und
jetzt wieder verschwinden miilzte, um der einen grofcen sozialistischen
Partei Platz zu machen? Es hiefze den Sinn der gro&en Bewegung,
die sich in der Unabhangigen Sozialdemokratie verkorpert, ganzlich
verkennen, wenn wir diese Frage mit Ja beantworten wcllten. Man
lese doch nach, was erst die Opposition in der alten sozialdemokrati-
schen Partei und hernach die Unabhangige Sozialdemokratie in ihren
zahlreichen Aufrufen und Kundgebungen gesagt hat: sie wollte das
Proletariat auf dem Bcden des Klassenkampfes sammeln, sie wollte,
dafz es seine Kampfe nach den Grundsatzen der sozialistischen Er-
kenntnis fuhre, sie wollte kurzum, dafz der Gegensatz zwischen blirger-
licher und proletarischer Auffassung nicht verwischt werde, sondern
den Arbeitern in unausloschlicher Eririnerung bleibe. Denn so oft
auch Bcurgeoisie und Proletariat eine Einheitsfront gebildet oder
einen Burgfrieden geschlossen haben, sei es in national en, sei es in
sozialen Fragen: immer waren die Arbeiter die Geprellten, stets hat
das Blirgertum seine Vorteile daraus gezogen, noch jedesmal ist die
kapitalistische Wirtschaftscrdnung aus einer Periode des Zusammen-
arbeitens zwischen Bourgeoisie und Proletariat gestarkt hervor*
230
gegangen. Wir aber wollen doch den Kapitalismus nicht verewigen,
sondern ihn durch den Sozialismus ersetzen, und wenn ie, so hat in
Zeiten gewaltiger wirtschaftlicher und politischer Umwalzungen das
Wort Geltung, dalz die Befreiung der Arbeiter nur ihr
eigenes werk sein kann.
Wie aber immer die Zukunft der Unabhangigen Sozialdemokratie
sieh gestalten mag, sie kann von der geschichtlichen Btihne nicht
eher abtreten, bevor nicht die von ihr vertretenen Grundsatze ver-
wirklicht sind. Kein Mitglied der Unabhangigen Sozialdemokratie
hat den Wunsch, die Partei als Selbstzweck aufrechtzuerhalten, auch
iiber die Stunde hinaus, in der ihre geschichtliche Aufgabe erfullt ist:
das von sozialistischem Blute erfiillte Herz der Arbeiterbewegung zu
sein, Solange aber rechts von ihr noch grofze Arbeiterschichten eine
f>olitische Gemeinschaft mit dem Biirgertum aufrechterhalten, solange
inks von ihr noch verwirrte Massen sich anarchistischen Glaubens-
sfitzen hingeben, solange hat die Unabhangige Sozialdemokratie den
Platz zu behaupten, auf den sie von der Geschichte gestellt worden ist
Je weiter die Zeiten des Krieges unserer Erinnerung entschwinden,
desto eher durfte der Zeitpunkt kommen, an dem die Grundsatze der
UnabhSngigen Sozialdemokratie zu den GrundsStzen der
ganzen deutschen Arbeiterklasse geworden sein wer«
den. Die wirtschaftliche und die politische Entwicklung werden von
selbst die Fehler korrigieren, die wShrend des Krieges begangen
wurden. Schon wird der Ruf nach der Einheitsfront des
Proletariats immer starker, schon hammern die harten Tat«
sachen alien Arbeitern die Erkenntnis ein, dalz sie in geschlossener
Front dem Biirgertum gegeniibertreten mlissen, wenn sie tiberhaupt
noch einen Weg aus dem Chaos unserer Tage finden wollen. Noch
ist dieser Drang nach der Wiederherstellung der politischen Einheit
mehr von unbewulztem Fuhlen, als von einem klaren Wollen erfullt.
Aber die wirtschaftlichen VerhMltnisse drangen die Arbeiter immer
mehr auf den Boden des Klassenkampfes, und immer deutlicher wird
es, dalz der Neuaufbau der Welt nicht in gemeinsamer Arbeit von
Bourgeoisie und Proletariat geleistet werden, sondern nur im Kampf
der Klassen gegeneinander erstehen kann.
Die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen und auch der politi-
schen VerhSltnisse und damit auch die der Arbeiterbewegung in
Deutschland wird voraussichtlich abh&ngen von der Entwicklung
dieser VerhSltnisse in den anderen Landern. Da durfte es zunHchst
darauf ankommen, wie sich die kiinftigenGeschicke Rufzlands gestalten.
Qhne daiz wir den heroischen Kampf, den die russischen Arbeiter
und Bauern gefiihrt haiben, irgendwie verkleinern wollen, so wissen
wir heute dcch, dalz sich in dem ehemaligen Zarenreiche die Dinge
anders gestaltet haben, als kommunistische Glaubensseligkeit bis vor
kurzem noch annehmen mochte. Wie aber auch die politische Ver-
fassung Rufzlands in der nachsten Zeit aussehen wird, das eine ist
sicher, dalz dort Aufgaben wirtschaftlicher Art in geradezu riesen-
haftem Ausmalze zu leisten sind. Deutschland durfte schon aus
geographischen Griinden dazu berufen sein, bei dem Wiederaufbau
RuMands eine hervorragende Rolle zu spielen* Auch die anderen
231
ostlichen und sudostlichen Staaten Europas haben noch Gro&es zu
leisten, wenn sie die Verwtistungen des Krieges iiberwinden wollen.
Auch hier diirfte die deutsche Industrie einen betrachtlichen Anteil
nehmen, und von ihrem BeschSftigungsgrad wird die Lage der
Arbeiter bestimmt werden.
VorlSufig aber ist Deutschland gezwungen, urn die Rep a ra-
tion sverpflichtungen zu erf ixllen, seine industriellen
Leistungen auf das hftchste zu steigern und seinen Export ununter-
brochen auszudehnen. Das ist bisher nur dadurch gelungen, dalz die
deutsche Industrie auf dem Weltmarkt ihre Waren zu wesentlich
niedrigeren Preisen als die tibrigen kapitalistischen Lender anbieten
konnte, was wiederum eine Folge der in Deutschland gezahlten unsag-
lich niedrigen Lohne ist Die deutsche Wirtschaft bewegte sich bisher
zwischen Prosperitat und Krise auf und ab. Ob schon in der nachsten
Zeit eine Stetigkeit der Konjunktur zu erwarten ist und ob bald der
Zeitpunkt kommen wird 7 an dem die deutschen Arbeiter den Kampf
um die Erhohung ihrer Lebenslage bis wenigstens auf den Stand der
Arbeiterklasse in den andern kapitalistischen LSndern aufnehmen
kftnnen, ist noch -ungewiiz. Aber dieser Kampf wird kommen, und
ob er mit Erfolg wird durchgef iihrt und weitergetragen werden k5nnen
bis zur Verwirklichung sozialistischer Forderungen, das wird von der
Tiefe der sozialistischen Erkenntnis und von der Starke des Willens
in der deutschen Arbeiterschaft abhangen.
Hier aber ist das Gebiet, auf dem die Unabhangige Sozialdemo-
kratie sich in erster Linie betatigen mufe. Es diirfen nicht noch ein-
mal die Tage vom August 1914 und vom November 1918 wieder-
kehren, in denen die Zeit ein kleines Arbeitergeschlecht fand. Die
Massen des Proletariats mit dem Geiste des wissenschaftlichen
Sozialismus zu erfiillen, sie mit Klarheit und Wollen zu durch~
dringen, ihren KMmpfen fiihrend voranzugehen, das wird auch kunftig
die Aufgabe der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei Deutsch-
lands sein.
232
<JBMiiS©M^^
REGISTER
(Die Zahlen bedeuten die Seiten im Buch)
A. Sachregister
Abgeordnetenhaus, Preulzisches, 41.
Abstimmungen in der Reichskonfe*
renz 114.
Aktionsprogramm der Opposition
142, 147.
Aktionsprogramm, Leipziger, 209,
212, 213, 214, 228.
Alldeutsche Kriegsparolen 86, 61, 99,
162, 172.
Amnestie 149, 173. .
Annexiorasten, Plane der, 88, 57, 61,
62, 68, 69, 72, 78, 80, 81 y 84, 85, 87,
99, 112, 116, 167.
Antwortschreiben des Moskauer Exe«
kutivkomitees 219.
. Arbeiterrat, Der erste, 163, 170.t
Arbeitsgemeinschaft, Soziaidemo-
kratische, 96, 113.
Aufruf gegen den Krieg 21.
Aufruf des Parteivorstandes fur den
Frieden 78.
Aufruf des Parteivorstandes gegen
die Opposition 102.
Aufruf zur Organisierung der Oppo-
sition 133.
Aufruf nach der Grundung der
U.S.P.D. 152.
Autrui der U.S.P.D. zum Wtirz-
burger Parteitag 165.
Aufruf der U. S.r.D. zum Zasanv
menbruch der Kriegspolitik 172.
Aufruf der U. S. P. D. zur Revolution
181.
Aufruf der ILS. P. D. zur Konsti-
tuante 184.
Aufruf der U.S.P.D. zur Wahl der
Narionalversammlung 186.
Aufruf der U.S.P.D. zum Noske*
kurs 1,8.
Aufruf der II.S.P.D. zur Unter-
zeichnung des Friedensvertrages
199.
Aufruf fur die Reichstagswahlen 217.
Auslandsstimmen 29, 30.
Ausnahmegesetze 58.
Ausschlulz aus der Fraktion 64, 88,
90, 95.
Ausschlulz aus der Partei 52, 53.
„Avanti" 119.
Bagrdadbahn 36.
Baltische Provinzen 167, 170.
Barbarische Kriegsfuhrung 59, 73,
122.
Bedingungen der Moskauer Inter-
nationale 221,222,223,224,225,
227.
Belagerungszustand 44, 53, 57, 58,
-95, 97, fr '" "' Jn " '~~ ""'
173, 174.
121, 134, 163, 170, 171,
Belgien, Annexion von, 38.
Belgien, Neutralitatsbruch in, 24, 44,
45, 53, 70.
„Bergische Arbeiterstimme" 50, 81.
„Bergwacht", Waldenburg 63.
Berliner Gewerkschaftskommission
53.
„Berliner Tageblatt" 64.
Betriebsrategesetz 214, 215.
Bolschewiki 156, 166, 179, 203.
Bolsckewistische Regierung 167, 180,
203, 220, 221.
„Bremer Burgerzeitung' 4 33, 77.
Budgetbewilligung 55, 56, 58, 60, 63,
133.
Bulgariens Zusammenbruch 172.
Burgfrieden 35, 37, 39, 57, 65, 67, 69,
77, 129, 230.
„Chemnitzer Volksstimme" 48, 50,
79.
Danenpolltik 58.
Demonstration vor dem Reichstag
am 18. Januar 1920, 214.
Deportation belgischer Arbeiter 121,
122.
,JDeuteche Tageszeitung" 63.
Diktatur des Proletariats 191, 193,
204, 210, 227.
Diskutierklub „Vorwarts" 125, 134.
Dreibund 11.
Dreiklassenwahlrecht, Preulzisches,
„Dresdner Volkszeitung" 171.
233
Burchhaheparole 48, 49. 50, 62, 57,
78.
Einfrabe an den Reichskanzler 78.
Einheit der Partei 84, 88, 112, 113,
130, 131, 132.
Einigung der Opposition 146.
Einigung des Proletariats 165, 183,
191, m, 213, 228, 231.
Elsaiz~Lothringen 58, 81, 159.
England, Krieg gegen, 33, 37, 48,
England vor dem Kriege 10, 11,
12, IS.
EntwicKlung der IL S. P. D. 152, 153,
183, 188, 190, 192, 205, 207.
Erklarung der „Vorwarts"~Redaktion
zur Kreditbewilligung am 4. Au«
gust 1914 24.
Erklarung der Preuiz, Landtagsfrak-
tion 41, 55.
Erklarung der Preizkommission des
,,Vorwarts" 42.
Erklarung zur Kreditbewilligung am
2. Dezember 1914 46.
Erklarung des Fraktionsvorstandes
gegen Liebknecht 46.
Erklarung gegen George Weill 49.
Erklarung gegen Grumbach und
Radek 49.
Erklarung Liebknechts 54.
Erklarung Scheidemanns gegen
Ledebour 59.
Erklarung der Instanzen gegen das
„Gebot der Stunde" 74.
Erklarung gegen „Parteizerruttung"
77.
Erklarung der burgerlichen Parteien
84.
Erklarung zur Abstimmung vom
29. Dezember 1915 §7.
Erklarung der Fraktion gegen die
Kreditverweigerer 88, 95.
Erklarung der Fraktionsminderheit
88, 90, 96.
Erklarurig der Arbeitsgemeinschaft
zum Friedensangebot der Regie-
rung 123.
Erkl&rung der Opposition 146.
Ermordung von Liebknecht und
Luxemburg 187, 189.
Ermordung von Kurt Eisner 190.
Ermordung von Hugo Haase 205,
206.
Ern&hrungsfrage, Die, 52, 57, 95,
108, 110, 111, 140 r 149, 163, 170, 210.
Eroberungskrieg 23.
„Facker, Die, 92, 111.
Fluq-blatt von Grolz-Berlin 78.
Fraktionsdisziplin 83, 89, 91.
Fraktionssitzungen 23, 44, 53, 56,
57, 59, 81, 88, 95.
Fraktionsvdrstand 5£, 94, 98,
^Frankfurter Zeitung' 4 64.
Frankreich, Krieg gegen, 37, 48.
Frauenkonferenz
Frauentag 153.
2g m
z, Int
Frauenkonferenz, Internationale, 64.
„Freie Jugend" 207.
JVeiheir 183, 187, 206.
Frieden, Kampf um den, 55, 56, 64,
65, 72, 74, 78, 82, 87, 95, 100, 104,
105, 110, 112, 113, 138, 144, 156,
163, 166, 170, 172, 177.
Friedensangebot der Regierung 122,
124, 129, 137.
Friedenskundgebungen 22, 123.
Friedensbedingungen 74, 123.
Friedensvertrag von Versailles 199.
Frontveranderung 36, 38.
„Gebot der Stunde", Das, 72, 74, 75,
76, 77, 7a
Gegenrevolution 185, 187, 189.
Generalkommission der Gewerk«
schaften 42, 53, 77.
Gewerkschaitsbewegung 16, 42, 53,
121, 170, 192, 194, 213, 222, 226.
Gewaltiriedenschlusse im Osten, Die,
167, 168, 169, 172, 175, 199.
Gewaltmafznahmen gegen die Oppo«
sition 39, 42, 82, 97, 101, 103, 116,
124, 128, 129, 134.
Gewerkschaftskommission, Berliner,
53.
„Gleichheit", Raub der, 154.
„Glocke*', Die, 100.
Grtindungsparteitag der U. S, P. D.
135, 143, 150.
^Hamburger Echo" 82, 48, 63, 77,
140.
hamburger Echo' 4 , Erklarung im,
82,
Jiannoverscher Courier*' 64.
Herrenhaus 57.
„Het Volk" 59.
Hilfsdienstgesetz 121, 122, 134, 148,
163, 174.^
„Humanit6" 119.
Imperialismus, Deutscher, 11, 12, 19,
20, 69, 79, 97, 113, 147, 172. 175.
Internationales sozial. Bureau 22, 105,
106.
Internationale Kongresse, Beschltisse
28.
Internationale, Zusammenbruch der,
49, 113.
Internationale, Neuaufbau der, 65,
67, 79, 82, 113, 178, 202, 204, 205,
211, 214, 219.
Internnationale Konferenzen in der
Schweiz 79, 82, 104.
234
Internationale sozlalistische Kom~
mission in Bern 82.
Internationale Konferenz von Stock-
holm 157.
Internationale Sozialisten 126.
Internationale", Die, 67, 68.
^Internationale Korrespondenz" 39,
., 71, 100.
Interpellation uber den Frieden 84.
JtsWestiia" 18.
Italian 40, 68, 104,
Italienisches Manifest 40.
Jugendorganisationen 88.
Juncrdeutschlandbund 58.
„Kampf", Der, 30, 91.
„Kampferin ' 207.
Kapitulation Deutschlands 172, 175.
Kapp-Putsch 215, 217.
Kienthal, Konferenz von, 104, 106,
150,227.
Klassenkampf 18, 20, 35, 42, 45, 49,
51, 62, 69, 83, £8, 110, 115, 125, 145,
150, 192, 200, 230, 231.
Koalitionspolitik 181, 189, 200, 218,
227 230.
Kolonien 11, 113, 115.
Kommimistische Partei 76, 180, 201,
215, 223, 227.
Kommunistische Arbeiterpartei 215.
Konferenz im Haag 195 (106).
Konferenz der O^osition 124, 129,
135.
Konferenz der A.« tmd S.~R&te 185,
186, 188, 198.
Kons urn ver erne 16.
Kontrollkommision 108.
Konzentrierung des Kapitals 10.
„Korrespondenzblatt" der General-
kommission 77, 115.
Kreditverweigerung 44, 46, 53, 54,
87.
Kriegsausbruch 13, 21, 22, 45, 51,
Kriegsflotte, Angebliche Verschw5«
rung bei der, 164.
Kriegsg'efahr 12.
Kriegsvorwande 21, 36, 51.
Krieg, Kanvof eregen den, 21, 22, 40,
45, 51, 64, 65, 78, 206.
Kriegskredite 23, 24, 80, 37, 40, 43,
44, 45, 54, 55, 56, 57, 62, 63, 70, 81,
86, 99, 104, 109 r 111, 112, 133, 137,
170, 176, 177, 181.
Kriegspatriotismus 34, 66, 69.
Kriegsregie 28.
Kriegsschuld 50, 65, 111.
Kriegsstimmung, Abflauende, 68.
KriegssoTialismus 39.
Kriegsziele, Kampf urn die, 61, 62, 70,
jLabour Leader" 49.
Landtagsfraktion, Preufzische, 41, 55.
Landtagsnachwahl fur Liebknechr
136.
Lebensmittelwucher 39.
LeirHger AViionsprogramm 209, 221,
213, 214, 228.
JLeipziger Volkszeitung" S3, 37, 67,.
72, 75, 84, 89, 120, 138, 154.
Leitsatze zur Jhriedensirage 81.
JLichtstrahlen" 77.
Manifest der italienischen Partei 40,
Manifest an die Fraktion 65.
Manifest des Bxekutivkomitees 79.
Manifest der Konferenz von Kienthal
wald 82.
Manifest der Konferenz von Kienthal
105. .
Manifest der Oppositionskonferenz
127.
Manifest des Grimdungsparteitags
der U.S.P.D. 148.
Manifest der IL S. P. D. fur Stocks
holm 157, 163, 173.
Manifest der 1XS.P.D. von Halle
226,
Marne, Niederlage an der, 48.
Marokkokrisen 12, 19.
Milzbilligungserklarung gegen Lieb«
knecht und Riihle 59.
Monarchie und Monarchismus 62,
141, 150, 177.
Mord an Jaures 23.
Moskauer Internationale 76, 202, 205,
211, 214, 219, 224.
„Munchner Post" 119.
Nationalversammlung 183, 184, 186,
188, 191, 200.
JSfeue ZerT 83.
„Neue Zeit", Raub der, 155.
Neukommunisten 223, 225, 229.
Neujahrsbrief Scheidemanns 49.
Neuorientierung 143, 155.
Neutralitatsbruch in Belgien 24.
„New Yorker Volkszeitung" 29.
Notetat 93, 94.
Opportunismus 17.
Opposition gegen die Kriegspolitik
27, 30, 32, 41, 42, 47, 49, 51, 52,
53, 57, 67, 68, 72, 76, 77, 81, 83,
85, 86, 89, 92, 93, 97, 98, 100, 101,
102, 104, 105, 106, 107, 112, 113,
116, 124, 129, 130, 230.
ODpo^itionskonferen^ 124, 129, 135.
Organisation der Opposition 125,
1l9, 155, 136, 143, 145.
Organisationsstatut der U. S. P. D.
207.
235
Oesterreich, Zusammenbruch in, 166,
172.
Parlamentarismus 145, 192, 193, 203,
210, 214.
Parlamentarisches System 168, 166,
172.
Parteiarbeit vor dem Krieg, 14, 16.
Parteiau^chulz 56, 77, 80, 81, 90, 101,
102, 129. a
„Parteikorrespondenz" 92, 100.
Parteibureaukratie 14, 17.
Parteitag Jena 18.
Parteitag Chemnitz 29.
Parteitag Liibeck 58, 64.
Parteitag Numbers' 64.
Parteitag der S.P.D. in Wiirzburg
165.
Parteitag der U.S.P.D. M&rz 1919
191.
Parteitag der S.P.D. in Weimar
200.
Parteitag der U.S. P. D. in Leipzig
207.
Parteitag der II. S. P. D. in Halle 223.
Parteitaigsbeschlusse, Friihere, 28, 56,
64.
Parteitag, Abhaltung des, wShrend
des Krieges, 102, 107.
Parteivorstand 49, 74, 76, 77, 83, 86,
90, 101, 108, 116, 119, 125.
Patriotismus in der Sozialdemokratie
22
Polenpolitik 58.
PoHtik, Aeuizere, der Partei vor dem
Kriege, 19.
JPost" 62, 63.
Press©, Sozialdemokratische, 35, 110,
126.
Prekkommission des „Vorw&rts" 42.
Preuizisches Abgeordnetenhaus 41.
Programm des MSrzparteitags der
U.S.P.D. 192, 208.
Prozefz Ledebour 197.
Quertreiberei 51, 52, 79, 230.
Ratebewegung 180, 182, 183, 191,
193, 198, 200, 201, 203, 204, 207,
209, 213, 215.
Raterepublik in Bayern 191, 197.
Raterepublik in Ungarn 197.
Redakteurkonferenz 85.
Reformismus in der Sozialdemokratie
15, 17, 20, 37, 62 63.
Reichskonferenz 108, 109, 118, 115.
Reichskonferenz, September 1919,
204.
Reichskonferenz, September 1P20,
222, 223.
Reichtagsnachwahlen 120, 184, 136,
137.
Reichstagswahl 1920 217, 218.
Republik, Forderung nach der, 62,
141.
Resolution der Oppositionskonferenz
Resolution gegen die Opposition 129.
Resolution des Reichstags vom
19. Juli 1917 162.
Revolution in Deutschland 178, 179,
181, 189, 200, 203, 204, 209, 225,
228.
Revolution in RuMand 140, 141, 150,
15| 163, 166 7 170.
Revolution, Wesen der, 17, 18, 221,
225.
„Rheinisch~Westfalische Zeitung" 21.
„Rote Fahne" 223.
Rucktritt Bethmann~Hollwegs 163.
Rumanian, Gewaltfrieden mit, 169.
Rundschreiben gegen Zimmerwald
83.
Russische Sozialdemokratische Par-
te! 64, 119, 225.
RuMand, Krieg gegen, 37, 48.
Ritetungen Deutschlands vor dem
Kriege 10, 11.
„$chlasfwig4iolsteinasche Zedtung" 50.
Schreiben an den Parteivorstand 69,
76.
„Schwabische Tagwacht" 33, 39, 52.
Sozialdemokratische Arheitsgem ein«
schaft 96, 100, 101, 102, 103, 104,
106, 108, 110, 112, 113, 139, 141.
^Sozialdemokratische Feldpost" 100.
„Sozialist" 192.
Sozialisierung 193, 210.
Sozialistengesetz 16, 49, 97.
„Soziali$tische Auslandskorrespon-
denz ' 100.
„Sozialistische Gemeinde" 207.
Sozialistische Monatshefte 115.
Sozialistische Republik, Forderunp-en
der, 163, 174, 176, 182, 185, 189,
191.
Spaltung der Landtagsfraktion 133.
Spaltung der Partei 40, 76, 77, 89,
96, 101, 104, ,u% 130, 131, 132, 134,
144, 11% 230.
Spaltung der U.S.P.D. 76, 98, 181,
188, 196, 211, 208, 214, 219, 222,
226 227 229
Spartakusbund 42, 76, 89, 97, 98,
104, 106, 109, 113, 125, 129, 145,
166, 179, 183, 187.
Steuergesetze 95, 140, 148, 194, 207,
210, 228.
Stockholm, Konferenz von, 157, 173.
Strafzendemonstrationen 170. 181,
201.
Streikbewegung 107, 111, 160, 168,
170, 173.
236
Turkei 38, 172*
U-Bootkifeg 113, 124, 137, 138, 139,
152, 175.
Ukraine 167, 168.
Unabhangige Arbeiterpartei Eng«
lands 49, 64, 71.
Urproduktion Deutschlands 10.
Verbote von Zeitungen 39, 48.
Vereinigte Staaten vor dern Kiiege 10.
Verhaftung Ledebours 197.
Verhaftung Liebknechts 196.
Verhaftung Rosa Luxemburg 48, 55.
Verstandigungsfrieden 43, 50, 53, 57,
74, 112, 139, 150, 157, 164.
Verurteilung von Dittmann 171.
Volksbeauftragten, Regierung der,
182, 183, 187, 220.
f ,Volksblatt" in Kassel 48.
„Volksblatt" fur Halle 83, 62, 120.
„Volksireund", Braunschweig 120.
„Volksfreund", Karlsruhe 50, 51,
116, 140.
„Volksstimme", Chemnitz 48, 50, 79.
„Volksstimme", Frankfurt a. M. 171.
„Volksstimme", Magdeburg 140.
„VorwMrts" 22, 30, 39, 42, 46, 53, 58,
60, 80, 81, 92, 93, 94, 100, 103, 107,
115, 118, 119, 120, 125, 139, 141 150.
,,Vorwarts", Erklarung der Redaction
des, 30.
„Vorwarts"-Raub 103, 116, 117, 118,
124, 133, 154.
Wahlrechtskampf 142, 149, 156, 162,
170, 174.
,Wahre Jacob" Der, 35.
Weihnachtsgrufze nach England 49.
Weltmarkt 9, 11, 12, 13.
Weltpolitik 12, 19.
Wettriisten 19.
Wilsons Botechaft 138, 172 f 199.
Wirtschaftliche Entwicklung, Die,
9,10.
Wiirttembergischer Landesvorstand
39, 52.
Zarismus, Gegen den, 33, 58, 140.
Zensur 39, 48, 57, 58, 64, 68, 77, 82,
92, 97, 116, 117, 143, 149, 163.
Zimmerwald, Konferenz von, 82, 105,
106, 150, 227.
Zusammeribruch 152, 179.
EL Personenverzeichnis
Adler, Fritz 30, 91.
Adler, Victor 45.
Albrecht 26, 58, 60, 81, 86.
Antrick 26, 56, 58, 60, 81, 86.
Axelrod 82, 83, 104.
Bakunin 118. 225.
Baudert 45, 58, 60, 81, 86.
Bauer, Gustav 121.
Baumeister 39, 71, 100.
Bebel 19, 26, 82, 35, 64, 93, 155.
Bernste'n 37, 54, 58, 60, 72, 81 7 83, 96.
BethmannnHollweg 55, 60, 85, 98, 99,
110, 112, 116, 122, 125, 139, 162, 163.
Bismarck 10, 11, 16.
Bluntschli 19.
Bobroff 83.
Bock 26, 58, 60, 81, 86, 96, 114.
Borchardt 77, 125.
Bourderon 83, 104.
Bracke 104.
Bralz 186.
Brandes 58, 60, 81, 86.
Braun, Adolf 132.
Braun, Otto 103.
Breitsche T d 190, 192. .
Brizon 104 e
Brussilow 164.
Bucharin 202.
Buechner 58, 60, 81, 86, 96.
Caillaux 26.
Caprivi 11.
Chamberlain 12.
Cohen 44, 50, 58, 200.
Cohn, Oscar 58, 60, 81, 86, 96, 177.
Crispien 30, 39, 100, 195, 208, 219,
222, 224, 226.
Cunow 31, 34, 50, 86, 100, 140.
Daumig 31, 116, 143, 191, 192, 195,
198, 202, 214, 219, 221, 222, 223,
224.
David 25, 26, 37, 44, 55, 57, 58, 81,
157, 175.
Davidsohn 60, 81.
Delbriick 46.
Denikin 220.
Dllzmann 56, 154, 192, 207.
Dittmann, Paul 154.
Dittmann, Wilhelm 58, 60, 81, 86,
96, 144, 145, 154, 164, 171, 174,
192. 205, 207, 219, 222, 224, 229.
Dietz 155.
Doseher 31.
237
Duncker, Kathe 67, 113, 111
Ebert £8, £9, 88, 71, 87, 101, 108 r 1C9,
110, 111, 114, 113, 129, 164, 135,
175, lP. p . 189.
Eckstein 32.
Ehrhardt 216.
Eichhom 224.
Eisner, Kurt 127, 146, 190, 197.
Emmel 45, £8, 59, 60, 81, 86.
Engelhardt 92.
Eng-els 19, 27, 35, 153, 159, 166, 176.
Eromann 81.
Ernst, Eugen 107.
BribergeT 44, 162.
Ewald 86.
Fehrenbach 185.
Fendrich 100.
Fischer, Edmund 54, 81.
Fischer, Richard 40, 41, 103, 107, 116,
117, 118.
Fleifener 56 7 101, 156.
Frank 26 7 37, 49.
Frassek 109.
Freiligrath 155.
Frohme 54.
Fuchs 58, 60, 81, 86.
Geyer, Fritz 26, 58, 60, 81, 86, 87, 96.
Geyer, Kurt 186, 202, 204, 205, 208.
Graber 104.
Gottschalk 101.
Gradnauer 171.
Greulich 104.
Grey 12.
Grimm 83, 104.
Grcger 107.
Groener 163, 169.
Grumbach 49.
Gruetz 154.
Guilbeaux 104.
Haas* 23, 24, 25, 26, 27, 29, 44, 45,
46, 56, 58, 60. 62 r 63, 72, 74, 75, 77,
80, 81, 85, 86, 87, 88. 89, 90, 93,
94, 95, 96, 99, 101, 103, 111, 112,
114, 121, 124, 125, 135, 144, 145,
146, 147, 154, 157, 163, 164, 169, 171,
175, 187, 191, 195, 200, 202, 204, 205.
Hanecki 83.
Hanisch 23, 33, 34, 50, 55, 62, 100,
144.
Heckert 147.
Heilmann 50, 79, 115.
Heine 26, 27, 59, 62, 79, 86, 94, 100,
111, 200, 203, 215.
Helfferich 94, 140.
Henke 26, 45, 58, 60, 81, 86, 96, 146,
154.
Hennig 56, 101, 225.
Herre 100.
Hertling, Graf 166.
Herz 32.
Herzfeld 2-3, 58, 60, 81, 88, 96, 146.
Heydebrand 175.
Kisrl £8.
Hilferding 31. 147, 183, 202, 204, 205 7
206, 211, 222, 225.
Hillquith 222.
Hindenburg 59, 79.
H rsch 183.
Hoch 5, 26, 46, 60, 81, 86, 89.
Hofer 41, 133, 154.
Hoffmann, Adolf 41, 82, 83, 118, 133;
223, 224.
Hoffmann, Kaiserslautern 58.
Hoffmann, Paul 41, 133.
Hofrichter 58, 60, 81, 86.
Hoeglund 83.
Horn 58. 60, 81, 86, 96.
Hcernle 39 7 100.
Hu^el 58, 86.
Jansson 47, 115.
Jaures 23, 26, 32, 40, 159.
Jogiches 197.
John 31.
Juchacz 155,
Judenitsch 220.
Kaliski 115.
Kampf 94.
Kapp 116, 215.
Karski 67, 83, 92.
Katzlerowitsch 104.
Kautsky 26, 72, 83, 84, 127, 129, 147,
148, 155, 222.
Keil 39, 94.
Kerenski 166.
Kirdorf 38.
Kolb 15, 116. 140, 165.
Koltschak 220.
Konen 186, 223.
Krupp 38.
Kiihlmann 168, 171.
Kuhnert 25, 58, 60, 81, 86, 96.
Labinski 83, 104.
Lange, Paul 67.
Landsberg 38, 58, 85, 86, 87, 189.
Lassalle 19, 35, 153.
Laufenberg 32.
Laukant 154, 18f.
Laz7;arri 83.
Ledabour 26, 29, 53, 54, 55, 58, 59,
60, 83- 81, 82. 83. 85, 81 91.. 93, 109,
114. 118, 124, 135, 139, 146, 147,
154, 163, 164, 168, 170, 171, 176,
197, 198, 212, 214, 226.
Legien 89, 50, 53, 54, 58, 59, 89.
Leimpeters 62.
Lenin 82, 83, 104.
238
Lensch 26, 84, 89, 45, 62, 86, 100, 113,
144, 165.
Leutert 58, 60, 81.
Levi 208, 215.
Lieberasch 163.
Liebknecht, Karl 18, 25, 26, 29, 38,
41, 42, 44, 46, 49, 53, 54, 55, 56, 58,
59, 60, 63. 81, 85, 86, 89, 90, 91,
95, 100, 106, 107, 111, 113, 136, 174,
189, 197.
Liebknecht, Wilhelm 35, 64, 155.
Liebmann 163.
Linde 56.
Lipinski 101, 121, 125, 16|.
Lobe 129.
Longuet 222.
Losowsky 226.
Ludendorff 171, 17a
Liittwitr 198, 203.
Luxemburg", Rosa 23, 29, 34, 48, 49,
55, 65, 67, 100, 174, 189, 197.
Machowski 202.
Marker 203.
Martow 204, 225*
Marx 10, 15, 35, 64, 67, 153, 166, 180,
225.
Max von Baden, Prinz 172, 174.
Mehring 15, 49, 67, 100, 186.
Merrheim 83, 104.
Meyer, Ernst 103. 125.
Michaelis, Dr. 163, 164, 166,
Miljukow 156.
Modigliani 83.
Molkenbuhr 45, 99.
Morgan! 104.
#WW, Dr. August 163.
Muller, Herrmann 108, 117.
Muiier, Richard 192, 202, 208.
Muller, S-Mteuditz 100.
Mussati 104.
Naine 83, 104.
Nestriepke 31.
Niebuhr 82, 100.
Normann 83.
Noske 176, 187, 189, 191, 197, 198,
200, 201, 203, 215, 216.
Oerter, Sepp 154.
Parvus 100.
Pattloch 187.
Payer 46.
Peirotes 26, 58, 60, 81.
Peus 115.
Platten 104.
Pokorny 104.
Quessel 115,
Radek 18, 49, 82, 104.
Raute 58, 60, 81, 86.
Redehel 39.
ReiJzhaus 81, 8a
Racovski 83.
Rohrbach 36.
Rochlingr 88.
Roland-riolst 83.
Ruck 145.
Rufin-Dugins 104.
Ruhle 26, 59, 60, 81, 86, 89, 91.
Scheidemann 26, 49, 50, 52, 57, 59.
62, 63, 68, 84, 87, 98, 99, 109, 110,
119, 139. 163, 165, 175, 189, 200.
Schiffer 68, 71.
Schmidt-Meilzen 58, 60, 81.
Schmidt, Robert 99.
Schnellbacher 154.
Scholz 31.
Schoepflin 58, 92.
Schulz, Heinrich 50, 100, 155,
Schwartz 58, 60, 81, 86, 96.
Sender, Toni 226.
Serati 104.
Severing 115.
Simon 57, 58, 60, 81, 86.
Sindermann 129.
Sinowjew 223, 224, 225, 226.
Spahn 84, 85.
Stadthag-en 26. 31, 45, 54, 55, 58, 60,
63, 81, 86, 96, 111.
Stahl 137.
StampfeT 22, 119.
Stinnes 38.
Stoecker 202, 205, 208 211, 219, 221,
222, 223, 224.
Stolle 45, 58, 60, 81, 86. 96.
StrSbel 31, 41, 43, 67, 133, 181, 187.
Stubbe 81.
Stumm 38.
Sudekum 26, 40, 41, 53, 58.
Thalheimer 67.
Timm 107, 108, 111.
Tscheidse 141.
Tschitscherin 202.
Turati 222.
Umbreit 115.
Vogtherr 26, 58, 60, 81, 86, 96, 124,
135, 164.
Wahnschaffe 69, 116.
Walcher 39.
Weber 31.
Wedel-Piesdorf 57, 72.
Weill 49.
Wenffels 87, 101, 130, 132, 154.
Wendel 26, 171.
Wermuth 31,
Westarp 59, 70, 72, 175. Wolffheim 32.
Westmfcyer 30, 58. Wolfstein 145.
Wildgrube, Dr. 120. Wurm 57, 81, 86, 96, 208, 217.
Wilhelm II. 11, 29, 35, 42, 55, 122, 124, '
137, 155. 163, 172, 178. Zetkin, Clara 30, 67, 82, 154.
Wilson 138, 175, 198. Zietz, Luise 87, 101, 130, 132, Hi
Winnig 50, 86, 100, 144. 154, 192, 224.
WisseU 201. Zubeil 58, 60, 81, 86, 96.
Gedruckt in der Berliner Druckerei G. m. b. H„ Berlin C. 2, Breite.str. 8/9..
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